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Widersprüchliche Angaben

Die Strahlenwolke von Tschernobyl steht zugleich für die weltumspan­nenden Gefahren der Atomenergie, deren Unfallfolgen sich nicht regio­nal begrenzen lassen. Tschernobyl stürzte die Atomindustrie weltweit in ihre größte Legitimationskrise.

Heute, 20 Jahre danach, werden noch einmal die Krebsopfer und Toten gezahlt, die Evakuierten und Traumatisierten. Es ist eine schwierige Bilanz, weil zeitnah zu Tschernobyl auch die alte Sowjet­union zusammenbrach, mit dra­matischen sozialen und wirtschaft­lichen Auswirkungen, die nicht immer leicht zu trennen sind von den Folgen der Reaktorkatastrophe.

Die Wurde der Toten verlangt Auf­richtigkeit bei der Berechnung der Opfer. Doch es liegen viele wider­spruchliche Angaben vor, und nie­mand weiß genau, wie viel radio­aktives Inventar tatsachlich aus dem Reaktor geschleudert wurde. Die UN haben jetzt in ihrem ge­meinsamen Report mit der Welt­gesundheitsorganisation und der Internationalen Atomenergiebe-horde IAEO die Zahl der Opfer auf 4.000 für die Gruppe der hoher belasteten Menschen geschätzt. Bei der großen Zahl der niedrig belasteten Personen in den konta­minierten Gebieten erwarten die UN zusatzlich 5.000 Opfer. Andere Organisationen sprechen von einer fünfstelligen Opferzahl. Eine endgültige Ziffer zu nennen ist schon deshalb problematisch, weil die gesundheitlichen Spatfolgen zum Teil erst nach Jahrzehnten sichtbar werden. Das Leid der Be­troffenen lasst sich ohnehin nicht in nackten Zahlen ausdrucken.

Tiefe traumatische Erfahrung

Die Entwurzelung von Hundert­tausenden, die evakuiert wurden, gehört zu den gravierendsten Fol­gen. In der Ukraine wurden in den ersten Monaten nach dem Unfall zunächst 75 Städte und Dorfer mit 91.406 Menschen evakuiert, in Weißrussland waren es 108 Siedlungen mit 24.725 Einwohnern. Später folgten weitere Umsiedlungen, so dass nach UN-Angaben mehr als 350.000 Menschen ihre Heimat verloren - „eine tiefe traumatische Erfahrung". Die psychisch-seelischen Folgen werden in dem UN-Report als „das größte Gesundheitsproblem der Tschernobyl-Katastrophe" bezeichnet.

Die radioaktive Wolke von Tschernobyl führte in weiten Teilen Europas zu erhöhten radioaktiven Konzentrationen. In der Ukraine, in Weiß­russland und Russland wurde eine Fläche von 146.000 Quadratkilo­metern - mehr als das Doppelte der Fläche Bayerns - mit einer Casium-Konzentration kontaminiert, die hoher war als 37.000 Becquerel je Qua­dratmeter - der von den Behörden festgelegte Grenzwert der Zone 4.

Hauptbetroffene sind Kinder und Aufräumarbeiter

6,8 Millionen Menschen leben nach Angaben der UN gegenwärtig in Gebieten, die noch spürbar mit Radionukliden des Unfalls belastet sind, 270.000 in Regionen, die „strikter Kontrolle" unterliegen. Ängste und eine große Verunsicherung hindern sie daran, ein gesundes, produktives Leben zu führen, heißt es in dem UN-Report. Neben der direkten Strah­lenwirkung fügt diese Strahlenangst den Betroffenen erhebliches Leid zu. Erhöhter Alkoholkonsum, höhere Selbstmordraten und Ausgrenzung der Strahlenopfer bestimmen den Alltag von vielen Menschen.

Zu den auffälligsten gesundheitli­chen Folgen gehört der sprunghaf­te Anstieg der Erkrankungen an Schilddrüsenkrebs. Zwischen 1986 und 2002 wurden bei Kindern und Jugendlichen in Weißrussland und der Ukraine 4.590 Fälle von Schild­drüsenkrebs registriert. Zum Ver­gleich: In den zehn Jahren vor 1986 waren in Weißrussland nur sieben Fälle dieser bei Kindern ex­trem seltenen Krankheit registriert worden. Auch 20 Jahre nach Tscher­nobyl steigt die Zahl der Falle wei­ter an.

Die Überlebensrate der Krebskran­ken ist mit 99 Prozent sehr hoch, aber die radikalen Therapiekon­zepte mit der Entfernung der Schilddrüse, der Lymphknoten und anschließender Bestrahlung sind für die Kinder eine deutliche Be­lastung. Die Gefahr von Stimmver­lust und Heiserkeit, Verlust der Zeu­gungsfähigkeit sowie eine gewisse Wahrscheinlichkeit (30 Prozent), dass der Krebs erneut auftritt, kön­nen mit der Erkrankung und Be­handlung verbunden sein.

Hauptbetroffene von Tschernobyl sind neben den Kindern die rund 600.000 registrierten „Liquidato­ren" oder Aufräumarbeiter. Sie ha­ben, teilweise mit ihren Händen, die radioaktiven Trümmer besei­tigt, den Reaktor nach Tunnelgra­bungen durch eine Betonwanne von unten abgesichert und spater auch den Sarkophag gebaut. Auf dem Dach des Reaktors haben sie Graphitbrocken und radioaktiven Schutt beseitigt - im Rhythmus von 40 Sekunden für jeden Arbeiter.

Da die Aufräumarbeiter aus der gesamten Sowjetunion zusammen­gezogen wurden und heute ver­streut in verschiedenen National­staaten leben, ist eine seriöse Über­wachung ihrer Gesundheit schwie­rig. Studien berichten über eine erhöhte Leukämie- und Krebsrate bei Aufräumarbeitern, die höhe-ren Dosen ausgesetzt waren. Der UN-Report schätzt, dass 2.200 Liquidatoren an den Folgen des Unfalls sterben werden. 47 Men­schen, vor allem Reaktorpersonal, sind unmittelbar nach der Katas­trophe an akuter Strahlenkrank­heit gestorben, drei Mitarbeiter starben infolge ihrer schweren Un­fallverletzungen durch die Explo­sion des Atomkraftwerks.

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