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Volker Schielke: Die Schicksale der Friedensgöttin

Es ist ein Berliner Wahrzeichen geworden, das massive Tor mit dem trabenden Viergespann und der grazilen Göttin, die die edlen Rosse bändigt. »Die gute Frau hat auch ihre Schicksale gehabt«, meinte einst Heinrich Heine in einem Brief aus Berlin, »man sieht's ihr nicht an, der mutigen Wagenlenkerin.« Wie wahr: Gespann und Lenkerin haben ihre Schicksale gehabt, und das schrecklichste konnte der Dichter nicht vorausahnen. Man sieht es ihr, muß man heute sagen, nicht mehr an, der Friedensgöttin auf dem Brandenburger Tor, für die die schöne Schmiedestochter Ulrike Jury aus dem Berliner Bullenwinkel einmal Modell gestanden. Man sieht sie nicht mehr, die Wunden, die Geschosse geschlagen, die Verstümmelungen, die Granaten hinterlassen hatten. Als sowjetische Soldaten am l. Mai 1945 ihre rote Fahne auf dem Tor hißten, war von Pferden, Wagen und Lenkerin ein kü,,erlicher Schrotthaufen geblieben. Aber sie ist wiedererstanden, die Quadriga, die nach dem Willen des Baumeisters Langhans den »Triumph des Friedens« vorstellen sollte. Sie ist stärker geworden, kraftvoller mit ihrer Neugeburt; stärker das Kupfer, aus dem sie getrieben, kraftvoller der Gedanke, für den sie geschaffen.

Als Heinrich Heine dem Berlin-Besucher empfahl, vor dem Brandenburger Tor stille zu stehen und die Göttin »da oben« zu betrachten, waren erst wenige Jahre vergangen, seit sie auf ihren luftigen Platz zurückgekehrt. Nach dem Sieg über Preußen bei Jena und Auerstedt und Napoleons triumphalem Einzug in Berlin hatte sie dem Korsen, den Berliner Temperament darob einen »Pferdedieb« nannte, nach Paris folgen müssen und acht Jahre im erzwungenen Exil verbracht. Doch was war schon dieser Paris-Aufenthalt der »guten Frau«, wie Heine sie nannte, gegen das traurige Ende, das sie im April 1945 genommen?

Ein »Tor des Friedens« wollte Carl Gotthard Langhans erbauen und auf dem Attikarelief den Sieg des Friedens über den Krieg dargestellt haben. Achtzig Jahre nach der Vollendung des Bauwerks ziehen staubbedeckt Eskadronen und Bataillone durchs Brandenburger Tor, zurückgekehrt aus dem Krieg gegen Frankreich, in dem sie Elsaß-Lothringen für das neue deutsche Reich erobert und die Pariser Kommune im Blut erstickt haben. Die Göttin da oben, die auf den Zug hinunterschaut, an dessen Spitze der in Versailles gekürte Kaiser reitet, wird nun eine des Sieges geheißen.

Noch viele Soldaten wird sie dort unten paradieren sehen, in unterschiedlichsten Uniformen, erst blau und rot mit funkelndem Gold, später dem Felde angepaßtes Grau. Und sie wird Worte von Donnerhall, Schwertgeklirr und Wogenprall vernehmen, hören, dass sie gegen England fahren und siegreich Frankreich schlagen, dass sie schließlich, weil ihnen heute Deutschland und morgen die ganze Welt gehöre, weitermarschieren wollen, bis alles in Scherben fällt. Und dann fällt ja auch sie.

Zweimal in diesem Jahrhundert sieht unsere Göttin Soldaten hinausziehen, die Welt, zumindest große Teile von ihr, zu erobern; zweimal geht von dieser Stadt, von diesem Land ein furchtbarer Krieg aus. Die Liaison zwischen Militär, das mit Glanz und Gloria paradiert, und Kapital, das auf Schaustellung meist verzichtet, kostet die Völker unsäglich viel Leid und Blut.

Doch unsere Göttin hat auch andere Züge durchs Brandenburger Tor kommen sehen, Menschen, die rote Fahnen trugen, die Arbeit forderten und Brot und Völkerfrieden. Während des Krieges, in dem das imperialistische Deutschland geboren wurde, sandten sie ihren französischen Klassengenossen Botschaften des Friedens und der Freundschaft. »Diese einzige große Tatsache, ohnegleichen in der Geschichte der Vergangenheit«, bemerkte dazu der Mann in London, der dem Kampf der Arbeiter das wissenschaftliche Fundament gab, »eröffnet Aussicht auf eine hellere Zukunft. Sie beweist, dass, im Gegensatz zur alten Gesellschaft mit ihrem ökonomischen Elend und ihrem politischen Wahnwitz, eine neue Gesellschaft entsteht, deren internationales Prinzip der Friede sein wird, weil bei jeder Nation dasselbe Prinzip herrscht — die Arbeit!«

Als unsere Göttin nach ihrem schwersten Schicksalsschlag wiedergeboren wurde, waren jene die Bauherren des Brandenburger Tores, die sich im Kampf für das Glück des Volkes als die Standhaftesten gezeigt und unter faschistischem Terror am meisten gelitten haben. Im Herzen Berlins hatten sie 1918 die Kommunistische Partei gegründet und 1946 die beiden Arbeiterparteien zu einer großen Kraft vereint. Nun errichteten sie auf deutschem Boden jene Gesellschaft, von der Karl Marx gesprochen hatte. Das Prinzip Friede wußten sie zu verteidigen; nicht zuletzt als andere davon träumten, dass die Bundeswehr mit klingendem Spiel durchs Brandenburger Tor ziehen könnte. Am 13. August 1961 schufen sie an der Staatsgrenze klare Verhältnisse. Sie retteten den Frieden und erteilten eine Lektion in politischem Realismus. Zu Füßen der Friedensgöttin scheiterte Politik der Stärke, zerbarsten gefährliche Illusionen, wurde anderen Einsicht vermittelt, dass es zu friedlicher Koexistenz keine akzeptable Alternative gibt. Könnte unsere Göttin reden, sie würde zu solcher Vernunft mahnen. Und kennte sie den Heine, sie würde meinen, es sei nun des schlimmen Schicksals genug gewesen.