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Na, wie findest du das Bild?

Thomas: Was sagst du zu dem Bild?

Max: Gekonnt, das muß ich zugeben.

Thomas: Ein reizender Einfall, gute Technik. Wirklich gut gemacht. Das Bild läßt ein Talent vermuten.

Erika: Das Bild blendet, man muß mehr von der Seite anschauen.

Max: Man muß von diesem Bild etwas zurücktreten.

Museumsführer: Zu erwähnen wäre noch der Maler K. In seinen Bildern verzichtet er völlig auf die Perspektive, bringt alles auf eine Fläche. Zur Spannung im Bild tragen die kräftigen Farben bei.

Thomas: Aber Talent hat er, das muß man ihm zulassen.

Erika (zu Max): Und was hältst du von dem Bild? Was hat der Maler mit diesem Bild ausdrücken wollen?

Max: Ist mir auch ein Rätsel.

Erika: Jetzt habe ich aber genug.

Thomas: Nanu, hat es nicht gefallen?

Erika: Das schon, aber ich falle beinahe um vor Müdigkeit. Zuerst ist alles sehr interessant, nachher stumpft man ab, und man nimmt überhaupt nichts mehr auf.

Thomas: Na, und was meint ihr zu der Ausstellung?

Erika: Meisterwerke gab's nicht viele, aber der Rundgang hat sich gelohnt. Solche Ausstellungen muß man sich nicht entgehen lassen.

Thomas: Ich habe immerhin was dazugelernt.

Max: Aber anstrengend war es auch. Es wird schon Zeit zu gehen.

Erika: Anna wird schon auf uns warten.

Tauschen Sie nachher Ihre Eindrücke über eines der Bilder von deutschen Expressionisten aus. Benutzen Sie dabei die Lexik aus dem Polylog "Wie findest du das Bild?", dazu noch folgende Ausdrücke:

Kritik

sich abfällig über j-n (etw.) äußern

über einen Künstler (sein Werk) tüchtig herziehen

dem Maler unnatürliches Kolorit vorwerfen

der Kitsch

ein Bild (die Kunst) für entartet erklären

Lob

unübertroffener Meister

Вahnbrecher auf Gebiet

seine schöpferische Kraft beweisen

Künstler von Weltruf

Wie betrachte ich ein abstraktes Kunstwerk Gerhard Charles Rump

Es ist zuerst davon auszugehen, dass ein abstraktes Gemälde genauso wahrgenommen wird wie ein gegenständliches Bild. Weder verfügen wir über einen gesonderten „abstrakten" Sinn noch entsprechende Sinnesorgane. Nur die Wahrnehmungsbedingungen, d.h. die Situation, in der ich die Bilder wahrnehme, ist eine andere. Für gegenständliche Bilder gibt es eine jahrhundertealte Sehtradition. Die Sehtradition für abstrakte Kunst ist aber gerade 70 Jahre alt. Dadurch hat die abstrakte Kunst schlechtere Voraussetzungen, als gleichartig (oder gleichwertig) angesehen zu werden. Diese didaktische Einführung soll einen Beitrag dazu leisten, den Einstieg in die Betrachtung ungegenständlicher Bilder zu erleichtern oder erst zu ermöglichen.

Betrachten wir zunächst ein herkömmliches, gegenständliches Bild, Jacques Louis Davids „Schwur der Horatier", das im Louvre in Paris aufbewahrt wird.

Wir blicken in einen hohen, kargen Raum. Der Hintergrund wird durch drei Rundbögen abgegrenzt, hinter denen sich der Raum im Dunkel verliert. Davor spielt sich eine Szene ab, die schlaglichtartig von einer außerbildlichen Lichtquelle von links oben (alle Seitenangaben erfolgen immer vom Betrachter aus!) beleuchtet wird. Links stehen drei jüngere Männer parallel hintereinandergestaffelt. Sie stehen breitbeinig, angespannt, erheben jeder einen Arm, den sie nach rechts strecken. Sie sind in römischer (antiker) Rüstung und haben Helme auf. Der Vorderste hält eine Lanze, die schräg nach oben links weist. Er wird von dem Mittleren in der Taille umarmt. Ihnen gegenüber steht, ebenso breitbeinig, aber nicht mehr so kraftvoll, ein älterer, bärtiger Mann, der in die Richtung der Lichtquelle blickt und beide Arme in die Blickrichtung hebt. In der vorderen Hand hält er drei unterschiedlich geformte Schwerter. Rechts sehen wir eine Gruppe von zwei Frauen, die sich einander zuneigen. Zwischen dieser und dem bärtigen Alten ist etwas weiter hinten eine etwas ältere Frau zu sehen, die sich zu zwei kleineren Kindern beugt und sie mit den Armen umgreift.

Wir sehen sofort, dass die beschriebenen Bildfiguren nicht irgendwie im Bilde stehen, sondern dass sie geordnet sind. Ihr Standort und ihre Haltung sind durch eine Komposition festgelegt. Diese ist hier sehr streng, und läßt sich in Umrißlinien und den durch die Richtungswerte der Körper gebildeten geometrischen Figuren beschreiben. Und zwar sind die männlichen Figuren durch Dreiecke und Parallelogramme bzw. Trapeze einzeln betont und zusammengefaßt. Ein Gleiches läßt sich für die Frauengruppen sagen. Der Unterschied im Charakter der Kompositionsfiguren wird im wesentlichen durch die Umrißlinien bestimmt: Die Umrißlinien der männlichen Gruppe sind schroff und unruhig, spitz; die der weiblichen Gruppe sanfter und fließender.

Diese Kompositionsfiguren hat David mit Absicht gewählt. Die Figuren drücken etwas aus, über das in der Kunstpsychologie einiges gesagt worden ist. So bildet der vordere jüngere Mann ein Dreieck, und zwar ein gleichschenkliges Dreieck, das auf der Basis steht. Ein solches Dreieck erweckt den Eindruck von Stabilität und Standfestigkeit, im Gegensatz etwa zu einem Dreieck, das auf der Spitze steht, das instabil, wackelig aussieht, und jeden Moment entweder zur einen oder zur anderen Seite stürzen kann.

Ähnlich verhält es sich mit der Figur des Alten. Verbindet man die Richtungswerte der Beine links, der Arme und der rechten Körperseite des Alten, ergibt sich ein Trapez, das die beiden Gruppen miteinander verbindet. Ähnlich ist es bei der vorderen Frauengruppe, die sowohl in einem Dreieck zusammengefaßt ist, wie auch im Bereich der Beine nochmal mit einer Trapezform.

Es lassen sich viele solcher Formen finden. Wie viele zu sehen sinnvoll ist, wird vom Inhalt des Bildes her bestimmt. Es sind immer so viel Kompositionsformen zu berücksichtigen, wie vom Inhalt her zu begründen sind. Dazu können auch damals gültige akademische Kompositionslehren herangezogen werden.

Das Bild hat, und das ist sehr deutlich, einen bestimmten Inhalt, es erzählt eine Geschichte oder, besser: Es stellt einen Moment aus einer Geschichte dar. Damit will es etwas erreichen. Es will diese Geschichte in eine möglichst öffentliche Diskussion bringen. Aber diese Geschichte selbst wieder ist Stellvertreterin für bestimmte Wertvorstellungen und politische Meinungen.

Der Vollständigkeit halber sei das hier kurz umrissen. Es handelt sich hier um ein sog. Historienbild, also ein Bild, das in der akademischen Hierarchie der Gattungen die höchste Stelle einnahm und von daher den höchsten offiziellen Aufmerksamkeitswert für sich beanspruchte. In der Historienmalerei sollten die höchsten Güter und wichtigsten Taten dargestellt werden. Das geschichtliche Ereignis ist folgendes: Während der Regierungszeit des römischen Königs Tullus (bis 510 vor Christus) drohte einst ein Krieg zwischen Römern und Albanern. Um diesen zu vermeiden, schlagen die Albaner vor, jeweils zwei in etwa gleich kräftige und gleich alte Drillingsbrüder aus beiden Heeren gegeneinander kämpfen zu lassen, stellvertretend für die ganze Armee. Der Vorschlag wurde angenommen. Auf der römischen Seite traten die Horatierbrüder an, auf der albaner Seite die Curiatier. Zwei Horatier fielen sehr schnell im Kampf, einer blieb völlig unverletzt. Die drei Curatier waren unterschiedlich schwer verletzt. Der letzte Horatier lief zunächst davon, so dass die Curiatier ihn verfolgen mußten. Abhängig vom Grade ihrer Verletzungen erreichten sie ihn aber nacheinander, und der Horatier konnte einen nach dem anderen besiegen. Der Sieger wurde im Triumphzug nach Rom geleitet. Dort fand er eine seiner Schwestern, die mit einem Curiatier verlobt war, wegen des Todes ihres Verlobten in Tränen vor. In einer Gefühlsaufwallung tötete er sie.

Bei David ist dieser Kampf nicht direkt dargestellt, sondern nur in einer nicht überlieferten Szene, die der Künstler erfunden hat: Es ist der dem Kampf vorausgehende Schwur der Brüder, sich ganz dem Vaterland zu weihen.

Diese Geschichte steht in einem weiteren Zusammenhang: Das Bild war ein Auftrag der französischen Krone (1784) und sollte darstellen, dass das Wohl des Vaterlandes über das Interesse des Einzelnen zu stellen ist. Ironischerweise ist das Bild - das bei seiner ersten Ausstellung 1785 von über 30000 Menschen gesehen worden ist - aber in der Folge immer revolutionär verstanden worden. Der politische Wille, der zum Auftrag geführt hatte, hatte sich schon gegen den Auftraggeber gekehrt. Die politischen Ideale waren in der vorrevolutionären Situation schon für die Revolution vereinnahmt, ohne dass der Hof das bemerkt hat.

Die politisch-moralische Forderung dieses Bildes tritt hier aber so auf, dass das Tugendbeispiel aus der Geschichte und seine Bedeutung für die Gegenwart nicht als einfache Illustration zu sehen ist, sondern als selbst Geschichte gestaltende Kraft: Kunst als bewegende Kraft der Geschichte. Das sieht man daran, dass eine erfundene Szene - der nicht überlieferte Schwur - gewählt wird, die dann nämlich in den kunstgeschichtlichen Zusammenhang paßt, der seit geraumer Zeit schon die Darstellung des Schwures als Mittel zum Ausdruck patriotischen Denkens kannte: 1764 lieferte Gavin Hamilton den „Schwur des Brutus", Benjamin West 1771 den „Schwur des Hannibal" und Johann Heinrich Füssli 1779 den „Rütlischwur".

David verbindet das Motiv des Schwurs mit einem zuvor in dieser Stärke kaum gekannten Ausdruck von zielstrebiger Willenskraft. Dieser stellt sicher, dass der Kern der Handlung in seinem Charakter auch dem erfühlbar ist, der von der weiteren Geschichte nichts weiß. Die Gestaltung von Geschichte und die Verbindung von Politik und Morallehre zeigen, dass das Bild einerseits zwar einen historischen Stoff gestaltet, andererseits damit aber gleichzeitig in die politische Gegenwart eingreift. Es fordert die Übertragung des beispielhaften Verhaltens der handelnden Personen auf den Betrachter selber.

An dieser kurzen Darstellung wird deutlich, wie schwierig dem nicht bewanderten Betrachter klassische Kunst sein kann. Das Bild bietet ihm sehr wenig - gerade Davids „Horatierschwur" ist ja sehr karg (was auch eine inhaltliche Seite hat) und gibt wenig ästhetische Ablenkung. Das, was zum einigermaßen gerechten Erfassen des Bildes nötig ist, ist sehr wesentlich Außerbildliches.

Die anderen Eigenschaften, die ästhetischen Eigenschaften, wie Farbe (auf die wir hier nicht näher eingegangen sind), Komposition und Ausstattung mit Motiven, sind in rein dienender Funktion dem Inhalt untergeordnet. Das Thema des Bildes ist das Verhältnis von Staat und Individuum, von Politik und Moral, von Eigeninteresse und patriotischem Interesse. Farbe und Form sind so eingesetzt, dass dieser Inhalt möglichst gut verständlich wird.

An diesem Beispiel haben wir gesehen, welche Grundlagen die Betrachtung herkömmlicher Bilder hat, ohne natürlich das Thema damit erschöpft oder auch nur alle Aspekte des Bildes berührt zu haben. Aber der Boden ist bereitet für den Vergleich mit der Betrachtung, die für abstrakte Bilder angemessen ist.

Nehmen wir als Beispiel ein frühes abstraktes Bild, das „Opus 25 a" von Carl Buchheister, das 1925 entstand, also nur 15 Jahre nach dem ersten abstrakten Bild überhaupt (von Wassili Kandinsky - darauf werden wir noch zurückkommen).

Wir betrachten das Bild so, dass das schwarze Quadrat rechts oben zu sehen ist. Dann hat das hochformatige Rechteck eine hellockerfarbene, in sich sehr gleichmäßige Hintergrundsfläche. Als Bildfigur, in der Mitte, den größten Teil der Fläche einnehmend, eine Zusammenstellung von Formen verschiedener Umrisse und Farben, die sich wie die Teile eines Puzzlespiels zu einer unregelmäßig begrenzten Gesamtform zusammenschließen.

Beginnen wir unten in der Mitte mit dem gekippten schwarzen Quadrat, an dessen nach links oben weisender Seite sich ein grauer Streifen anschließt, der nicht über die Seitenlänge des Quadrats hinausweist. An ihn schließt sich ein unregelmäßig begrenztes Feld in Ultramarinblau an. Die Begrenzung zum grauen Streifen hin ist geradlinig aber länger als der Streifen. Nach links hin geht die geradlinige Begrenzung in eine gebogene Linie über, die nach etwa 190° Bogenumlauf einen Wendepunkt hat. Nach kurzem Bogen geht sie wieder in eine geradlinige Begrenzung über, die der unteren parallel ist, daher also von links unten nach rechts oben läuft. Rechtwinklig knickt er nach rechts unten ab, um schnell in eine sich schlangelnde Kontur überzugehen, die in den erstgenannten geradlinigen Teil übergeht. Diese blaue Fläche hat an der linken äußeren Ausbuchtung einen gerade abgeschnittenen, ihr sonst aber im Bogen folgenden, grünen Streifen als Begleitung.

An das blaue Feld schließt sich rechts ein fast ganz unregelmäßig begrenztes weißes Feld an, dass an dem Punkt des blauen Feldes entspringt, an dem die kurze, nach rechts unten weisende gerade Begrenzungslinie in eine gebogene übergeht. Das weiße Feld endet dort, wo das gekippte schwarze Quadrat an den grauen Streifen und dieser an das blaue Feld stößt. Es ist dort auch geradlinig begrenzt, wobei der Punkt, an dem sich Schwarz und Grau treffen, die gerade Begrenzungslinie des weißen Feldes im Verhältnis von 1:2,125 teilt. Es handelt sich daher wohl um eine zufällige Proportion, da die „klassische" Proportion des „Goldenen Schnitts" ein Verhältnis von 1:1,618 angibt.

Rechts schließt sich nun eine weitere, sowohl geradlinig wie auch krummlinig begrenzte Fläche an, die zinnoberrot ist. Auf der linken Seite schließt sie sich geradlinig an die obere Seite des gekippten schwarzen Quadrats an, direkt an die rechte Seite der eben beschriebenen weißen Fläche. Die gemeinsame Grenze der roten und der weißen Fläche endet dort, wo die weiße Fläche an der blauen Fläche entspringt. Die rote Fläche hat dann noch mit der nach rechts unten abfallenden, geradlinigen Begrenzung der blauen Fläche eine gemeinsame Grenze. Wo diese aufhört, biegt sich die Kontur der roten Fläche nach oben, fällt dann nach rechts unten, berührt die linke Seite des schwarzen Quadrats, das uns zur Orientierung des Bildes diente, und berührt diese bis etwa zur Mitte. Dann biegt die Kontur sich konkav weg, um sich nach unten schlangelnd nach einer weiten Ausbuchtung nach rechts an die nach oben weisende Seite des schwarzen, gekippten Quadrats zu bewegen, mit der eine gemeinsame Grenze gebildet wird.

Rechts von dieser roten Fläche folgt eine wiederum weiße, die da beginnt (sofern man davon sprechen kann, dass eine Fläche „beginnt"), wo am schwarzen Quadrat rechts oben die rote Fläche sich nach links hin einzieht. Die weiße Fläche hat links eine gemeinsame Grenze mit der roten Fläche bis zum schwarzen, gekippten Quadrat. Dann hat sie eine gemeinsame Grenze mit der nach rechts unten weisenden Seite dieses Quadrates, läuft aber weiter nach unten über diese hinaus, wie eine Art Beutel. Die rechte Seite schlängelt sich bis zum schwarzen Quadrat rechts oben, dessen untere Seite eine gemeinsame Grenze mit der weißen Fläche bildet.

Nach dieser - nicht einmal zu sehr in Einzelheiten gehenden - Beschreibung ist klar, dass dieses Bild, ganz im Gegensatz zu einem „Horatierschwur", keine Geschichten erzählt. Es verzichtet auch auf jeden Versuch einer Wiedergabe wirklicher, natürlicher Gegenstände, Personen, Räume. Nicht verzichtet es aber auf bestimmte andere Dinge, die auch im „Horatierschwur" eine Rolle gespielt haben. So sehen wir ja schon auf den ersten Blick, dass die farblich klar voneinander abgegrenzten Felder nicht „irgendwie" im Bildfeld liegen, sondern dass sie einer Ordnung folgen, einer Komposition. Die Grundzüge dieser Komposition lassen sich so angeben, dass alle Flächen sich zu einer Bildfigur mit unregelmäßigem Umriß zusammenschließen, die nirgends an den Bildrand stößt. Sie steht, den größten Teil der Bildfläche einnehmend, in der Mitte des Bildes. Wir können zwischen Figur und Grund unterscheiden (was uns bei den „Horatiern" noch völlig unproblematisch und selbstverständlich erschien). Die zentrale Bildfigur hat Teile - die wir beschrieben haben. Die Teile zeichnen sich dadurch aus, dass sie bestimmte Gegensätze miteinander in Beziehung bringen: Gerades und Gebogenes, sich Verdünnendes und sich Erweiterndes, Spitzes und Rundes. So wie die geometrischen Formen der Komposition in den „Horatiern" Bezüge miteinander hatten - und natürlich zum ganzen Bild - so ist das auch hier. Der entscheidende Unterschied aber ist, dass hier kein außerbildliches Ereignis Thema ist, sondern dass kein außerbildliches Thema im vergleichbaren Sinne existiert. Thema des Bildes ist die Komposition selbst. Was vorher dienende Funktion hatte, wird hier selbst Bildgegenstand. Der Maler hat sich völlig von gegenständlichen Vorgaben befreit und erhebt die sog. „Kunstmittel", hier z.B. die Komposition von Farben und Flächen, zum Gegenstand seiner Bemühungen.

Das ist allerdings noch nicht alles. Formen haben auf den Betrachter bestimmte Wirkungen. Auch Farben - und deren Kombination erst recht. Die Beziehungen zwischen Farbe und Form, zwischen Farben und zwischen Formen sind überaus komplex. Es hat in der Vergangenheit nicht daran gefehlt, der unübersehbaren Vielfalt solcher Beziehungen durch den Entwurf bestimmter Systeme und Lehren beizukommen. Darauf kann hier allerdings nicht eingegangen werden. Die Wirkung von Farben und Formen, ihr Charakter, ist in der frühen abstrakten Malerei durchaus als Ausgangspunkt von Gedankenverbindungen dann recht konkreter Art genommen worden. Man hat auch versucht, die abstrakten Eigenschaften konkreter Phänomene in dann eben abstrakten Formen auszudrücken.

Einen solchen Aspekt hat auch Buchheisters „Opus 25 a". Es hieß nämlich eine Zeit lang (auch) „Sommer". In einem Brief an Katherine S. Dreier hat Carl Buchheister sich ausführlich zu seinem Werk geäußert. Er schrieb: „Ich wollte also mit ungegenständlichen Mitteln den Begriff Sommer darstellen. In dieser Entwicklungsperiode habe ich viel nachgedacht und überlegt, wie kannst du das objektiv wertbare Element in deinen abstrakten Kompositionen derart kräftig herausstellen, dass möglichst viel Leute an den Bildern etwas erfühlen können. Es lag mir von Anfang nie daran, im Abstrakten Werke zu schaffen, die nur von wenigen, mir gleichgestimmten Menschen erfühlt werden konnten. Ich behaupte auch heute mehr denn je, dass das gute abstrakte Bild genau so objektiv wertbar ist, wie eine Fuge von Johann Sebastian Bach. Wer hat nun Recht? Die Gegner, die im Augenblick in der ganzen Welt mit Stentorstimme verkünden, die abstrakte Kunst wird niemals zu vielen sprechen, weil sie problematisch ist, weil sie die natürlichen, abbildenden Formen verschmäht und geometrische Gebilde hervorzaubert, die kein Mensch nachempfinden kann. Wer recht hat, zeigt allein der Lauf der Praxis, und die Praxis liefert schon jetzt zahlreiche Beweise, dass die gute nicht gegenständliche Komposition durchaus objektiv wertbar ist. In der ganzen Welt gibt es Menschen, für die abstrakte Gestaltungen eine lebendige Wirkung ausstrahlen und diese Wirkung wird sich dauernd vervielfältigen und verstärken, das ist mein unerschütterlicher Glaube...Wie kann man nun den Begriff „Sommer" abstrakt fassen? Ich überlegte, im Sommer ist alles breit, rund farbig, kugelförmig, kompakt. Im Frühling dagegen sind die Dinge schmal, mehr mit Energie geladen und wenig farbig. Im Frühling sind die Bäume durchsichtig, nurÄste, im Sommer stehen sie kompakt, rund, massig, grün in der Landschaft. Man sieht im Frühling junge Blattkeime, die wie Lanzen aus der Erde brechen und trockene Blätter durchspießen, um zum Licht zu gelangen. Frühling ist schlanke Energie, die die Erstarrung des Winters kraftvoll besiegt.

Daher das Bild Sommer breit im Format, geschlossen ist der Bildkern angeordnet, breit strömt der Fluß der gegensatzreichen Farbelemente. Das Bild ist fugenartig komponiert. Die Rundungen als Begrenzung der farbigen Flächen zeigen an jeder Stelle den gleichen gespannten Melodiecharakter. Sie entspringen und enden fast immer in einer Geraden. Die beiden schwarzen Quadrate betonen durch untergeordnete und eingeordnete Eckigkeit das Hauptbildmotiv, „den gerundeten Fluß der farbreichen Flächen", die in dem starken Gelb der Außenform eingebettet sind."

Buchheister versucht also, die Wirkungen der Farben und Formen so aufeinander abzustimmen, dass der Betrachter möglichst nahe an das herankommt, was den Maler bewegt hat. Er hat aber auch gespürt, dass das nicht die Hauptsache an dem Bilde sein konnte und alsbald auf den Titel „Sommer" verzichtet und sich mit „Opus 25 a" begnügt - was übrigens einen Hinweis auf das Entstehungsjahr 1925 birgt.

Nicht unwichtig ist der Hinweis auf die Fuge von Bach. In der Tat ist ja das abstrakte Wesen der Musik unbestritten und die sogenannte „Programmusik" arbeitet ähnlich wie Buchheister es mit dem „Sommer" getan hat: Beethovens „Pastorale" oder Berliozs „Symphonie fantastique" versuchen auch, in gewisser Weise „imitativ", naturnachahmend zu sein, um mit den abstrakten Mitteln der Musik ganz konkrete Dinge (Gewitter z.B.) auszudrücken.

In der Tat hilft es sehr viel weiter, wenn man an ein abstraktes Bild herangeht wie an ein Musikstück und nach farbigen und formalen Rhythmen, Klängen, Harmonien und Dissonanzen sucht, statt sich zu fragen, wieso man nichts darauf erkennen könne. Man erkennt nämlich auf einem abstrakten Bild sehr viel - nur bildet es nichts ab. Die Forderung, Malerei müsse etwas abbilden, ist eine Norm, die, je absoluter sie gesetzt wird, um so weniger zu rechtfertigen ist. Das heißt nicht, dass künstlerische Aussagen nicht auch heute noch in gegenständlicher Malerei zu treffen wären. Es geht aber darum, die Norm des Abbildenden als eine von mehreren zu sehen und nicht als die alles beherrschende.

Ein abstraktes Bild ist also anders zu sehen als ein figuratives. Jedoch sei darauf hingewiesen, dass man figurative Bilder auch schon sehr weitgehend so gesehen hat, wie man abstrakte Werke sehen muß. Die Art und Weise der Malerei, die Farben, die Pinselführung, die Komposition sind ja auch bei traditioneller Kunst schon immer stark beachtet worden. Zur Wertschätzung der abstrakten Kunst bedarf es wenig mehr als der Einsicht, dass alle die Werte, die in der figurativen Kunst dienende Funktion haben und als Mittel zum Zweck eingesetzt werden, in der abstrakten Kunst Thema, also selbständig sind.

Die Befreiung vom Gegenständlichen hat der Malerei ganz neue Felder erschlossen und die Ausdrucksmöglichkeiten ungemein erweitert. Es ist daher nicht verwunderlich, dass es innerhalb der nicht figurativen Kunst zu einer geradezu stürmischen Entwicklung gekommen ist, durch die der Bereich der ästhetischen Untersuchung enorm ausgeweitet wurde. Bevor wir in der gebotenen Kürze uns mit einer Reihe von weiteren Grundbeispielen befassen, scheint es angebracht, sich mit der „Erfindung" der abstrakten Malerei und ihren Grundvoraussetzungen zu befassen.

Die „abstrakte" Malerei, ursprünglich auch „absolute" Malerei genannt (ein Ausdruck, der für bestimmte Arten der nichtfigurativen Kunst noch gebraucht wird), ist eine „Erfindung" Wassili Kandinskys. Wenn man „Erfindung" sagt, so kann das hier natürlich nur heißen, dass Kandinsky der erste (oder der erste, der damit hervortrat) war, der eine Malerei ausführte, die mit den seit längerem wirksamen Entwicklungen in der Malerei, die weg vom Naturgegenstand und seiner illusionistischen, augentäuschenden, gauklerischen Erscheinungsweise führten, hin zu einer mehr von den Eigengesetzen von Malerei und Farbe bestimmten Kunst von Wirkung und Ausdruck.

In der Tat hat es solche verschiedenen Tendenzen im frühen zwanzigsten Jahrhundert schon gegeben. Der Expressionismus mit seiner im akademischen Sinne wenig genauen Zeichnung und den „falschen" Farben und Formen war eine solche Richtung. Die Auflösung des herkömmlichen, illusionistischen Bildes findet sich schon im Impressionismus vorbereitet, der in der zeitgenössischen Kritik ja auch heftig bekämpft wurde.

Wenn man das allererste abstrakte Bild sucht, so kann man es sicher bei William Hogarth in seiner „Analysis of Beauty" finden, einer der einflußreichsten kunsttheoretischen Schriften der jüngeren Vergangenheit. In einer der beigegebenen Tafeln ist eine kleine Darstellung am oberen Rand zu finden, die nur aus Schraffuren unterschiedlicher Dichte besteht, und somit, da es sich um eine rahmenhaft begrenzte Fläche handelt, ein abstraktes Bild darstellt. Hogarth ging es mit diesem kleinen Bildchen sogar darum, die ästhetische Wirkung solcher Formen darzulegen. Der gedankliche Kern dessen, was abstrakte Kunst bedeutet, ist so also sicher schon im 18. Jahrhundert verfügbar gewesen. Er hat mit der Erkenntnis zu tun, dass es viel weniger darauf ankommt, was gemalt wird als darauf, wie es gemalt wird. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich dieser Gedanke weiter. Er wurde beeinflußt dadurch, dass nach der französischen Revolution und dem Zusammenbruch des Absolutismus auch in Frankreich und Deutschland die Kunst mehr und mehr zu einer Art Marktware wurde, die den gleichen wirtschaftlichen Gesetzen unterlag wie andere Dinge auch, da die herkömmlichen Mäzene und Auftraggeber und die damit verbundenen Beschränkungen immer stärker wegfielen. Diese Situation hatte sich in der frühbürgerlichen Gesellschaft im Holland des 17. Jahrhunderts schon gezeigt, wo die katholische Kirche als Auftraggeber ausfiel und sich der Künstler als Spezialist („Fachmaler") auf einem ziemlich freien, von Wettbewerb beherrschten Markt behaupten mußte. In dieser Entwicklung gab es keine thematische Beschränkung durch Auftraggeber. Der Künstler, der nun die freie Wahl der Bildinhalte hatte, versuchte, seine zum Überleben notwendige Originalität nicht wie früher in der künstlerischen Form, sondern im Inhalt.

So entstand eine literarisch ausgerichtete, erzählerische Illusionsmalerei, gegen die zuerst die „Realisten" aufstanden, die sich entschieden und grundsätzlich dem Alltäglichen zuwandten. Damit versuchten sie auch zu zeigen, dass es in der Malerei auf die malerische Qualität ankomme und nicht auf den Adel des Gegenstandes.

Bald galt die sich so darstellende Phantasie und Gestaltungskraft des Künstlers als das Wesentliche, auch wenn sich die Malerei noch an Naturformen hielt. Ihre farbliche Übersetzung hielt sich zunehmend weniger an die Naturfarben, und so war der Weg zum Gebrauch der Farbe als reinem Ausdrucksmittel der Weg geebnet, da sich der „natürliche" Zusammenhang zwischen Farbe und Form aufzulösen begann. Ja, um das „geistige" Wesen auszudrücken, werden Formen deformiert, werden Farben gewählt, die denen in der Natur widersprechen, aus der Abbildungskunst wird eine Kunst des Ausdrucks.

Auf solchen Vorentwicklungen fußend, kam Kandinsky dazu, die Fesseln des Gegenstandes gänzlich abzustreifen. Dabei darf das Beispiel der Musik nicht in Vergessenheit geraten. Musik war seit langem verständlich als unmittelbare, d.h. nicht durch Gegenstände vermittelte, Versinnlichung gedanklicher, geistiger Vorstellungen. Nicht nur, dass in abstrakter Malerei häufig auf musikalische Ausdrücke bei der Beschreibung auch durch die Künstler selbst zurückgegriffen wird („Rhythmus", „Klang", „kontrapunktische Durcharbeitung"), auch in der den Bildern nacheilenden theoretischen Diskussion ist immer wieder auf die Musik hingewiesen worden.

Kandinsky hatte ein spätes Bild von Claude Monet, die „Heuhaufen" gesehen und ihm war klar geworden, dass das Wie der Malerei vom Was, vom Gegenstand, sich lösen konnte, Anfangs schwankte er noch zwischen Ablehnung und Bewunderung. Später hörte er Richard Wagners Lohengrin-Ouverture und hatte bei dieser gewaltigen Musik Farbvorstellungen. Diese Schlüsselerlebnisse waren zwar nicht entscheidend, aber dennoch grundlegend. Es kam die Begegnung mit der Kunst Rembrandts hinzu, in dessen Spätwerk sich ja auch die Farbe zu verselbständigen beginnt; und das Kennenlernen russischer Volkskunst, deren Strenge und Einfachheit ihn die Notwendigkeit des „Innewerdens", des „in-das-Bild-Hineingehens" lehrte.

Es ist auch darauf hingewiesen worden, dass in der Zeit vor 1910 sich das Weltbild stark zu wandeln begann. Für den wachen und empfindsamen Menschen konnten die Dinge der Welt nicht mehr so festgefügt und klar umrissen erscheinen wie früher, da z.B. in der Diskussion um den Aufbau der Materie das Atom und sein Bau neu beschrieben wurden (Atommodell von Niels Bohr: 1913). Schon 1908 hatte Rutherford entdeckt, dass es eine atomare Struktur geben mußte.

1910 entstand das erste wirklich abstrakte Bild: Kandinskys Aquarell „1e aquarelle abstraite", ein 50 x 65 cm großes Wasserfarbenbild. Die Gegenstandslosigkeit in Kandinskys Kunst kommt also nicht zuerst in Gemälden auf, sondern in einer weniger aufwendigen, in der Hierarchie der Gattungen niedriger stehenden Malerei: im Aquarell. Man sieht nur mehrere nervös wirkende Formen und Farben, die jeden gegenständlichen Zusammenhang vermissen lassen. Schon 1911 tauchen die ersten abstrakten Ölbilder auf - das früheste ist das 1911 entstandene Bild „Improvisation 22", Größe 120 x 140 cm - ein Bild, das verschollen ist aber seinerzeit in beiden Ausstellungen des „Blauen Reiters" zu sehen war. Kandinsky war zu diesen Bildern durch die Landschaftsmalerei gekommen. Seit 1908 hatte Kandinsky vom Naturgegenstand immer stärker abgesehen. Er ersetzt ihn durch Farben und Formen, die er aus dem Gesehenen ableitet. Diese werden immer selbständiger und immer stärker durch den Ausdruck bestimmt. Seit 1910 vereinfachter alles - nicht nur die Zahl der Elemente wird geringer, auch wird jedes einzelne Element stark auf seine geometrische Grundform hin vereinfacht. Was sich im Bilde an Farben und Formen findet, ist nur noch ein Hinweis auf die Empfindungswelt des Malers, ohne eine Verknüpfung mit der Außenwelt.

Dass die Landschaftsmalerei bei der Entwicklung der gegenstandslosen Malerei „Pate" gestanden hat, ist insofern naheliegend, als die Landschaft selbst sich dem Auge des Betrachters ja eher schon wie eine Art Komposition verschiedenfarbiger geometrischer Formen darbietet als etwa ein Innenraum. Felder in braun, gelb und grün mit ihren rechteckigen Begrenzungen, Berge als Dreiecke, Flüsse als Schlangenlinien - all das sind Abstraktionen, die nachvollziehbar sind und ja auch in der Zeit unmittelbar vor der Entwicklung der gegenstandslosen Malerei schon in der Kunst vollzogen waren. Dabei war allerdings das Thema „Landschaft" nicht aufgegeben worden. Vielleicht ist die Analogie zur Entdeckung der feineren Struktur der Materie, die oben kurz angesprochen wurde, tragfähig: So wie in der Naturwissenschaft sich die Forscher mit der Feinstruktur der Materie vertraut machten, so begannen die Künstler, vor allem Kandinsky, sich der inneren Struktur der Malerei zu nähern, und die weitere Entwicklung der abstrakten Kunst kann der weiteren Entwicklung der Atomphysik angeglichen werden. Denn die Entdeckung der immer kleineren Materiebauteilchen ist durchaus vergleichbar der „Entdeckung" der nachfolgenden Generationen von abstrakten Künstlern, dass die Dinge, die in Bildern Kandinskys Teile waren, selbst künstlerisch untersucht und eigenes Thema werden konnten.

Was Kandinsky an den „Heuhaufen" so befremdete, war die Auflösung des Gegenstandes in ein flimmerndes Spiel von Farben, bei fast gänzlicher Aufgabe einer festen Umrißlinie. Durfte ein Maler, so fragte sich Kandinsky, das Was seiner Malerei, den Gegenstand, so sehr zugunsten des Wie, der Art und Weise seiner Wiedergabe, zurückdrängen? Die Entscheidung zur bejahenden Antwort auf diese Frage traf Kandinsky einige Zeit später, nachdem er eines Tages (Datum und Jahr sind leider nicht überliefert) nach einem langen Tag künstlerischer Arbeit auf seiner Türschwelle eine Art visionäres Erlebnis hatte, das ihn ein gegenstandloses Bild sehen ließ, in welchem alle Stimmungen und Gefühle der letzten Zeit voll zum Ausdruck kamen. Als er am nächsten Morgen dieses Bild „richtig", d.h. mit dazugehörigen Gegenständen malen wollte, war der Zauber des Bildes verschwunden - die Gegenstände hatten ihn vernichtet.

So faßte er Mut, die Gegenstände, die der Wirkung nur hinderlich waren, aus dem Bilde zu verbannen. Die Frage aber, was an ihre Stelle treten sollte, war noch nicht beantwortet. Kandinsky hat später in seinen Schriften, insbesondere in dem 1926 erschienenen Buch „Punkt und Linie zu Fläche", diese Frage zu beantworten versucht. Um 1910 haben eine Reihe von Künstlern gegenstandsfreie Entwürfe ausprobiert, aber nur Kandinsky hat es vermocht, die gegenstandsfreie, die „absolute Malerei" als ein Mittel zur geistigen Aussage zu entwickeln. Seine Schriften sind eine systematische Einführung in sein Werk - denn da Kandinsky Künstler war und nicht objektiver Wissenschaftler, sind seine Überlegungen natürlich im wesentlichen auf sein Werk gerichtet.

Eine der Hauptfragen war, was an die Stelle der Gegensätze treten sollte. Kandinskys Antwort: Die „innere Notwendigkeit". Dieser Begriff spielt bei Kandinsky und späteren abstrakten Künstlern eine Schlüsselrolle. Hinzu tritt das Kompositionsgesetz der Bilder. Das zerfällt in die dem rationalen Denken nicht zugängliche Intuition, die verstandesmäßig gelenkte künstlerische Analyse der Kunstmittel selbst (Farbe, Linie, Fläche) und schließlich ihre Zusammenführung in der wirksamen „Konstruktion" des Werkes, das die „innere Vibration" mitteilen soll.

Kandinsky hat sich ausdrücklich dagegen gewehrt, hierin nur eine malerische Nachahmung der Musik zu sehen oder nur den Versuch der Übermittlung persönlicher Gefühlszustände. Natürlich sind beide Gesichtspunkte wichtig, aber eben nicht erschöpfend. Kandinsky strebte an, Wirkungen zu erzielen, die nur durch Malerei und durch nichts anderes sonst erzielbar waren.

Kandinsky versuchte dann, die Analyse der Kunstmittel nicht nur im Bilde, sondern auch theoretisch-systematisch voranzutreiben. Seine Ergebnisse sind natürlich nicht von der allgemeinen Gültigkeit von Naturgesetzen. Sie gehen aber weit zurück auf den Erfahrungsschatz der Kunstgeschichte und auf gleichsam automatische Bewertungen sichtbarer Dinge, die unser menschliches Wahrnehmungssystem vollzieht. Das Dreieck mit spitzem Winkel verrät, so Kandinsky, Intensität und Aktivität, zumal wenn es sich mit der Farbe gelb verbindet. Der rechte Winkel oder das Quadrat entsprechen Festigkeit, Selbstbeherrschung und Gleichgewicht, zumal wenn eine Verbindung mit der Farbe Rot vorhanden ist. Die horizontale Linie, zumal in Verbindung mit Schwarz entspricht „kalter" Ruhe, die Vertikale (in Verbindung mit Weiß) der „warmen" Ruhe.

Aus diesen einfachsten Elementen - wir haben hier nur wenige ausgewählt - läßt sich eine endlose Zahl von aussagefähigen Kombinationen erstellen. Diese können nach recht systematischen Kriterien auf ihre Wirkung hin untersucht werden: auf Schwere, Wärme, Kälte, Leichtigkeit in der Wirkung auf den Betrachter. Dass subjektive Willkür den Künstler leitet, kann nur durch die Ausrichtung an der „inneren Notwendigkeit" verhindert werden, die an die Stelle herkömmlicher Kunstregeln tritt.

In seiner Schrift „Über das Geistige in der Kunst" (erschienen in München 1912) hat Kandinsky dargelegt, aus welchen Quellen sich diese „innere Notwendigkeit" speist:

1. hat jeder Künstler, als Schöpfer, das ihm Eigene zum Ausdruck zu bringen,

2. hat jeder Künstler, als Kind seiner Epoche, das dieser Epoche Eigene zum Ausdruck zu bringen und

3. hat jeder Künstler, als Diener der Kunst, das der Kunst Eigene zum Ausdruck zu bringen.

So geleitet wollte Kandinsky sich des „Äußeren" entledigen, um ganz auf das „Innere" der Kunst zusteuern zu können. Betrachten wir eines der frühen gegenstandslosen Werke Kandinskys - das Bild „Schwarze Linien" aus dem Jahre 1913.

Gegenstände sind nicht zu erkennen. Vor einem hellen Hintergrund sind leuchtend farbige, unterschiedlich scharf begrenzte Formen zu erkennen, farbige Flächen und Linien, und der Titel des Bildes geht auf wenige dünne schwarze Striche zurück. Die farbigen Formen sind aber nicht gleichmäßig über das Bild verstreut, sondern verschieden gewichtet. Die rundlichen Flächenformen bilden einen Halbkreis, dessen Scheitelpunkt nach rechts unten gerichtet ist, abgestützt durch eine rote Form in der Mitte unten. Dadurch wird das Zentrum des Bildes betont. Insgesamt bleibt eine Art offener und räumlicher Charakter des Bildes gewahrt. Die Bildfläche ist nicht zugesetzt mit Formen, sondern diese schweben als transparent, durchlässig wirkende klar vor dem weißlichen Hintergrund und stellen so eine durch Farbe hervorgerufene Räumlichkeit dar. Der Halbkreis ist überwiegend in Rot gehalten und zeigt große Formen. Das Zentrum ist ein kleines grünes Dreieck. Rechts ist das Bild durch einen rötlichen Streifen begrenzt, links offen. Schon die knappe Vergewisserung dessen, was auf dem Bilde zu sehen ist, gibt reichen Aufschluß über die innere Anlage: Wir stehen einem abwechslungsreichen Spiel von Gegensätzen gegenüber:

Kreis / rundlich / rötlich / groß gegen Dreieck / spitz / grünlich / klein,

rechts / geschlossen gegen links / offen, Flächen gegen Linien.

Die Liste ließe sich weiter verlängern. Man kann dann auf Grund von Kandinskys Äußerungen den rechten Rand als Gebäude-Entsprechung sehen, den unteren Bildrand als Erde, den oberen als Himmel und den linken Bildrand als Ferne. Zwischen Haus und Ferne liegt dann der wesentliche Teil des Bildes, den man als Garten interpretieren kann. Und in der Tat geht das Bild „Schwarze Linien" auf einige Arbeiten zurück, die das Thema des „Liebesgartens" untersuchen.

Man mag - auch in Erinnerung dessen, was über Buchheisters „Opus 25 a" gesagt worden ist - daran erkennen, dass die frühe „absolute" Malerei gar nicht in strengem Sinne „absolut" war. Sie hatte eine, wenn auch überaus dünne, Verbindung zu gegenständlichen Vorstellungen. Auch späterhin hat ein Teil der nicht-gegenständlichen Kunst stets die Verbindung zu bestimmten Vorstellungswelten gesucht, und nur eine Minderheit abstrakter Künstler hat radikal mit solchen Vorstellungen aufgeräumt.

Um verschiedene Sichtweisen kennenzulernen, sollen nun einige Hauptbeispiele kurz besprochen werden, denn die unterschiedlichen Abstraktionsweisen bzw. die unterschiedlichen Arten der abstrakten Malerei (und um die geht es hier im wesentlichen) bedingen unterschiedliche Bündelungen der Aufmerksamkeit.

Mit dem Bild Buchheisters und Kandinskys sind schon zwei unterschiedliche Modelle vorgestellt worden. Mit Piet Mondrian begegnen wir einem Künstler, bei dem der Wunsch nach Gesetzmäßigkeit überaus stark war. Mondrians Hinwendung zur abstrakten Kunst vollzog sich ähnlich wie bei Kandinsky: durch die Verminderung des Gegenständlichen durch die Hinführung zur geometrischen Form. Seine Werke zeigen diesen Prozeß Schritt für Schritt auf. Mondrian gelangte zu einer strengen, konstruktiven abstrakten Kunst, die er in seinem Aufsatz von 1926 „Der Mensch, die Straße, die Stadt" vorgestellt hat:

1. Das bildnerische Mittel soll die Fläche sein, bzw. das rechtwinklige Prisma in den Primärfarben (Rot, Blau, Gelb) und den Nicht-Farben (Weiß, Schwarz, Grau).

2. Notwendig ist die Gleichgewichtigkeit der bildnerischen Mittel; verschieden in Dimension und Farbe sind sie doch von gleicher Wertigkeit. Gleichgewicht besteht im allgemeinen zwischen einer großen Fläche von Nicht-Farbe und einer kleineren Fläche von Farbe.

3. Die im bildnerischen Mittel enthaltene Dualität der Gegeneinandersetzung wird ebenso in der Komposition gefordert.

4. Das konstante Gleichgewicht wird erzielt durch Beziehungen der Entgegensetzungen. Es wird durch die Gerade (Grenze des bildnerischen Mittels) und ihren Hauptkontrast (den rechten Winkel) ausgedrückt.

5. Das Gleichgewicht, das die bildnerischen Mittel neutralisiert und aufhebt, wird hergestellt durch die proportionalen Beziehungen, die zueinander stehen, und die den lebendigen Rhythmus erzeugen."

Mondrian hatte ein geradezu leidenschaftliches Verlangen nach Reinheit, die ihn zu einer Form des Ausdrucks führte, die in krassem Gegensatz zur gesamten europäischen Tradition stand. Er betonte besonders die Maßverhältnisse, die Proportionen, die zu einer neuen Ästhetik führen sollten, die nur auf reinen Verhältnissen, reinen Farben und reinen Linien fußen sollte. Ähnlich wie Künstler der Renaissance, die in universalen, allgemeingültigen Proportionsgesetzen das Göttliche fassen wollten, will auch Mondrian in den reinen Proportionen das Göttliche sehen. Alle Teile seiner Bilder werden von diesem Streben nach Klarheit und Reinheit beherrscht.

Nicht nur mit den Sinnen erfaßbar, sondern auch mit dem Lineal nachmeßbar stehen alle Teile des Bildes in dem Gleichgewicht, das Mondrian in seinen 5 Gesetzen gefordert hat. Die Bildfläche ist ganz als Fläche aufgefaßt. Es gibt nur rechte Winkel. Mondrian hat fanatisch gegen alle anderen Winkel gekämpft und sich auch mit anderen Künstlern seiner Richtung, die, wie z.B. Theo van Doesburg, Diagonale und damit spitze und stumpfe Winkel zuließen, geradezu verfeindet. Die Flächen sind ihrer Größe und der ihnen zugeordneten Farbe nach ins Gleichgewicht gebracht.

Eine besondere Art gegenstandloser Gestaltung ist durch Kasimir Malevich hervorgebracht worden, der wohl der erste war, der die Abstraktion bis zur Totalität getrieben hat. Malevich gelang es, seine Bilder völlig von gegenständlichen und vergegenständlichenden Elementen zu reinigen. Er nannte seine Kunst „Suprematismus", d.h., dass es sich um eine Kunst handelte, die vollkommen ohne Vergleiche und Kompromisse auskam. Er verwendete nur ganz einfache geometrische Formen, in ganz sparsamer Weise. Er wollte so jene Empfindung mit dem Bilde hervorrufen, die sein Thema war. Jedoch war Malevich Mystiker, und die suprematistisch-abstrakte Gestaltung steht im Zusammenhang mit dem Ausdruck mystischer Eingebungen. Sein berühmtestes Bild, das „Schwarze Quadrat", zeigt nichts weiter als auf einer recht kleinen Leinwand ein vollflächig ausgemaltes schwarzes Quadrat. Schaut man genauer hin, ist es eigentlich kein Quadrat, denn es ist ungenau gezeichnet, mathematisch gesehen nur ein Rechteck, das fast quadratisch ist. Um die Idee des Bildes darzustellen, bedurfte es nicht des exakten Quadrates. Die Vorstellung „Schwarzes Quadrat", die durch die auf der Leinwand zu sehende Form hervorgerufen wird, reicht aus. Weiter konnte man in der Abstraktion kaum gehen. Er versuchte so, den Raum zu entgrenzen, so dass der Betrachter nur noch die Zeichen, die der Maler setzte, zur Orientierung hatte. Dabei hob er stark auf das Gefühl ab, das die Geometrien seiner anderen Bilder bestimmt. Die Formen werden nur durch das Gefühl belebt, so dass das Thema der Bilder gewissermaßen das Erlebnis des Betrachters vor dem Bilde ist. Das Gefühl soll aber den Maler (und damit auch den Betrachter) in unmittelbaren Kontakt mit dem Unendlichen setzen. Malevichs Kunst hat daher, wie die Mondnans auch, einen religiösen Zug. Bei Malevichs suprematistischen Kompositionen ist in der Tat keine bildliche Räumlichkeit anzutreffen. Der Betrachter steht einem farblich nicht bearbeiteten und durchgestalteten Hintergrund gegenüber, und den Bildzeichen, die ihn zur optischen und gefühlsmäßigen Anteilnahme auffordern. Anders als bei Mondrian aber, der durch das Festhalten an der Senkrechten und der Waagerechten eine bestimmte Ruhe und Bewegungsarmut in seinen Bildern hat, streben Malevichs Formen danach, als bewegt gesehen zu werden.

Die Besprechung dieser verschiedenen Modelle der Gestaltungs- und Sehweisen abstrakter Kunst weisen darauf hin, dass es möglich ist, verschiedene Grundtendenzen der abstrakten Kunst festzustellen. Eine dieser Grundentscheidungen über das Wie der abstrakten Gestaltung ist die, ob eher freie, wenig begrenzte Formen zu wählen sind oder im Gegensatz dazu, streng umrissene geometrische Formen, und wie diese im Bilde zusammengefugt werden sollen. Entscheidet der Künstler sich, wie z.B. Mondrian oder Malevich, für die geometrischen Formen, die dann auch noch nach strengen Regeln (wie bei Mondrian) zum Bild gefugt werden, dann kann man von einer konstruktivistischen Abstraktion sprechen. Die Wurzeln der konstruktivistischen Abstraktion liegen im Kubismus, dessen strenge Lehren auf viele Konstruktivisten nachhaltigen Einfluß ausgeübt haben.

Mit einem Bild von Carl Buchheister, der „Diagonalkomposition Schwarz-Rot" aus dem Jahre 1934 haben wir ein Beispiel für eine konstruktivistische Abstraktion. Das Bild versucht, mit sparsamsten Mitteln, nämlich nur einer Form und drei Farben, eine stimmige Komposition aufzubauen. Der Bildhintergrund ist weißlich, eine stark fallende Diagonale (von links oben nach rechts unten) besteht aus einem etwas breiteren roten und einem etwas schmaleren schwarzen Streifen, die sich berühren. Im oberen Drittel der fallenden Diagonale entspringt ein dicker schwarzer Diagonalbalken, der steigend nach rechts oben geht. Das Bild ist kompromißlos flächig. Die Fortsetzung der Diagonalen über den Bildrand hinaus ist denkbar. Das, was bei Mondrian unbewegt ist, wird hier bewegt. Die Bildfläche wird in andere Formen geteilt: Links unten ein Dreieck, rechts unten ein Viereck, oben ein Fünfeck. Die Komposition macht so genau bestimmte Kompositionszusammenhänge und Konstruktionsfolgen deutlich.

Die Komposition ist aber nicht nach festgelegten mathematischen Gesetzen oder Regeln ausgeführt, vielmehr ist sie spontan bestimmt, Ergebnis einer nicht vorausberechneten, sondern einer aus dem Moment kommenden Entscheidung. Im Gegensatz dazu stehen konstruktivistische Abstraktionen, die Ergebnis vorherbestimmter, mathematisch festgelegter Bedingungen sind. So z.B. Theo van Doesburgs letztes Gemälde, aus dem Jahre 1930. Es heißt „Arithmetische Komposition", und der Titel verrät schon, dass die Formen des Bildes nicht spontan gefunden sind, sondern sich auf mathematische Gesetze beziehen. In der Tat gehen die vier Quadrate in geometrischer Progression auseinander hervor: In jedem der vier Quadrate befindet sich ein schwarzes Quadrat, das um 45° gekippt ist und dessen Flächeninhalt 25% des Grundquadrats beträgt. Die Anordnung ist so gewählt, dass die Quadrate alle auf der Diagonalen der Grundquadrate liegen. Dadurch kommt eine bewegte Wirkung in das Bild. Die Farbskala ist ganz sparsam: nur weiß, grau und schwarz. Ihre Zurückhaltung unterstreicht die Strenge und Größe des Entwurfs. Die Wirkung des Bildes beruht hier ganz auf den durchmathematisierten Strukturen, die in ihrer logischen Abfolge Verhältnisse von dauernder Gültigkeit darstellen. Das Bild richtet sich so gleichzeitig an den analytischen Verstand und an das Gefühl, da die Folgen der Diagonalkomposition ästhetische Wirkungen ausüben. Der große Reiz dieses so scheinbar völlig logisch erfaßbaren Bildes liegt auch darin begründet, dass die mathematisch-rationale Komposition durch ihren ästhetischen Wert hinführt in Bereiche, die mit den Mitteln, die das Bild hervorgebracht haben, nicht mehr erfaßbar sind.

Einer anderen Ausdrucksform im Abstrakten begegnen wir in Bildern, die zeichenhafte Formen und Gebilde aufweisen, die sie auf durchaus verschiedene Weise im Bildfeld ordnen können. Ein Maler, der ähnlich wie Buchheister Farben und Formen eher gleichförmig über die ganze Bildfläche verteilt, ohne dass sich ein Schwerpunkt bildet, ist der Italiener Guiseppe Capogrossi. In seinen für ihn typischen Werken benutzt er sehr ähnliche Zeichen, die vielleicht an die Form einer gespreizten Hand, an eine Tierpfote oder eine Art von Blüte erinnern. Trotz dieses möglichen Erinnerungswertes sind diese Zeichen völlig frei von jeder echten figurativen Deutung. Im Gegensatz zu anderen Bildzeichen, wie z.B. den ägyptischen Hieroglyphen, frühen chinesischen Bildzeichen oder auch Zeichen aus prähistorischer Zeit, haben Capogrossis Bildzeichen nur bildnerisch-formalen Wert, stehen nicht ein für eine bestimmte Bedeutung. Das macht sie aber nicht weniger poetisch - im Gegenteil: Der ständige Widerspruch zwischen der Zeichenhaftigkeit und dem absoluten Fehlen einer eindeutig zuzuordnenden Bedeutung ist die Quelle poetischer Spannung, die eine Art magische Faszination hervorruft.

Die Zeichen sind recht gleichförmig, für das Bild ist daher sehr entscheidend, wie sie auf der Fläche angeordnet sind. So wie Noten auf einem Notenblatt wirken diese rätselhaften Zeichen, die in der Harmonie ihrer Anordnung von einer durch ordnenden Willen gezähmten Leidenschaft sprechen. Diese Art abstrakter Malerei hat sowohl etwas Poetisches wie auch etwas Magisches an sich. Solche und ähnliche Bilder können unter dem Begriff der magisch-poetischen Abstraktion zusammengebracht werden.

Dazu gehören auch die Bilder von Willi Baumeister, der meist Bilder malt, die ein Zentrum oder eine zentrale Figur haben, dessen Kompositionen sich nur selten gleichförmig über das ganze Bildfeld erstrecken, sondern starke Gewichtungen aufweisen.

Auch Baumeister arbeitet teilweise mit an Hieroglyphen oder an sumerische Rollsiegel erinnernden Zeichen. Die Formerfanrungen, die er an solchen Kulturzeugnissen gemacht hat, sind in seine Bildwelt eingeflossen. Baumeister arbeitete immer sehr instinktiv und hat Formen hervorgebracht, die die Kraft archaischer Zeichen haben. Die Zeichen sind wiederum rein persönlicher Ausdruck, sie stehen nicht für festgelegte Bedeutungen ein. Sie können angesprochen werden als Ergebnisse des Wachtraumes eines schöpferischen Geistes, der Formen verwendet, die ihm selbst unbekannt sind. In seinen Bildtiteln tauchen bisweilen Hinweise auf die Quellen seiner Vorstellungen und Gestaltungskraft auf: In Titeln wie „Siduri", „Marduk" und „Chamach" leben mesopotamische Götter weiter.

Bei Baumeister wird auch die malerische Behandlung des Materials besonders wichtig. Er ritzt die Farbe, trägt Sand auf, schabt, zieht mit Kämmen Furchen in den Leib der Farbe und dergleichen mehr, so dass die Bilder anmuten wie Ergebnisse eines geheimen Rituals. Aus den in ihnen verborgenen Geheimnissen ziehen sie ihre poetische Kraft.

Der abstrakte Expressionismus ist die Form der abstrakten Kunst, unter die wohl die meisten abstrakten Maler fallen, wenn man solche Zuordnungen macht. Abstrakter Expressionismus: das heißt, dass es sich um abstrakte Bilder handelt, die das Expressive, das Ausdruckhafte, das emotional stark Bewegte in den Vordergrund stellen.

Die stürmische Entwicklung der abstrakten Kunst hat viele verschiedene Wege gefunden, solche Entwürfe zu verwirklichen. Eine Art dieser Kunst ist die Action Painting oder aktionistische Malerei, die ihre Erfüllung darin findet, dass der Akt des Malens, die künstlerische Handlung stattfindet. Die daraus entstehenden Bilder sind nicht mehr der Hauptzweck, sondern mehr die Spur, das stumme Zeugnis der künstlerischen Aktion. Wichtig ist das Malen des Bildes, nicht das Bild selbst. Hier liegt ein ganz grundlegend anderer Begriff des Bildes und ein grundlegend anderer Kunstanspruch vor, unter dem die Produkte zunächst gesehen werden müssen.

Bedeutendster Vertreter einer reinen aktionistischen Malerei ist Jackson Pollock. Der Amerikaner hat in extremer Weise das Bild in der Wichtigkeit herabgesetzt. In seinen sogenannten „Drippings" hat er sogar den Akt des Malens aus der Kontrolle des Künstlers gegeben. Pollock hat große Leinwände auf den Boden gelegt und dann Blechdosen, in denen Farbe war, mit durchlöchertem Boden an einem Faden darüber hin- und herbaumeln lassen. Die Farbe tropfte auf die Leinwand und markierte die Spuren des Pendelweges. Diese Leinwände hat er dann in handliche Formate geschnitten und verkauft.

Das bedeutet, dass für ihn jedes Teil des Bildes gleich wichtig war, dass es keine ästhetischen oder gar bedeutungsmäßigen Zentren gab. Da jeder Quadratzentimeter gleich wichtig war, war es auch egal, ob die Leinwand in zwei, zwanzig oder tausend Stücke zerschnitten wurde: jedes Stück war Teil der Kunst-Aktion und damit genauso Bild wie jedes andere Teil davon. Diese Haltung hat zu dem Begriff des „All-Over" geführt, der bedeutet, dass über alles, über die ganze Fläche sich die Malerei gleichmäßig und gleich wichtig verteilt.

Andere aktionistische Maler haben das Bild und seine formalen Forderungen in Bezug auf Ausgewogenheit und Komposition anerkannt. Zu ihnen gehörte der Franzose Georges Mathieu, der oft öffentlich seine Werke schuf. Er sprang gegen die vorbereitete Leinwand und verarbeitete die Farbe direkt aus der Tube. Ihm kam es dabei besonders auf die Schnelligkeit an, mit der die malerische Handlung ausgeführt wurde. Es sollte eine Malerei des reinen Ausdrucks, des spontanen Handelns sein, unbeeinflußt vom Nachdenken. Daher die Schnelligkeit: Zeit zum Nachdenken sollte nicht bleiben.

Er verband damit durchaus Vorstellungen, wie sie z.B. David in seinem „Horatierschwur" formuliert hat. Mathieus Bilder sind oft eine besondere Art von „Historienbildern". Er hat monumentale Kompositionen gemacht, die Titel tragen wie z.B „Die Schlacht von Bowines". In denen wird ein Bild nicht der Schlacht selbst gegeben, sondern ein Bild der aufeinanderprallenden Gefühle und Ideologien, der Ansprüche und Forderungen, der kollektiven Bewegungen und politischen Zielvorstellungen.

Ohne solche historischen Ansprüche gibt es die auf Schnelligkeit und explosionsartige Gefühlsentladung abzielende Aktionskunst auch. Der deutsche Maler K. 0. Götz z.B. hat seinen Malvorgang wie folgt beschrieben (gekürzt: „Mein Malvorgang ist dreiteilig. Ich schreibe die erste Bildfaktur schnell mit flüssiger Farbe dunkel auf hellen Grund. Die entstandene dunkle Faktur auf hellem Grund wirkt beim Betrachten gemäß dem Prinzip von „Muster und Grund". Beide haben Dingcharakter und sind durch Projektion aufeinander bezogen. An dieser Stelle setzt bei mir der zweite Malakt ein. Mit einem Gummirakel, dessen Breite der Pinselbreite entspricht, wird in das noch nasse Bild hineingeschrieben. Helles überlagert nun Dunkles, Dunkles wird fortgeschleudert auf Helles. Zum dritten und letzten Malakt nehme ich einen leeren Pinsel und schreibe in das noch nasse Bild so hinein, dass Passagen entstehen zwischen dunklen und hellen Partien. Dadurch wird „oben" mit „unten" verbunden in einer Weise, dass illusionistische Effekte ad absurdum geführt werden. Die Teile sind derart aufeinander bezogen, dass sie nicht einzeln, sondern nur durch ihre Relationen zur Umgebung beschrieben werden können. Das klassische Prinzip von Muster und Grund ist auf diese Bildfaktur nicht mehr anwendbar. Kompositionsmethoden im klassischen Sinn sind für den Aufbau meiner Bilder nicht anwendbar. Ich brauche Monate oder gar Jahre um zu einem neuen Bildschema zu kommen. Meine sogenannten „Wirbelbilder" zeichnen sich dadurch aus, dass sie in 3 bis 4 Sekunden gemalt werden müssen, während zur Entwicklung dieses Typs 3 bis 4 Jahre gebraucht wurden. Zwischen den drei Malakten wird das Entstandene nicht korrigiert. Anerkennung oder Auslöschung ist die Alternative. Auf diese Weise werden manchmal 15 bis 20 Bilder gemalt und wieder zerstört, ehe die letzte, zufriedenstellende Version entsteht. Durch Schnelligkeit opfere ich einen Teil meiner Schreibkontrolle. Ausschlaggebend für das fertige Bild ist einzig und allein die abschließende Kontrolle."

Götz versucht also möglichst viel Unkontrolliertes sich im Bilde fixieren zu lassen. Dem Betrachter bleibt es, diesen explosiven Aktionen durch ihre Spur, das Bild, nachzuspuren und sie in vermittelter Weise nachzuerleben.

Expressive Abstraktion muß sich aber nicht unbedingt in aktionistischer Malerei äußern. Neben Jackson Pollock ist Willem de Kooning einer der wichtigsten Vertreter der amerikanischen avantgardistischen Kunst und hat viele andere beeinflußt. De Kooning hat in den für ihn typischen Werken zu bruchstuckhaften, frei angelegten Farbformen gefunden. Ohne unbedingt aktionistische Malerei zu sein, sind sie doch schnelle „geschriebene" Bilder, die einen Augenblick des künstlerischen Ringens um Selbstausdruck dokumentieren. Die traditionellen Absichten von Bildern, Gegenstande abzubilden, Wunschvorstellungen zu zeigen oder eine Komposition nach festen Regeln auszuführen, gelten hier nicht mehr. Vielmehr zeigt sich der Künstler als ein Virtuose, der vom Betrachter Beifall dafür erwartet, dass er sich spontan und schnell variantenreich äußern kann: Das Momentane und Intensive steht hier höher im Kurs als das ausdauernd Durchgearbeitete.

Expressive Abstraktion kann auch der Oberbegriff von Ernst Wilhelm Nays Bemühungen sein. Nay hat, mehr als andere, die Farbe und ihre Wirkungen und Eigenschaften in seine Kunst einbezogen. Er versucht, ein reines, von allem Wiedererkennen, Wissen und Denken befreites Sehen zu entfalten. Was in seinen Bildern künstlerisch durchgeformt wird, ist die Zusammenstellung und Aufeinander-Bezogenheit der Farben. Diese haben, auch außerhalb eines Bildes, für uns immer einen Gefühlswert. Durch den Zusammenklang mit der Gestaltungsweise entfaltet sich eine Wirkung des Bildes, die das Bild als Ganzes umfaßt. Es ist nicht nur der Pinselstrich oder nur die Farbe, die wirkt, sondern immer beide zusammen. Das Bild ist aber nicht nur Spur des Entstehungsaktes, sondern durchaus sein Ziel. Das Wesentliche ist hier der gleichsam musikalische Akkord der Farben, derauf den Betrachter psychische Wirkung hat und ihn mit dem Bild in Austausch treten läßt. Die Farben sind Flächenfarben, unmittelbare Gestaltwerte, die sich nicht auf andere Dinge beziehen. Sie wirken aber im Bilde und auf den Betrachter auch in räumlicherweise dadurch, dass sie in ihrem Miteinander und Gegeneinander als Voreinander und Hintereinander gesehen werden. Sie sind also Raumenergien. Alles dies bezieht sich auch auf das Bild als Ganzes und wirkt gleichzeitig. Die Bilder beanspruchen unmittelbar den Betrachter und seine ganze, ungeteilte Aufmerksamkeit. Es gibt keine außerbildlichen Dinge, die ihn vom Pfad des sinnlichen Erlebens abbringen können.

Mit solcher Malerei wird der Übergang zur „chromatischen" Malerei angezeigt, d.h. abstrakte Kunst, deren Hauptthema die Farbe ist. Mit Josef Albers und seiner riesigen Bilderserie „Hommage an das Quadrat" ist dafür ein grundlegendes Beispiel vorhanden. Die Bilder gleichen sich sehr - ineinandergeschachtelte aber nicht konzentrische Quadrate, jeweils von anderer Farbe. Albers hat so in einer riesenhaften Versuchsserie die Farben und ihre Einwirkungen aufeinander untersucht. Aber es geht dabei auch um Probleme des Sehens und des Sichtbaren in vereinfachten geometrischen Bildordnungen. Die einfache, sich wiederholende Bildform stellt die sich wandelnden Teile, nämlich die Farben, immer unter die gleichen Bedingungen - anders als das bei Nay der Fall ist, wo jedes Bild eine neue Besonderheit im Ganzen darstellt. Unter diesen gleichen Ausgangsbedingungen kann dann zu scharf umrissenen Aussagen über Wesen und Wirkung der Farbe Einigkeit erzielt werden. Diese Aussagen haben dann aber einen scharf umrissenen Geltungsbereich - sie lassen sich nur schwer verallgemeinern.

Hier fällt auch die Form des Bildes (als Quadrat) mit der „Figur" im Bild zusammen. Bildleib und Bildfigur ergeben sich auseinander nach Maßgabe geometrischer Verhältnisse. Sie sind miteinander identisch, nicht voneinander trennbar. Bewegte sich bei Nay eine rundliche Formenwelt innerhalb eines rechteckigen Rahmens und machte so auf den Unterschied zwischen Bild und Bildleib aufmerksam, so ist hier das genaue Gegenteil der Fall, da Bild und Bildfigur nicht trennbar sind.

Mit diesen Beispielen ist, ohne das Vollständigkeit erreicht werden konnte, eine erste Orientierung gegeben, wie man sich abstrakter Malerei nähern kann. So, wie es in der gegenständlichen Malerei durchaus darauf ankommt, das Wie, die Mittel der Kunst zu erfassen, so ist es auch in der abstrakten Kunst. Der gewichtigste Unterschied ist der, dass man sich noch stärker, noch voraussetzungsloser, noch vorurteilsfreier auf das Bild selbst einlassen muß, da das Wie der Kunst, oder ein Teilaspekt davon, Hauptthema des Bildes geworden ist.

Lesen Sie in den weiterfolgenden Texten über den Werdegang und das Schaffen von den modernen deutschen Malern.