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Sotheby's der galante Bilderjäger

Die teuerste Gemäldegalerie. Der weltweite Umsatz im Kunstmarkt liegt bei mehr als 30 Milliarden Dollar.

Der Tag erfordert ein Ritual: Gegen 13 Uhr wird Chefauktionator Tobias Meyer eine leichte Suppe essen und sich - obwohl er Nichtraucher ist - eine Zigarette anzünden. Nach einem Mittagsschlaf wird er duschen und dann im Bademantel auf dem Sofa sitzend Tee trinken. Später wird er das Hemd zuknöpfen und die zierlichen Lapislazuli-Stäbchen durch die Knopflöcher der gestärkten weißen Manschetten fädeln. Er wird seine Uhr, eine Rolex Oyster Perpetual Air-King, ums Handgelenk legen, die Fliege binden und den Smoking anziehen. Um 17 Uhr fährt er in die 1334 York Avenue in Manhattan, in sein Büro zu Sotheby's.

Wenn am 15. Mai die Frühjahrsauktion für zeitgenössische Kunst in New York beginnt, richten sich im großen Versteigerungssaal mindestens 1000 Augenpaare auf Tobias Meyer. Auf dem 44-jährigen Auktionator Tasten die Erwartungen und Befürchtungen der gesamten Kunstwelt. Meyer - ein gebürtiger Hesse - ist an diesem Abend der Mann, der Sammlern, Investoren, Galeristen und Kunstliebhabern ein schmerzhaft-ehrfürchtiges Raunen entlocken wird, wenn er in einer elegant zelebrierten Show Preisrekorde bricht - wieder einmal, denn der Star-Auktionator versteigert Bilder, mit denen man ein Syndikat für den America's Cup finanzieren könnte.

„Eine gute Auktion funktioniert wie eine Oper", sagt Meyer, unter dessen Regie die Preise für sowieso schon teure Werke raketenartig in den Himmel schießen. „Die Vorstellung braucht exzellente Darsteller und eine spannende Dramaturgie. "Für die kommende Auktion sind die Rollen klar besetzt: 72 Gemälde plus drei Stars: Mark Rothko, taxiert auf 40 Millionen Dollar, Francis Bacon, taxiert auf 30 Millionen Dollar, sowie Tobias Meyer - für das renommierte Auktionshaus derzeit wohl unbezahlbar.

Meyer, seit 1997 weltweiter Direktor für zeitgenössische Kunst bei Sotheby's in New York und seit 2004 Chefauktionator, ist ein schlanker Mann mit braun gelocktem, aus der Stirn gekämmtem Haar. Sein schmales Gesicht begrenzen weiche Koteletten. Unter der geraden Nase schwingt keck die Oberlippe. Beim Sprechen neigt er den Kopf leicht zur Schulter. Wenn er einen Satz betonen möchte, variiert er nicht Lautstärke oder Tempo, sondern legt die hohe Stirn in Falten und drückt das Kinn gen Brustkorb. Dann sieht es aus, als wollten Meyers quellwasserblaue Augen den Zuhörer mit seinem konzentrierten Blick einfangen.

Der deutsche Kunstexperte genießt weltweit ein Ansehen, für das ihn Freunde bewundern und Feinde respektieren. „Er hat ein sehr gutes Auge und starkes ästhetisches Empfinden", sagt der New Yorker Galerist David Zwirner. Ursula Niggemann, Vizepräsidentin von Sotheby's Deutschland, schätzt Meyers „Breitbandwissen von der Antike bis heute" sowie seine „tadellosen Umgangsformen". „Er ist sehr präzise, ausgeglichen, niemals arrogant und besitzt unglaublich starke Nerven", lobt die Leiterin des Kölner Büros. Als Auktionator zeige Meyer eine „erstaunliche Intuition" für die Stimmung im Saal. Er spüre genau, ob das Rennen unter den Bietern bereits beendet sei oder ob er ihnen nur eine Atempause gönnen müsse.

„Ladies and Gentlemen, fifty-one, fifty-two, fifty-three, fifty-four ..." Wie an der Zapfsäule die getankten Liter über den Zähler rasseln, so ratterten zweistellige Millionenbeträge aus Meyers Mund, als er 2004 das Picasso-Bild „Junge mit Pfeife" versteigerte. Bei einem Preis von 72 Millionen Dollar verstummten die Bieter. Im Saal breitete sich eine schwere Stille aus. Der Auktionator stand am Pult und wartete. „I am happy to wait (Ich warte gern)", sagte er mit leiser, schnurrender Stimme. Als Meyer diesen Satz ausgesprochen hatte, entlud sich die Anspannung der Zuschauer in Gelächter. Der lustvolle Wagemut der Sammler loderte noch einmal auf - seventy-three, seventy-four, seventy-five. 104,16 Millionen Dollar bezahlte schließlich ein anonymer Käufer für den Picasso.

Einen wahren Coup hatte das Auktionshaus gelandet, den weltweit fast jede Zeitung vermeldete: Die 100-Millionen-Dollar-Grenze war durchbrochen worden. Meyer hatte das teuerste Gemälde versteigert, das jemals in einer Auktion verkauft worden war.

„Ich fühle mich, als hätte ich in der Lotterie gewonnen", sagt der Deutsche, der in einem von solider Bürgerlichkeit geprägten Elternhaus aufwuchs und heute mit seinem Lebensgefährten Mark Fletcher, Experte für moderne Kunst, im Time Warner Center am Columbus Circle wohnt. Der Vater, promovierter Chemiker und Vorstand eines Unternehmens, gab dem Filius einige Regeln mit auf den Weg: Mache dein Abitur und lerne Englisch. Halte dich von Religionen fern. Betreibe eine soziale Sportart. Wähle einen Beruf, der auch dein Hobby ist. Und lerne, so viel du kannst, denn was du im Kopf hast, kann dir keiner nehmen.

Der Jugendliche folgte den väterlichen Ratschlägen. Er lernte in den Sommerferien Englisch, absolvierte nach dem Abitur ein Ausbildungsprogramm bei Christie's in London und studierte Kunstgeschichte in Wien. Er spielt Tennis und glaubt an „gewisse Dinge, ohne religiös gebunden zu sein".

Es ist ein sonniger, windiger Morgen in New York. Mit der Grandezza eines Balletttänzers eilt Meyer durch die Eingangshalle in der York Avenue. Er balanciert einen Pappbecher mit Kaffee. Der Gang ist aufrecht, das Kinn erhoben, die Bewegungen fließen weich. Der Körper scheint von einem gleichförmigen, unsichtbaren Fluss getragen, der den Mann zwei Zentimeter über dem Steinboden schweben lässt.

„Als Jugendlicher war ich ein Außenseiter, ich hatte kaum Freunde", erzählt Meyer. Während Gleichaltrige Fußball spielten, studierte er Bücher über Meißner Porzellan, französische Möbel und die Malerei der Alten Meister. „Ich habe ein extrem aufgestautes Wissen mit mir herumgetragen." Seine spätere Mitstudentin und heutige Kollegin Katharina Prinzessin zu Sayn-Wittgenstein erinnert sich: „Tobias hatte sich mit aller Passion der Kunst verschrieben."

Mit seiner Bildung und einem Auftreten, das ältere Damen als galant und Teenager als cool bezeichnen würden, beeindruckte das junge Talent Experten und gewann sie als seine Förderer. Die englische Galeristin Maria LeBrock zum Beispiel, in deren Haus Meyer als Austauschschüler wohnte, nahm ihn mit zu seiner ersten Auktion. Der Teenager ersteigerte in London für 15 Pfund Silberlöffel.

Später, als er in Wien studierte, arbeitete Meyer bei einem polnischstämmigen Antiquitätenhändler namens Bednarczyk. Dieser „ein sehr gebildeter und auffallend eleganter Mann" - schickte den 21-Jährigen allein nach London, um bei Auktionen einzukaufen.

1989, nach Abschluss des Studiums, arbeitete Meyer für Christie's in London. Er begann dort, wo fast alle Karrieren beginnen. „Ich saß tagelang im Keller und katalogisierte zweitklassige Werke", erinnert er sich. Lucy Mitchell-Innes jener Zeit Direktorin für zeitgenössische Kunst beim Konkurrenten Sotheby's, entdeckte das Talent und warb es ab. „In meinem Leben hatte ich immer Glück, im richtigen Moment phantastische Mentoren zu finden", sagt Meyer.

Heute braucht der einflussreiche Kunstkenner vor allem die richtigen Kontakte – zu Sammlern, die große Werke verkaufen, sowie zu jenen Alt-, Neu- und Superreichen, die dafür Millionen ausgeben, weil sie ein Investment suchen, ihren Status aufpolieren oder ihre Leidenschaft befriedigen wollen. „Die Motivation, warum jemand kauft, ist doch völlig egal", sagt Meyer. „Ich arbeite mit Kunst und erlebe die Freude der Menschen. Was gibt's denn Schöneres?

„Bilder jagen" - so nennt Meyer den Job, Werke zu akquirieren, die derart einzigartig sind, dass sie die Dramaturgie von Auktionen bestimmen. Mark Rothkos „White Center" (1950), das nächste Woche in New York versteigert wird, erfüllt alle Kriterien eines echten Stars. Es ist das Meisterwerk eines bedeutenden Malers, für das Sotheby's einen Schwindel erregend hohen Einstiegspreis angesetzt hat.

Das Gemälde stammt aus der Sammlung von David Rockefeller. Vor wenigen Monaten bat der 91-jährige amerikanische Milliardär den Deutschen, seine Kollektion zu sichten. „Als ich den Rothko auf 40 Millionen Dollar geschätzt habe, war Rockefeller schockiert", erzählt Meyer. „So eine Summe hatte er nicht erwartet." Meyers nervenstarker Schachzug, diesen Preis zu garantieren („Risiko gehört zum Geschäft"), hat den alten Bankier wohl überwältigt. Rockefeller gab das Bild - „eines der Lieblingsbilder meiner Frau Peggy" - in die Auktion. Ein großer Moment für einen Bilderjäger.

Angst, dass ihn der Erfolg irgendwann verlassen könnte? „Ich mag den Wettbewerb und werde immer mit Kunst arbeiten", antwortet Meyer. Diese Leidenschaft und sein – wie Freunde, Kollegen und Konkurrenten unisono versichern - „unglaublich beeindruckendes Wissen" kann ihm keiner nehmen. Das weiß Tobias Meyer, denn das hat er schon als kleiner Bub vom Vater gelernt.

Katrin Sachse