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Max Beckmann DerTrotz gegen Gott

Der erste, von dem wir es wissen, aus der Ferne der mythologischen Erzählung, war Narziß. Er sah sein Spiegelbild im Wasser und verlor sich darin. Die, die es ihm nachmachten und deren Spiegelbilder wir auch nach ihrem Tod noch anschauen können, sind die Künstler, die Maler. Sie schauten in den Spiegel, aber nicht, um sich zu verlieren, sondern um sich zu suchen, zu finden. Mal selbstverliebt, mal selbstzerstörerisch, mal selbstbewußt. Die Geschichte des Selbstbildnisses in der europäischen Malerei ist eine Geschichte des Selbstbewußtseins. Es gibt keine Selbstbildnisse von Giotlo oder Rogier van der Weyden oder Hieronymus Bosch. Bis ins späte Mittelalter treten uns die Maler, wenn überhaupt, dann meist nur in sogenannten Assistenzbildern entgegen, reihen sich fromm ein in eine Pilgerschar oder schauen vorwitzig um die Ecke. Und erst Albrecht Dürer war es, der, die freiwillig unfreiwillige Bescheidenheit hinter sich lassend, aus der Anonymität hervortrat, sich selber ins Antlitz schaute und sich gleichzeitig der Well vorstellte. Und das mehrfach. Das berühmteste Selbstbildnis, halb Ratsherr und halb Messias, im teuren Pelzrock und mit langen Locken, zeigt den vom eigenen Sendungsbewußtsein durchdrungenen Künstler im Alter von 28 Jahren. Auf einer späten Zeichnung dann, sie entstand sechs Jahre vor Dürers Tod, die Selbstdarstellung als „Ecce Homo", als Leidender in der Nachfolge Christi.

Das, was Dürer begonnen hatte. Selbstdarstellung und Selbstbefragung, hat sich später bei Rembrandt zu einem Werk im Werk ausgewachsen. Es ist eine Biographie in Bildern, die mit einem wilden jungen Lockenkopf beginnt, in stolzen Portraits bürgerlich künstlerischen Selbstbewußtseins kulminiert und mit den Grimassen eines heruntergekommenen Alten endet.

Max Beckmann, der so viele Selbstportraits hinterlassen hat wie kein anderer Künstler der Moderne, demonstriert in seinem Werk nicht zufällig sowohl das Selbstbewußtsein des jungen Dürer wie auch die Selbstverhöhnung des alten Rembrandt. Beide Maler gehörten für ihn zum künstlerischen Erbgut. Aber Max Beckmann ist außerdem naturlich immer und unverkennbar er selber. Er trägt viele Masken und Kostüme. Aber sie dienen nie der Verstellung, sondern immer der Charakterisierung. Max Beckmann demonstriert Selbstbe wußtsein, auch noch in der Darstellung der eigenen Fragwürdigkeit oder im Schmerz. Aber er ist nie kokett. Herr Beckmann mit dem kahlen, großen Schädel, manchmal sitzt ein schwarzer Hut darauf. Kaum jemals ohne die glimmende Zigarette. Ein Stadtmensch. Die Selbstbildnisse Beckmanns sind das Äquivalent zu den Briefen und vor allem den Tagebüchern, die in ihrer wortkargen Dramatik eines der bewegendsten Künstlerdokumente des 20. Jahrhunderts sind.

Es ist schwer, die Selbstdarslellungen von Max Beckmann zu zählen. Denn es gibt nicht nur die rund 35 Bilder und zahllosen graphischen Arbeiten, auf denen er zu erkennen ist und sich meist auch beim Namen nennt. Viele Male isl er auch Teil einer Gruppe, verkleidet und doch erkennbar.

Ein kleines, aber wichtiges Kapitel sind die Doppelbildnisse, die Beckmann von sich und Minna Tube, seiner ersten Frau, und Mathilde Kaulbach, seiner zweiten Frau, gemalt hat. Zwei aneinandergelehnte und doch voneinander getrennte, melancholisch blickende Menschen sehen wir in dem jungen Ehepaar von 1909, eine Attitüde, die in ihrer verträumten Verlorenheit an Manets „Wintergarten" erinnert. Im Doppelbildnis mit Quappi, genau dreißig Jahre später in der holländischen Emigration entstanden, steht Beckmann zwar da als „der große Maxe", als der er sich seiner kleinen Quappi einmal in frühen Briefen empfohlen hat. Aber in der Art, wie sich hier die beiden Figuren überlappen und eins werden, wird auch jener andere Satz sichtbar, mit dem Beckmann 1925 Mathilde Kaulbach für einen Brief dankte: „ ... es war mir wieder, als ob Du mich mit Deiner Schulter gestützt hättest."

Der junge Herr Beckmann in Florenz, 1907, das erste wirklich repräsentative Portrait, ein stolzer Anfang. Das Selbstbildnis zeigt den Künstler, 23 Jahre alt, bei voll stilisiertem Selbstbewußtsein. Nicht mit den Attributen des Künstlers und schon gar nicht im verkleckerten Malerhabit stellt Beckmann, Stipendiat der Villa Romana, sich hier vor, sondern als junger Mann von Welt. Der Maler als Herr, das hatte er bei Liebermann gesehen, aber bei ihm war es eine Geste nüchterner Zurückhaltung. Der junge Herr Beckmann hingegen steht im schwarzen Anzug vor dem Atelierfenster, hat den rechten Arm auf das Fenstersims aufgestützt, die Zigarette klemmt lässig zwischen zwei Fingern, und aus dieser Position der Sicherheit fixiert er sein Gegenüber, prüfend und bestimmt. Seit einem Jahr ist er , verheiratet, man lebt in Hermsdorf bei Berlin, 1908 wird der Sohn Peter geboren.

Als Reinhard Piper, der frühe Sammler von Beckmann und Verleger vieler Originalgraphiken, den Künstler 1912 um ersten Mal in Hermsdorf besuchte, war er beeindruckt von dem, was er sah: „Beckmann trat mir als großer, blonder, breitschultriger Mann entgegen mit mächtigem Schädel und mächtigem Kinn. Sein Atelier war so geräumig und hell, daß man fast den Eindruck haben konnte, im Freien zu sein ... Da stand er, umgeben von seinen großen Bildern. Es waren offensichtlich Malereien eines vom Mysterium des Lebens tief Ergriffenen."

„Überall das Mysterium der Leiche", schreibt Beckmann im Jahr 1915 an seine Frau. Er hat sich freiwillig zum Sanitätsdienst gemeldet, ist erst in Ostpreußen, danach in Flandern stationiert, kommt dann an die Front. „Es hat ein wildes, fast böses Lustgefühl, so mitten zwischen Tod und Leben zu stehen", fährt er fort und beschreibt dann das, was er in kleinen Zeichnungen und Skizzen festhält: „In Schlangenlinien wanden sich die Schützengräben, aus dunklen Höhlen sahen weiße Köpfe heraus - manche bauten noch an den Stellungen und überall mittendrin Gräber. An ihren Sitzen, an ihren Höhlen, ja zwischen den Sandsäcken steckten Kreuze. Eingequetschte Leichen."

Beckmann ist nicht der einzige junge Künstler, der damals zunächst vom Krieg fasziniert ist. Für ihn, dessen früheste Bilder den Untergang der Titanic und das Erdbeben von Messina zeigen, ist die menschliche Tragödie der Stoff der Malerei. „Ich habe eine solche Passion für die Malerei!" schreibt er. „Immer arbeite ich an der Form. Im Zeichnen und im Kopf und im Schlaf. Manchmal denke ich, ich muß verrückt werden, so ermüdet und quält mich diese schmerzliche Wollust. Alles versinkt, Zeit und Raum, und ich denke immer, wie malst du den Kopf des Auferstandenen gegen die roten Gestirne am Himmel des Jüngsten Tages."

Aber der Krieg holte Beckmann ein. Er erlitt einen psychischen Zusammenbruch und mußte aus dem Militärdienst entlassen werden. Das „Selbstbildnis als Krankenpfleger", 1915 nach der Heimkehr entstanden, zeigt einen Verwundeten, auch wenn er keine Bandagen trägt. Auf dem Selbstbildnis mit Sektglas" von 1919 weist Beckmann, obwohl wieder in der geliebten Großstadtatmosphäre zwischen Bar und Bahnhof, mit den graugrünen, fahlen Farben und den Torsionen des Körpers nicht zufällig zurück auf die deutsche Malerei der Spätgotik. Im selben Jahr, 1919, entsteht der Radierzyklus „Die Hölle", zehn Schreckensszenen einer heillosen Nachkriegszeit, die Hölle auf Erden. Zu Reinhard Piper sagt er: „Meine Religion ist Hochmut vor Gott, Trotz gegen Gott. Trotz, daß er uns so geschaffen hat, daß wir uns nicht lieben können. Ich werfe in meinen Bildern Gott alles vor, was er falsch gemacht hat."

Als Clown stellt Beckmann sich auf dem Titelblatt zur „Hölle" vor. Als Ausrufer mit der Schelle in der Hand vor dem „Circus Beckmann" zeigt er sich auf dem ersten Blatt der Radierfolge „Jahrmarkt". Und als Narr hat er sich ausstaffiert auf dem Selbstbildnis von 1921: mit gezacktem Kragen. Pritsche, Trompete und Maske. Der Mensch mit wechselnden Masken, im großen Welttheater mal auf der Bühne und mal davor: Das ist für Beckmann keine Floskel, keine Metapher, sondern das Sinnbild des Lebens, das er seit der Kriegserfahrung und bis ans Lebensende neu variiert. Allein vier von seinen neun vollendeten Triptychen, dem Hauptwerk von Max Beckmann, handeln von diesem Thema: „Akrobaten". „Schauspieler", „Karneval". „Blindekuh".

Max Beckmann ist nach der Entlassung aus dem Kriegsdienst zu den Freunden Ugo und Fridel Battenberg nach Frankfurt gezogen. Langsam erholt er sich von den Kriegsfolgen. Und für den Maler, der an seine Erfolge aus der Berliner Zeit anknüpfen kann, beginnt eine gute Zeit. Neben Bildern, auf denen sich der Schrecken der Erinnerung und das Grauen der Gegenwart ineinander verkanten, malt er helle, vitale Stadtlandschaften und Szenen, heiter bewegte Stilleben von einer malerischen Schönheit, die den Eindruck erwecken, Beckmann sei mit der Welt versöhnt. Ist er auch. Er hat die junge Mathilde Kaulbach, eine Tochter des Münchner Malers, kennengelernt, und sehr schnell ist klar, daß „Quappi", wie er sie nennt, keine Wahl hat - außer ihm, Max Beckmann.

In Briefen von erratischer Zärtlichkeit deklariert er sein Eigentum: „Ich zweifel nun nicht mehr. Du bist wirklich endlich mein Mensch. Auf den ich immer gewartet habe. Es ist zweifellos ein Wunder. Aber es ist nicht zu ändern." Das Paradies, das der verliebte „Tigretto" (so unterzeichnet Beckmann gelegentlich seine Briefe) seiner Quappi schildert, ist von besonderer Art: „Ich träume nun einmal davon, daß Du ganz und absolut in mich hineinwachsen sollst. Daß ich Dich wirklich und im wahrsten Sinne des Wortes ganz auffressen will... Ich will, daß unsere Seelen allein bleiben ... Findest Du's nicht auch schön, daß wir so herrlich isolirt werden, dadurch, daß wir uns haben. Ich bin zu Hause in Deiner Seele und du in meiner ... Ich will endlich allein sein. Allein durch Dich. Allein mit Dir."

Das Paradies der Einsamkeit. Aber natürlich auch das Welttheater: „Ein komisches, tragisches, buntes, feuriges, wildes, auch manchmal böses, manchmal aber auch herrliches Teater habe ich bestellt. Wir selber sind Zuschauer und Akteur und Aktrice in einer Person. Voila kleine Quappi - das Spiel kann beginnen."

Im Jahr 1925 wird Max Beckmann zum Professor an der Frankfurter Städelschule ernannt. Das „Selbstbildnis im Smoking" von 1927 zeigt ihn, im Rückgriff auf das genau zwanzig Jahre früher entstandene Portrait aus Florenz, wiederum als selbstbewußten Herrn. Aber alles, was in dem Jugendbildnis noch spielerische Attitüde war, ist jetzt eingelöster Anspruch. Das Bild, kühl und herausfordernd zugleich, zeigt einen Mann, dessen Selbstbewußtsein sich nicht nur in Kleidung und Körpersprache artikuliert, sondern auch den Raum bis hinein in die Verteilung von Licht und Schatten zu beherrschen scheint. Alles stimmt an diesem Bild, an dieser Existenz. Der leichte Hüftknik, der durch die eingestützte Hand betont wird, suggeriert Gelassenheit; im Schatten, der das Gesicht von der Stirn über die Augenpartie bis hinunter zum Kinn modelliert, breitet sich Entschlossenheit aus; der ohne jedes Spiel von Licht und Schatten gnadenlos schwarze Smoking ist nicht Verkleidung oder Kostümierung, sondern Ausweis eines gesellschaftlichen Status. Mit Smoking oder Frack aber paßt der Künstler sich nicht den Usancen der Gesellschaft an, sondern gründet einen Staat im Staate, demonstriert seine elegante Beherrschung des Metaphysischen". Von „Macht und Einfluß auf der Basis der Selbstverantwortung" spricht Beckmann in seinem Aufsatz „Der Künstler im Staat", der 1927, also im selben Jahr entstanden ist wie das „Selbstbildnis im Smoking", und von der „Autonomie im Verhältnis zur Unendlichkeit". Aus dieser Autonomie erklärt sich auch die Rolle des Künstlers, der „im neuen Sinn der eigentliche Schöpfer der Welt ist, die vor ihm nicht existierte".

Max Beckmann, der Souverän. Er steht in diesen hektisch-euphoristischen Jahren, die alte Gewißheiten zerbrochen und neue nicht zu haben sind, nicht allein da mit seinem hochfahrenden Heilsplan für die Kunst und das Leben. Viel Schrilles wurde geschrieben, Konzepte neuer Ordnungen oder Unordnungen entworfen. Aber im Unterschied zum Beispiel zu dem friedlich anarchischen Träumer Kurt Schwitters, der sich in seinen ,.Merz"-Phantasiebau zurückzog, oder zu Malewitsch, dem Rhapsoden der Utopie einer gegenstandslosen Welt, stand Beckmann fest mit beiden Beinen im Erfolg. „Wir sind auch die nächste Generation und alle Kommenden ... bewußte Besitzer der Unendlichkeit - frei von Zeit und Raum“, so endet der Aufsatz.

Die Berliner Nationalgalerie kaufte das „Selbstbildnis im Smoking“ 1928. Heute hängt es im Busch-Reisinger-Museum in Cambridge, Massachusetts. Hitlers Vertreibung der Kunst aus Deutschland hat die Museen rund um die Welt bereichert. Max Beckmann, der 1933 nach seiner Entlassung von der Städelschule zunächst wieder nach Berlin übergesiedelt war, emigrierte 1937, am Tag nach der Eröffnung der Ausstellung „Entartete Kunst“, nach Amsterdam, ging 1948 nach Amerika, kam nie wieder nach Deutschland zurück. Das „Selbstbildnis mit Horn“, ein Jahr nach Beckmanns Emigration entstanden, zeigt den Gegenpart zum Herrn im Smocking einen Mann im schwarz-rot gestreiften Morgenmantel, er scheint in sich hineinzuhorchen, der Blick ist wachsam, die rechte Hand verharrt in einer Geste des Aufgeschrecktseins, die linke hält das silbrig glänzende Instrument. Ein Mensch zwischen allen Welten.

„Fürchte, daß mein Lebensabenteuer doch noch einen reißend bergab Verlauf nehmen wird... Bildverkäufe werden langsam immer weniger und kleiner - Geld schwindet dahin ... langsam werde ich vom Rennpferd zum Droschkengaul degradiert - na wenn schon." Beckmann schreibt das am 14. November 1948 in sein Tagebuch, fügt noch hinzu „Selbst-portrait 1948 fertig gemacht". Es ist das Portrait mit den blauen Handschuhen, ein in seiner nackten Direktheit den Betrachter fast physisch bedrängendes Bild. In einer Situation psychischer Bedrückung und materieller Ungewißheit, in Wochen und Monaten, wo Müdigkeit, Depremiertheit und „Brustweh" ständig erwähnt werden, stellt Beckmann sich dar als hemdsärmeligen, kraftstrotzenden Kerl. Nur der Blick, der die Schärte der Herausforderung von fruher verloren hat, gibt eine gegenläufige Auskunft.

Am 27. Dezember 1950 brach Max Beckmann in New York an der Ecke der 61 th Street und Central Park tot zusammen. Er war auf dem Weg zum Metropolitain Museum, wo sein letztes Portrait, das „Selbstbildnis mit blauer Jacke", in der Ausstellung „American Painting Today " ausgestellt war. Die letzte Konfrontation mit sich selbst. Na ja, hätte er vielleicht gesagt. Und er ist mit sich, wie Uwe Schneede im Katalog der Hamburger Ausstellung der Selbstbildnisse anmerkt, wahrlich nicht sanfter umgegangen als mit dem Rest der Welt. Im Gegenteil. Aber er rückte nie von dem ab, was er 1940 im Tagebuch notiert hat: „Ich habe mich mein ganzes Leben bemüht, eine Art Selbst zu werden. Und davor werde ich nicht abgehen und sollte ich in aller Ewigkeit in Flammen braten. Auch ich habe ein Recht."

Im Blick in den Spiegel vor der Leinwand hat Beckmann dieses Recht auf sein Selbst verteidigt, jedesmal wieder neu, ein Leben lang.