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буд 5 часть нем.doc
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Von Pastor Pringsheims Rede einmal sogar aus irgendwelchen Gründen den

Saal für mehrere Minuten verlassen hatte ... Thomas hatte ihm keine

Zeile mehr geschrieben seit jenem Tage in Hamburg, an dem Christian

zehntausend Mark Kurant von seinem Erbe im voraus aus seinen Händen zur

Deckung von Schulden empfangen. »Fahre nur so fort!« hatte der Konsul

gesagt. »Dann werden deine Groschen rasch vertan sein. Was mich

betrifft, ich hoffe, daß du künftig recht wenig meine Wege kreuzen

wirst. Du hast meine Freundschaft während all der Jahre auf zu harte

Proben gestellt« ... Warum kam er jetzt? Etwas Dringendes mußte ihn

treiben ...

»Nun?« fragte der Konsul.

»Ich kann es nun nicht mehr«, antwortete Christian, indem er sich, Hut

und Stock zwischen den mageren Knien, seitwärts auf einen der

hochlehnigen Stühle niederließ, die den Eßtisch umstanden.

»Darf ich fragen, was du nun nicht mehr kannst, und was dich zu mir

führt?« sagte der Konsul, der stehenblieb.

»Ich kann es nun nicht mehr«, wiederholte Christian, drehte mit

fürchterlich unruhigem Ernst seinen Kopf hin und her und ließ seine

kleinen, runden, tiefliegenden Augen schweifen. Er zählte jetzt 33

Jahre, aber er sah weit älter aus. Sein rötlichblondes Haar war so stark

gelichtet, daß fast schon die ganze Schädeldecke freilag. Über den tief

eingefallenen Wangen traten die Knochen scharf hervor; dazwischen aber

buckelte sich, nackt, fleischlos, hager, in ungeheurer Wölbung seine

große Nase ...

»Wenn es nur dies wäre«, fuhr er fort, indem er mit der Hand an seiner

linken Seite hinunterstrich, ohne seinen Körper zu berühren ... »Es ist

kein Schmerz, es ist eine Qual, weißt du, eine beständige, unbestimmte

Qual. Doktor Drögemüller in Hamburg hat mir gesagt, daß an dieser Seite

alle Nerven zu kurz sind ... Stelle dir vor, an der ganzen linken Seite

sind alle Nerven zu kurz bei mir! Es ist so sonderbar ... manchmal ist

mir, als ob hier an der Seite irgendein Krampf oder eine Lähmung

stattfinden müßte, eine Lähmung für immer ... Du hast keine Vorstellung

... Keinen Abend schlafe ich ordentlich ein. Ich fahre auf, weil

plötzlich mein Herz nicht mehr klopft und ich einen ganz entsetzlichen

Schreck bekomme ... Das geschieht nicht einmal, sondern zehnmal, bevor

ich einschlafe. Ich weiß nicht, ob du es kennst ... ich will es dir ganz

genau beschreiben ... Es ist ...«

»Laß nur«, sagte der Konsul kalt. »Ich nehme nicht an, daß du

hierhergekommen bist, um mir dies zu erzählen?«

»Nein, Thomas, wenn es nur =das= wäre; aber =das= ist es nicht allein!

Es ist mit dem Geschäft ... Ich kann es nun nicht mehr.«

»Du bist wieder in Unordnung?« Der Konsul fuhr nicht einmal auf, er

wurde nicht mehr laut. Er fragte es ganz ruhig, während er seinen Bruder

von der Seite mit einer müden Kälte ansah.

»Nein, Thomas. Und um die Wahrheit zu sagen -- es ist ja nun doch gleich

-- ich bin niemals recht in Ordnung gekommen, auch durch die

Zehntausende damals nicht, wie du selbst weißt ... Die waren eigentlich

nur, damit ich nicht gleich zuzumachen brauchte. Die Sache ist die ...

Ich habe gleich darauf noch Verluste gehabt, in Kaffee ... und bei dem

Bankerott in Antwerpen ... Das ist wahr. Aber dann habe ich eigentlich

gar nichts mehr getan und mich still verhalten. Aber man muß doch leben

... und nun sind da Wechsel und andere Schulden ... fünftausend Taler

... Ach, du weißt nicht, wie sehr ich herunter bin! Und zu allem diese

Qual ...«

»Also, du hast dich still verhalten!« schrie der Konsul außer sich. In

diesem Augenblick verlor er dennoch die Fassung. »Du hast die Karre im

Dreck gelassen und dich anderweitig unterhalten! Meinst du, daß ich

nicht vor Augen sehe, wie du gelebt hast, im Theater und im Zirkus und

in Klubs und mit minderwertigen Frauenzimmern.«

»Du meinst Aline ... Ja, für diese Dinge hast du wenig Sinn, Thomas, und

es ist vielleicht mein Unglück, daß ich zuviel Sinn dafür habe; denn

darin hast du recht, daß es mich zuviel gekostet hat und noch immer

ziemlich viel kosten wird, denn ich will dir eines sagen ... wir sind

hier unter uns Brüdern ... Das dritte Kind, das kleine Mädchen, das seit

einem halben Jahre da ist ... es ist von mir.«

»Esel.«

»Sage das nicht, Thomas. Du mußt gerecht sein, auch im Zorne, gegen sie

und gegen ... warum sollte es nicht von mir sein. Was aber Aline

betrifft, so ist sie durchaus nicht minderwertig; so etwas darfst du

nicht sagen. Es ist ihr keineswegs gleichgültig, mit wem sie lebt, und

sie hat meinetwegen mit Konsul Holm gebrochen, der viel mehr Geld hat

als ich, so gut ist sie gesinnt ... Nein, du hast keinen Begriff,

Thomas, was für ein prachtvolles Geschöpf das ist! Sie ist so gesund ...

so =gesund= ...!« wiederholte Christian, indem er eine Hand, ihren

Rücken nach außen, mit gekrümmten Fingern vors Gesicht hielt, ähnlich

wie er zu tun pflegte, wenn er von »_That's Maria_« und dem Laster in

London erzählte. »Du solltest nur ihre Zähne sehen, wenn sie lacht! Ich

habe solche Zähne auf der ganzen Welt noch nicht gefunden, in Valparaiso

nicht und in London nicht ... Ich werde nie den Abend vergessen, als ich

sie kennenlernte ... bei Uhlich in der Austernstube ... Sie hielt es

damals mit Konsul Holm; aber ich erzählte ein bißchen und war ein

bißchen nett mit ihr ... Und als ich sie dann nachher bekam ... tja,

Thomas! Das ist ein ganz anderes Gefühl, als wenn man ein gutes Geschäft

macht ... Aber du hörst nicht gern von solchen Dingen, ich sehe es dir

auch jetzt wieder an, und es ist nun ja auch zu Ende. Ich werde ihr nun

Adieu sagen, obgleich ich ja, wegen des Kindes, mit ihr in Verbindung

bleiben werde ... Ich will in Hamburg alles bezahlen, was ich schuldig

bin, verstehst du, und dann zumachen. Ich kann es nun nicht mehr. Mit

Mutter habe ich gesprochen, und sie will mir auch die fünftausend Taler

im voraus geben, damit ich Ordnung machen kann, und damit wirst du

einverstanden sein, denn es ist doch besser, man sagt ganz einfach:

Christian Buddenbrook liquidiert und geht ins Ausland ... als wenn

ich Bankerott mache, darin wirst du mir recht geben. Ich will nämlich

wieder nach London gehen, Thomas, in London eine Stelle annehmen. Die

Selbständigkeit ist so gar nichts für mich, das merke ich mehr und mehr.

Diese Verantwortlichkeit ... Als Angestellter geht man abends sorglos

nach Hause ... Und in London bin ich gern gewesen ... Hast du etwas

dagegen?«

Der Konsul hatte während dieser ganzen Auseinandersetzung seinem Bruder

den Rücken zugewandt und, die Hände in den Hosentaschen, mit einem Fuße

Figuren auf dem Boden beschrieben.

»Schön, gehe also nach London«, sagte er ganz einfach. Und ohne sich

auch nur halbwegs noch einmal nach Christian umzuwenden, ließ er ihn

hinter sich und schritt zum Wohnzimmer zurück.

Aber Christian folgte ihm. Er ging auf Gerda zu, die dort allein bei der

Lektüre saß, und gab ihr die Hand.

»Gute Nacht, Gerda. Ja, Gerda, ich gehe nun also demnächst wieder nach

London. Merkwürdig, wie man umhergeworfen wird. Nun wieder so ins

Ungewisse, weißt du, in solche große Stadt, wo es bei jedem dritten

Schritt ein Abenteuer gibt und man soviel erleben kann. Sonderbar ...

kennst du das Gefühl? Es sitzt hier, ungefähr im Magen ... ganz

sonderbar ...«

Drittes Kapitel

James Möllendorpf, der älteste kaufmännische Senator, starb auf groteske

und schauerliche Weise. Diesem diabetischen Greise waren die

Selbsterhaltungsinstinkte so sehr abhanden gekommen, daß er in den

letzten Jahren seines Lebens mehr und mehr einer Leidenschaft für Kuchen

und Torten unterlegen war. Doktor Grabow, der auch bei Möllendorpfs

Hausarzt war, hatte mit aller Energie, deren er fähig war, protestiert,

und die besorgte Familie hatte ihrem Oberhaupte das süße Gebäck mit

sanfter Gewalt entzogen. Was aber hatte der Senator getan? Geistig

gebrochen, wie er war, hatte er sich irgendwo in einer unstandesgemäßen

Straße, in der Kleinen Gröpelgrube, An der Mauer oder im Engelswisch ein

Zimmer gemietet, eine Kammer, ein wahres Loch, wohin er sich heimlich

geschlichen hatte, um Torte zu essen ... und dort fand man auch den

Entseelten, den Mund noch voll halb zerkauten Kuchens, dessen Reste

seinen Rock befleckten und auf dem ärmlichen Tische umherlagen. Ein

tödlicher Schlaganfall war der langsamen Auszehrung zuvorgekommen.

Die widerlichen Einzelheiten dieses Todesfalles wurden von der Familie

nach Möglichkeit geheimgehalten; aber sie verbreiteten sich rasch in der

Stadt und bildeten den Gesprächsstoff an der Börse, im »Klub«, in der

»Harmonie«, in den Kontors, in der Bürgerschaft und auf den Bällen,

Diners und Abendgesellschaften, denn das Ereignis fiel in den Februar --

den Februar des Jahres 62 -- und das gesellschaftliche Leben war noch in

vollem Gange. Selbst die Freundinnen der Konsulin Buddenbrook erzählten

sich am »Jerusalemsabend« von Senator Möllendorpfs Tode, wenn Lea

Gerhardt im Vorlesen eine Pause machte, selbst die kleinen

Sonntagsschülerinnen flüsterten davon, wenn sie ehrfürchtig über die

große Buddenbrooksche Diele gingen, und Herr Stuht in der

Glockengießerstraße hatte mit seiner Frau, die in den ersten Kreisen

verkehrte, eine ausführliche Unterredung darüber.

Allein das Interesse konnte nicht lange auf das Zurückliegende gerichtet

bleiben. Gleich mit dem ersten Gerücht von dem Ableben dieses alten

Ratsherrn war die eine große Frage aufgetaucht ... als aber die Erde ihn

deckte, war es diese Frage allein, die alle Gemüter beherrschte: Wer ist

der Nachfolger?

Welche Spannung und welche unterirdische Geschäftigkeit! Der Fremde, der

gekommen ist, die mittelalterlichen Sehenswürdigkeiten und die anmutige

Umgebung der Stadt in Augenschein zu nehmen, merkt nichts davon; aber

welch Treiben unter der Oberfläche! Welche Agitation! Ehrenfeste,

gesunde, von keiner Skepsis angekränkelte Meinungen platzen aufeinander,

poltern vor Überzeugung, prüfen einander und verständigen sich langsam,

langsam. Die Leidenschaften sind aufgeregt. Ehrgeiz und Eitelkeit wühlen

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