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§ 15. Die grammatischen Kategorien und die semantisch­grammatischen Klassen des Substantivs

Man kann beim Substantiv drei unbestrittene grammatische Ka­tegorien entdecken, wie es auch in der Grammatik üblich ist, und einige Erscheinungen, die mit den grammatischen Kategorien ziemlich nah verwandt sind.

Zu den unzweifelhaften grammatischen Kategorien gehören Numerus (Zahl, s. § 14, 17), Kasus (Fall, s. § 14, 17—21), Genus (grammatisches Geschlecht, s. § 15). Zu den Erscheinungen, denen einige Züge der grammatischen Kategorie eigen sind, gehören die Bezeichnung der Bestimmtheit oder Unbestimmtheit des im Substantiv ausgedrückten Begriffes, die Hervorhebung des Umfangs, in welchem dieser Begriff gedacht wird, und die Angabe seines semantisch­grammatischen Charakters vom Standpunkt der Zählbarkeit und Konkretheit aus. Die zwei ersten eng miteinander verknüpften Erscheinungen, die grammatisch in erster Linie durch den Gebrauch des Artikels zum Ausdruck gelangen, werden auch im Anschluß an die Analyse der Funktionen des Artikels besprochen (s. § 25). Die dritte Erscheinung, obgleich auch für sie der Artikel von großer Bedeutung ist, kommt in diesem Paragraphen zur Sprache.

Es gibt im Wortbestand der Substantive eine fast unbeschränkte Anzahl von semantischen Richtlinien, nach welchen man die unüberseh­bare Masse der Substantive ordnen könnte. Es wäre durchaus möglich, solche semantische Bereiche («Felder») von verschiedenstem Umfang auszusondern, wie z. B. Hausgerät, Maschinenteile, Krankheitsbenen­nungen, Schreibutensilien, Käferarten, Papiersorten, Literaturgattun­gen, aus Holz oder aus Eisen verfertigte Gegenstände usw. Das Wort, das einen und denselben Gegenstand bezeichnet, könnte dabei zugleich zu einigen von solchen Bereichen gehören, z. B. der Bleisttft — zugleich zu den Schreibutensilien und zu den Holzgegenständen. Aber vom Standpunkt der Grammatik aus sind diese semantischen Wortgruppie­rungen, diese «Felder», ganz belanglos. Denn allen diesen Gruppierun­gen liegt kein formales, grammatisches Kriterium der Einteilung zugrunde. Für den Lexikologen oder für den Fachmann, der auf dem entsprechenden Gebiete der Wissenschaft, Technik usw. tätig ist, können solche Substantivlisten (übrigens auch ähnliche Listen von Verben und Adjektiven) von großem Nutzen sein (vgl. die zwei- und mehrsprachigen technischen Wörterbücher, die dem Sprachunterricht dienenden Bildwörterbücher usw.). Für den Grammatiker haben aber solche Listen unmittelbar keinen Wert (vgl. 237).

Doch gibt es Ansätze auch zu solchen semantischen Wortklassen, die in grammatischer Hinsicht auf irgendwelche Weise einheitlich sind.

So führt man in den Grammatiken gewöhnlich mehrere semantische Wortklassen an, die dadurch grammatisch zu gewissen Einheiten verbunden werden, daß alle Wörter, die zu einer von diesen Wortklas­sen gehören, eines und desselben-grammatischen Geschlechts sind. Die Wochentage sind alle männlich (der Montag usw.— sogar der Mittwoch, obgleich sowohl die Woche als auch die Mitte Feminina sind), Maskulina sind auch die Himmelsgegenden (der Osten, Westen usw.), Winde (der Föhn, Passat usw.) und einige andere semantische Gruppierungen. Neutra sind die Metalle (das Eisen, Gold usw.— aber der Kobalt, der Stahl), Feminina die Benennungen der Baumarten (die Fichte, Birke, Tanne — aber der Ahorn, der Baobab) (vgl. 401, 81—83).

Aber wenn die Substantive, die an solchen Wortklassen teilnehmen, grammatisch auch wirklich durch die Einheit des Genus näher zusammenhängen, so werden sie doch durch diese Einheit von der kolossalen übrigen Masse der Substantive noch nicht geschieden, weil zu jedem grammatischen Geschlecht mehrere semantische Gruppierun­gen und sehr viele semantisch vereinzelte Wörter gehören. Die Einheitlichkeit einer solchen Wortklasse wird also durch das gramma­tische Geschlecht nur von innen, aber nicht von außen gebildet. Und ohne äußerliche Abgeschlossenheit, ohne formale Abgrenzung gegen ähnlich geartete Erscheinungen gibt es keine vollwertige grammatische Klasse, keine grammatische Kategorie.

Dasselbe gilt mehr oder weniger auch für solche Substantivgruppie­rungen, die vermittels eines und desselben Suffixes gebildet sind. So werden Substantive auf -ung oder -heit oder -schaft zu besonderen Substantivartemsowohl durch das Vorhandensein dieser Suffixe selbst als auch durch das grammatische Geschlecht und eine relative (aber keineswegs vollständige) Einheitlichkeit der Semantik gestempelt, die die Bildungen mit jedem von diesen Suffixen charakterisiert. So werden mit dem Suffix -ung vor allem Substantive von verbalen Stämmen mit der Bedeutung eines Prozesses in seinem Verlauf (Bewegung, Er­richtung, Verarbeitung usw.) oder des Resultats eines Prozesses (Erscheinung, Ladung, Verblendung usw.) gebildet. Aber Substantive mit ähnlicher Bedeutung (Nomina actionis und Nomina acti) können auch auf andere Weise geformt werden: die Bedeutung der Nomina actionis haben z. B. normalerweise die substantivierten Infinitive (Verarbeitung das Verarbeiten, Errichtung das Errichten usw.), die Bedeutung der Nomina acti können verschiedenartig geformte Substantive haben (vgl. Ladung Last, Stellung Position, Vor­bestimmung Prädestination). Es kommt noch hinzu, daß von vielen Verben Substantive auf -ung nicht gebildet werden (nehmen das Nehmen, aber nicht*Nehmung, obgleich Vernehmung möglich ist; stehen — das Stehen, der Stand, aber nicht *Stehung, obgleich Entstehung möglich ist; schmieden das Schmieden, Schmiedearbeit, aber nicht *Schmiedung usw.) und daß manche Bildungen auf -ung weder die Bedeutung der Nomina actionis noch die der Nomina acti haben, z. B. Kleidung, Rüstung, Holzung, Zeitung, Niederung (vgl. 405, II, 374—383; 203, 164—174; 400, 94—95; 192, 88). Übrigens läßt sich das System der Nomina acti selbst keineswegs als ein semantisch einheitliches bestimmen (vgl. 268, 373). Dies alles macht die Masse der Substantive auf -ung höchstens zu einer sehr komplizierten lexikalen, aber nicht zu einer grammatischen Kategorie. Mehr oder weniger ähnlich verhält es sich mit den meisten Substantivgruppierungen, die vermittels anderer Suffixe gebildet werden. (Sehr wichtig in diesem Zusammenhang sind die auf ein reichhaltiges Material gestützten Ausführungen von Brinkmann, 2, 16ff.)

Viel begründeter sind die Ansprüche auf den Rang einer gramma­tischen Kategorie, die von seiten einer anderen und allgemeineren, umfassenderen semantischen Klassifikation des Substantivbestandes erhoben werden. Es ist die von der traditionellen Grammatik gewöhnlich durchgeführte Einteilung der Substantive in konkrete und abstrakte, wobei die ersteren in Gattungsnamen, Stoffnamen, Eigenna­men und Sammelnamen zerfallen.

Freilich kann hier von einer grammatischen Kategorie nur in einem ganz anderen Sinne die Rede sein.als es bei der Behandlung solcher Kategorien wie der Zahl oder des Kasus der Fall ist. Diese Kategorien sind, von ihrer äußeren Ausdrucksform abgesehen, jedem Substantiv eigen, und die Veränderungen nach ihrem Formensystem vollziehen sich innerhalb des Formensystems eines und desselben Wortes. Jene Kategorie dagegen ist alternativ. Jedes Wort kann nur zu einer Abart dieser Kategorie gehören, d. h. kann entweder ein Abstraktum oder ein Konkretum, entweder ein Gattungsname oder ein Stoffname oder ein Eigenname sein. Die Träger der kategorialen Verschiedenheiten sind hier also nicht die Wortformen, sondern die Wörter selbst. Daß an und für sich grammatische Kategorien solcher Art durchaus möglich sind, beweist das grammatische Geschlecht bei den Substantiven, das auch alternativ ist — die Verschiedenheit von Maskulina, Feminina und Neutra ist an die Verschiedenheit der Wörter und nicht an die der Wortformen gebunden.

Die grammatische Einteilung des Bestandes einer Wortart wird überhaupt zu einer grammatischen Kategorie, wenn sie sich auf den Gesamtbestand dieser Wortart ausdehnt, also wenn jedes Wort (einige Ausnahmen sind allerdings zulässig) sich irgendeiner Klasse der betreffenden Einteilung anschließt.

Der semantische Gehalt solcher Substantivklassen wie die Abstrakta, Gattungsnamen usw. ist ohne weiteres klar. Komplizierte ist die Frage nach den formalen Ausdrucksmitteln, die dieser seman tischen Unterscheidung grammatisches Gepräge geben.

Diesem Zweck dient ein ganzes Bündel von grammatischer Erscheinungen. Es kommen hier in Betracht: 1. der Gebrauch des Artikels (speziellere Fälle, wie z. B. der Gebrauch des Artikels vor einem mit Adjektivattribut versehenen Substantiv oder in einer Präpositionalgruppe, werden in diesem Zusammenhange nicht erör­tert); 2. die Bildung der Pluralformen; 3. einige Besonderheiten der Kasusformen. Keine von diesen grammatischen Erscheinungen ist allein imstande, die betreffenden Typen klar voneinander zu sondern. Aber alle zusammen geben sie ein grammatisch interessantes, wenn auch etwas unvollkommenes und verschwommenes Bild.

Von allen diesen Substantivklassen ist es am leichtesten, die Gattungsnamen zu charakterisieren. Sie sind sozusagen (normal) vom grammatischen Standpunkt aus. Sie können sowohl in individualisierter als auch in genereller Bedeutung auftreten und bilden (mit wenigen Ausnahmen) ein vollständiges Deklinationsparadigma. Sie werden in üblicher Weise mit dem Artikel verknüpft. Es kann sich dabei um Substantive mit sehr verschiedener Semantik handeln — um Benennun­gen der Lebewesen (Fisch, Katze, Mensch), der leblosen Gegenstände (Haus, Berg, Teller), der sozialen Körperschaften und Institutionen (Gesellschaft, Kultur, Stand), der physikalischen Grundeinheiten (Molekül, Atom, Neutron), der Vorgänge des menschlichen Gemütsle­bens (Empfindung, Gefühl, Wahrnehmung) usw. Auch die Wörter, die ihrer Grundbedeutung nach zu anderen semantisch-grammatischen Klassen gehören, treten oft als Gattungsnamen auf, z. B. Brot als Stoffname — Brot als Brotlaib, Pluralform Brote, Gattungsnamen bilden den Ausgangspunkt, die Grundlage für das ganze System der semantisch-grammatischen Substantivklassen.

Die Stoffnamen, wenn sie in ihrer eigentlichen Bedeutung gebraucht werden, weisen Artikellosigkeit und Plurallosigkeit auf:

Brot ist Freiheit, Freiheit Brot. (Herwegh) Es ist. nicht alles Gold, was glänzt. Er trinkt Milch.

Doch erscheint oft auch bei den Stoffnamen der Artikel, besonders wenn ihre Bedeutung in Hinblick auf den Kontext und die Situation etwas verengt und konkretisiert wird:

Der Speck schrumpfte immer mehr, der langte nicht mal bis Neujahr. (Seghers) Noch waren die Beete mit Matten bedeckt ... aber der Schnee war fort. (Th. Mann)

Pluralformen von Stoffnamen:*Golde*Milche existieren nicht. Die Form Brote existiert zwar, bedeutet aber eine Vielheit von Einzeldingen. Das Fehlen des Artikels und Plurals ist eine Folge der Unzählbarkeit der Stoffbegriffe. Auch in der Bildung der Kasusformen weisen Stoffnamen gewisse Besonderheiten auf, indem sie in Verbindung mit M-aöbezeichnungen unflektiert bleiben (eine besondere, aber sehr konsequent durchgeführte Abart der Monoflexion): Nom., Akk. ein Stück Brot, Gen. eines Stückes Brot, Dat. einem Stück(e) Brot. Einige Ähnlichkeit mit den Stoffnamen haben die Sammelnamen. Da sie selbst eine Vielzahl darstellen, ohne sich dabei in gleichartige Einzelerscheinungen einteilen zu lassen, brauchen sie in vielen Fällen keine Pluralform. Sie können inhaltlich eine kleinere oder eine größere Anzahl von betreffenden Erscheinungen ausdrücken, ohne die Zahlform zu verändern — falls diese Erscheinungen lokal und temporal, zusammenhängen.

Die Eigennamen werden ohne Artikel gebraucht, weil sie schon von vornherein individualisiert sind (in der Umgangssprache kommt der Artikel allerdings ziemlich oft vor). Die Pluralform wird in der Regel sehr selten gebraucht, da sie praktisch nur in Ausnahmefällen notwen­dig ist, aber wenn sie doch gebildet wird, hat sie gewöhnlich nichts Sprachwidriges: Karle, Marien, Fritze. Sehr bedeutend sind bei den Eigennamen die Besonderheiten der Kasusformen. Weibliche Eigenna­men können im Singular — im neueren Sprachgebrauch übrigens ziemlich selten — Kasusendungen erhalten (Nom. Marie, Gen. Ma-riens, Dat., Akk. Marien). Maskulina können im Singular die gemischte, besonders ausdrucksfähige Endung -ens aufweisen (Gen. Fritzens, Maxens). Die erhöhte flexivische Kraft der Eigennamen ist syntaktisch verursacht: die Eigennamen werden ohne Artikel und meistens überhaupt ohne jegliche kongruierende Bestimmungswörter gebraucht, so daß der Kasus auf dem Wege der Monoflexion nicht zum Ausdruck gelangen kann.

Doch geht im 19. und besonders im 20. Jahrhundert der Gebrauch von flektierten Eigennamenformen ganz entschieden zurück. In der Umgangssprache werden die Flexionsendungen zuweilen monoflexi-visch durch den Artikel ersetzt. Z. B. Sag's dem Karl! Oder es wird einfach auf den Ausdruck des Kasus verzichtet, da die Kasusbedeutung der Form in der Regel der Situation und dem Kontext, der Wortstellung und der Intonation fast unfehlbar zu entnehmen ist.

Auch die Abstrakta werden manchmal ohne Artikel gebraucht und bilden keine Pluralform.

Das erste Merkmal (die Artikellosigkeit) ist sehr schwankend. Ohne Artikel stehen die Abstrakta, wenn der in ihnen enthaltene Begriff im vollen Umfang gedacht wird. Aber viel häufiger, sogar in ähnlichen Verwendungsfällen, wird das Abstraktum mit dem bestimmten Artikel gebraucht, vgl. in Angst in der Angst. Liebe denkt in süßen Tönen. (Tieck) Die Liebe muß sein platonisch. (Heine) Hoffnung bleibt mit dem Leben vermählt, .die schmeichelnde Göttin. (Goethe) Doch überredete die Hoffnung mich, die Gleißnerin. (Goethe)

Wenn eine einzelne Handlung oder ein Zustandsmoment aus­gedrückt werden sollen, steht bei dem Substantiv der unbestimmte Artikel — außer den Fällen, wo das Abstraktum mit dem Verb eine phraseologische Einheit bildet: Er machte eine Bewegung sich Bewegung machen; Wollen Sie mir einen Dienst leisten? Dienst tun (vgl. 132, I, 68—72).

Das zweite Merkmai ist viel stärker ausgeprägt. Die Pluralformen von solchen Wörtern wie Liebe, Glück, Zorn und viele andere existieren eigentlich in der deutschen Sprache nicht. Die Pluralform Lieben gehört nicht zu Liebe, sondern zum substantivierten Adjektiv der oder die Liebe mit der Bedeutung «die geliebte Person». Die Form Glücke scheint! überhaupt unmöglich zu sein, kommt aber in seltenen Fällen vor, doch ! mit der Bedeutung «Glücksfälle, Glückswendungen»: Man denke] hierbei nur an Glücke, wie der Rasumowski, Orlow. (Arndt) Allerdings* kommen doch, wie öhmann zeigt, bei einigen namhaften Schriftstellern! im 18. Jh. auch Pluralformen von dem Abstraktum Liebe vor (z. B. bei! Hippel und Jean Paul) und bei Goethe von solchen Abstrakta wie Gunst) (Günste), Untreue (Untreuen) usw., was die Traditionen des deutschen, Pietismus fortsetzt, aber möglicherweise auch unter französischem] Einfluß steht (304, 34—36). Doch scheinen diese Formen der modernen! Sprache ganz fremd zu sein. Die konsequente Durchführung der' Plurallosigkeit bei den Abstrakta, wenn sie in ihrer eigentlichen Bedeutung gebraucht werden, ist übrigens eine selbstverständliche Folge der Unzählbarkeit der abstrakten Begriffe. Falls man aber die' entsprechenden Wörter zur Bezeichnung der Einzelerscheinungen, Einzelhandlungen usw. verwendet, so werden sie schon zu einer Abart: von Gattungsnamen und bekommen dementsprechend Pluralformen. Wenn Substantive solche Sinneszustände und Empfindungen ausdrücken, die in der Regel als eine Reihe von Einzelakten auftreten, so haben sie regelrechte Pluralformen: Hoffnungen, Freuden, Bewegun­gen usw. Es muß also betont werden, daß ein wahres Abstraktum als ein unteilbarer Gesamtbegriff erscheint, der irgendein Merkmal (eine Eigenschaft, einen Vorgang) dinghafter Wesen selbst als ein dinghaftes Wesen (eine Substanz) wiedergibt.

Deswegen ist es verfehlt, die Abstrakta als solche zu den Gattungsnamen zu zählen. Die Abstrakta im eigentlichen Sinne des Wortes kennen eben die Gegenüberstellung der individualisierenden und der generalisierenden Wahrnehmung und Darstellung des Dinges nicht, die das Wesen der Gattungsnamen ausmacht.

Man kann sich auch nicht der weitverbreiteten Ansicht anschließen, der zufolge auch die Benennungen der sozialen Körperschaften und Institutionen Abstrakta sind: Staat, Klasse usw. Das alles sind dinghafte Wesen in der realen Wirklichkeit selbst, nur daß sie eine eigenartige Existenzform haben. Es sind normale Gattungsnamen, die auch normale Pluralformen bilden: Staaten, Klassen, Gesetze usw. Wenn z. B. bei Bezeichnungen der einzelnen Klassen die Pluralform sehr selten ist (solche Formen wie Bourgeoisien, Proletariate klingen ganz ungewöhnlich), so hat es seinen Grund darin, daß man es hier eigentlich mit einer Abart von Sammelnamen zu tun hat.

Die Sammelnamen haben in der Tat einige Ähnlichkeit sowohl mit den Abstrakta als auch mit den Stoffnamen. (Den Grundbestand der Sammelnamen bilden die vom synchronischen Standpunkt aus zusammengefallenen Formen vom Typus Gebirge, Geplauder mit substantivischen und verbalen Stämmen.) Da sie selbst eine Mehrheit, ein Kollektivum darstellen, ohne sich dabei in gänzlich gleichartige Einzelerscheinungen einteilen zu lassen, haben sie tatsächlich den Pluralgehalt in der Singularform. Gebüsch, Gestrüpp, Geäst, Gebälk, Gestirn, Gebell, Geplänkel, Geplapper, Geplauder und viele andere Wörter dieser Art können eine sich von Fall zu Fall verändernde,

kleinere oder größere Anzahl von betreffenden Gegenständen oder Prozessen bezeichnen: ein Gebüsch kann wenige Quadratmeter oder ganze Quadratmeilen bedecken, ein Gebell kann von einem Hunde oder mehreren Hunden erzeugt werden und einige Sekunden oder einige Minuten dauern, aber immer ist es eine Einheit und eine Vielheit zugleich — und das macht hier die Pluralform eigentlich überflüssig. Sie wird notwendig in den Fällen, wenn nicht von einer ununterbroche­nen Vielheit die Rede ist, sondern von vielen solchen Vielheiten, die voneinander getrennt sind (in Raum oder Zeit), jede für sich eine Einheit bildend: das Gestirn (eine geschlossene Einheit von Sternen) — die Gestirne (mehrere von solchen geschlossenen Sterneinheiten, die voneinander abgegrenzt sind), dementsprechend: das Gebirge die Gebirge, das Gefilde die Gefilde.

Nicht bei allen Sammelnamen ist eine solche Auffassung möglich. Sie ist aktuell für Sammelnamen mit ausgesprochen räumlich­gegenständlicher Semantik (vgl. die oben angeführten Beispiele). Hier ist sie sogar praktisch notwendig. Aber in Hinsicht auf einige andere Sammelnamen mit gegenständlicher, aber nicht konkret-räumlicher Semantik (Gebälk, Gelumpe, Getäfel, Gewölk) und auf fast alle Sammelnamen mit der Semantik eines Prozesses (Gebell, Geplänkel, Geplauder, Gezänk, Gezeter usw.) ist eine solche Auffassung unan­wendbar. Man könnte gewiß auch.z. B. bei dem Worte Gebell an die bei jeder Jagd mit Hunden wiederkehrenden, aber zeitlich und räumlich voneinander gänzlich losgelösten Anfälle von Bellen denken und demgemäß im passenden Kontext die Pluralforjn Gebelle zu bilden versuchen. Vom logischen Standpunkt aus wäre es durchaus möglich. Aber in der deutschen Sprache gibt es solche Formen nicht mit Ausnahme einiger Sammelnamen, in deren Semantik die unmittelba­re Aktivität des Prozesses abgeschwächt ist, so daß sie eher als Bezeichnungen von ganzheitlichen Begebenheiten erscheinen (z. B. Gespräch Gespräche). Sonst wird bei solchen Sammelnamen ihre Einheitlichkeit empfunden, ohne daß ihre Vielfalt gelöscht wird, d. h. die Vereinigung zu einem ganzen einer kleineren oder größeren Anzahl von einzelnen Erscheinungen (Wolken Gewölk) oder Handlungen (plaudern Geplauder) usw. Mit anderen Worten: sie sind zu sehr Pluralbegriffe, als daß sie noch spezielle Pluralformen bilden könnten.

Wie bei den Stoffnamen und Abstrakta kann bei den Sammelnamen die Annäherung an die Gattungsnamen auf zwei Wegen geschehen. Erstens können die Sammelnamen eine solche Semantik haben, die sie, wie wir schon gesehen haben, den Gattungsnamen im wesentlichen gleichsetzt (vor allem die konkret-räumliche Semantik und die Semantik einer vereinzelten Begebenheit). Zweitens können auch «richtige» Sammelnamen, obgleich sie einen unteilbaren, semantisch einheitlichen Begriff bezeichnen, als Ganzes auf syntaktischem Wege verschiedentlich modifiziert werden, so daß die Bedeutung des Wortes selbst als eine allgemeine und die Bedeutungen der Attributivgruppen (oder Zusammensetzungen) als besondere Bedeutungen erscheinen. Vgl. das Geplauder das leise Geplauder, das laute Geplauder, das dumme Geplauder, das endlose Geplauder, das trauliche Geplauder, das geistreiche Geplauder, Theatergeplauder, Residenzgeplauder usw! Doch bleibt in diesem Fall ein prinzipieller Unterschied der Sammelna­men von den Gattungsnamen eben darin bestehen, daß der vom Worte bezeichnete Prozeß unzerlegbar ist und man es nur mit seinen verschie­denen «Sorten» zu tun hat.

Aus dieser Übersicht der semantisch-grammatischen Substan­tivklassen kann man folgende Schlüsse ziehen:

Die Ausdrucksformen der eben besprochenen Wortklassen sind nicht genügend spezialisiert. Besonders universal ist das Fehlen der Pluralform; es kennzeichnet alle semantisch-grammatischen Substan­tivklassen mit Ausnahme der Gattungsnamen. Die Artikellosigkeit ist bei allen Klassen vertreten, außer den Gattungsnamen und Sammelna­men. Besonderheiten in der Kasusbildung sind die differenziertesten der Ausdrucksformen, sie treten nur bei Stoffnamen und Eigennamen auf und sind bei diesen Klassen verschiedenartig gestaltet. Aber im ganzen fließen die grammatischen Merkmale der verschiedenen Klassen zusammen, was sie in Verbindung mit vielen Schwankungen und Übergangsfällen innerhalb der einzelnen Klassen zu sehr verschwom­menen grammatischen Wortarten macht und vor allem als semantische Einheiten charakterisieren läßt. Von grammatischen Kategorien darf hier keine Rede sein. Es sind eben semantisch-grammatische Substan­tivklassen.

Wie wir schon angedeutet haben, sondern sich die Gattungsnamen von allen anderen semantisch-grammatischen Substantivklassen ab. Eigentlich stehen die Gattungsnamen als die «normale», al-lertypischste Substantivklasse allen anderen oben genannten Klassen gegenüber. Die Scheidungslinie verläuft hier »in der Richtung: Gat­tungsnamen — Nichtgattungsnamen. Aber für verschiedene Klassen ist der Unterschied ihres verallgemeinerten Bedeutungsgehalts von dem Bedeutungsgehalt der Gattungsnamen verschiedenartig gefärbt. Bei den Stoffnamen ist der Kern dieses Unterschiedes die Gegenüberstel­lung: Zählbarkeit — Nichtzählbarkeit, bei den Eigennamen: Verbin­dung in einer Wortform der individualisierten und der generalisierten Bedeutung — Vorhandensein nur der individualisierten Bedeutung, bei den Abstrakta: Zählbarkeit und Teilbarkeit — Unteilbarkeit. Alle diese Unterscheidungen stehen einander gewiß sehr nah, sie stammen alle aus einem Bereich. Zählbarkeit, Teilbarkeit, Individualisierung — das alles sind Erscheinungsformen eines und desselben Wesens der Gattungsnamen, das in der Fähigkeit besteht, sowohl die ganze Gattung der betreffenden Dinge als auch ihre einzelnen Vertreter zu bezeichnen. Aber diese Erscheinungsformen fallen doch nicht zusam­men, sie haben ihre Besonderheiten, und indem sich die anderen semantisch-grammatischen Substantivklassen bald der einen, bald der anderen von ihnen gegenüberstellen, bilden sie sogar kein einheitliches semantisches, geschweige denn ein grammatisches System. Es ist kennzeichnend, daß sich die Eigennamen von den Gattungsnamen dadurch unterscheiden, daß sie nur individualisierend sind (also auch zählbar), während z. B. die Stoffnamen gerade keine Individualisierung zulassen und also nicht zählbar sind. Den Mangel an einer einheitlichen Gruppierung der Substantive nach den semantisch-grammatischen Klassen beweist auch die Tatsache, daß sich die den Gattungsnamen gegenüberstehenden Substantivklassen zum Teil kreuzen: in den Sammelnamen sind sowohl Stoffnamen als auch Abstrakta vertreten.

Die führende Rolle der Gattungsnamen auf dem Gebiete der semantisch-grammatischen Substantivklassen macht sich auch in der beständigen Annäherung der anderen Klassen an die Gattungsnamen geltend, die zum Teil mit einem vollständigen Übertritt aus einer Klasse in die andere endet und zur Bildung von Mischklassen führt.