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& 9. Suppletivformen, Nebenformen und Varianten der Morpheme

Wir haben schon in § 6 auf die Bedeutung hingewiesen, die der lautliche Zusammenfall (Homonymie) mehrerer formbildenden Morpheme für den deutschen Sprachbau hat (das Problem der grammatisch neutralen Endungen). Aber es sind noch einige Erscheinungen zu erwähnen, die die Lautgestalt der Morpheme im Deutschen charakterisieren.

Das Grundmorphem (die Wurzel) kann in den verschiedenen Formen des grammatischen Paradigmas in ganz verschiedenen Lautformen als Allomorphe auftreten (Suppletivformen): seinbin ist war ge/wes/en, viel mehr, gut bess/er, wen/ig mind/er, ich mein/er, wir uns, er sein/er ihm, sie ihr. Es handelt sich dabei hauptsächlich um außerordentlich gebräuchliche Wörter mit sehr allgemeiner und abstrakter Bedeutung, deren Formen größtenteils genetisch von verschiedenen Wurzeln gebildet wurden. Die Grundmorpheme in einigen anderen Paradigmen unterscheiden sich lautlich nur zum Teil (Nebenformen der Morpheme). Außer den Fällen der durch den Ablaut und Umlaut gebildeten inneren Flexion, die wir in § 7 besprochen haben, gehören hierher Beispiele solcher Art wie geh/en ging, steh/en stand, hab/en hat, hatte, tun tat, zieh/en zog, leid/en litt, hoch höh/er. Auch hier überwiegen sehr gebräuchliche und ihrer Bedeutung nach sehr allgemeine Wörter. Der lautliche Unterschied ist hier historisch gewöhnlich als Folge irgendwelcher phonetischen Prozesse entstanden, die sich nur in einigen Formen des Paradigmas auswirken konnten. So leben in dem Un­terschiede zieh/en zog (Nullform, d. h. kein Konsonant im Auslaut des Grundmorphems — g) die Reflexe des Vernerschen Gesetzes weiter fort (dasselbe in der Gegenüberstellung leid/en litt). Die verkürzte Form des Grundmorphems in einigen grammatischen Formen von hab/en (ha/t, ha/te) ist ein Ergebnis der mittelhochdeutschen Kontraktion, die einst das Paradigma des betreffenden Wortes noch stärker beherrschte (die Normalform des Infinitivs im Mhd — hän) usw.

Aber in vielen Fällen genügt der größere oder kleinere Unterschied in der Lautgestalt noch nicht, um einwandfrei festzustellen, ob die in Frage kommenden Grundmorpheme von verschiedenen Wurzeln suppletiv gebildet sind oder ursprünglich eine und dieselbe Form hatten. Der äußere Schein kann hier zuweilen trügen. So erscheint vom heutigen Standpunkte aus die Form des Pronomens dritter Person (Dat. Fem. Sg.) ihr in jeder Hinsicht, auch genetisch, als völlig verschieden von der Form Nom. Fem. Sg. desselben Pronomens sie. Aber in Wirklichkeit sind die Wurzeln in beiden Formen, genetisch betrachtet, identisch. (Sie rühren von der indoeuropäischen Demonstrativwurzel *s- her.) Noch im Gotischen lautete die Dativform izai, hatte also nach dem Vernerschen Gesetz ein stimmhaftes -s- im Grundmorphem. In einigen Fällen reichen unsere historischen Kenntnisse überhaupt nicht aus, um diese Frage zu entscheiden. Es ist z. B. eine Streitfrage, ob geh/en und ging Suppletivformen seien oder die Form geh/en (ahd. gän, gen) als Resultat einer frühzeitigen Kontrahierung zu gelten habe. Aber für das System des Neuhochdeutschen sind diese genetischen Probleme belanglos.

Die Lautgestalt der Grundmorpheme in einem und demselben Para­digma kann also vollständig oder zum Teil variieren. Diese Erscheinung hat manches mit der inneren Flexion gemeinsam. Nicht nur der völlige Wechsel der Grundmorphemgestalt, wie es bei dem Verb sein der Fall ist, sondern auch ein teilweiser Wechsel, der die Formen stehen stand, ziehen zog kennzeichnet, trägt dazu bei, die Gegen­überstellung von grammatischen Formen eines und desselben Wortes klarer und deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Aber in der Regel sind es doch nur Begleiterscheinungen. Sie bilden kein festes System der Un­terscheidung von morphologischen Formen, so daß die meisten von ih­nen an und für sich überhaupt mit keiner grammatischen Wortart oder Kategorie tiefer verbunden sind (im Gegensatz zum Ablaut, der das System der starken Verben organisiert, oder zum Umlaut, der mit vielen grammatischen Kategorien eng verknüpft ist). Was besagt an und für sich der Wechsel Null — g in den Formen ziehen zog? Eigentlich gar nichts. Dagegen drückt der Wechsel ie — о in diesen Formen die Gegenüberstellung des präsentischen Stammes mit dem präteritalen aus: biegen bog, bieten bot, schieben schob, fliegen flog, fliehen floh, kriechen kroch, gießen goß, sieden sott. So wird der Wechsel Null — g nur zu einem Zubehör bei der formalen Abgren­zung zwischen Präsens und Präteritum des betreffenden Verbs. Dieser Wechsel wird grammatisch wirksam nur auf der Grundlage von anderen morphologischen Abgrenzungsmitteln.

Es gibt einen Wechsel auch in der Lautgestalt der Hilfsmorpheme. Hier kommen zwei ganz verschiedenartige Erscheinungen in Betracht. Einerseits kann ein Hilfsmorphem in gänzlich voneinander abweichenden Lautgestalten auftreten (eine Parallelerscheinung zu den Suppletivformen des Grundmorphems). Als Flexionsendung des Genitivs beim Substantiv erscheinen -(e)s, -ens, -en, Null. Außer der Form -ens, die sowohl geschichtlich als auch vom heutigen Standpunkt aus mit den Endungen -(e)s und -en klar zusammenhängt, sind die Lautgestalten vollkommen verschiedenartig. Sie korrespondieren nicht miteinander, und man kann sie nicht aufeinander zurückführen. Dasselbe gilt auch z. B. für das formbildende Hilfsmorphem, das Pluralsuffix der Substantive: -e, -er, -(e)n, -s, Null.

Solche radikalen Unterschiede in der Lautgestalt der formbildenden Hilfsmorpheme sind für alle flexivischen Sprachen charakteristisch. Im Russischen ist dieser Wechsel auch sehr entwickelt. Aber in einigen modernen indoeuropäischen Sprachen, in welchen das Flexionssystem überhaupt stark reduziert ist, wird ein solcher Wechsel fast vollständig behoben. Als Beispiel kann hier die englische Sprache dienen, in welcher die Endung des Genitivs (Possessive Case) immer -s und als Pluralsuf­fix auch immer -s (-es, ies) ist. So tut der deutsche Sprachbau auch hier seinen flexivisch-analytischen Charakter kund.

Anderseits findet man im Deutschen auch solche Unterschiede in der Lautgestalt der Hilfsmorpheme, die als Varianten einer und derselben Lautform zu bezeichnen sind. Der Wechsel der Lautgestalt ist hier in der Regel phonetisch bedingt, d. h. er hängt von der phonetischen Struktur des Wortes oder der Wortgruppe (in einigen Fällen sogar des ganzen Satzes) ab. Die Lautform der Flexion der 2. Pers. Sg. Präs. ist normalerweise -st. Aber wenn das Grundmorphem des Verbs einen Dental im Auslaut hat, so entsteht (besonders beim schwachen Verb) die Tendenz, ein e zwischen das Grundmorphem und das formbildende Morphem zu schieben, so daß die Flexionsendung in der Gestalt -est erscheint: du mach/st, stell/st red/est, antwort/est. Ein schwaches e tritt überhaupt in vielen Formen an das Hilfsmorphem hinzu, wenn der Stamm des Wortes solche Phoneme im Auslaut hat, die mit dem Anlautsphonem des Morphems verschmelzen können: er mach/t red/et; er mach/te red/ete; der schlimmsteweis/este. In allen diesen Fällen kann man vom Einschub des e nur vom synchronischen Standpunkt aus sprechen. (Geschichtlich betrachtet ist dieses e ursprünglicher als das Fehlen des Vokals.) So wird die Anhäufung von gleichartigen Konsonanten verhütet.

Auch der Redestil und das emotionale Moment sind Faktoren, die solche Varianten der Hilfsmorpheme hervorrufen können, indem sie auf die phonetische Struktur der Sätze, Wörter und Wortgruppen einwir­ken. So verschwindet in der Umgangssprache, in der erregten Rede, nicht selten das schwache unbetonte [э] vor Sonoren, welche dabei sonantisch werden: ha:ben ha:bn, zuweilen sogar mit Assimilation des b ha:m.

Entwicklungen solcher Art kommen aber auch bei den Grundmorphemen vor, sehr oft bei den schwachbetonten Pronomina und Hilfswörtern (Artikel, Präpositionen). In enklitischer oder proklitischer Stellung wird es zu 's, eine kann zu 'ne werden, ein zu 'n usw. Vgl. Wie's so geht. Hast du denn'ne große Praxis? Wie'n ganzes geschlagnes Jahr! (Hauptmann). Diese auf dem starken dynamischen Akzent der germanischen Sprachen beruhende Tendenz, die sich bereits im Althochdeutschen mächtig auswirkte, führte auch zur Schaffung von längst stabilen Kontaminationen am, ans, im, ins usw. (Präposi­tion -f Artikel).

Die von emotional-sprachstilistischen Faktoren hervorgerufenen Umgestaltungen der Morpheme können in einer Richtung wirken, die der Tendenz zur Verhütung besonders schwieriger Häufungen gleichartiger Konsonanten entgegengesetzt ist, z. B.

Du hätt'st doch mal was von dir hören lassen sollen. (Hauptmann)

Auf den grammatischen Bau des Deutschen haben solche phonetischen Varianten der Hilfsmorpheme (und einiger Arten von Grundmorphemen) unmittelbar keinen Einfluß, obgleich im Laufe von Jahrhunderten diese Erscheinungen zu schwerwiegenden morpholo­gischen Veränderungen führen können. Denn alle großen Abschwächungs- und Reduktionsprozesse im Flexionssystem haben eigentlich mit der Verbreitung irgendwelcher abgeschwächten phone­tischen Varianten der Hilfsmorpheme begonnen.

Zweites Kapitel

Das System der Redeteile