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Impressionismus

«Bis ca. 1860 war die Malerei Atelierkunst», fuhr unser Führer fort, «und wurde von Akademien gesteuert, an denen die Maler ausgebildet wurden. Zur unbezweifelten Voraussetzung gehörte der Glaube an die Gegenständlichkeit der Kunst. Dieser Glaube wird zuerst durch die Erfindung der Fotografie erschüttert und ab den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts durch eine Gruppe von Malern, die Paris zum Mekka der Malerei machten und den letzten Stil vor dem Ausbruch der avantgardistischen Kunst schufen: den Impressionismus. Entsprechend ist der Impressionismus doppelgesichtig: Für die Zeitgenossen war er ein moderner Schock und Skandal, für uns ist er im Rückblick eine Form der Modernität, die uns als Entschuldigung für unsere heimliche Vorliebe für die traditionelle Kunst dient. Er bezeichnet das letzte Stadium, in dem die Kunst noch >schön< sein konnte und zugleich schon modern. Das hat den Impressionisten eine Sonderstellung beim heutigen Publikum verschafft. Sie sind populär. Danach wird alles häßlich.

Die bekanntesten Namen sind: Renoir, Manet, Monet, Degas, Cézanne und van Gogh.

Wie revolutionär sie waren, zeigt eine Zeitungsnotiz über eine der ersten Ausstellungen der Impressionisten. Ich zitiere: «Soeben ist bei Durand-Ruel eine Ausstellung eröffnet worden, die angeblich Bilder enthalten soll. Ich trete ein, und meinen entsetzten Augen zeigt sich etwas Fürchterliches. Fünf oder sechs Wahnsinnige, darunter eine Frau, haben sich zusammengetan und ihre Werke ausgestellt. Ich sah Leute vor diesen Bildern stehen und sich vor Lachen wälzen. Mir blutete das Herz bei dem Anblick. Diese sogenannten Künstler nennen sich Revolutionäre; »Impressionisten«. Sie nehmen ein Stück Leinwand, Farbe und Pinsel, werfen auf gut Glück einige Farbkleckse hin und setzen ihren Namen unter das Ganze. Das ist eine ähnliche Verblendung, als wenn die Insassen einer Irrenanstalt Kieselsteine aufheben und sich einbilden, sie hätten Diamanten gefunden.»

Was den Kritiker so erbittert, ist, daß die Impressionisten den Umgang mit Farbe revolutionieren. Sie malen die Effekte von Licht und Schatten so, daß die Farben erst im Auge des Betrachters entstehen. Von nahem sieht man ein Chaos von Pinselstrichen, doch tritt man zurück, entsteht der Eindruck einer wunderbaren Ordnung. Das war für die Zeitgenossen mit ihren alten Sehgewohnheiten nicht nachvollziehbar. Wie heute auch viele Künstler hielt man die Impressionisten für Stümper, die nicht ordentlich malen konnten. So wurde der Name >Impressionisten< als Schimpfwort gebraucht.

Auch die Motive der Impressionisten waren in strengem Sinne keine bildwürdigen Themen: Tanzlokale (Renoir), Rennplätze (Degas), Bars (Manet), Bahnhöfe (Monet) und nackte Frauen in Begleitung bekleideter Herren beim Picknick (Manets Frühstück im Grünen) flößten dem zeitgenössischen Publikum kein Vertrauen ein.

Das Thema der Impressionisten war das flüchtige Leben der Großstadt, das Fließen der Seine (Monet malte oft in einem Boot auf dem Fluß) und das Vorbeifluten der Massen auf den Boulevards, in den Parks und in den Vergnügungslokalen.

Von den Impressionisten führte kein Weg zur Abbildlichkeit zurück. Im Gegenteil: Die beiden radikalsten von ihnen strebten in die entgegengesetzte Richtung: van Gogh klopfte an die Pforte des Wahnsinns, und Cezanne wurde zum Vater der Moderne, indem er das Gegenteil tat: Er zog sich von den Hysterien der Impressionisten zurück und experimentierte mit den Möglichkeiten, die Raumtiefe des Bildes nicht mehr von der Zentralperspektive aus zu organisieren, sondern von der Farbe her. Die Bilder wurden nicht mehr von der Gesamtkomposition, sondern von den Einzelformen aus gestaltet. Seine Nachfolger brauchten dann nur noch sein lineares und statisches Gerüst aufzugeben und siehe, schon waren Formen und Farbe autonom und sie selbst zu Kubisten geworden.

Die Avantgarde war da und mit ihr ihr künftiger König Pablo Picasso, der herausragende Vertreter der Malerei des 20. Jahrhunderts. Damit sind wir ans Ende des traditionellen Museums gekommen. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.

So, jetzt bitte ich Sie, den Fahrstuhl zu betreten: Wir fahren jetzt in eine andere Dimension. Vorsicht beim Aussteigen, es wird Ihnen ein wenig schwindelig werden, aber das geht vorüber. Ich übergebe Sie dann dem Team, das für die moderne Kunst zuständig ist. Je zweien von Ihnen wird dann jeweils ein Betreuer zugeordnet. Oder eine Betreuerin. Wir nennen sie in unserem Jargon >Cicerones<. So, wir sind da. Das vor uns ist das große Modell eines Museums. Sie können da hineingehen. Auf diese Idee sind wir sehr stolz. Warum jeweils ein Paar einen eigenen Betreuer bekommt? Ganz einfach, weil die moderne Kunst eine sehr viel intensivere Betreuung erfordert, jedenfalls am Anfang.»

Wir betraten das Modell, und plötzlich fand ich mich mit meiner Begleiterin allein, nur in Gesellschaft eines Betreuers, der so plötzlich aufgetaucht war, als wäre er einem Rahmen entstiegen. «Hallo, mein Name ist Praxitelopoulos, aber Sie können mich Praxi nennen. Meine Aufgabe ist es, Sie sofort mit Kommentaren und Scherzen zu stören, wenn Sie vor einem Kunstwerk in Andacht versinken wollen.»

Ob das denn nicht mehr erlaubt sei, wollte ich wissen.

«Nicht mehr im Meta-Museum des neuen Jahrtausends. Sehen Sie, alle Erfahrungen haben gezeigt, daß die meditative Versenkung ins Kunstwerk das Sehen schädigt. Die Leute konnten ihre Pupillen nicht mehr scharf stellen. Deshalb tauchten in den alten Museen die Besucher nach der Besichtigung der Bilder im Zustand des Schocks wieder auf und stürzten sich dann wie Verdurstende nach einer Wüstenwanderung auf die Postkartenstände und Bildbände im Kiosk. Erst beim Wiedererkennen dessen, was sie gesehen hatten, gewannen sie ihren Alltagsblick zurück: Sie mußten dann nicht mehr so tun, als ob sie mehr sähen, als sie sahen.

Kommen Sie, wir müssen hier in diesen Raum. Wie Sie sehen, ist hier nichts zu sehen außer einem sogenannten Text-Bild; wir lesen das mal:

>Die Malerei ist die widersprüchlichste unter den Künsten. Sie ist uns als sinnliche Anschauung gegeben. Weil die Wahrnehmung direkt ins Bewußtsein dringt, erwecken Bilder den Eindruck der Unmittelbarkeit. Wir haben das Gefühl, daß keine Symbolsprache zwischen uns und das, was wir sehen, tritt.<

Wenn Sie näher herantreten, sehen Sie, daß es ein Bildschirm ist. Und hier, in der oberen rechten Ecke befindet sich eine Zeile mit Programmsymbolen. Sehen Sie? Ich berühre jetzt das Symbol >Weiter<. Was sehen Sie? Richtig: das Wort >Sonnenblumen<. Und jetzt sehen wir, wie langsam aus dem Bildhintergrund das bekannte Bild von van Goghs Sonnenblumen auftaucht. Nein, versenken Sie sich jetzt nicht in die Betrachtung des Bildes. Stellen Sie sich statt dessen Papst Clemens VII. vor.»

»Das kann ich nicht«, protestierte meine Begleiterin. »Ich kenne...« Aber Praxi verwies sie auf eine Tastatur unter dem Bildschirm. Sie begriff und tippte die Zeile ein:

»Das kann ich nicht, ich kenne doch diesen Papst gar nicht.«

Darauf erschien das Wort »Clemens VII.«. Eine Weile starrte sie es an, bis Praxi einen Kunststoffhelm mit angeschlossenen Kabeln und Elektroden aus einer Halterung nahm und ihn meiner Begleiterin aufsetzte. Sofort erschien auf dem Bildschirm die neblige Gestalt eines Papstes, die von ferne an Papst Woytila erinnerte.

»Aber das ist ja das Bild in meinem Kopf, wenn ich das Wort Papst Clemens lese«, rief sie erstaunt.

Kaum hatte sie das gesagt, war das Woytila-Gespenst wieder verschwunden. Als Praxi wieder die Programmtaste berührte, erschienen zwei identische Bilder nebeneinander. Der Unterschrift konnte man entnehmen, daß sie Papst Clemens VII. darstellten, der in einem Stuhl vor einer dunklen Treppe saß: Sein Ornat umgab seine Beine mit einem Reichtum an weißen, glänzenden Falten, doch sein Oberkörper wurde von einem schweren hochgeschlossenen Cape aus blutrotem Samt bedeckt, das ebenso wie die rote Kappe intensiv samten glänzte. Man sah den Papst von vorne, einen Mann in den besten Jahren, aber er schaute hochmütig am Betrachter vorbei zur Seite, das Kinn leicht emporgereckt, um den Mund ein grausamer Zug; so schaute er unter enorm schweren, halb geöffneten Lidern aus dem Bild heraus auf irgend jemand, den er nicht mochte, in der Hand ein zusammengefaltetes Schreiben. Besser hätte man ihn auch nicht sehen können, wenn er leibhaftig vor einem gesessen hätte. Ja, der Stoff glänzte so herausfordernd, daß man versucht war, ihn anzufassen.

Praxi hatte ein Mikrophon genommen, um meine Begleiterin unter ihrem Helm ansprechen zu können. »Was Sie sehen, ist das Bild Clemens VII. von Sebastiano del Piombo, das er 1562, natürlich im Auftrag, gemalt hat. Es hängt im Museum in Neapel. Vergleichen Sie die beiden Bilder. Sehen Sie einen Unterschied? Nein? Das eine ist das Original, das heißt, natürlich ist das nicht das Original, das hängt ja in Neapel, sondern die Computerkopie dieses Originals.« Er drückte auf das Symbol Z auf dem Bildschirm, und unter dem linken Bild erschien die Zeile »Hallo da draußen. Ich bin das Bild, das von dir gesehen wird.« Und unter dem rechten erschien die Zeile »Hallo hier drinnen. Ich bin die Kopie des Bildes in deinem Kopf.« »Sehen Sie«, fuhr Praxi fort, »die beiden Bilder sind identisch. Und deshalb können Sie auch normalerweise nicht sehen, daß es zwei sind. Sie haben den Eindruck der Unmittelbarkeit. Aber diese Unmittelbarkeit steht im Gegensatz zu den Jahrhunderten an Wissen, die Sie von diesem Bild trennen. Was wissen Sie wohl über diesen Papst? Was war los um 1526? Hat Clemens dem Maler Anweisungen gegeben, wie er gerne gemalt werden würde? War Sebastiano zum gefragtesten Porträtisten Roms geworden, weil er seine Auftraggeber verschönte und sie edler erscheinen ließ, als sie in Wirklichkeit aussahen? Dann muß Clemens ein äußerst unsympathisch aussehender Mensch gewesen sein. Was hatten die Porträts für eine Funktion? Verherrlichung? Erinnerung für die Nachwelt? Wer ließ sich porträtieren, nur Herrscher und Aristokraten oder auch Bürgerliche? Kommt darin das Bewußtsein der eigenen Originalität zum Ausdruck? Und weiter: Verbirgt die sinnliche Unmittelbarkeit dessen, was du siehst, eine symbolisch verschlüsselte Botschaft? Gibt es eine Bildersprache, die man nicht mehr versteht?

Kann man aus der Komposition Schlüsse ziehen? Ist die Teilung der Figur in roten Oberkörper und weißen Unterkörper nur dem Gewand des Papstes geschuldet, das so aussah, oder versteckt der Maler darin einen geheimen Hinweis auf die Glaubensspaltung, mit der Clemens konfrontiert war? Sieht er deshalb so finster aus? Symbolisieren die Stufen der Treppe hinter dem Papst die Himmelsleiter, an deren oberem Ende, das wir nicht sehen, nur noch Gott und seine Heerscharen stehen können? Könnte der zusammengefaltete Zettel in seiner Hand eine Botschaft sein, die er als Mittler zwischen Gott und den Menschen gerade von oben erhalten hat und im Begriff ist, nach unten weiterzugeben? Steckt also in dem Bild ein verstecktes Zitat, ein Hinweis auf Moses, der vom Berg Sinai herab dem Volk Israel die Gesetzestafeln bringt? Und wenn, wäre es nicht eine geheime Ironie, daß der rauhe Berg Sinai sich bei den Päpsten in eine Reihe bequemer Treppenstufen verwandelt hat?

Mit einem Wort: Die Unmittelbarkeit des sinnlichen Eindrucks enthält zugleich eine unendliche Reihe komplizierter Vermittlungsschritte, die man erst durchlaufen müßte, wollte man das Bild richtig verstehen. Die Direktheit des sinnlichen Eindrucks täuscht. Man weiß gar nicht, was man sieht. Und beim zweiten Blick sieht man dann noch, daß das Bild selbst diesen Widerspruch abbildet: Der unmittelbare Eindruck der Gestalt des Heiligen Vaters, der durch die sinnliche Qualität des Stoffes seines Gewandes unterstrichen wird, kontrastiert mit der eigentlichen Funktion des Papstes im Plan der Dinge: Als Stellvertreter Christi auf Erden ist er in demselben Sinne der Mittler zwischen Gott und den Menschen wie die Schrift zwischen dem Geist und dem Leser. Und just diesen Mittler stellt Sebastiano im Modus der sinnlichen Unmittelbarkeit dar.

Es ist dieser ungelöste Widerspruch, der Widerspruch zwischen der Unmittelbarkeit der Wahrnehmung und der Mittelbarkeit des Wissens über die Bildersprache, der das Tor zum Verständnis der Kunst eröffnet.«

Praxi hatte seinen Vortrag unvermittelt abgebrochen, denn auf dem Bildschirm war plötzlich das rechte von den beiden Zwillingsbildern verschwunden. An seine Stelle war ein deutliches Bild der Cafeteria getreten.