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§ 63. Die Führung der Rede und die Redestimmen

Einen ganz besonderen Bereich der Sprachwirklichkeit bilden die verschiedenen Arten der Redeführung. An und für sich ist jeder Redeabschnitt, jedes Redefragment das Erzeugnis eines Sprechers (eines Schreibers), das eben in seinem Namen, seine Intentionen verwirklichend, erklingt oder geschrieben wird. Aber in Wirklichkeit gestaltet sich die Redeführung viel komplizierter.

Namentlich kann der Sprechende (Schreibende) inmitten und außer seiner Stimme noch eine andere (oder sogar einige andere) Stimmen mehr oder weniger deutlich ertönen lassen. Die klassische, längst existierende Form dieser Einführung einer fremden Stimme in die eigene des Sprechers ist die indirekte Rede, die bereits erwähnt wurde (vgl. §39, 60). Aber es gibt noch viele andere Formen von Vermengung der eigenen Stimme mit fremden, die im letzten Jahrhundert weite Verbreitung in der Schönen Literatur gefunden haben. Ich versuche hier in aller Kürze ein Verzeichnis der in der Rede vorkommenden Stimmen vorzuführen, wobei ich verschiedene Arten der Überlagerung der Autorenstimme durch andere Stimmen berücksichtige.

1. Ich-Stimme. Sie tritt als Grundform sowohl in der gesprochenen als auch in manchen Formen der schriftlichen Sprache auf. Es ist unmittelbar die Stimme des Sprechenden. Der Gehalt der Rede wird mit den Augen des Sprechenden gesehen und von seinem Standpunkt aus erlebt und beurteilt.

Die ich- Siimme kann sowohl im Singular als auch im Plural erscheinen. Die Pluralform ist oft tatsächlich begründet, d. h. tritt als eine gemeinsame Stimme vieler Leute auf, wenn auch gewöhnlich nur von einem Menschen vorgetragen. Aber die Pluralform kann auch eine einzelne Person bezeichnen, einerseits wenn die ich-Stimme des Einzelnen gemildert werden soll, z. B. in der Autorenrede, in der alten kaufmännischen Sprache usw., andererseits um der Selbstverherrlichungwillen, z. B. in den früher üblichen Selbstbezeichnungen der Monarchen in Urkunden, Manifesten usw.

Wiederum erhält die Stimme des ich eine ganz eigenartige Bedeutung, wenn sie in lyrischen Gedichten gebraucht wird. Aus dem konkreten ich des Dichters wird sie hier zur Bezeichnung des fühlenden, leidenden, wollenden Menschen überhaupt (vgl. 72, 37—41).

2. Er-Stimme als einfacher Ersatz der Ich-Stimme (vgl. 229, 56—154). Es handelt sich hier um das in der fiktionalen Erzählung überaus übliche Auftreten eines fiktionalen, also mit dem Verfasser nicht identischen Erzählers, der sich die ich-Form der Erzählung aneignet und zuweilen auch während der ganzen Erzählung nie durch die Autorenstimme unterbrochen wird, obwohl er in der Regel durch gewisse Charakterzüge gekennzeichnet ist, die seine Redeweise prägen und ihn somit vom Autor distanzieren. Es kann aber auch ein kompliziertes Wechselspiel zwischen der Rede des Erzählers und der des Autors stattfinden, so daß im Werk sozusagen zwei Erzähler fungieren, wie z. B. in W. Raabes (Stopfkuchen). Sonst ereignet sich hier ungefähr dasselbe wie bei der Einführung der direkten Rede, d. h. es erfolgt die Einschaltung eines neuen Sprechers anstatt des vorigen.

3. Er-Stimme als die Stimme eines anderen Sprechenden. Es findet hier keine Aneignung (durch den fremden Sprecher) der ich-Form in der Rede statt, sondern die er-Stimme wird eben als eine fremde Stimme gestaltet. Dies geschieht in folgenden Formen:

Die indirekte Rede in ihren bereits besprochenen Formen. Sie kann sowohl aus einem (eingeleiteten oder uneingeleiteten) Nebensatz bestehen als auch aus zwei und mehreren Nebensätzen. Diese können auch in parzellierter Form auftreten, indem der Konjunktiv ihren Status als den der indirekten Rede unterstreicht. Z. B. Der Tochter erklärte er mit Entschiedenheit, daß die Verbringung der Patientin, am festen mit Ambulanz, in die gynäkologische Klinik geboten sei. Der Fall fordere genaueste Untersuchung,die übrigens seine Harmlosigkeit ergeben möge. Durchaus könnten die Metrorrhagien, die erste, von der er nun höre, und diese alarmierendere zweite, von einem Myom herrühren, das operativ ohne Schwierigkeiten zu beseitigen sei. Bei dem Direktor und ersten Chirurgen der Klinik, Professor Muthesius, werde die Frau Mama sich in der zuverlässigsten Obhut befinden. (Thomas Mann. Zitiert nach Kaufmann, 91).

Übrigens kann eine Kette von Nebensätzen der indirekten Rede an irgendeiner Stelle durch einen Punkt unterbrochen werden und die nachfolgenden Sätze können im Indikativ stehen — eine Art Rückkehr zur syntaktischen Ruhelage des Satzes. Dies läßt sich auch ohne Abbrechung des Ganzsatzes durchführen, was in den vorigen Jahrhunderten oft vorgekommen ist (vgl. 113, 158, 298, 340).

Wer als er im System der indirekten Rede im Text auftritt, hängt von der Intention des als Subjekt auftretenden Sprechers ab. Deswegen kann auch die reale du-Stimme und sogar die reale i'c/i-Stimme selbst in der indirekten Rede erscheinen. Z. B. Es heißt, du wirst (werdest) damit beauftragt werden. Ich sagte, du seiest mitten in der Arbeit... ich habe heute erfahren, daß in der Stadt erzählt wird, ich sei reich... (angeführt nach Kaufmann, 95, 96, 100).

4. Erlebte Rede und andere komplizierte Formen der Stimmenvermengung. Die erlebte Rede (nach H. Brinkmann: Die gedachte Rede) entsteht dadurch, daß die Autorenstimme, ohne in direkte fremde Rede oder in indirekte Rede umgestaltet zu werden, mit den Zügen der Stimme und der Gedanken der Figuren in der fiktionalen Erzählung überlagert wird. (Vgl. Lerch; Lork; Walzel; 152, 32; 358, 236—241; Kaufmann, 151 —154). Die Merkmale der erlebten Rede sind zum Teil der direkten, zum Teil der indirekten Rede entnommen, zum Teil sind sie ganz eigenartig: Es werden z. B. die lokalen und temporalen Angaben auf die Position der «erlebenden Figur» bezogen: Die dicke Bäckersfrau da drin sah nicht unsympathisch aus...; Aber morgen war Sonntag... (angeführt nach Kaufmann, 152), die Zeitformen des Verbs werden in die Vergangenheit (Präteritum und Plusquamperfekt) verschoben usw. Die erlebte Rede kann sowohl einen Satz bilden als auch ganze Seiten ausfüllen. Es entstehen auf diese Weise innere Monologe. Eine ganze Novelle von A. Schnitzler ({Leutnant Gustl)) ist als innerer Monologgestaltet. Auch in Novellen von Thomas Mann, wie etwa (Tonio Kroger) sind die inneren Monologe von größter Bedeutung und sind so lyrisch gefärbt, daß bei dem «er» der erlebten Rede einige Züge des lyrischen Ich zum Vorschein kommen (vgl. 76, 149—153; 358, 240).

Aber nicht nur die Gedanken, Gefühle und Worte einer Figur (d. h. er-Stimme), die Stimmen einzelner Menschen, sondern die ganzer Gruppen von Menschen können in der Autorenrede, in der ich-Stimme des Autors, hörbar werden, in ihr zu schwingen beginnen. Der Text kann in diesem Sinne polyphon werden, auf eine einfachere, äußerliche Art, wie z. B. in den Anfangsabschnitten des «Tristan» von Th. Mann (vgl. 114, 120—124), oder auf eine sehr komplizierte Weise, wie z. B. in den späteren Romanen Th. Manns in ihrer Vielstimmigkeit (vgl. 76, 386—397; 247).