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Max Beckmann

„Ich amüsiere mich oft über meinen eigenen so blödsinnig zähen Willen zum Leben und zur Kunst. Ich sorge wie eine liebende Mutter für mich, spucke, würge, stoße, drängle, ich muß leben und ich will leben. Ich habe niemals bei Gott oder so etwas, mich gebückt, um Erfolg zu haben, aber ich würde mich durch sämtliche Kloaken der Welt, durch sämtliche Erniedrigungen und Schändungen hindurchwinden, um zu malen. Ich muß das. Bis auf den letzten Tropfen muß alles, was an Formvorstellung in mir lebt, raus aus mir, dann wird es mir ein Genuß sein, diese verfluchte Quälerei loszuwerden."

Beckmann veröffentlichte insgesamt vier Mappenwerke, d.h. zusammengehörende thematische Bildfolgen. 1919 die Mappen „Gesichter" und „Die Hölle", 1922 die Mappen „Der Jahrmarkt" und die „Berliner Reise". „Die Hölle" nimmt unter diesen Arbeiten eine Sonderstellung ein. Zum einen wählte Beckmann für seine Drucke ein ungewöhnlich großes Bildformat und gab damit den Bildern ein eindringliches Gewicht, zum anderen wählte er einen für sein Gesamtwerk ungewöhnlich engen Zeitbezug. Außerdem ist diese Mappe ein Dokument des Stilwandels. Beckmann hat hier den Impressionismus, von dem die Malerei seiner Frühzeit geprägt war, hinter sich gelassen und zu dem für ihn von da ab kennzeichnenden künstlerischen Ausdruck gefunden.

Das Schlußbild, „Die Familie" zeigt den Künstler in der Pose eines Warners vor einem mit Handgranaten spielenden Kind.

Am deutlichsten als Teilnehmer des Schreckens im Bild „Nachhauseweg". Auf diesem Bild, dem ersten der ganzen Folge, steht der Künstler fast wie ein Spiegelbild einem Kriegskrüppel gegenüber. Dem ehemaligen Soldaten fehlt der Arm. Sein Gesicht ist völlig deformiert.

Es sieht so aus, als erkundige sich Beckmann bei dem Soldaten, den er zu berühren scheint, nach dem Weg. Eine Hand verweist auf sich selbst. Sein Blick ist starr. Im Hintergrund ein weiteres Kriegsopfer auf Krücken. Eine Frau im Licht einer Laterne — Anklänge an Prostitution. Die Laternen strukturieren den Bildraum. Durch die schräg stehenden Häuser und Laternen ergibt sich der Eindruck als wanke der Boden. Vor beiden Männern steht ein riesiger Hund mit weit aus dem Hals hängender Zunge.

Versteckter und skeptisch distanzierter hat Beckmann sein Porträt im Bild „Ideologen" untergebracht. Am besten orientiert man sich in diesem Bild, wenn man vor aller Interpretation versucht zu beschreiben, was man sieht. Man kann dabei die Gedanken festhalten, die die Gesichter und Körperhaltungen der darstellenden Personen wecken. Dabei wird man feststellen, dass Beschreibung und Interpretation nicht immer deutlich zu trennen sind. Das liegt nicht an der Willkür des Betrachters, sondern auch an der Mehrdeutigkeit der betrachteten Personen, ihres Gesichtsausdrucks und ihrer Gesten.

Da ist z.B. der Mann auf dem podestartigen Gebilde. Bärtig mit eckigem Kopf und beschwörend erhobenen Händen. Er scheint wie ein Redner, dessen Rede man aber nicht hören kann. Die anderen Personen könnten sein Publikum sein, schließlich scheinen sie ja alle im gleichen Bildraum versammelt. Zu konkret wird man sich aber auf das Bild einer Versammlung auch nicht festlegen dürfen, da ja offensichtlich die formale Bildperspektve sich von der räumlichen Perspektive der normalen Wahrnehmung gelöst hat. Links oben sehen wir eine Frau, die wie horchend die Hand ans Ohr gelegt hat. Links unter ihr, schwer erkennbar, eingeklemmt ein Mann, der die Hand wie zu einer Wortmeldung oder zu einem gestikulierenden Einspruch erhoben hat. Vor ihm, vom Rücken her sichtbar, ein älterer Herr, der Assoziationen an einen Professor weckt, der leicht gebeugt auf einem Podest hin und her schreitet. Er hält die Hände auf dem Rücken verschränkt.

Links unten in der Ecke ragt ein fensterähnliches Gebilde aus dem Bild. Auch hier sprengt die Komposition den perspektivischen Normalblick. Im Liniengewirr hinter diesem Rahmen ist eine weitere Person zu erkennen, die den Kopf in die Hand gestützt hält. Ob diese Person einer im Bild sprechenden Person zuhört, ist nicht deutlich auszumachen. Genauso gut könnte mit ihr ein Mensch gemeint sein, der in der Abgeschiedenheit seiner Wohnung nachdenklich den Ereignissen seiner Zeit nachsinnt.

Eine Frau im Bildvordergrund hält die Arme über der Brust verschränkt. Ihr Blick geht gleichermaßen nach Oben ins Leere und nach Innen. Sie ist deutlich mit einem Kreuz charakterisiert. Sucht sie als Gläubige Aufschluß über ihre Situation?

Rechts über ihr ein Mann mit Bartstoppeln und kreisrunder Brille ohne Blick. Sein Kopf ist durch den Haaransatz zackig gezeichnet. Er wirkt, als wollte er den Redner vom Pult verdrängen, als warte er auf seine Auftritt. Über ihm, sehr grob gezeichnet, allein in undeutlichen Andeutungen zu ahnen, eine weitere Figur mit einem erhobenen Arm bzw. Armstumpf.

Eine letzte Figur findet sich leicht unterhalb der Bildmitte. Hier hat der Maler sein eigenes Bild eingefügt. Dunkel schraffiert mit fast schwarzen Augen hat er die Hände über dem Mund verschlossen. Seine Pose wirkt nachdenklich, distanziert, vielleicht sogar entsetzt schweigend.

Es könnte sich um ein Bild einer politischen Versammlung der revolutionären Nachkriegszeit handeln. Zumindest aber um eine Versammlung verschiedener Haltungen, mit denen verschiedene Menschen auf die Herausforderungen ihrer Zeit reagierten. Letztlich bleibt das Bild offen für seine Deutung.

Hilfreich für ein Verständnis ist ein Nachdenken über die Bedeutung des Begriffes „Ideologie" bzw. der Bezeichnung einer Person als „Ideologe". Ideologie meint eine Weltanschauung, die sich als wahr behauptet, über deren Wahrheitsgehalt sich aber streiten läßt. Dem Begriff haftet etwas Relativierendes und Abwertendes an. Indem Beckmann unter der Bezeichnung „Die Ideologen" gleich mehrere Personen, unter Einschluß der eigenen Person, in einem Bild versammelt, drückt er seine Zweifel aus.

Eine ganz andere, wesentlich dramatischere Szene zeigt das Bild „Martyrium". Während die „Ideologen" verschiedene menschliche Verhaltensweisen gestisch skizzieren, ohne aber eine Geschichte zu erzählen, zeigt dieses Bild einen Handlungsvorgang. Da dieses Bild nach inhaltlichen Gesichtspunkten und durch die räumliche Komposition noch komplexer ist als das vorhergehende, ist es hier besonders wichtig, sich erst einmal einen Überblick über das zu verschaffen, was man sieht.

Fragt man nach Ort und Zeit der Handlung, dann scheint es auf den ersten Blick unmöglich, sie anzugeben. Dennoch enthält das Bild einige Hinweise. Es handelt sich um eine nächtliche Szene. Im Bildhintergrund sind der Mond und Sterne zu sehen. In der Bildmitte oben findet sich dunkel die Silhouette einer dreitürmigen Kirche. Im rechten Bildhintergrund ist ein Eingang zu einem Haus zu sehen. Er ist mit einem baldachinartigen Gebilde überdacht, so wie man sie von Hotels kennt, die ihre Gäste trockenen Fußes zu Wagen oder Taxi geleiten wollen. Der Hoteleindruck wird weiter verstärkt durch eine kleine livrierte, gesichtslose Person — Andeutungen eines Hoteldieners. Im linken Bildhintergrund ragt ein Aufbau aus dem Bild, der an frühere Automobilkarosserien denken läßt. Ein Scheinwerfer und die geschwungene Andeutung eines Kotflügels sind zu erkennen. Von diesem Bildteil geht eine Dynamik aus, die über den Rahmen nach links hinausweist.

Zwischen Automobil und Hoteleingang findet das Hauptgeschehen statt. Bildbeherrschend ist eine Frau mit weit ausgebreiteten Armen und Beinen, die Finger verkrampft, blicklos, wie ohnmächtig oder tot. Ihr Körper ist zerschunden. Wir sehen, wie ein Soldat mit Helm, dessen Gesicht anonym bleibt, weil seine Hände es verdecken, mit einem Gewehrkolben auf sie einschlägt. Ein anderer vor der Frau hockender, blöd grimassierender Soldat stößt von unten mit einem Gewehr nach der Frau. Wir sind Zeugen einer Folterszene. Ein dritter an der Folterung beteiligter Mann zerrt die Frau in Richtung des Wagens. Offensichtlich soll das Opfer verschleppt werden.

Bei genauem Hinsehen bemerkt man drei weitere Personen. Einen hämisch grinsenden Zivilisten, der mit Wohlgefallen das Geschehen nicht nur duldet, sondern feixend bejaht. Im linken Vordergrund, mit dem Rücken uns zugewandt, ein unproportioniert kleiner Mann, ein Beobachter, der mit Gesten von großer körperlicher Spannung geradezu gierig der Szene zusieht. Bei näherem Hinsehen entdeckt man, dass er einen Stift in der Hand hält. Neben seiner linken Schulterpartie scheinbar am Boden hockend ist eine dritte Person versteckt. Ein Interpret des Bildes hat in ihr einen Mann gesehen, der mit einer Kurbel das Auto anwirft. Ein letzter Mann befindet sich im Wagen.

Man kann also unterscheiden in unmittelbar folternde Personen und Menschen, die die Folterung beobachten oder mehr oder weniger passiv in sie verstrickt sind. Der Bildvordergrund ist bühnenartig gestaltet. Man erkennt geschwungene Bretter, die wie ein Bühnenabschluß aussehen und vorne rechts einen den Bühnencharakter des Raumes betonenden Bildausschnitt.

Eine Interpretation des Kunsthistorikers Alexander Dückers bestätigt alle Beobachtungen, aber sie fügt den Details einen tagespolitischen Zeithintergrund hinzu, der einem heutigen Betrachter so nicht erschließbar ist. Erst durch seine Ausführungen wird die Szene vollends identifizierbar. Für den heutigen Betrachter handelt es sich bei dem „Martyrium" um eine zeitlose Szene. Durch Dückers Ausführungen erhält sie einen geradezu reportageartigen, zeitkritischen Bezug, ohne aber ihre zeitübergreifende Dimension zu verlieren. Offensichtlich kam es Beckmann auf die Überhöhung des geschichtlichen Inhalts besonders an.

Auch George Grosz stellt die Ermordung zweier Revolutionäre dar. Allerdings sind sie bei ihm namenlose Repräsentanten der Arbeiteropposition. Im Gegensatz zu Beckmann sucht er in seinem Bild äußerste Klarheit, auch wenn er sie nur mit den Mitteln äußerster Vereinfachung finden kann. Der Titel: „Die Kommunisten fallen die Devisen steigen" greift einen Satz aus der Junius-Broschüre von Rosa Luxemburg aus dem Jahre 1916 auf. Diese Schrift war eine revolutionäre Agitationsschrift, die zum Kampf der Arbeiter gegen den Krieg aufrief. George Grosz greift die These der Broschüre, dass die Gewalt des Ersten Weltkrieges in erster Linie der Macht und den ökonomischen Interessen einer kleinen Schicht dient, auf und setzt sie in ein formelhaft einprägsames Bild um. Er montiert zwei Bildszenen. Zwei ekelhaft fette Männermonster lassen es sich an einem reich gedeckten Tisch gut gehen, während im Hintergrund Soldaten auf unbewaffnete Zivilisten einschlagen und sie ermorden. Die Montage enthüllt die Soldaten als ausführende Organe der reichen Auftraggeber, bzw. zeigt die reichen Vertreter von Macht und Aristokratie als die wahren Profiteure des blutigen Handelns.

George Grosz bekannte sich ausdrücklich zur Technik der Vereinfachung: „Ich versuche wieder ein absolut realistisches Weltbild zu geben, ich strebe an, jedem Menschen verständlich zu sein, ohne die Heute verlangte Tiefe... Nicht mehr handelt es sich darum, expressionistische Seelentapeten bunt auf die Leinwand zu zaubern. Die Sachlichkeit und Klarheit der Ingenieurzeichnung ist ein besseres Leitbild, als das unkontrollierbare Geschwafel von Kabbala und Metaphysik und Heiligenekstase."

Max Beckmann hat über l00 Selbstbildnisse in Gemälden, Zeichnungen und Graphiken in den sechs Jahrzehnten seines Lebens geschaffen. Dem Porträt kommt im Zusammenhang seines Werkes ein hoher Stellenwert zu. Die Selbstbefragung, die immer in der Darstellung der eigenen Person liegt, hat bei ihm einen ähnlich großen Stellenwert wie im Werk von Rembrandt und van Gogh, die er beide sehr verehrte.

Er hat sich selbst porträtiert in Bildern mit biblischer Thematik, z.B. als Christus mit der Sünderin, oder in mythologischen Bildern, wie etwa in den Triptychen, in denen er immer wieder das eigene Bild unterbrachte. Er zeigte sich in Doppelporträts mit seiner Frau oder auch mehrfach in Gruppenporträts. Dabei wählte er die unterschiedlichsten Posen, Maskierungen oder Verkleidungen. Mal stellte er sich als Narr dar, dann wieder als König. Oft zeigte er sich als arrivierter Bürger in Bars oder Hotels. Seine Selbstbildnisse sind Spiegel der geistigen Haltung, oft auch unmittelbarer Ausdruck der jeweiligen Lebenslage. An Beispielen aus mehreren Jahrzehnten soll die Spannweite seiner Selbstdarstellung gezeigt werden.

Beckmann hatte als Maler relativ früh Erfolg. Sicherlich lag das nicht zuletzt an der kraftvollen und selbstbewußten Ausstrahlung, die von dem jungen Mann ausging. Als 17jähriger schon hatte er sich vor einer Landschaft dargestellt, den Kopf und das typische energisch geschnittene Kinn nach oben gewandt. Er zeigte sich Seifenblasen formend, d.h., er wählte ein symbolisches Bild für sich als Künstler. An die Seifenblasen knüpfte er, einer Bildkonvention gehorchend, die Idee der eigenen zerbrechlichen, schillernd schönen Kunstwelt. Dass sie zum Himmel aufsteigen und zerplatzen, paßt gut zum Bild des Künstlers, der Höheres will und doch ganz dieser Welt verbunden ist.

Ein paar Jahre später, mit 23 Jahren, malte Beckmann sein „Selbstbildnis Florenz" (1907). Hier verzichtete er auf symbolische Attribute. Er stellte sich dem Betrachter frontal vor, nicht Bohemien oder Bürgerschreck, schon gar nicht tragischer Fall oder ringender Mensch, sondern überaus selbstbewußt. Er malt sich in entspannter Pose mit Anzug und Krawatte, in der Hand ein Zigarette haltend. Das Gesicht, das schon bald so ausdrucksstark Spannungen, Kraft und Ernst wiedergeben wird, ist von jugendlicher Weichheit. Das Überzeugt-sein von der eigenen Person reicht hier bis zur Grenze der Arroganz. Er hebt seine deutlich umrissene Gestalt von einem hellen Landschaftshintergrund ab. Die Malweise ist noch am Impressionismus orientiert.

Beckmann befand sich in einer glücklichen Periode seines Lebens. Er war am hoffnungsvollen Beginn einer Laufbahn als Künstler. 1905 hatte er den Ehrenpreis des Künstlerbundes für sein Bild „Junge Männer am Meer" erhalten. Der Preis bestand in einer größeren Geldsumme und einem halbjährigen Aufenthalt in der Kunstmetropole Florenz. Außerdem hatte er im gleichen Jahr geheiratet. Anerkennung seiner Arbeit und privates Glück haben zu diesem ausgewogenen mit sich selbst zufriedenen Selbstbildnis beigetragen. In einer ähnlich ruhigen und auch kompositionell verwandten Weise wird er sich erst 20 Jahre später wieder im „Selbstbildnis mit Smoking" (1927) zeigen. Dazwischen liegen für ihn Jahre des Zweifels und des künstlerischen Umbruchs. Vor allem aber die Erfahrung des Krieges.

Dieses Porträt — Selbstbildnis (1922) — ist einer der wenigen Holzschnitte die Beckmann gemacht hat. Die Gelassenheit des frühen Bildnisses ist einer extremen Anspannung gewichen. Aus den offenen Augen mit dem jugendlich weichen Blick sind schwarze Schlitze geworden. Der Blick scheint ganz nach Innen zu gehen. Allein in Kopfhaltung und Gesichtszügen ist noch etwas von der Unbeugsamkeit und der Kraft des frühen Bildes spürbar. Sein Bild wie auch sein Leben haben sich verdunkelt. Beckmann lebte 1922 in Frankfurt. Er war nach dem Krieg nicht mehr zu seiner Frau und seinem 1908 geborenen Sohn zurückgekehrt. Für ein paar Jahre trat die Malerei in den Hintergrund. Das spannungsvolle schwarz-weiß der Graphik bestimmte Beckmanns Produktion dieser Zeit und wird hier noch besonders durch die Kantigkeit der Holzschnittechnik betont. Er brauchte einige Jahre, bis er die Erfahrungen des Krieges so weit verarbeitet hatte, dass er einen malerischen Neuanfang finden konnte. Im Bild von 1922 sind die Pole von seelischem Leid und äußerer Festigkeit, von Depression und Kraft auf sehr widerspruchsvolle Weise verbunden.

Auch in diesem Gemälde, das ein Jahr vorher entstand, ging es um Spannungen und Gegensätze. Aber diese Spannungen drücken sich ganz anders aus. Es sind Spannungen innerhalb verschiedener Rollenzuschreibungen und nicht die unmittelbare Gespanntheit eines seelischen Ausdrucks. Das Sefbstbildnis als Clown zeigt keinen Blick ins Innere, sondern reflektiert die eigene Person viel distanzierter. „Er sucht die übergreifend lebensdeutende Aussage. Ein Gutteil der Beunruhigung und Faszination seiner Bilder resultiert aus dem Dilemma zwischen diesem allgemeinen lebendsdeutenden Anspruch — festgemacht an traditionellen Themen, Symbolen, Attributen, Motiven — und neuen, dem persönlichen Bereich und seiner Zeit entstammenden Inhalten ... Aus der Spannung zwischen Altbekanntem und Neuem ... resultiert teilweise auch die Rätselhaftigkeit der Bilder dieser Jahre." Spannung vermittelt sich hier über Attribute und Gesten und nicht so sehr über den reinen Gesichtsausdruck. Im Gegenteil. Das Gesicht scheint ruhig, auch wenn der Blick teilweise am Betrachter vorbeizugehen scheint und gedankenverloren wirkt. In diesem Bild sprechen die Dinge.

Beckmann sitzt auf einem Stuhl der auffallend pompös ausgefallen ist. Hinter dem Stuhl an der Wand ein Spiegel. Rechts neben der Person ein Vorhang. Als Clown zeichnen ihn eine Maske, eine Pritsche und ein einfaches Blasinstrument aus. Hinzu kommt noch ein roter zackiger Kragen über einer ansonsten normal wirkenden Kleidung. Neben dem Maler liegt eine kleine Katze mit rotglühenden Augen. Am meisten fällt die ausgefallene Handhaltung auf. Sie ist eigenartig mit der Innenseite nach außen gekehrt. Handinneres und vor allem der verletzliche Bereich der Pulsadern sind dem Betrachter zugewandt. Man muß selbst einmal seinen Arm so halten, um den Ausdruckswert einer solchen Geste zu fühlen.

Nichts auf dem Bild wirkt clownshaft heiter oder unbekümmert. Im Gegenteil, alle Attribute sind seltsam doppelwertig. Die Pritsche wirkt wie ein lächerlich verkümmertes Zepter. Der geschnitzte Stuhl wirkt wie der Rest eines Throns, und auch der Vorhang hinter dem Maler paßt gut zu den klassischen Attributen eines Herrscherporträts. Der Clown scheint ein verkleideter König.

Mit Selbstironie malt der Künstler sein Bild zwischen dem stolzen Machtanspruch eines Königs und seiner Erscheinung als Narren. Es handelt sich um ein künstlerisch stilisiertes, sehr gebrochenes Selbstbildnis.

Spannung in einem ganz wörtlichen Sinn wird aber auch durch die formale Komposition ausgedrückt. Das Bild ist durch eine Doppeldiagonale „gespannt", deren Linien gegenläufig sind. Vorhang, Stuhllehne und Arme bilden eine parallele Struktur, die durch Pritsche und Holzmaserung des Bodens oder der Wand kompositorisch gekontert wird. Hinzu kommt, dass Gesichter und Körper in verschiedenen Perspektiven gemalt sind. Das Gesicht wirkt frontal wiedergegeben, während der Körper eine Aufsicht von oben zeigt. Die kompositorische Spannung des Bildes ist eher fühlbar, wohingegen die Spannung, die von der Zweideutigkeit der Attribute ausgeht, sich mehr durch Überlegung erschließt.

„Man muß ja wohl erwarten, dass jedes Selbstporträt auf das eigene Ich ausgerichtet ist, das gehört zu diesem Genre. Aber selten hat ein Künstler sich so frank und frei als egozentrisch enthüllt. Wie Beckmann die exakte Mittelachse der Leinwand einnimmt, so steht er in der Mitte des Lebens ... Ein Mann stellt sich da vor uns hin, der arriviert ist, der kurz verweilt, sich besinnt, sich mit einer Zigarette ein bißchen entspannt, ohne seine wachsame Selbstkontrolle aufzugeben. Die Symetrie ist Symbol der Gesichertheit. Das Gesicht ist in fast spiegelbildlich genaue Licht- und Schattenflecken aufgeteilt... Keine Störung wird von außen erwartet, alles ist im Lot, alle Winkel sind im Rechten. Der Umriß der Gestalt verrät ein in sich ruhendes, selbstgenügsames Wesen. ... Das selbstsichere Gleichgewicht des Selbstbildnisses von 1927 ist in seinem Werk einzig geblieben. Es ist ein Monument des gegenwärtigen Augenblicks, der Erfüllung vieler Hoffnungen und Versprechungen. Ein Denkmal des Menschen, der in der Welt zu Hause ist."

Beckmann hatte zwei Jahre vorher zum zweiten Mal geheiratet. Die Ehe mit Mathilde von Kaulbach erfuhr er als glückliche Wende in seinem Leben. „Meine Kraft hat sich durch die erheblich günstigeren menschlichen Umstände, in denen ich nun lebe, verzehnfacht und ich bin von einer Intensität und Frische, wie nie in meinem Leben zuvor". Wieder waren es privates Glück und beruflicher Erfolg, die Beckmann zu dieser intensiven Ausstrahlung von Kraft gelangen ließen.

„Das erfolgreichste Selbstporträt von Beckmann, das „Selbstbildnis mit Smoking" wurde noch während seiner ersten öffentlichen Ausstellung 1928 von der Nationalgalerie Berlin gekauft und zwar als erstes Ölgemälde von Beckmann ... Beckmann war 1927 bereits ein gemachter, seit seiner Berufung zum Professor an die Städelschule in Frankfurt 1925 ein sozusagen staatlich anerkannter und gut bezahlter, mit den folgenden ersten Ausstellungen in den USA und Frankreich ein in der internationalen Kunstszene bekannter Künstler ... Warum hatte nicht eines unter den Porträts, die künstlerisch bestimmt nicht schlechter sind, je eine annähernd vergleichbare Resonanz?

Welche Zeit und welcher Betrachter sieht sich nicht grundsätzlich lieber in einem optimistischen, strahlenden Menschenbild gespiegelt ... Und eignet sich das Bildnis einer erfolgreichen Persönlichkeit, eines Herrn im ursprünglichen Wortsinn, der sich mit sicherem gesellschaftlichen Auftreten Respekt und Ellenbogenfreiheit zu verschaffen weiß, nicht besser als Projektionsschirm eigener Wünsche des Betrachters als ein Bild in dem Selbstzweifel abzulesen sind?

Neun Jahre später entstand das „Selbstbildnis mit Glaskugel“. Die glückliche Entwicklung von 1927 hatte sich nicht fortgesetzt. Die verheerende politische Entwicklung in der Zwischenzeit, der Ausbruch der nationalsozialistischen Diktatur, hatte auch bestimmend in Beckmanns Leben eingegriffen. Noch war unklar, wie es weitergehen würde.

Am 18. Juli 1937 eröffnete Hitler sein ,Haus der deutschen Kunst' mit einer Attacke gegen alle moderne Kunst schlechthin. „Kubismus, Dadaismus, Futurismus, Impressionismus usw. haben mit unserem deutschen Volke nichts zu tun ... Ich habe beobachtet ... dass es wirklich Männer gibt, die die heutigen Gestalten unseres Volkes nur als vollkommene Kretins sehen, die grundsätzlich Wiesen blau, Himmel grün, Wolken schwefelgelb usw. empfinden, oder wie sie vielleicht sagen erleben ....

Dieses Bild — Der Befreite — ist eines der ersten Gemälde, das Max Beckmann in Amsterdam gemalt hat. Es steht am Anfang einer langen und schweren Periode seines Lebens im Ausland. Beckmann hatte 1937 zusammen mit seiner Frau Deutschland fluchtartig verlassen. Er schwankte eine Zeitlang zwischen Amsterdam und Paris als Exilort, blieb dann aber doch in Amsterdam, wo er eine Wohnung und ein Atelier auf einem verlassenen Tabakspeicher fand.

Man muß schon sehr genau hinsehen, um zu erkennen, dass sich Beckmann auf diesem Bild mit gesprengten eisernen Handfesseln zeigt. An der linken Hand sieht man die metallene Manschette mit einem Kettenglied. Die Kette selbst hält Beckmann in den Händen. Sie läuft über die Schulter hinter dem Kopf zu einem Gitterfenster, an dem sie befestigt ist. „Der Befreite" hat seine Fessel gelöst und steht dennoch in einem vergitterten Raum, er ist befreit und zugleich gefangen. Selten bei Beckmann steht ein Bildtitel so sehr im Gegensatz zum Bild. Überall finden sich Zeichen der Bedrohung, die die neu gewonnene Freiheit in Frage stellen. Die schwarze Nacht vor dem Gitterfenster verspricht ebensowenig Gutes wie die rötlich glühende Mauer hinter dem Kopf des Malers. Sie läßt an die Flammen der kommenden Bombennächte denken, die Beckmann in Amsterdam erlebte.

Auch das Gesicht ist von einem hell-dunkel Kontrast geteilt, der äußerste Spannung ausdrückt. Die hellen Teile sind grell beleuchtet, bleich. Die dunklen Teile nehmen etwas von der metallenen Farbe der Kette an und vertiefen sie ins Schwarze. Die Augenpartie ist wieder tief verdunkelt. Der Blick ist angstvoll und zugleich gefaßt. Hildegard Zenser schreibt zu diesem Selbstbild: „Über Farbe und Zeichnung holt er dabei das, was außen ist, in die Gestalt hinein und umgekehrt. Das dumpfe Rotbraun der Gefängniswand steigert sich auf der Lippe zu einem leuchtenden Rot, die grünen Schatten zu dem metallisch kalten Blau der Kettenglieder, die um die äußersten Fingerkuppen wie zu deren Fortsetzung und Abschluß gruppiert sind ... So ist die Kette war gelöst, aber der Befreite bleibt ganz in sich, in seinen Zweifeln gefangen."

Stephan Lackner hat das Bild „Der Traum" „ein völlig klares Bild völliger Unklarheit genannt." Alles ist klar erkennbar und nichts ist verständlich. Das Bild gehört zu den Werken, in denen Beckmann seine Idee des Lebens als Welttheater darstellt. Die Konstruktion als Traum gibt ihm die Möglichkeit, bizarre Verbindungen unabhängig von den Gesetzen der Logik zu schaffen.

Beckmanns „Traum" hat neben der gelassenen Selbstverständlichkeit, mit der er sein wirres Geschehen entfaltet, die Stimmung eines Alptraums. Sein Geschehen besteht aus einer Addition von sinnlosen Bemühungen, die ins Groteske übersteigert werden. Alle Männer des Bildes sind Krüppel. An keinem ist der Krieg vorbeigegangen, ohne gewaltsame Spuren auf dem Körper zu hinterlassen. Mit Ausnahme des jungen Mädchens, das im Bildzentrum auf einer Art Reisekoffer, einer Kiste mit Aufklebern, sitzt applaudierenden Kasperle im Arm hält, haben alle Personen die Augen wie im Schlaf geschlossen. Im engsten Nebeneinander eines Kastenraumes bewegen sie sich, ohne aufeinanderzustoßen aber auch ohne nur eine Spur gegenseitiger Verbundenheit. Der Mann im lächerlich gestreiften Kleidungsstück mit dem Fisch unter dem Arm bewegt sich auf einer Leiter aufwärts, ohne die Decke zu ahnen, die seinem Aufstieg ein jähes Ende bereiten wird. Ihm fehlen die Hände.

Der Bettler im Hintergrund links macht mit Drehorgel und Tute Lärm. Diese Figur, die in eine Straßenszene passen würde, ist hier in einen Innenraum versetzt. Hätte das Bild einen Klang, so würden sich die Töne der Drehorgel und der Tute mit den Tönen des Cellos, das eine am Boden liegende halb fallende, halb schwebende Frau verzückt spielt, zu einer schrägen Geräuschkulisse ergänzen. Ein als Harlekin kostümierter Krüppel schiebt sich auf einem Brett mit Krücken durch den Bildraum.

Carla Schulz-Hoffmann fragt: „Wird das Bild damit nicht zu einer Metapher für das Beckmann immer wieder beschäftigende Thema der Großstadt, als dessen Sinnbild Berlin figuriert? Für das sinnlose, angstvoll verzweifelte Treiben einer verlorenen Generation, der durch den Krieg alle Lebensgrundlagen geraubt wurden, die sich aber weiter abstrampelt, ohne zu begreifen, wie sinnlos ihr Tun ist?" Bilder wie dieses lassen sich nicht auf eine Aussage hin eindeutig interpretieren. Sie erwecken im Betrachter eine Stimmung, die dann auf die Bildwahrnehmung des Ganzen durchschlägt. Es ist denkbar, dass man ausgehend von der traumverlorenen heiteren Versunkenheit der cellospielenden Frau zu einem ganz anderen Eindruck gelangt, als wenn man von einem der männlichen Krüppel ausgeht.

Das Bild „Trapez" aus dem Jahre 1923 zeigte in Komposition und Format Nähen zum „Traum". Es verweist auch auf ähnliche Bilder späterer Jahre, etwa das ebenfalls hochformatige Strandbild „Die Barke" (1926) oder die „Fußballspieler" (1929). Alle Bilder knüpfen an ihre alltägliche Szene einen symbolhaften Zug. Zugleich aber merkt man eine Art Entspannung, ein Nachlassen des unmittelbaren Zeitdrucks, der zunehmend einer heiteren Stimmung weicht.

Auch im Trapezbild fühlt man eine Mischung aus sinnloser Anstrengung und Kunstfertigkeit der Artisten, die einem harmlosen Unterhaltungszweck dient. Bei der „Barke" ist das Moment der sinnlosen Anstrengung geschwunden. Übrig bleibt allein die Strandstimmung. Bei den „Fußballspielern" ist es der Sport, die Vitalität des Tuns, die befreit von Sinn oder Unsinn den Bildausdruck bestimmt. Spiel ist einzig und allein Ausdruck von Lebenskraft und Freude.

Im „Trapez" ist noch der überladene enge Bildraum der „Hölle"-Bilder und des „Traum" spürbar. Wie im Traumbild sind hier Menschen auf engstem Raum gepreßt, die sich eigentlich alle gegenseitig stören würden. Jonglieren, Trapezschwünge, Bodenakrobatik sind auch hier alogisch, traumhaft eingesetzt. Eine Addition anstrengendsten körperlichen Tuns. Es fehlen die Realitätseinsprengsel der unmittelbaren Nachkriegszeit. Und doch sind auch hier die Körpergesten und die Mimik keineswegs heiter. Das strahlende, Leichtigkeit vortäuschende Berufslachen der Artisten fehlt. Der Mann, der eingefangen in ein mehreckiges Rad auf dem Kopf steht, hat die Augen weit geöffnet. Der an einer Kette hängende Artist wirkt unglücklich aufgehängt. Allein das Motiv des Hängens und des Kopfstehens spricht eine eigene Sprache, es geht dabei nicht nur um realistische Gesten aus der Zirkuswelt.

Die Akrobatik des Geschehens ist in einen Moment eingefroren. Besonders das hängende Paar ist komisch fremdartig in seiner Tätigkeit erstarrt. Die Trikots und Kostüme geben dem Ganzen etwas Närrisches. Man merkt, dass auch hier die Welt des Zirkus gewählt wurde, weil in ihr intensive Lebensäußerung und Fragwürdigkeit jeder einzelnen Handlung sich widersprüchlich verbinden.

Das Bild „Seelandschaft mit Pappeln" zeigt eine ganz unspektakuläre Sommerszene in einem Park. Eine überaus friedliche Szenerie, wenn man an die handlungs- und sinnüberladenen Bilder bisher denkt. Es handelt sich um ein ruhiges und entspanntes Bild. Die Großstadt ist an den Rand gerückt. Nur noch ein Schornstein erinnert im Hintergrund zwischen Pappeln an sie. Beckmann hat in einer sachlichen Geste dieses Detail der Moderne nicht einfach übergangen,es aber so eingefügt, dass es die Naturidylle nicht zu stören vermag. Die engen Bildräume der Nachkriegsbilder haben sich einem weiten Naturraum geöffnet. Die beklemmende Enge ist verschwunden. Der natürliche Raum des Parks wirkt wie ein Gegenraum, eine Schutzzone gegen das Großstadtleben. Auffallend sind die vergleichsweise kleinen Proportionen der Menschen, die hier deutlich der Natur untergeordnet sind.

Das Bild erinnert an die Naturdarstellungen des französischen Malers Henri Rousseau. Bei ihm stehen in seinen Urwaldbildern winzige Menschen imitten naiv gemalter riesiger Wälder. Sie sind halb gefangen, halb beschützt. In diesem Bild Beckmanns sind es besonders Pflanzen, Schilf und Bäume, die wie eine Würdigung der Arbeiten des lange belachten autodidaktischen Malerkollegen Rousseaus wirken. Beckmann liebte diesen Maler lange vor seiner offiziellen Anerkennung. Im Jahre 1938 erwähnt er ihn in seiner berühmten Rede: „Über meine Malerei": „Nun war ich erwacht und träumte ein bißchen weiter. Immer wieder trat die Malerei als einzig mögliche Realisation der Einbildungskraft vor meine Augen. Ich dachte an meinen großen alten Freund Henri Rousseau, diesen Homer in der Portiersloge, dessen Urwaldträume mich manchmal den Göttern näher gebracht hatten und grüßte ihn ehrerbietig im Traum". Beckmann schätzte das einfache traumhafte Konstruieren der Bilderwelten Rousseaus. Seine Bilder führen den Betrachter aus der Enge der realen Welt und der Arbeit in eine phantastische Welt der Kunst. Kunst wird dort praktiziert als Entweichen in innere Welten, oder wie Beckmann es einmal formulierte, sie führt auf die „Inseln der Seele."

Bilder wie dieses, das friedliche Menschen in einer friedlichen, von Menschen gestalteten Umgebung bei einer friedlichen Tätigkeit zeigt, sind bei Beckmann selten anzutreffen. Die Ausstrahlung von Ruhe, die ihm in diesem Bild gelang, gehörte zu den Wirkungen, die er an Kunstwerken schätzte und sich für seine Bilder erhoffte.

Häufig wird das Bild „Mann und Frau" auch unter dem Titel „Adam und Eva" aufgeführt. Typisch drückt es Beckmanns Ansicht von der tiefgreifenden Spaltung der Geschlechter aus. In vielen Variationen hat er dieses Thema aufgegriffen und zum Bestandteil seiner privaten Mythologie gemacht. Ganz zu Beginn seiner Laufbahn als Maler malte er Adam und Eva in der Szene des Sündenfalls und übernahm dabei das Motiv der verführerischen, unglückbringenden, sinnlichen Frau. Die Sündenfallszene nahm Beckmann zum Anlaß, das Verhältnis von Mann und Frau als einen Zusammenhang von Begierde, Verführung und Angst zu zeigen. Eine häßliche, dumpfe, triebhafte Stimmung geht von dem frühen Bild aus.

In der Darstellung von 1932 hat sich der Bezug auf das Motiv des Sündenfalls abgeschwächt. Das spannungsvoll Drohende der Beziehung von Mann und Frau ist in das Bild einer deutlichen Rolleneinteilung in einem geradezu konventionellen Sinn verwandelt. Der Mann steht mit dem Rücken zur Frau. Seine kerzengerade stehende starre Haltung ist hart abgesetzt von der weichen, liegenden Position der Frau. Der Mann steht schon hinter dem Horizont, den Blick in eine fremde Weite gerichtet. Davor, wie auf einer Bühne liegend, die Frau. Sie wirkt in sich ruhend, beschäftigt sich mit Blumen, die an Füllhörner erinnern. Blumen und Blüten sind als Fruchtbarkeitssymbole zitiert. Zwischen dem Paar finden sich fremdartige Bäume, die die auseinanderstrebenden Personen miteinander verbinden: „Die zwei merkwürdigen exotischen Gewächse, die den beiden Gestalten zugeordnet sind, symbolisieren ihre psychologische Situation. Der Baum auf der Seite der Frau ist saftig, strotzend von Knospen und Blüten ... Der Baum hinter dem Mann hat seine Samen bereits verstreut, die Fruchthülsen sind leer und dürr, die Triebe abgeschnitten."

Mann und Frau werden in ein extremes Spannungsfeld gerückt. Aufeinanderbezogen und doch geradezu klischeehaft von einander getrennt. Noch immer ist in diesem Bild aus den 30er Jahren die sinnenfeindliche christliche Deutung der Geschlechterspannung des frühen Bildes spürbar.

Immer wenn Beckmann konkrete Paarkonstellationen malte, wie etwa in den wiederholten Selbstbildnissen mit seiner Frau, wird dieses Spannungsverhältnis zurückgenommen.

Dann dominieren Nähe und Verbundenheit. Aber wenn er sich dem Thema mehr prinzipiell nähert und archetypisch versucht, die Idee der Geschlechterteilung zu erfassen, kommt ein pessimistischer Ausdruck in seine Bilder. Daran ändert sich auch im Laufe der Jahrzehnte, in denen er sich mit diesem Thema beschäftigt hat, nichts. Überdeutlich hat er dieses Spannungsverhältnis im symbolhaften Bild „Reise auf dem Fisch" (1934) gemalt. Auch dieses Bild zielt grundsätzlich auf die Beziehung von Mann und Frau.

Ein Mann und eine Frau stürzen sich auf Fische gebunden in eine dunkle Tiefe. Beide halten jeweils die schwarze Maske des anderen in der Hand, haben aber den Blick erschreckt vom Bild des Partners abgewandt. Die Fische in ihrer schlüpfrigen und phallischen Gestalt waren schon immer bildhafte Symbole der Lebenskraft. Hier sind sie deutlich auf die sexuellen Triebkräfte bezogen. Aber die sexuelle Lebensenergie wird nicht glückhaft gedeutet. Die Menschen erscheinen an ihre Triebe gefesselt und werden von ihnen in nicht zu bestimmende Richtungen getrieben. Nur schwach wird mit dem ausfahrenden Boot am rechten Bildhintergrund ein Gegengewicht zum stürzenden Paar angedeutet. Vage wird hier das Bild des Sturzes mit dem Bild einer neuen Ausfahrt verbunden.

Departure" ist das erste von neun Triptychen, die das Spätwerk des Malers monumental bestimmen. Wenn es bisher schon auffallend war, dass Max Beckmann auch bei Bildern, die sich eng auf das Zeitgeschehen bezogen, versuchte, die Realität zu überschreiten, so steigert sich dieser Zug in den 30er Jahren noch weiter bis zur Entfaltung einer privaten Mythologie.

Nachdem Beckmann im Anschluß an den Ersten Weltkrieg seine Bildwelt weit für Szenen der Großstadtwirklichkeit geöffnet hatte, verschließt er seine Bilderwelten in den 30er Jahren zunehmend für die poltische Realität der Zeit. Er läßt sie nur noch in malerisch und intellektuell verwandelter Form in seine Malerei eindringen. Beckmann hat seine Kunst immer auch als einen Akt der individuellen Befreiung betrachtet. Es wirkt so, als habe er der Barbarei des aufkommenden Faschismus eine Gegenwelt entgegensetzen wollen. An der Kunst sollte die Gewalt der Politik ihre Grenze finden.

Dabei ist es keineswegs so, dass seine Kunst der Realität vollständig ausweicht, er setzt der schlechten Wirklichkeit keine intakte Idylle entgegen, aber sie findet nur durch den Filter der Malerei und der geistigen Arbeit verwandelt Einlaß in seine Kunst. Sein Bild „Departure" wurde so unmittelbar als Antwort und Absage an die aufkommende Nazi-Diktatur verstanden, dass er es in tarnender Absicht mit einem zweiten Titel auf der Rückseite versah, der es aus dem Zeitkontext lösen sollte: „Der Sturm, dekorativer Entwurf zu Shakespeare."

Beckmann hat in seinen Triptychen immer wieder Themen und Motive verschiedenster geschichtlicher Epochen und verschiedenster Kulturen frei zusammengefaßt. Er entwickelte in ihnen eine eigene Vision. In „Departure" hat er Elemente der Antike und der Gegenwart aufgenommen und sie zu einer dramatischen Einheit verbunden.

1942, als er an einem anderen Triptychon arbeitete, notierte er in sein Tagebuch: „Mit rasender Spannung nur wartet mаn auf Aufklärung des Geheimnisses. Ich glaube an das unbekannte." „Er gibt sich und uns gerade genug Anhaltspunkte, um die Aufmerksamkeit und das Auge zu fesseln, aber nie genug, um die mysteriösen Fäden zu entwirren," bemerkt der amerikanische Kunsthistoriker Peter Selz zu Beckmanns Methode der Darstellung in den Triptychen. Beckmanns Bilder sind große Rätsel, sie fordern zu ihrer Entschlüsselung auf und entziehen sich ihr doch immer wieder. Schon an den frühen Bildern konnte man dies sehen. In den späteren Arbeiten steigt die Vieldeutigkeit der Bildsprache noch bedeutend an.

Als der Kunsthändler Curt Valentin den Maler in einem Brief aus den USA um einige Hinweise zu dem Bild „Departure" bat, um Interessenten Auskünfte über die Absicht des Künstlers zu geben, antwortete ihm Beckmann grundsätzlich: „Stellen sie das Bild weg, oder schicken sie es mir wieder, lieber Valentin. Wenn's die Menschen nicht von sich aus aus eigener innerer Mitproduktivität verstehen können, hat es gar keinen Zweck, die Sache zu zeigen." Beckmann meinte dabei nicht vor allem den ästhetischen Genuß, das bloße Gefallen, sondern verweist in der Betonung der inneren Mitproduktivität darauf, dass es nicht nur eine Anstrengung verlangt, solch ein Bild zu entwerfen, sondern dass es auch nicht ohne Anstrengung gelingen kann, sich mit seinen fremdartigen Bestandteilen auseinanderzusetzen. „Für mich ist das Bild eine Art Rosenkranz oder ein Ring von farblosen Figuren, der manchmal, wenn der Kontakt da ist, einen heftigen Glanz annehmen kann und mir selber Wahrheiten sagt, die ich nicht mit Worten ausdrücken kann ... Es kann nur zu Menschen sprechen, die bewußt und unbewußt ungefähr den gleichen metaphysischen Code in sich tragen. Abfahrt, ja, Abfahrt vom trügerischen Schein des Lebens zu den wesentlichen Dingen an sich, die hinter den Erscheinungen stehen. Dies bezieht sich aber letzten Endes auf alle meine Bilder. Festzustellen ist nur, dass die „Abfahrt" kein Tendenzstück ist und sich wohl auf alle Zeiten anwenden läßt."

Diese Äußerungen zeigen, dass Beckmann sich 1938 bewußt war, dass man sein Bild als politische Distanzierung verstanden hatte, nicht zuletzt natürlich aufgrund seiner Emigration. Er selber aber betont das Zeitlose, ohne die politische Dimension gänzlich auszuschließen.

Lilly von Schnitzler, eine Sammlerin von Beckmanns Kunst, berichtet von einem Gespräch mit dem Künstler, in dem er sich auf dieses Bild weiter eingelassen hat. „Was sie rechts und links sehen, ist das Leben. Das Leben ist Marter, alle Arten von Schmerz — körperlicher und geistiger Schmerz. Auf dem rechten Flügel sehen sie sich selbst, wie sie versuchen, ihren Weg in der Dunkelheit zu finden. Sie erleuchten Zimmer und Treppenhaus mit einer elenden Funzel, als Teil ihres Selbst schleppen sie die Leiche ihrer Erinnerungen, ihrer Übeltaten und Mißerfolge, den Mord, den jeder irgendwann in seinem Leben begeht. Sie können sich nie von ihrer Vergangenheit befreien, sie müssen diesen Leichnam tragen, während das Leben dazu die Trommel schlägt." Als Frau von Schnitzler nach dem Mittelteil fragt, antwortete Beckmann: „König und Königin, Mann und Frau, werden zu einem anderen Ufer gebracht von einem Fährmann, den sie nicht kennen, er trägt eine Maske, er ist die mysteröse Gestalt, die uns zu einem mysteriösen Land bringt... Der König und die Königin haben sich selbst von den Qualen des Daseins befreit — sie haben sie überwunden. Die Königin trägt den größten Schatz — die Freiheit — als Kind auf ihrem Schoß. Die Freiheit ist das, worauf es ankommt, sie ist die Abfahrt, der neue Beginn." An keiner anderen Stelle sind sonst so eingehende Äußerungen von Beckmann zu eigenen Bildern überliefert.

Das Triptychon ist als religiöse Bildform von Altarbildern her bekannt. Beckmann knüpft an der großen sinndeutenden Geste dieser mittelalterlichen Bildform an. Auch bei ihm sind die Bildflügel und der Mittelteil formal und inhaltlich aufeinanderbezogen. Er formuliert seine Bildaussagen in Gegensätzen. Die räumliche Enge der Seitenbilder kontrastiert mit dem offenen Raum des Mittelteils. Thematisch sind Szenen der Qual und der Gefangenschaft auf den Seitenflügeln einer aristokratisch anmutenden Freiheit des Paares im Mittelteil gegenübergestellt. Bei aller Verrätselung der Details formulieren diese bildbeherrschenden Gegensätze eine deutliche Aussage.

Das Bildverständnis wird vor allem durch die Überfülle der Details verdunkelt. Wie etwa soll man sich das pralle und proportional übergroße Stilleben in der Umgebung der Gefolterten auf dem linken Bildflügel erklären? Zunächst neigt man dazu, es inmitten der emotional erregenderen grausamen Darstellungen zu übersehen. Was wie eine unpassende Montage wirkt ist so unverständlich nicht, wenn man sich eine ganz alltägliche Erfahrung verdeutlicht. Verbinden sich im Alltag nicht auch schrecklichste Erfahrungen und Informationen bruchlos mit Schönem? Beckmann könnte die Erfahrung solcher Widersprüche gemeint haben, als er Stilleben und Folterszene verband.

Die drei Teile des Bildes sind durch das Leitmotiv des Fisches miteinander verknüpft. Im linken Bild sind die Fische gefangen. Sie werden dort in einem Kescher geschwungen, der wie ein Richtbeil wirkt. Im rechten Bild wird ein großer Fisch von einem Pagen mit einer Binde über den Augen hinter dem unglücklich verbundenen Paar hergetragen. Im Mittelteil läßt der König kleine Fische in großer Zahl aus einem Netz, während der Fährmann sich auf den wesentlichen Bestandteil des Fangs, einen riesigen Fisch, im Boot konzentriert.

Wieder setzt der Maler das Bild des Fisches als Zeichen der Lebenskraft ein. Im rechten Bild wird undeutlich mit der sinnlichen Komponente des Motivs gespielt, im Mittelteil hat der Fisch den Charakter von Proviant. Die gefangenen Fische des linken Bildes passen gut zur gefesselten Lebenskraft der Menschen auf dieser Bildtafel.

Das Bild „Der Abstürzende" ist im letzten Lebensjahr des Malers, 1950, in New York entstanden. Gleich nach dem Krieg hatte Beckmann über den Kunsthändler Gurt Valentin Kontakt in die USA aufgenommen. Eine erste Ausstellung seiner Bilder 1946 in New York wurde ein großer Erfolg für ihn, sowohl in künstlerischer als auch in ökonomischer Hinsicht. Trotz einiger Angebote aus Deutschland entschloß sich Beckmann, nicht mehr in sein Heimatland zurückzugehen, sondern eine Professur in St. Louis anzunehmen und auszuwandern. Allerdings mußte er noch über ein Jahr auf die nötigen Ausreisepapiere warten, bis sein Abschied aus Europa endgültig feststand. Im August 1947 schiffte er sich mit seiner Frau nach New Jork ein.