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§ 6. Die morphologische Gliederung des Wortes

Das Wort besteht im Deutschen aus einem oder mehreren Morphe­men, d. h. aus kleinsten semantischen Abschnitten der Rede. Vgl. Tag/ —, Schön/heit/—, bild/haft/—, er/werb/en, mach/te/st, An/for-der/ung—, Teller/—, aus, weil. Das Morphem, das die eigentliche lexikale Bedeutung des Wortes ausdrückt (in unseren Beispielen sind es tag, schön, bild, werb, mach, forder, teuer, aus, weil), wird oft Wurzel genannt. Man kann es auch das «Grundmorphem» nennen. Das Grundmorphem wird von einer oder seltener von zwei Silben gebildet (teller, forder). Nur ausnahmsweise hat das Grundmorphem mehr Silben als zwei (z. B. elephant). Um ein Wort zu bilden, treten zu dem Grundmorphem gewöhnlich ein oder mehrere Hilfsmorpheme (oft «Formantien» genannt) hinzu, die wortbildend oder formbildend sein können. K. B. Lindgren bezeichnet die Grundmorpheme als «Be­griffsmorpheme» und Hilfsmorpheme als «Formmorpherne» (281, 217).

Die wortbildenden Morpheme, gewöhnlich «Affixe» genannt, stehen entweder nach dem Grundmorphem (Suffixe — in unseren Beispielen -heit, -haft, -ung) oder vor ihm (Präfixe — in unseren Beispielen er-, an-). Mit dem Grundmorphem zusammen bilden sie den Stamm des Wortes, an den die formbildenden Morpheme, gewöhnlich «Endungen» oder «Flexion» genannt, angehängt werden. Das Grundmorphem und der Stamm stehen in komplizierten wechselseitigen Beziehungen zueinander, denn der Stamm — dort, wo er sich vom Grundmorphem unterscheidet — übernimmt die Funktion des Grundmorphems, die lexikale Bedeutung des Wortes zu bezeichnen. Wenn man nicht so sehr an den alten Fachausdruck «Stamm» gebunden wäre, könnte man von Grundmorphemen verschiedenen Grades sprechen, z. B. legen: Grundmorphem des 1. Grades leg; zerlegen — Grundmorphem des 2. Grades zerleg; Zerlegung — Grundmorphem des 3. Grades Zerlegung.

Was die formbildenden Morpheme betrifft, so hat eine Wortform im Deutschen oft ein, viel seltener zwei formbildende Morpheme. Doch vgl. bei Substantiven Dat. PI. Brett/er/n, bei Adjektiven Komparativ Nom. Sg. Mask. (der) dick/er/e, bei Verben die Formen des schwachen Präterits: lach/te/st. Außerordentlich verbreitet ist die Nullform des formbildenden Morphems, die sogenannte «Nullendung», die dadurch gebildet wird, daß gerade das Fehlen der Endung bei irgendwelchen Wortformen sie anderen Formen desselben Wortes entgegensetzt. So tritt im Paradigma des Wortes Tag die Form mit Nullendung Tag- im Nom. und Akk. (gewöhnlich auch im Dat. Sg.) auf im Gegensatz zu allen übrigen Formen, die die formbildenden Morpheme (Endungen -(e)s, -e, -en) besitzen. Auch die Wortformen Schönheit und Teller weisen Nullendung auf, indem diese endungslosen Formen im ersten Beispiel der Pluralform mit der Endung -en und im zweiten Beispiel dem -s des Genitivs Sg. und der Form des Dativs PI. mit der Endung -n gegenüberstehen. Das hat aber zur Folge, daß die Nullendung beim Substantiv im Deutschen zu den grammatisch neutralen, aus­drucksunfähigen Flexionsendungen gehört, im Gegensatz zur rus­sischen Nullendung, die beim Substantiv gewöhnlich eine ziemlich scharf umrissene grammatische Bedeutung hat (z. B. КНИГ Gen. PI., ctОЛ Nom. und Akk. Sg.). Im verbalen System stehen die beiden Sprachen einander näher. Besonders stark ausgeprägt ist der neutrale Charakter der Nullendung im Englischen.

Die formbildenden Hilfsmorpheme werden zuweilen in zwei Gruppen eingeteilt. Solchen, die unmittelbar an den Stamm angehängt werden (Pluralmorpheme beim Substantiv, Komparationsmorpheme beim Adjektiv, Präteritalmorpheme beim schwachen Verb), stehen solche gegenüber, die sich sowohl dem Stamm als auch den vorherge­nannten Hilfsmorphemen anschließen (Kasusendungen beim Sub­stantiv und Adjektiv, Personalendungen beim Verb). Da z. B. im Superlativ an das Komparationsformans -st- alle Kasusendungen in beiden Zahlen und in allen drei Geschlechtern angehängt werden (der dick/st/e, des dick/st/en usw.), so erscheint hier die Form dick/st- als eine Art Stamm, weswegen man das Hilismorphem -st- oft als ein Suffix betrachtet. Eine Ähnlichkeit mit dem Suffix besteht hier zweifellos (die entsprechenden Hilfsmorpheme stehen nicht am Ende des Wortes, also paßt für sie die Bezeichnung «Endungen» nicht), und man dürfte gegen diesen terminologischen Gebrauch eigentlich nichts einwenden. Jedenfalls bestehen wir weder auf der Anwendung der etwas schwerfälligen Bezeichnung «formbildendes Morphem» noch auf dem allgemeinen Fachausdruck «Formans». Aber es ist doch wichtig zu betonen, daß dabei auch ein weitgehender Unterschied im Spiele ist. Die eigentlichen Suffixe dienen zur Bildung neuer Wörter. Dagegen dienen die Suffixe, die hier besprochen werden, zur Bildung von Wortformen. Vgl. schön Schönheit und schön schöner, Bild — bildhaft und Bild — Bilder.

Man könnte gewiß behaupten, daß auch die Pluralformen neue Wörter sind im Vergleich mit den Ausgangsformen — den Formen des Singulars. Aber die Irrtümlichkeit dieser Annahme leuchtet ein, wenn man bedenkt, daß die Pluralformen als ein geschlossenes System den Singularformen mit ihrer Nullendung gegenüberstehen, mit ihnen gewissermaßen regelmäßig korrespondieren, so daß man von vornher­ein bei jedem Substantiv eine Entsprechung zwischen Plural und Singular, also zwischen einer Form mit Pluralsuffix und einer 'mit Singularsuffix erwarten darf. Gewiß gibt es eine ganze Menge von Substantiven, die diese Regel nicht befolgen (Singularia- und Pluralia­tantum verschiedener Art, vgl. § 17). Aber bei der überwiegenden Mehrheit solcher Ausnahmefälle sind die semantischen Gründe des Nicht-Gegenüberstellens von Singular und Plural offensichtlich, und, im ganzen genommen, ist die Unterscheidung dieser Kategorien frontal durchgeführt. Demgegenüber dienen die eigentlichen Suffixe, die wortbildenden Morpheme, zur Gestaltung solcher Formreihen, die nur sporadisch und unvollständig den Formen ohne das betreffende Suffix entsprechen. Selbst bei der Bildung der außerordentlich zahlreichen Abstrakta auf -heit, -keit fehlt es an einem geschlossenen System. Zwar werden mit Hilfe von -heit, -keit sehr viele Abstrakta von Adjektiv- und Partizipialstämmen gebildet: kühn Kühnheit, weiseWeisheit, starr — Starrheit, gesundGesundheit, tapfer— Tapferkeit, gebun­den Gebundenheit, berühmt Berühmtheit, geneigt Geneigtheit usw., aber es sind auch andere Formen der Adjektivabstrakta in beträchtlicher Anzahl vorhanden, die hauptsächlich auf alte Bildungen mit -i zurückgehen: breit Breite, gut Güte, hoch Höhe, tief Tiefe usw. (einige von ihnen haben eine kompliziertere Entwicklung durchgemacht: Gier, Wut u. a., vgl. auch Milde), und anderseits bekommen das Suffix -heit auch Substantive und Numeralien: Kind Kindheit, Tor — Torheit, Mensch Menschheit, zwei Zwefaeit usw. Es kann hier keine Rede von einem frontalen System der Entsprechun­gen zwischen den suffigierten und suffixlosen Formen sein, was eben vom rein lexikalen Charakter der Bildungen mit dem Suffix -heit, -keit zeugt, im Gegensatz zu den Bildungen mit den Pluralformantien (vgl. 405, II, 252—259, 383—389). Deswegen scheint es uns doch ratsamer, die Pluralformantien nicht einfach «Suffixe», sondern «formbildende Suffixe» zu nennen.

Wenn man die Nullendung berücksichtigt, so erscheint als die vorherrschende morphologische Form des Wortes im Deutschen die zweiteilige Struktur, die aus dem Stamm und einem formbildenden Hilfsmorphem besteht. Die dreiteiligen Strukturen, wo außer diesen beiden Komponenten noch ein formbildendes Suffix erscheint, kommen zwar vor, nehmen aber, wie wir schon gesehen haben, einen viel bescheideneren Platz ein (Dativ PI. der Substantive, Komparativ und Superlativ des Adjektivs, das schwache Präteritum, Konjunktiv). Die einteilige Struktur, die weder wortbildende noch formbildende Morpheme kennt, z. B. an, weil, da, oh, kommt nur in verschiedenen Arten von Hilfswörtern (Präpositionen, Konjunktionen, Partikeln), pronominalen Adverbien und Interjektionen vor.

Die führende Rolle der zweiteiligen Struktur des Wortes unterscheidet in einer bedeutsamen Weise den neuhochdeutschen Sprachbau (zum großen Teil auch schon den mittelhochdeutschen) von dem grammatischen Bau des Althochdeutschen und der älteren germanischen Sprachen überhaupt, in welchen die dreiteilige Struktur des Wortes überwog und das Wort sogar noch mehr formbildende Teile enthalten konnte. Vgl. got. schwaches Präteritum I. P. PI. Konj. hab/al/ded/el/ ma wir hätten gehabt.

hab- ist hier das Grundmorphem.

-ai- ist das stammbildende Morphem, das keine genauen Entsprechungen im modernen Sprachbau hat und eigentlich nicht wortbildend im synchronischen Sinne ist. Es ist kein Suffix der modernen Sprachen, sondern ein formell notwendiger Bestandteil des Stammes — eben der Stammauslaut. Auf verschiedenen Stufen der Sprachentwicklung erscheint der Stamm des Wortes in verschiedenen Formen.

-ded- drückt die präteritale (und zugleich die pluralische oder konjunktivische) Bedeutung aus.

-ei- bezeichnet den Konjunktiv.

-ma bezeichnet die Zahl und Person.

In den Fällen, die wir erwähnt haben, folgen die formbildenden Morpheme dem Grundmorphem. Diese Stellung ist eben typisch für die meisten indoeuropäischen Sprachen. Das Deutsche besitzt nur ein formbildendes Morphem, das dem Grundmorphern vorangestellt wird. Es ist das Formans ge- des Partizips II, falls man es überhaupt als formbildend betrachtet.

Es gibt nämlich solche Formantien, die einen Übergang zwischen den wortbildenden und formbildenden Morphemen darstellen. Das gilt z. B. für die Formantien, die zur Bildung von Verbalnomina dienen (-en — Infinitiv, -nd — Partizip I, ge-, -en und -t — Partizip II). Denn die Verbalnomina sind einerseits nur gewisse Wortformen des Verbs und stehen als solche den Personalformen gegenüber. In einigen Funktionen treten sie auch als Verben auf, genauer als organische Bestandteile von analytischen verbalen Formen: ich bin gegangen, ich werde gehen. Der grammatische Formenkreis von jedem Verb schließt die Formen der Verbalnomina ein. Aber anderseits bedeutet ihre Bildung, insbesondere die des Partizips, teilweise schon einen Übertritt aus einer Wortart in eine andere — aus der verbalen Region in die Region des Nomens — und steht also der Schaffung eines neuen Wortes sehr nahe. Dieses Problem wird von uns noch (vgl. § 34) ausführlicher behandelt, doch genügt schon ein Vergleich der Formen Er hat sich gemäßigt und seine gemäßigtere Haltung, um das Doppelwesen der partizipbildenden Morpheme zu veranschaulichen, da sie im ersten Beispiel eine Form des Verbalsystems bilden und im zweiten Fall eine Adjektivform, sogar mit dem Komparativsuffix -er-.

Man könnte hier gewiß von einer Homonymie der Formen sprechen und das Wort gemäßigt in unserem zweiten Beispiel geradeswegs als ein Adjektiv bezeichnen. Vgl. Formen wie gehobener (der gehobenere Stil), die schon ganz adjektivisch geworden sind. Aber die meisten Fälle sind hier schwankend.

Diese Frage, die scheinbar rein terminologisch ist, hat in Wirklichkeit auch strukturelle Bedeutung, da die Zahl der formbilden­den Morpheme im neuhochdeutschen Worte eine sehr große sein könnte, falls z. B.ge- und -en- in der Form gehobenere zu diesen Morphemen gehörte. Im ganzen würde dann diese Wortform aus einem Grundmorphem und vier formbildenden Morphemen bestehen, woraus man den Schluß zu ziehen hätte, daß das moderne deutsche Wort in dieser Hinsicht dem altgermanischen Worte nicht nachstehe und — freilich in einer anderen Gestalt — eine beträchtliche Anhäufung von formbildenden Morphemen dulde. Aber das ist doch nicht der Fall.

Gerade die Partizipien mit Komparationsformen sind vom Standpunkt der modernen deutschen Sprache aus ganz adjektivisch geworden, wobei die lexikale Bedeutung dieser Wortform nicht einfach durch das Morphem -hob-, sondern durch den Komplex gehoben — ausgedrückt wird, so daß ge- und -en (-t) hier zweifellos wortbildend (sogar «grundmorphembildend») erscheinen. Die Wortform gehobenere be­steht also aus dem primären Grundmorphem -hob-, aus zwei wortbildenden Morphemen: ge- und -en-, die in Verbindung mit dem' primären Grundmorphem einen Stamm (oder ein «erweitertes» Grundmorphem — ein Grundmorphem 2. Grades) ergeben, aus dem formbildenden Suffix -er- und der Endung -e. Auf diese Weise enträtselt sich die Struktur der betreffenden Form als eine sehr komplizierte, aus mehreren Morphemen bestehende, aber diese Kompliziertheit beruht nicht so sehr auf formbildenden Morphemen, sondern mindestens ebenso auf wortbildenden Affixen. (Freilich weisen die Kasusformen des Partizip II, selbst wenn sie ihre verbale Natur nicht verleugnen, doch drei formbildende Morpheme auf: vgl. der ge/schrieb/en/e Brief.)

Wir berühren hier eine wichtige Seite der Wortstruktur im Neuhochdeutschen. Mit Hilfe von wortbildenden Mitteln werden mehrteilige ausgedehnte Strukturen gestaltet, die aus vier und mehr Morphemen bestehen, formbildende Morpheme nicht miteingerechnet. Vgl. Berechtigung, Lückenhaftigkeit, Beschauerin, ausbeuterisch, Mitverantwortlichkeit, Ausgelassenheit, Gemeinschaftlichkeit usw. Auch im Althochdeutschen sind ähnliche Gebilde nachweisbar (z. B. bei Notker: leid/eg/ung/a — Traurigkeit, guol/lig/heit Herrlichkeit, fore/ge/garw/ed/a Vorbereitung). Aber die meisten von den besonders komplizierten Substantivableitungen des Althochdeutschen sind nur aus Notker bekannt, der auf diesem Gebiete einen neuen Entwicklungsweg erst anbahnt.

Die morphologische Struktur des Wortes im heutigen Deutsch wird noch komplizierter infolge der massenhaften Verwendung von Zusammensetzungen, die im Neuhochdeutschen, besonders im Bereiche des Substantivs, mächtig aufblühen. Die Zusammensetzungen werden oft Glieder von neuen Zusammensetzungen, sie verbinden sich oft mit der Wortableitung, und so entstehen Bildungen von kolossalem Umfang. Solche Formen werden nicht selten zum einmaligen Gebrauch geschaffen und entsprechen syntaktischen Wortfügungen. Als Fach­wörter kommen sie in der technischen und wissenschaftlichen Literatur massenweise vor. Vgl. Reibungsgeschwindeschneidvorrichtung, Ein-und Ausdrehmaschine. Aber manche derartige Bildungen werden auch in der Umgangssprache, in den Zeitungen usw. gebraucht: Ge­mischtwarenhandlung.

Trotz der beschränkten Verbreitung der Flexion ist also der morphologische Bau des neuhochdeutschen Wortes als Ganzes betrachtet durchaus nicht einfach. Der Wortumfang ist im Durchschnitt, besonders wenn man die Hilfswörter nicht mitberücksichtigt, sehr beträchtlich.

Obgleich die grammatischen Bedeutungen, die einer Wortform aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer gewissen Wortart und zu gewissen morphologischen Paradigmen eigen sind, sich oft nur mit Hilfe der mit ihr syntaktisch verbundenen Wortformen oder zuweilen nur aus dem Kontext explizieren lassen, gehören diese Bedeutungen doch der betreffenden Wortform eben als einer bestimmten Wortform an. Man kann sie deswegen als «konstante» (beständige) grammatische Bedeutung der Wortformen bezeichnen, im Gegensatz zu solchen Bedeutungen, die in der Redekette im Satz die Wortform überlagern und die von mir als «indirekte» bezeichnet werden. Ausführlich darüber im Anhang dieses Buches.