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Die drei Haltungen zur modernen Kunst

»Wenn Sie mir bitte in den nächsten Raum folgen wollen? Hier entlang. Ja, setzen Sie sich ruhig nach hinten und ruhen Sie sich ein wenig aus. Sie werden jetzt einen kurzen Film zu sehen bekommen. Er wird Ihnen die drei idealtypischen Haltungen gegenüber der modernen Kunst, von denen ich gesprochen habe, vorführen. Ich meine die Kennerschaft der modernen Kunst, die Ablehnung der modernen Kunst und die Haltung des Idioten, der meint, mit der Haltung gegenüber der traditionellen Kunst auch die moderne verstehen zu können. Der Film heißt >Kunst< und beruht auf einem Stück von Yasmina Reza (Ausschnitt aus:Yasmina Reza, Kunst, Komödie, Libelle Verlag, Lengwil 1996, S. 42-44). Er handelt von den drei Freunden Serge, Marc und Yvan, und von einem Bild mit dem Titel Weiße Streifen auf weißer Fläche von dem Maler Andrios. Das Bild ist also vollständig weiß. Nichts als eine weiße Fläche.«

Auf dem Bildschirm schleppten zwei Männer ein großes weißes Bild in ein Zimmer und hängten es auf.

»Wir sehen hier Serge und Yvan. Und der dritte Mann, der jetzt hereinkommt und sich setzt, ist Marc. Serge hat sich für 200.000 Francs dieses Bild gekauft. Das löst im Verhältnis der drei Freunde eine Krise aus. Dabei ist Marc der Vertreter der klassischen Bildung, der für die Moderne nur Verachtung übrig hat, und Yvan, der sich hier gerade in die Betrachtung des Bildes versenkt, gibt vor, die Moderne zu verstehen, indem er auf sie mit dem Gestus der alten Kunstreligion reagiert. Ich werde jetzt mal den Ton anschalten, und wir werden uns einen kurzen Dialog anhören.«

YVAN (auf den Antrios zeigend): Wo willst du es hinhängen?

SERGE Ich weiß noch nicht.

YVAN Warum hängst du es nicht dorthin?

SERGE Weil es dort vom Tageslicht erdrückt wird.

YVAN Ach ja. Ich habe heute an dich gedacht, wir haben im Geschäft 500 Plakate gedruckt von einem Kerl, der weiße, völlig weiße Blumen auf weißem Untergrund malt.

SERGE Der Antrios ist nicht weiß.

YVAN Nein, natürlich nicht. Ich sag ja auch nur.

MARC Findest du, daß dieses Bild nicht weiß ist, Yvan?

YVAN Nicht ganz, nein...

MARC Ach so. Und was für eine Farbe siehst du...?

YVAN Ich sehe Farben... ich sehe Gelb, Grau, Linien, die etwas ockerfarben sind...

MARC Sprechen dich diese Farben an?

YVAN Ja..., diese Farben sprechen mich an.

MARC Yvan, du hast eben keinen Charakter. Du bist ein hybrider, schwacher Mensch.

SERGE Warum bist du so aggressiv zu Yvan?

MARC Weil er ein kleiner serviler Speichellecker ist, der sich vom Zaster täuschen läßt, der sich täuschen läßt von dem, was er für Kultur hält, eine Kultur, die ich übrigens ein für allemal verabscheue.

Kurzes Schweigen.

SERGE Was ist denn in dich gefahren?

MARC (zu Yvan) Wie kannst du, Yvan...? In meiner Gegenwart, in meiner Gegenwart, Yvan?

YVAN Was in deiner Gegenwart? ...was in deiner Gegenwart? Diese Farben sprechen mich an. Ja! Ob es dir paßt oder nicht. Und hör auf, alles bestimmen zu wollen.

MARC Wie kannst du in meiner Gegenwart sagen, daß diese Farben dich ansprechen?

YVAN Weil es die Wahrheit ist.

MARC Die Wahrheit? Diese Farben sprechen dich an?

YVAN Ja, diese Farben sprechen mich an.

MARC Diese Farben sprechen dich an, Yvan?!

SERGE Diese Farben sprechen ihn an. Das ist sein gutes Recht.

MARC Nein, dazu hat er kein Recht.

SERGE Wieso hat er dazu kein Recht?

MARC Dazu hat er kein Recht.

YVAN Dazu habe ich kein Recht?!...

MARC Nein!

SERGE Wieso hat er dazu kein Recht? Du weißt, daß es dir im Augenblick nicht gut geht. Du solltest einen Arzt aufsuchen.

MARC Er hat deshalb nicht das Recht zu sagen, die Farben würden ihn ansprechen, weil es falsch ist.

YVAN Diese Farben sprechen mich nicht an?

MARC Es gibt keine Farben. Du siehst sie nicht. Und sie sprechen dich auch nicht an.

YVAN Das mag für dich zutreffen!

MARC Was für eine Erniedrigung, Yvan...!

SERGE Aber wer bist du denn, Marc?! ... Wer bist du, daß du dein Gesetz aufzwingen willst? Ein Mensch, der nichts mag, der alle Welt verachtet, der seine Ehre dareinsetzt, kein Mensch seiner Zeit zu sein...

»Wir brauchen uns nicht den ganzen Film anzusehen«, unterbrach unser Führer, »aber ich möchte Ihnen noch das Ende zeigen und lasse die Kassette vorlaufen. Sie wollen wissen, wie es weitergeht? Nun. Im weiteren Verlauf beleidigt Marc dann das Bild, worauf Serge Marcs Freundin Paula beleidigt. Serge beschuldigt Marc, ihn durch die Beziehung zu Paula verraten zu haben, worauf Marc Serge anklagt, ihn durch die Beziehung zu dem Bild verraten zu haben. Es kommt zu einer Prügelei zwischen beiden, und als Yvan dazwischengeht, um zu schlichten, trifft ihn ein Schlag, der sein Trommelfell sprengt. Schließlich beweist Serge, daß ihm an der Freundschaft mit Marc mehr liegt als an dem Bild, indem er das Bild durch einen schwarzen Filzstift verunstaltet. Die letzte Szene zeigt Marc, wie er die Entstellung wieder abwischt - der Filzstift war abwaschbar, doch Marc wußte nicht, daß Serge das wußte -, aber dieser Trick ermöglicht es Marc, das Bild zu verstehen. Er sieht nun etwas und sagt es am Ende des Stückes. Warten Sie, hier ist die Szene:«

MARC Unter den weißen Wolken fällt der Schnee. Man sieht weder die weißen Wolken, noch den Schnee, weder die Kälte, noch den weißen Glanz des Bodens. Ein einzelner Mann gleitet auf Skiern dahin, der Schnee fällt, fällt, bis der Mann verschwindet und seine Undurchsichtigkeit wiederfindet. Mein Freund Serge, der seit langem mein Freund ist, hat ein Bild gekauft. Es ist ein Gemälde von etwa 1,60 m auf 1,20 m, es stellt einen Mann dar, der einen Raum durchquert und dann verschwindet.

Der Film endete damit, daß Marc in einen weißen Hintergrund verschwand, der mit dem Bild langsam verschmolz. Unser Cicerone schaltete den Recorder ab.

»Nun, was glauben Sie, wer ist dieser Mann, der da verschwindet? Na, sehe ich immer die gleichen Hände oben?« (Dabei hatte sich gar niemand gemeldet.) »Richtig, es ist Marc selbst, der Banause, der von moderner Kunst nichts versteht: Er durchquert den Raum dieses Stückes wie bei einer Bildungsreise und verschwindet, indem er sich in jemand anderen verwandelt: einen Kenner der modernen Kunst. Heißt er nicht Marc, also Markierung, Grenze, Linie? Und heißt nicht das Bild >Weiße Streifen auf weißer Fläche«? Und bedeutet nicht die Paradoxie der Selbstbezüglichkeit, daß die Grenze zwischen Subjekt und Objekt verschwindet, wie der weiße Streifen auf einer weißen Fläche verschwindet, die er markiert?

Nun, mit dieser Vorführung sind wir ans Ende unseres Meta-Museums gekommen und fahren wieder zurück in das traditionelle Museum der traditionellen Kunst. Ah, ich sehe, Sie sind erleichtert. Wir nehmen wieder den Fahrstuhl abwärts. Aber wir haben noch eine Überraschung für Sie. Wenn Sie mir bitte folgen wollen?«