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буд 5 часть нем.doc
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Vollführte wahnsinnige Passagen, warf sich zurück, blickte entzückt nach

oben und griff mit beiden Händen machtvoll und sieghaft in die Tasten

... Selbst Klara geriet ins Lachen. Sein Spiel war täuschend, voll von

Leidenschaft und Charlatanerie, voll von unwiderstehlicher Komik, die

den burlesken und exzentrischen englisch-amerikanischen Charakter trug

und weit entfernt war, einen Augenblick unangenehm zu berühren, denn er

selbst fühlte sich allzu wohl und sicher darin.

»Ich bin immer sehr häufig in Konzerte gegangen«, sagte er; »ich sehe es

gar zu gern, wie die Leute sich mit ihren Instrumenten benehmen!... Ja,

es ist wahrhaftig wunderschön, ein Künstler zu sein!«

Dann begann er von neuem. Plötzlich jedoch brach er ab. Ganz

unvermittelt wurde er ernst: so überraschend, daß es aussah, als ob eine

Maske von seinem Gesicht hinunterfiel; er stand auf, strich mit der Hand

durch sein spärliches Haar, begab sich an einen anderen Platz und blieb

dort, schweigsam, übellaunig, mit unruhigen Augen und einem

Gesichtsausdruck, als horche er auf irgendein unheimliches Geräusch.

... »Manchmal finde ich Christian ein bißchen sonderbar«, sagte Madame

Grünlich eines Abends zu ihrem Bruder Thomas, als sie allein waren ...

»Wie spricht er eigentlich? Er geht so merkwürdig ins Detail, dünkt mich

... oder wie soll ich sagen! Er sieht die Dinge von einer so

fremdartigen Seite an, wie?...«

»Ja«, sagte Tom, »ich verstehe recht wohl, was du meinst, Tony.

Christian ist herzlich indiskret ... es ist schwer, es auszudrücken. Ihm

fehlt etwas, was man das Gleichgewicht, das persönliche Gleichgewicht

nennen kann. Einerseits ist er nicht imstande, taktlosen Naivitäten

anderer Leute gegenüber die Fassung zu bewahren ... Er ist dem nicht

gewachsen, er versteht nicht, es zu vertuschen, er verliert ganz und gar

die Contenance ... Aber andererseits kann er auch in =der= Weise die

Contenance verlieren, daß er selbst in das unangenehmste Ausplaudern

gerät und sein Intimstes nach außen kehrt. Das mutet manchmal geradezu

unheimlich an. Ist es nicht, wie wenn einer im Fieber spricht? Dem

Phantasierenden fehlt in ganz derselben Weise die Haltung und die

Rücksicht ... Ach, die Sache ist ganz einfach die, daß Christian sich zu

viel mit sich selbst beschäftigt, mit den Vorgängen in seinem eignen

Inneren. Manchmal ergreift ihn eine wahre Manie, die kleinsten und

tiefsten dieser Vorgänge ans Licht zu ziehen und auszusprechen ...

Vorgänge, um die ein verständiger Mensch sich gar nicht bekümmert, von

denen er gar nichts wissen will, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil

er sich genieren würde, sie mitzuteilen. Es liegt so viel Schamlosigkeit

in solcher Mitteilerei, Tony!... Siehst du: auch ein anderer Mensch als

Christian mag sagen, daß er das Theater liebt; aber er wird es mit einem

anderen Akzent, beiläufiger, kurz: bescheidener sagen. Christian aber

sagt es mit einer Betonung, die bedeutet: Ist meine Schwärmerei für die

Bühne nicht etwas ungeheuer Merkwürdiges und Interessantes? Er kämpft

mit den Worten dabei, er tut, als ringe er danach, etwas ausbündig

Feines, Verborgenes und Seltsames zum Ausdruck zu bringen ...«

»Ich will dir eines sagen«, fuhr er nach einer Pause fort, indem er

seine Zigarette durch die schmiedeeiserne Gittertür in den Ofen warf ...

»Ich selbst habe manchmal über diese ängstliche, eitle und neugierige

Beschäftigung mit sich selbst nachgedacht, denn ich habe früher

ebenfalls dazu geneigt. Aber ich habe gemerkt, daß sie zerfahren,

untüchtig und haltlos macht ... und die Haltung, das Gleichgewicht ist

für mich meinerseits die Hauptsache. Es wird immer Menschen geben, die

zu diesem Interesse an sich selbst, diesem eingehenden Beobachten ihrer

Empfindungen berechtigt sind, Dichter, die ihr bevorzugtes Innenleben

mit Sicherheit und Schönheit auszusprechen vermögen und damit die

Gefühlswelt der anderen Leute bereichern. Aber wir sind bloß einfache

Kaufleute, mein Kind; unsere Selbstbeobachtungen sind verzweifelt

unbeträchtlich. Wir können zur Not hervorbringen, daß das Stimmen von

Orchesterinstrumenten uns ein merkwürdiges Vergnügen macht, und daß wir

manchmal nicht wagen, schlucken zu wollen ... Ach, wir sollen uns

hinsetzen, zum Teufel, und etwas leisten, wie unsere Vorfahren etwas

geleistet haben ...«

»Ja, Tom, du sprichst meine Ansicht aus. Wenn ich bedenke, daß diese

Hagenströms sich immer mehr aufnehmen ... O Gott, das =Geschmeiß=, weißt

du ... Mutter will das Wort nicht hören, aber es ist das einzig

richtige. Glauben sie vielleicht, daß es außer ihnen keine vornehmen

Familien mehr gibt in der Stadt? Ha! ich muß lachen, weißt du, ich muß

laut lachen ...!«

Drittes Kapitel

Der Chef der Firma »Johann Buddenbrook« hatte seinen Bruder bei dessen

Ankunft mit einem längeren, prüfenden Blick gemessen, er hatte ihm

während der ersten Tage eine ganz unauffällige und beiläufige

Beobachtung zugewandt, und dann, ohne daß ein Urteil auf seinem ruhigen

und diskreten Gesicht zu lesen gewesen wäre, schien seine Neugier

befriedigt, seine Meinung abgeschlossen zu sein. Er sprach mit ihm im

Familienkreise mit gleichgültigem Tone über gleichgültige Dinge und

amüsierte sich wie die übrigen, wenn Christian irgendeine Vorstellung

gab ...

Nach acht Tagen etwa sagte er zu ihm: »Wir werden also zusammen

arbeiten, mein Junge?... Soviel ich weiß, bist du mit Mamas Wunsch im

Einverständnis, nicht wahr?... Na, wie du weißt, ist Marcus mein

Kompagnon geworden, gegen die Quote, die seinem eingezahlten Vermögen

entspricht. Ich denke mir, daß du äußerlich, als mein Bruder, ungefähr

seinen früheren Platz einnehmen wirst, eine Prokuristenstellung ...

wenigstens repräsentativ ... Was deine Beschäftigung betrifft, so weiß

ich ja nicht, wie weit deine kaufmännischen Kenntnisse vorgeschritten

sind. Ich denke mir, daß du bislang ein bißchen gebummelt hast, wie?...

Jedenfalls wird dir in der Hauptsache die englische Korrespondenz am

meisten zusagen ... Dann aber muß ich dich um eines bitten, mein Lieber!

In deiner Eigenschaft als Bruder des Chefs nimmst du natürlich

tatsächlich unter den übrigen Angestellten eine bevorzugte Stellung ein

... aber ich brauche dir nicht zu sagen, nicht wahr, daß du ihnen viel

mehr durch Gleichstellung und energische Pflichterfüllung imponierst,

als indem du von Vorrechten Gebrauch machst und dir Freiheiten nimmst.

Also die Kontorstunden innehalten und immer die _dehors_ wahren,

wie?...«

Und dann machte er ihm einen Vorschlag in betreff der Prokura, den

Christian ohne Besinnen und Handeln akzeptierte: mit einem verlegenen

und zerstreuten Gesicht, das von sehr wenig Habsucht und einem eifrigen

Bestreben zeugte, die Sache rasch zu erledigen.

Am folgenden Tage führte Thomas ihn in die Kontors ein, und Christians

Tätigkeit im Dienste der alten Firma begann ...

Die Geschäfte hatten nach dem Tode des Konsuls ihren ununterbrochenen

und soliden Gang genommen. Aber bald wurde bemerkbar, daß, seitdem

Thomas Buddenbrook die Zügel in Händen hielt, ein genialerer, ein

frischerer und unternehmenderer Geist den Betrieb beherrschte. Hie und

da ward etwas gewagt, hie und da ward der Kredit des Hauses, der unter

dem früheren _régime_ eigentlich bloß ein Begriff, eine Theorie, ein

Luxus gewesen war, mit Selbstbewußtsein angespannt und ausgenützt ...

Die Herren an der Börse nickten einander zu. »Buddenbrook will mit

_avec_ Geld verdienen«, sagten sie. Aber sie fanden es doch ganz gut,

daß Thomas den ehrenfesten Herrn Friedrich Wilhelm Marcus wie eine

Bleikugel am Fuße hinter sich drein zu ziehen hatte. Herrn Marcus'

Einfluß bildete das retardierende Moment im Gang der Geschäfte. Er

strich mit zwei Fingern sorgsam über seinen Schnurrbart, rückte mit

peinlicher Ordnungsliebe seine Schreibutensilien und das Glas Wasser

zurecht, das stets auf seinem Pulte stand, prüfte eine Sache mit

abwesendem Gesichtsausdruck von mehreren Seiten und hatte übrigens die

Gewohnheit, fünf- oder sechsmal während der Kontorzeit hinaus auf den

Hof und in die Waschküche zu gehen, um seinen ganzen Kopf unter den

Strahl der Wasserleitung zu halten und sich so zu erfrischen.

»Die beiden ergänzen sich«, sagten die Chefs der größeren Häuser

zueinander: Konsul Huneus vielleicht zu Konsul Kistenmaker; und unter

Schiffsleuten und Speichereiarbeitern wie in den kleinen Bürgersfamilien

wiederholte man sich dieses Urteil, denn die Stadt nahm Anteil daran,

wie der junge Buddenbrook »de Saak woll befingern« werde ... Auch Herr

Stuht in der Glockengießerstraße sagte zu seiner Frau, welche in den

ersten Kreisen verkehrte: »Die beiden ergänzen sich ganz gaut, will 'k

di man vertellen!«

Die »Persönlichkeit« im Geschäfte aber, darüber bestand kein Zweifel,

war dennoch der jüngere der beiden Kompagnons. Das zeigte sich schon

darin, daß er es war, der mit den Bediensteten des Hauses, mit den

Kapitänen, den Geschäftsführern in den Speicherkontors, den Fuhrleuten

und den Lagerarbeitern zu verkehren wußte. Er verstand es, mit

Ungezwungenheit ihre Sprache zu reden und sich dennoch in unnahbarer

Entfernung zu halten ... Wenn aber Herr Marcus zu einem biederen

Arbeitsmann: »Verstahn Sie mich?« sagte, so klang dies so völlig

unmöglich, daß sein Sozius, ihm gegenüber am Pulte, einfach anfing zu

lachen, auf welches Zeichen das ganze Kontor sich der Heiterkeit

überließ.

Thomas Buddenbrook, ganz voll von dem Wunsche, der Firma den Glanz zu

wahren und zu mehren, der ihrem alten Namen entsprach, liebte es

überhaupt, im täglichen Kampf um den Erfolg seine Person einzusetzen,

denn er wußte wohl, daß er seinem sicheren und eleganten Auftreten,

seiner gewinnenden Liebenswürdigkeit, seinem gewandten Takt im Gespräche

manch gutes Geschäft verdankte.

»Ein Geschäftsmann darf kein Bürokrat sein!« sagte er zu Stephan

Kistenmaker -- von »Kistenmaker & Söhne« -- seinem ehemaligen

Schulkameraden, dessen geistig überlegener Freund er geblieben war, und

der auf jedes seiner Worte horchte, um es dann als seine eigene Meinung

weiterzugeben ... »Es gehört Persönlichkeit dazu, das ist =mein=

Geschmack. Ich glaube nicht, daß ein großer Erfolg vom Kontorbock aus zu

erkämpfen ist ... wenigstens würde er mir nicht viel Freude machen. Der

Erfolg will nicht bloß am Pulte berechnet sein ... Ich habe stets das

Bedürfnis, den Gang der Dinge ganz gegenwärtig mit Blick, Mund und Geste

zu dirigieren ... ihn mit dem unmittelbaren Einfluß meines Willens,

meines Talentes, meines Glückes, wie du es nennen willst, zu

beherrschen. Aber das kommt leider allmählich aus der Mode, dies

persönliche Eingreifen des Kaufmannes ... Die Zeit schreitet fort, aber

sie läßt, wie mich dünkt, das Beste zurück ... Der Verkehr erleichtert

sich immer mehr, die Kurse sind immer schneller bekannt ... Das Risiko

verringert sich und mit ihm auch der Profit ... Ja, die alten Leute

hatten es anders. Mein Großvater zum Beispiel ... er kutschierte

vierspännig nach Süddeutschland, der alte Herr mit seinem Puderkopf und

seinen Eskarpins, als preußischer Heereslieferant. Und dann scharmierte

er umher und ließ seine Künste spielen und machte ein unglaubliches

Geld, Kistenmaker! -- Ach, ich fürchte beinahe, daß der Kaufmann eine

immer banalere Existenz wird, mit der Zeit ...«

So klagte er manchmal, und darum waren es im Grunde seine liebsten

Geschäfte, wenn er ganz gelegentlich, auf einem Familienspaziergange

vielleicht, in eine Mühle eintrat, mit dem Besitzer, der sich geehrt

fühlte, plauderte und leichthin, _en passant_, in guter Laune, einen

guten Kontrakt mit ihm abschloß ... Dergleichen lag seinem Sozius fern.

... Was Christian betraf, so schien er sich zunächst mit wirklichem

Eifer und Vergnügen seiner Tätigkeit zu widmen; ja, er schien sich

ausnehmend wohl und zufrieden darin zu befinden und hatte während

mehrerer Tage eine Art, mit Appetit zu essen, seine kurze Pfeife zu

rauchen und seine Schultern in dem englischen Jackett zurechtzuschieben,

die seiner behaglichen Genugtuung Ausdruck gab. Er ging morgens ungefähr

gleichzeitig mit Thomas ins Kontor hinunter und nahm neben Herrn Marcus

und seinem Bruder schräg gegenüber in seinem verstellbaren Armsessel

Platz, denn er hatte wie die beiden Chefs einen Armsessel. Zunächst las

er die »Anzeigen«, wobei er in Gemütlichkeit seine Morgenzigarette zu

Ende rauchte. Dann holte er sich aus dem unteren Pultschranke einen

alten Kognak, streckte die Arme aus, um sich Bewegungsfreiheit zu

verschaffen, sagte »Na!« und ging, während er die Zunge zwischen den

Zähnen umherwandern ließ, guten Mutes zur Arbeit über. Seine englischen

Briefe waren ganz außerordentlich gewandt und wirksam, denn wie er das

Englische sprach, schlechthin, ungewählt, gleichgültig und mühelos

dahinplätschernd, so schrieb er es auch.

Seiner Art gemäß verlieh er im Familienkreise der Stimmung Worte, die

ihn erfüllte.

»Der Kaufmannsstand ist doch ein schöner, wirklich beglückender Beruf!«

sagte er. »Solide, genügsam, emsig, behaglich ... ich bin wahrhaftig

ganz dafür geboren! Und so als Angehöriger des Hauses, wißt ihr ...

kurz, ich fühle mich so wohl wie nie. Man kommt morgens frisch ins

Kontor, man sieht die Zeitung durch, raucht, denkt an dies und jenes und

wie gut man es hat, nimmt seinen Kognak und arbeitet mal eben ein

bißchen. Es kommt die Mittagszeit, man ißt mit seiner Familie, ruht sich

aus, und dann geht's wieder an die Arbeit ... Man schreibt, man hat

gutes, glattes, reinliches Firmenpapier, eine gute Feder ... Lineal,

Papiermesser, Stempel, alles ist prima Sorte, ordentlich ... und damit

erledigt man alles, emsig, nach der Reihe, eins nach dem anderen, bis

man schließlich zusammenpackt. Morgen ist wieder ein Tag. Und wenn man

zum Abendbrot hinaufgeht, fühlt man sich so durchdringend zufrieden ...

jedes Glied fühlt sich zufrieden ... die Hände fühlen sich

zufrieden ...!«

»Gott, Christian!« rief Tony. »Du machst dich ja lächerlich! Die Hände

fühlen sich zufrieden ...«

»Doch! Ja! Das kennst du also nicht? Ich meine ...« Und ereiferte sich

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