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буд 5 часть нем.doc
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Im stillen. Eingesargte Hoffnungen regen sich, stehen auf und werden

enttäuscht. Der alte Kaufmann Kurz in der Bäckergrube, der bei jeder

Wahl drei oder vier Stimmen erhält, wird wiederum am Wahltage bebend in

seiner Wohnung sitzen und des Rufes harren; aber er wird auch diesmal

nicht gewählt werden, er wird fortfahren, mit einer Miene voll

Biedersinn und Selbstzufriedenheit, das Trottoir mit seinem Spazierstock

zu stoßen, und er wird sich mit diesem heimlichen Grame ins Grab legen,

nicht Senator geworden zu sein ...

Als James Möllendorpfs Tod am Donnerstage beim Buddenbrookschen

Familienmittagessen besprochen worden war, hatte Frau Permaneder nach

einigen Ausdrücken des Bedauerns begonnen, ihre Zungenspitze an der

Oberlippe spielen zu lassen und verschlagen zu ihrem Bruder

hinüberzublicken, was die Damen Buddenbrook veranlaßt hatte,

unbeschreiblich spitzige Blicke zu tauschen und dann sämtlich, wie auf

Kommando, während einer Sekunde Augen und Lippen ganz fest zu schließen.

Der Konsul hatte einen Moment das listige Lächeln seiner Schwester

erwidert und dann dem Gespräche eine andere Richtung gegeben. Er wußte,

daß man in der Stadt den Gedanken aussprach, den Tony glückselig in sich

bewegte ...

Namen wurden genannt und verworfen. Andere tauchten auf und wurden

gesichtet. Henning Kurz in der Bäckergrube war zu alt. Eine frische

Kraft war endlich vonnöten. Konsul Huneus, der Holzhändler, dessen

Millionen übrigens nicht leicht ins Gewicht gefallen wären, war

Verfassungsmäßig ausgeschlossen, weil sein Bruder dem Senate angehörte.

Konsul Eduard Kistenmaker, der Weinhändler, und Konsul Hermann

Hagenström behaupteten sich auf der Liste. Von Anfang an aber klang

beständig dieser Name mit: Thomas Buddenbrook. Und je mehr der Wahltag

sich näherte, desto klarer ward es, daß er zusammen mit Hermann

Hagenström die meisten Chancen besaß.

Kein Zweifel, Hermann Hagenström hatte Anhänger und Bewunderer. Sein

Eifer in öffentlichen Angelegenheiten, die frappierende Schnelligkeit,

mit der die Firma Strunck & Hagenström emporgeblüht war und sich

entfaltet hatte, des Konsuls luxuriöse Lebensführung, das Haus, das er

führte, und die Gänseleberpastete, die er frühstückte, verfehlten nicht,

Ihren Eindruck zu machen. Dieser große, ein wenig zu fette Mann mit

seinem rötlichen, kurzgehaltenen Vollbart und seiner ein wenig zu platt

auf der Oberlippe liegenden Nase, dieser Mann, dessen Großvater noch

niemand und er selbst nicht gekannt hatte, dessen Vater infolge seiner

reichen, aber zweifelhaften Heirat gesellschaftlich noch beinahe

unmöglich gewesen war und der dennoch, verschwägert sowohl mit den

Huneus als mit den Möllendorpfs, seinen Namen denjenigen der fünf oder

sechs herrschenden Familien angereiht und gleichgestellt hatte, war

unleugbar eine merkwürdige und respektable Erscheinung in der Stadt. Das

Neuartige und damit Reizvolle seiner Persönlichkeit, das, was ihn

auszeichnete und ihm in den Augen vieler eine führende Stellung gab, war

der liberale und tolerante Grundzug seines Wesens. Die legere und

großzügige Art, mit der er Geld verdiente und verausgabte, war etwas

anderes als die zähe, geduldige und von streng überlieferten Prinzipien

geleitete Arbeit seiner kaufmännischen Mitbürger. Dieser Mann stand frei

von den hemmenden Fesseln der Tradition und der Pietät auf seinen

eigenen Füßen, und alles Altmodische war ihm fremd. Er bewohnte keines

der alten, mit unsinniger Raumverschwendung gebauten Patrizierhäuser, um

deren ungeheure Steindielen sich weißlackierte Galerien zogen. Sein Haus

in der Sandstraße -- der südlichen Verlängerung der Breiten Straße --,

mit schlichter Ölfassade, praktisch ausgebeuteten Raumverhältnissen und

reicher, eleganter, bequemer Einrichtung, war neu und jedes steifen

Stiles bar. Übrigens hatte er in dieses sein Haus noch vor kurzem,

gelegentlich einer seiner größeren Abendgesellschaften, eine ans

Stadttheater engagierte Sängerin geladen, hatte sie nach Tische vor

seinen Gästen, unter denen sich auch sein kunstliebender und

schöngeistiger Bruder, der Rechtsgelehrte, befand, singen lassen und die

Dame aufs glänzendste honoriert. Er war nicht der Mann, in der

Bürgerschaft die Bewilligung größerer Geldsummen zur Restaurierung und

Erhaltung der mittelalterlichen Denkmäler zu befürworten. Daß er aber

der erste, absolut in der ganzen Stadt der erste gewesen war, der seine

Wohnräume und seine Kontors mit Gas beleuchtet hatte, war Tatsache.

Gewiß, wenn Konsul Hagenström irgendeiner Tradition lebte, so war es die

von seinem Vater, dem alten Hinrich Hagenström, übernommene

unbeschränkte, fortgeschrittene, duldsame und vorurteilsfreie

Denkungsart, und hierauf gründete sich die Bewunderung, die er genoß.

Das Prestige Thomas Buddenbrooks war anderer Art. Er war nicht nur er

selbst; man ehrte in ihm noch die unvergessenen Persönlichkeiten seines

Vaters, Großvaters und Urgroßvaters, und abgesehen von seinen eigenen

geschäftlichen und öffentlichen Erfolgen war er der Träger eines

hundertjährigen Bürgerruhmes. Die leichte, geschmackvolle und bezwingend

liebenswürdige Art freilich, in der er ihn repräsentierte und

verwertete, war wohl das Wichtigste; und was ihn auszeichnete, war ein

selbst unter seinen gelehrten Mitbürgern ganz ungewöhnlicher Grad

formaler Bildung, der, wo er sich äußerte, ebensoviel Befremdung wie

Respekt erregte ...

Donnerstags, bei Buddenbrooks, war von der bevorstehenden Wahl in

Gegenwart des Konsuls meist nur in Form von kurzen und fast

gleichgültigen Bemerkungen die Rede, bei denen die alte Konsulin diskret

ihre hellen Augen beiseiteschweifen ließ. Hie und da aber konnte Frau

Permaneder sich trotzdem nicht entbrechen, ein wenig mit ihrer

erstaunlichen Kenntnis der Staatsverfassung zu prunken, deren Satzungen

sie, soweit sie die Wahl eines Senatsmitgliedes betrafen, ebenso

eingehend studiert hatte wie vor Jahr und Tag die Scheidungsparagraphen.

Sie sprach dann von Wahlkammern, Wahlbürgern und Stimmzetteln, erwog

alle denkbaren Eventualitäten, zitierte wörtlich und ohne Anstoß den

feierlichen Eid, der von den Wählern zu leisten ist, erzählte von der

»freimütigen Besprechung«, die verfassungsmäßig von den einzelnen

Wahlkammern über alle diejenigen vorgenommen wird, deren Namen auf der

Kandidatenliste stehen, und gab dem lebhaften Wunsche Ausdruck, an der

»freimütigen Besprechung« der Persönlichkeit Hermann Hagenströms

teilnehmen zu dürfen. Einen Augenblick später beugte sie sich vor und

begann, die Pflaumenkerne auf dem Kompotteller ihres Bruders zu zählen:

»Edelmann -- Bedelmann -- Doktor -- Pastor -- -- Ratsherr!« sagte sie

und schnellte mit ihrer Messerspitze den fehlenden Kern auf den kleinen

Teller hinüber ... Nach Tische aber, unfähig, an sich zu halten, zog sie

den Konsul am Arme beiseite, in eine Fensternische.

»O Gott, Tom! wenn du es wirst ... wenn unser Wappen in die Kriegsstube

im Rathause kommt ... ich sterbe vor Freude! ich falle um und bin tot,

du sollst sehen!«

»So, liebe Tony! Nun etwas mehr Haltung und Würde, wenn ich dich bitten

darf! Das pflegt dir doch sonst nicht abzugehen? Gehe ich umher wie

Henning Kurz? Wir sind auch ohne `Senator´ was ... Und du wirst

hoffentlich am Leben bleiben, im einen wie im anderen Falle.«

Und die Agitation, die Beratungen, die Kämpfe der Meinungen nahmen ihren

Fortgang. Konsul Peter Döhlmann, der Suitier, mit seinem gänzlich

verkommenen Geschäft, das nur noch dem Namen nach existierte, und seiner

27jährigen Tochter, deren Erbe er verfrühstückte, beteiligte sich daran,

indem er bei einem Diner, das Thomas Buddenbrook gab, und bei einem

ebensolchen, das Hermann Hagenström veranstaltete, jedesmal den

betreffenden Wirt mit schallender und lärmender Stimme »Herr Senator«

nannte. Siegismund Gosch aber, der alte Makler Gosch, ging umher wie ein

brüllender Löwe und machte sich anheischig, ohne Umschweife jeden zu

erdrosseln, der nicht gewillt sei, für Konsul Buddenbrook zu stimmen.

»Konsul Buddenbrook, meine Herren ... ha! welch ein Mann! Ich habe an

der Seite seines Vaters gestanden, als er _anno_ 48 mit einem Worte die

Wut des entfesselten Pöbels zähmte ... Gäbe es eine Gerechtigkeit auf

Erden, so hätte schon sein Vater, schon der Vater seines Vaters dem

Senate angehören müssen ...«

Im Grunde jedoch war es nicht sowohl Konsul Buddenbrook selbst, dessen

Persönlichkeit das Innere des Herrn Gosch in Flammen setzte, als

vielmehr die junge Frau Konsulin, geborene Arnoldsen. Nicht als ob der

Makler jemals ein Wort mit ihr gewechselt hätte. Er gehörte nicht zu dem

Kreise der reichen Kaufleute, speiste nicht an ihren Tafeln und tauschte

nicht Visiten mit ihnen. Aber, wie schon erwähnt, Gerda Buddenbrook war

nicht sobald in der Stadt erschienen, als der immer sehnsüchtig nach

Außerordentlichem schweifende Blick des finsteren Maklers sie auch schon

erspäht hatte. Mit sicherem Instinkte hatte er alsbald erkannt, daß

diese Erscheinung geeignet sei, seinem unbefriedigten Dasein ein wenig

mehr Inhalt zu verleihen, und mit Leib und Seele hatte er sich ihr, die

ihn kaum dem Namen nach kannte, als Sklave ergeben. Seitdem umkreiste er

in Gedanken diese nervöse und aufs äußerste reservierte Dame, der

niemand ihn vorstellte, wie der Tiger den Bändiger: mit demselben

verbissenen Mienenspiel, derselben tückisch-demütigen Haltung, in der er

auf der Straße, ohne daß sie das erwartet hätte, seinen Jesuitenhut vor

ihr zog ... Diese Welt der Mittelmäßigkeit bot ihm keine Möglichkeit,

für diese Frau eine Tat von gräßlicher Ruchlosigkeit zu begehen, welche

er, bucklig, düster und kalt in seinen Mantel gehüllt, mit teuflischem

Gleichmut verantwortet haben würde! Ihre langweiligen Gewohnheiten

gestatteten ihm nicht, diese Frau durch Mord, Verbrechen und blutige

Listen auf einen Kaiserthron zu erhöhen. Nichts ließ sie ihm übrig, als

im Rathause für die Wahl ihres ingrimmig verehrten Gatten zu stimmen und

ihr, vielleicht, dereinst, die Übersetzung von Lope de Vegas sämtlichen

Dramen zu widmen.

Viertes Kapitel

Jede im Senate erledigte Stelle muß binnen vier Wochen wieder besetzt

werden; so will es die Verfassung. Drei Wochen sind seit James

Möllendorpfs Hintritt verflossen, und nun ist der Wahltag herangekommen,

ein Tauwettertag am Ende des Februar.

In der Breiten Straße, vor dem Rathause mit seiner durchbrochenen

Glasurziegelfassade, seinen spitzen Türmen und Türmchen, die gegen den

grauweißlichen Himmel stehen, seinem auf vorgeschobenen Säulen ruhenden

gedeckten Treppenaufgang, seinen spitzen Arkaden, die den Durchblick auf

den Marktplatz und seinen Brunnen gewähren ... vorm Rathause drängen

sich mittags um 1 Uhr die Leute. Sie stehen unentwegt in dem

schmutzig-wässerigen Schnee der Straße, der unter ihren Füßen vollends

zergeht, sehen sich an, sehen wieder geradeaus und recken die Hälse.

Denn dort, hinter jenem Portale, im Ratssaale, mit seinen vierzehn im

Halbkreise stehenden Armsesseln, erwartet noch zu dieser Stunde die aus

Mitgliedern des Senates und der Bürgerschaft bestehende Wahlversammlung

die Vorschläge der Wahlkammern ...

Die Sache hat sich in die Länge gezogen. Es scheint, daß die Debatten in

den Kammern sich nicht beruhigen wollen, daß der Kampf hart ist, und

daß, bis jetzt, der Versammlung im Ratssaale keineswegs ein und dieselbe

Person vorgeschlagen wurde, denn sie würde vom Bürgermeister sofort als

gewählt erklärt werden ... Sonderbar! Niemand begreift, woher sie

kommen, wo und wie sie entstehen, aber Gerüchte dringen aus dem Portale

auf die Straße heraus und verbreiten sich. Steht dort drinnen Herr

Kaspersen, der ältere der beiden Ratsdiener, der sich selbst nie anders

als »Staatsbeamter« nennt, und dirigiert, was er erfährt, mit

geschlossenen Zähnen und abgewandten Augen durch einen Mundwinkel nach

draußen? Jetzt heißt es, daß die Vorschläge im Sitzungssaale eingelaufen

sind, und daß von jeder der drei Kammern ein anderer vorgeschlagen

wurde: Hagenström, Buddenbrook, Kistenmaker! Gott gebe, daß nun

wenigstens die allgemeine Wahl durch geheime Abstimmung mittels

Stimmzettel eine unbedingte Stimmenmehrheit ergibt! Wer nicht warme

Überschuhe trägt, fängt an, die Beine zu heben und zu stampfen, denn die

Füße schmerzen vor Kälte.

Es sind Leute aus allen Volksklassen, die hier stehen und warten. Man

sieht Seeleute mit bloßem, tätowiertem Halse, die Hände in den weiten,

niedrigen Hosentaschen, Kornträger mit ihren Blusen und Kniehosen aus

schwarzem Glanzleinen und ihrem unvergleichlich biederen

Gesichtsausdruck; Fuhrleute, die von ihren zu Hauf geschichteten

Getreidesäcken geklettert sind, um, die Peitsche in der Hand, des

Wahlergebnisses zu harren; Dienstmädchen mit Halstuch, Schürze und

dickem, gestreiftem Rock, die kleine, weiße Mütze auf dem Hinterkopf und

den großen Henkelkorb am nackten Arme; Fisch- und Gemüsefrauen mit ihren

Strohschuten; sogar ein paar hübsche Gärtnermädchen mit holländischen

Hauben, kurzen Röcken und langen, faltigen, weißen Ärmeln, die aus dem

buntgestickten Mieder hervorquellen ... Dazwischen Bürger, Ladenbesitzer

aus der Nähe, die ohne Hut herausgetreten sind und ihre Meinungen

tauschen, junge, gutgekleidete Kaufleute, Söhne, die im Kontor ihres

Vaters oder eines seiner Freunde ihre drei- oder vierjährige Lehrzeit

erledigen, Schuljungen mit Ränzeln und Bücherpaketen ...

Hinter zwei tabakkauenden Arbeitsleuten mit harten Schifferbärten steht

eine Dame, die in großer Erregung den Kopf hin und her wendet, um

zwischen den Schultern der beiden vierschrötigen Kerle hindurch auf das

Rathaus sehen zu können. Sie trägt eine Art von langem, mit braunem Pelz

besetzten Abendmantel, den sie von innen mit beiden Händen zusammenhält,

und ihr Gesicht ist gänzlich von einem dichten, braunen Schleier

verhüllt. Ihre Gummischuhe trippeln rastlos in dem Schneewasser

umher ...

»Bi Gott, hei ward dat wedder nich, din Herr Kurz«, sagt der eine

Arbeitsmann zum andern.

»Nee, du Döhsbartel, dat brukst mi nich mehr tau vertellen. Sei stimmen

nu je all öwer Hagenström, Kistenmaker un Buddenbrook af.«

»Je, un nu is dat de Frag', wekker von de dre die annern öwer is.«

»Je, dat seg du man noch mal.«

»Weitst wat? Ick glöw, sei wählen Hagenström.«

»Je, du Klaukscheeter ... Red' du un de Düwel.«

Dann speit er seinen Tabak vor sich nieder, denn das Gedränge erlaubt

ihm nicht, ihn im Bogen von sich zu geben, zieht mit beiden Händen die

Hosen höher unter den Leibriemen hinauf und fährt fort: »Hagenström,

dat's so'n Freßsack, un krigt nich mal Luft durch die Näs, so fett is

hei all ... Nee, wo min Herr Kurz dat nu wedder nich warden daut, nu bün

ick vör Buddenbrook. Dat's 'n fixen Kierl ...«

»Je, dat segst du wull; öäwer Hagenström is all veel rieker ...«

»Doar kömmp es nich auf an. Dat steiht nich in Frag'.«

»Un denn is Buddenbrook ook ümmer so höllschen fien mit sin Manschetten

un sin sieden Krawatt un sin pielen Snurrboart ... Hest em gehen seihn?

Hei huppt ümmer so'n beeten as 'n Vagel ...«

»Je, du Dömelklaas, doarvon is nich de Red'.«

»Hei het je woll 'ne Swester, die von twe Männern wedder aff kamen is?«

... Die Dame im Abendmantel erbebt ...

»Je, dat's so'n' Saak. Öäwer doar weiten wi nix von, un denn kann der

Kunsel doar ook nix för.«

Nein, nicht wahr?! denkt die Dame im Schleier, indem sie ihre Hände

unterm Mantel zusammenpreßt ... Nicht wahr? Oh, Gott sei Dank!

»Un denn«, fügt der Mann hinzu, der zu Buddenbrook hält, »un denn hat

ook Bürgermeester Överdieck Gevadder bi sinen Söhn standen; dat will wat

bedüden, will 'k di man vertellen ...«

Nicht wahr? denkt die Dame. Ja, Gott sei Dank, es hat gewirkt!... Sie

zuckt zusammen. Ein neues Gerücht ist herausgedrungen, läuft im

Zick-Zack nach hinten und gelangt zu ihr. Die allgemeine Wahl hat keine

Entscheidung gebracht. Eduard Kistenmaker, der die wenigsten Stimmen

erhalten, ist ausrangiert worden. Der Kampf zwischen Hagenström und

Buddenbrook dauert fort. Ein Bürger bemerkt mit gewichtiger Miene, daß,

wenn sich Stimmengleichheit ergibt, es nötig sein wird, fünf »Obmänner«

zu erwählen, die nach Stimmenmehrheit zu entscheiden haben ...

Plötzlich ruft ganz vorn am Portal eine Stimme: »Heine Seehas is wählt!«

Und dabei ist Seehase ein immer und ewig betrunkener Mensch, der

Dampfbrot auf einem Handwagen herumfährt! Alles lacht und stellt sich

auf die Zehenspitzen, um sich den Witzbold anzusehen. Auch die Dame im

Schleier wird von einem nervösen Lachen ergriffen, das einen Augenblick

ihre Schultern erschüttert. Dann jedoch, mit einer Bewegung, die

ausdrückt: Ist dies die Stunde, Späße zu machen?... nimmt sie sich

ungeduldig zusammen und lugt wieder leidenschaftlich zwischen den beiden

Arbeitsmännern hindurch zum Rathaus hinüber. Aber in demselben

Augenblick läßt sie die Hände sinken, daß ihr Abendmantel sich vorne

öffnet, und steht da, mit hinabgefallenen Schultern, erschlafft,

vernichtet ...

=Hagenström!= -- Die Nachricht ist da, niemand weiß woher. Sie ist da,

wie aus dem Erdboden hervorgekommen oder vom Himmel gefallen und ist

überall zugleich. Es gibt keinen Widerspruch. Es ist entschieden.

Hagenström! -- Ja, ja, er ist es nun also. Da ist nichts mehr zu

erwarten. Die Dame im Schleier hätte es vorher wissen können. So geht es

immer im Leben. Man kann nun ganz einfach nach Hause gehen. Sie fühlt,

wie das Weinen in ihr aufsteigt ...

Und kaum hat dieser Zustand eine Sekunde lang gedauert, als ein

plötzlicher Stoß, eine ruckartige Bewegung durch die ganze

Menschenansammlung geht, ein Schub, der sich von vorn nach hinten

fortsetzt und die Vorderen gegen ihre Hintermänner lehnt, während zu

gleicher Zeit dort hinten im Portale etwas Hellrotes aufblitzt ... Die

roten Röcke der beiden Ratsdiener, Kaspersen und Uhlefeldt, welche in

Gala, mit Dreispitz, weißen Reithosen, gelben Stulpen und

Galanteriedegen, Seite an Seite erscheinen und durch die zurückweichende

Menge hindurch ihren Weg gehen.

Sie gehen wie das Schicksal: ernst, stumm, verschlossen, ohne nach

rechts oder links zu sehen, mit gesenkten Augen ... und schlagen mit

unerbittlicher Entschiedenheit die Richtung ein, die ihnen das Ergebnis

der Wahl, von dem sie unterrichtet sind, gewiesen hat. Und es ist

=nicht= die Richtung der Sandstraße, sondern sie gehen nach rechts die

Breite Straße hinunter!

Die Dame im Schleier traut ihren Augen nicht. Aber rings um sie her

sieht man es gleich ihr. Die Leute schieben sich in eben derselben

Richtung den Ratsdienern nach, sie sagen einander: »Nee, nee,

Buddenbrook! nich Hagenström!« ... und schon kommen in angeregten

Gesprächen allerlei Herren aus dem Portale, biegen um und gehen

geschwinden Schrittes die Breite Straße hinunter, um die ersten bei der

Gratulation zu sein.

Da nimmt die Dame ihren Abendmantel zusammen und läuft davon. Sie läuft,

wie eine Dame sonst eigentlich nicht läuft. Ihr Schleier verschiebt sich

und läßt ihr erhitztes Gesicht sehen; aber das ist gleichgültig. Und

obgleich einer ihrer pelzbesetzten Überschuhe in dem wässerigen Schnee

beständig ausschlappt und sie in der boshaftesten Weise behindert,

überholt sie alle Welt. Sie erreicht zuerst das Eckhaus an der

Bäckergrube, sie schellt am Windfang Feuer und Mordio, sie ruft dem

öffnenden Mädchen zu: »Sie kommen, Kathrin, sie kommen!« sie nimmt die

Treppe, stürmt droben ins Wohnzimmer, woselbst ihr Bruder, der

wahrhaftig ein bißchen bleich ist, die Zeitung beiseite legt und ihr

eine etwas abwehrende Handbewegung entgegen macht ... sie umarmt ihn

und wiederholt: »Sie kommen, Tom, sie kommen! Du bist es, und Hermann

Hagenström ist durchgefallen!«

* * * * *

Das war ein Freitag. Schon am folgenden Tage stand Senator Buddenbrook

im Ratssaale vor dem Stuhle des verstorbenen James Möllendorpf, und in

Gegenwart der versammelten Väter sowie des Bürgerausschusses leistete er

diesen Eid: »Ich will meinem Amte gewissenhaft vorstehen, das Wohl des

Staates nach allen meinen Kräften erstreben, die Verfassung desselben

getreu befolgen, das öffentliche Gut redlich verwalten und bei meiner

Amtsführung, namentlich auch bei allen Wahlen, weder auf eigenen Vorteil

noch auf Verwandtschaft oder Freundschaft Rücksicht nehmen. Ich will die

Gesetze des Staates handhaben und Gerechtigkeit üben gegen jeden, er sei

reich oder arm. Ich will auch verschwiegen sein in allem, was

Verschwiegenheit erfordert, besonders aber will ich geheimhalten, was

geheimzuhalten mir geboten wird. So wahr mir Gott helfe!«

Fünftes Kapitel

Unsere Wünsche und Unternehmungen gehen aus gewissen Bedürfnissen

unserer Nerven hervor, die mit Worten schwer zu bestimmen sind. Das, was

man Thomas Buddenbrooks »Eitelkeit« nannte, die Sorgfalt, die er seinem

Äußeren zuwandte, der Luxus, den er mit seiner Toilette trieb, war in

Wirklichkeit etwas gründlich anderes. Es war ursprünglich um nichts

mehr, als das Bestreben eines Menschen der Aktion, sich vom Kopf bis zur

Zehe stets jener Korrektheit und Intaktheit bewußt zu sein, die Haltung

gibt. Die Anforderungen aber wuchsen, die er selbst und die Leute an

seine Begabung und seine Kräfte stellten. Er war mit privaten und

öffentlichen Pflichten überhäuft. Bei der »Ratssetzung«, der Verteilung

der Ämter an die Mitglieder des Senates, war ihm als Hauptressort das

Steuerwesen zugefallen. Aber auch Eisenbahn-, Zoll- und andere

staatliche Geschäfte nahmen ihn in Anspruch, und in tausend Sitzungen

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