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буд 5 часть нем.doc
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Vernunft besprochen und zum Guten gewandt ...

Es war nicht dies allein. Auch das Leben, das Christian außerhalb des

Hauses, und zwar meistens gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Doktor Gieseke,

seinem Schulkameraden, führte, verfolgte der Konsul mit Widerwillen. Er

war kein Mucker und Spielverderber. Er erinnerte sich wohl seiner

eigenen Jugendsünden. Er wußte wohl, daß seine Vaterstadt, diese Hafen-

und Handelsstadt, in der die geschäftlich hochachtbaren Bürger mit so

unvergleichlich ehrenfester Miene das Trottoir mit ihren Spazierstöcken

stießen, keineswegs die Heimstätte makelloser Moralität sei. Man

entschädigte sich hier für seine auf dem Kontorbock seßhaft verbrachten

Tage nicht nur mit schweren Weinen und schweren Gerichten ... Aber ein

dicker Mantel von biederer Solidität bedeckte diese Entschädigungen, und

wenn es Konsul Buddenbrooks erstes Gesetz war, »die Dehors zu wahren«,

so zeigte er sich in dieser Beziehung durchdrungen von der

Weltanschauung seiner Mitbürger. Der Rechtsanwalt Gieseke gehörte zu den

»Gelehrten«, die sich der Daseinsform der »Kaufleute« behaglich

anpaßten, und zu den notorischen »Suitiers«, was ihm übrigens jedermann

ansehen konnte. Aber wie die übrigen behäbigen Lebemänner verstand er

es, die richtige Miene dazu zu machen, Ärgernis zu vermeiden und seinen

politischen und beruflichen Grundsätzen den Ruf unanfechtbarer Solidität

zu wahren. Seine Verlobung mit einem Fräulein Huneus war soeben publik

geworden. Er erheiratete also einen Platz in der ersten Gesellschaft und

eine bedeutende Mitgift. Er war mit stark unterstrichenem Interesse in

städtischen Angelegenheiten tätig, und man sagte sich, daß er sein

Augenmerk auf einen Sitz im Rathause und zuletzt wohl auf den Sessel des

alten Bürgermeisters Doktor Överdieck gerichtet halte.

Christian Buddenbrook aber, sein Freund, derselbe, der einst

entschlossenen Schrittes zu Mademoiselle Meyer-de la Grange gegangen

war, ihr sein Blumenbukett gegeben und zu ihr gesagt hatte: »O Fräulein,

wie schön haben Sie gespielt!« -- Christian hatte sich infolge seines

Charakters und seiner langen Wanderjahre zu einem Suitier von viel zu

naiver und unbekümmerter Art entwickelt und war in Herzenssachen so

wenig wie im übrigen geneigt, seinen Empfindungen Zwang anzutun,

Diskretion zu üben, die Würde zu wahren. Über sein Verhältnis zu einer

Statistin vom Sommertheater zum Beispiel amüsierte sich die ganze Stadt,

und Frau Stuht aus der Glockengießerstraße, dieselbe, die in den ersten

Kreisen verkehrte, erzählte es jeder Dame, die es hören wollte, daß

»Krischan« wieder einmal mit der vom »Tivoli« auf offener, hellichter

Straße gesehen worden sei.

Auch das nahm man nicht übel ... Man war von einer zu biderben Skepsis,

um ernstlich moralische Entrüstung an den Tag zu legen. Christian

Buddenbrook und etwa Konsul Peter Döhlmann, den sein gänzlich

darniederliegendes Geschäft veranlaßte, in ähnlich harmloser Weise zu

Werke zu gehen, waren als Amüseurs beliebt und in Herrengesellschaft

geradezu unentbehrlich. Aber sie waren eben nicht ernst zu nehmen; sie

zählten in ernsthaften Angelegenheiten nicht mit; es war bezeichnend,

daß in der ganzen Stadt, im Klub, an der Börse, am Hafen, nur ihre

Vornamen genannt wurden: »Krischan« und »Peter«, und Übelwollenden, wie

den Hagenströms, stand es frei, nicht über Krischans Geschichten und

Späße, sondern über Krischan selbst zu lachen.

Er dachte daran nicht oder ging, seiner Art gemäß, nach einem Augenblick

seltsam unruhigen Nachdenkens darüber hinweg. Sein Bruder, der Konsul,

aber wußte es; er wußte, daß Christian den Widersachern der Familie

einen Angriffspunkt bot, und ... es waren der Angriffspunkte bereits zu

viele. Die Verwandtschaft mit den Överdiecks war weitläufig und würde

nach dem Tode des Bürgermeisters ganz wertlos sein. Die Krögers spielten

gar keine Rolle mehr, lebten zurückgezogen und hatten arge Geschichten

mit ihrem Sohne ... Des seligen Onkel Gotthold Mißheirat blieb etwas

Unangenehmes ... Des Konsuls Schwester war eine geschiedene Frau, wenn

man auch die Hoffnung auf ihre Wiedervermählung nicht fahren zu lassen

brauchte -- und sein Bruder sollte ein lächerlicher Mensch sein, durch

dessen Clownerien sich tätige Herren mit wohlwollendem oder höhnischem

Lachen die Mußestunden ausfüllen ließen, der zu alledem Schulden machte

und am Ende des Quartals, wenn er kein Geld mehr hatte, sich ganz

offenkundig von Doktor Gieseke freihalten ließ ... eine unmittelbare

Blamage der Firma.

Die gehässige Verachtung, die Thomas auf seinem Bruder ruhen ließ und

die dieser mit einer nachdenklichen Indifferenz ertrug, äußerte sich in

all den feinen Kleinlichkeiten, wie sie nur zwischen Familiengliedern,

die aufeinander angewiesen sind, zutage treten. Kam zum Beispiel das

Gespräch auf die Geschichte der Buddenbrooks, so konnte Christian in die

Stimmung geraten, die ihm allerdings nicht sehr gut zu Gesichte stand,

mit Ernst, Liebe und Bewunderung von seiner Vaterstadt und seinen

Vorfahren zu reden. Alsbald beendete der Konsul mit einer kalten

Bemerkung das Gespräch. Er ertrug das nicht. Er verachtete seinen Bruder

so sehr, daß er ihm nicht gestattete, dort zu lieben, wo er selbst

liebte. Er hätte es viel lieber gehört, wenn Christian im Dialekte

Marcellus Stengels davon gesprochen hätte. Er hatte ein Buch gelesen,

irgendein historisches Werk, das starken Eindruck auf ihn gemacht und

das er mit bewegten Worten rühmte. Christian, ein unselbständiger Kopf,

der das Buch allein gar nicht ausfindig gemacht haben würde, aber

eindrucksfähig und jeder Beeinflussung zugänglich, las es, in dieser

Weise vorbereitet und empfänglich gemacht, nun gleichfalls, fand es ganz

herrlich, gab seinen Empfindungen möglichst genauen Ausdruck ... und

fortan war das Buch für Thomas erledigt. Er sprach mit Gleichgültigkeit

und Kälte davon. Er tat, als habe er es kaum gelesen. Er überließ seinem

Bruder, es allein zu bewundern ...

Drittes Kapitel

Konsul Buddenbrook kehrte aus der »Harmonie«, dem Lesezirkel für Herren,

in dem er nach dem zweiten Frühstück eine Stunde verbracht hatte, in die

Mengstraße zurück. Er durchschritt das Grundstück von hinten, kam rasch

zur Seite des Gartens über den gepflasterten Gang, der, zwischen

bewachsenen Mauern hinlaufend, den hinteren Hof mit dem vorderen

verband, ging über die Diele und rief in die Küche hinein, ob sein

Bruder zu Hause sei; man solle ihn benachrichtigen, wenn er käme. Dann

schritt er durch das Kontor, wo die Leute an den Pulten bei seinem

Erscheinen sich tiefer über die Rechnungen beugten, in sein

Privatbureau, legte Hut und Stock beiseite, zog den Arbeitsrock an und

begab sich an seinen Fensterplatz, Herrn Marcus gegenüber. Zwei Falten

standen zwischen seinen auffallend hellen Brauen. Das gelbe Mundstück

einer aufgerauchten russischen Zigarette wanderte unruhig von einem

Mundwinkel in den anderen. Die Bewegungen, mit denen er Papier und

Schreibzeug zur Hand nahm, waren so kurz und schroff, daß Herr Marcus

sich mit zwei Fingern bedächtig den Schnurrbart strich und einen ganz

langsamen, prüfenden Blick zu seinem Sozius gleiten ließ, während die

jungen Leute sich mit erhobenen Augenbrauen ansahen. Der Chef war im

Zorn.

Nach Verlauf einer halben Stunde, während der man nichts als das Kratzen

der Federn und das bedächtige Räuspern des Herrn Marcus vernommen hatte,

blickte der Konsul über den grünen Fenstervorsatz hinweg und sah

Christian die Straße daherkommen. Er rauchte. Er kam aus dem Klub, wo er

gefrühstückt und ein kleines Jeu gemacht hatte. Er trug den Hut ein

wenig schief in der Stirn und schwenkte seinen gelben Stock, der »von

drüben« stammte und dessen Knopf die in Ebenholz geschnitzte Büste einer

Nonne darstellte. Ersichtlich war er bei guter Gesundheit und bester

Laune. Irgendeinen _song_ vor sich hinsummend, kam er ins Kontor, sagte

»Morgen, meine Herren!«, wiewohl es ein heller Frühlingsnachmittag war,

und schritt auf seinen Platz zu, um »mal eben ein bißchen zu arbeiten«.

Aber der Konsul erhob sich, und im Vorübergehen sagte er, ohne ihn

anzublicken: »Ach ... auf zwei Worte, mein Lieber.«

Christian folgte ihm. Sie gingen ziemlich rasch über die Diele. Thomas

hatte die Hände auf den Rücken gelegt, und unwillkürlich tat Christian

dasselbe, wobei er dem Bruder seine große Nase zuwandte, die oberhalb

des englisch über den Mund hängenden rotblonden Schnurrbartes scharf,

knochig und gebogen zwischen den hohlen Wangen hervortrat. Während sie

über den Hof gingen, sagte Thomas: »Du mußt mich mal ein paar Schritte

durch den Garten begleiten, mein Freund.«

»Schön«, antwortete Christian. Und dann folgte wieder ein längeres

Schweigen, während sie, links herum, auf dem äußeren Wege, an der

Rokokofassade des »Portals« vorbei, den Garten umschritten, der die

ersten Knospen trieb. Schließlich sagte der Konsul nach einem schnellen

Aufatmen mit lauter Stimme: »Ich habe eben schweren Ärger gehabt, und

zwar infolge deines Betragens.«

»Meines ...«

»Ja. -- Man hat mir in der `Harmonie´ von einer Bemerkung erzählt, die

du gestern abend im Klub hast fallen lassen, und die so deplaziert, so

über alle Begriffe taktlos war, daß ich keine Worte finde ... Die

Blamage hat nicht auf sich warten lassen. Es ist dir eine klägliche

Abfertigung zuteil geworden. Hast du Lust, dich zu erinnern?«

»Ach ... nun weiß ich, was du meinst. -- Wer hat dir denn das erzählt?«

»Was tut das zur Sache. -- Döhlmann. -- Mit einer Stimme

selbstverständlich, daß die Leute, die die Geschichte etwa noch nicht

kannten, sich nun ebenfalls darüber freuen können ...«

»Ja, Tom, ich muß dir sagen ... Ich habe mich für Hagenström geschämt!«

»Du hast dich für ... Aber das ist denn doch ... Höre mal!« rief der

Konsul, indem er beide Hände, die Innenflächen nach oben, vor sich

ausstreckte und sie, mit seitwärts geneigtem Kopfe, erregt

demonstrierend schüttelte. »Du sagst in einer Gesellschaft, die sowohl

aus Kaufleuten als aus Gelehrten besteht, daß alle es hören können:

Eigentlich und bei Lichte besehen sei doch jeder Geschäftsmann ein

Gauner ... du, selbst ein Kaufmann, Angehöriger einer Firma, die aus

allen Kräften nach absoluter Integrität, nach makelloser Solidität

strebt ...«

»Lieber Himmel, Thomas, ich machte Spaß!... Obgleich ... eigentlich ...«

fügte Christian hinzu, indem er die Nase krauste und den Kopf ein wenig

schräge nach vorne schob ... In dieser Haltung machte er mehrere

Schritte.

»Spaß! Spaß!« rief der Konsul. »Ich bilde mir ein, einen Spaß zu

verstehen, aber du hast ja gesehen, wie der Spaß verstanden worden ist!

`Ich meinerseits halte meinen Beruf =sehr= hoch´, hat Hermann Hagenström

dir geantwortet ... Und da saßest du nun, ein verbummelter Mensch, der

von seinem eignen Beruf nichts hält ...«

»Ja, Tom, ich bitte dich, was sagst du dazu! Ich versichere dich, die

ganze Gemütlichkeit war plötzlich zum Teufel. Die Leute lachten, als ob

sie mir recht gaben. Und da sitzt dieser Hagenström und sagt

fürchterlich ernst: `Ich meinerseits ...´ Der dumme Kerl. Ich habe mich

wahrhaftig für ihn geschämt. Noch gestern abend im Bett habe ich lange

darüber nachgedacht und hatte ein ganz sonderbares Gefühl dabei ... Ich

weiß nicht, ob du das kennst ...«

»Schwatze nicht, ich bitte dich, schwatze nicht!« unterbrach ihn der

Konsul. Er zitterte am ganzen Körper vor Unwillen. »Ich gebe ja zu ...

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