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§ 23. Das Problem des Gemeinschaftskasus

Daß im Deutschen ein Kasus vorhanden ist, der in ganz verschiedenen Funktionen auftritt und unveränderlich bleibt, wurde in den Werken von Erdmann-Mensing (118) und Sütterlin (190) als eine Hypothese in sehr vorsichtiger Form behauptet. Dieser Gemeinschaftskasus fällt formell mit dem Nominativ zusammen. Für Mensing ist die Grundlage der Entwicklung des Nominativs zu diesem Kasus semantischer Art, nämlich die Fähigkeit des Nominativs — im Gegensatz zu den obliquen Kasus —, ein Ding als solches, ganz beziehungslos, zu bezeichnen, «außerhalb der Konstruktion des Satzes zu stehen» (195, 113). Den «allgemeinen Kasus» als solchen erblickt er in formelhaften artikello­sen Verbindungen der Substantive, die von einer Präposition abhängen, also Konstruktionen wie: Er steht auf der Altersstufe zwischen Knabe und Jüngling. Sütterlin stellt in den Vordergrund die Wirkung der sprachlichen Gesetzmäßigkeiten (es sind hier augenscheinlich die phonetischen gemeint), denen zufolge die Kasusformen ihre «ursprünglich eigentümlichen Ausgänge» verloren haben. Der Ge­meinschaftskasus erscheint nach Sütterlin dort, wo kein Vergleich mit ähnlich gebauten, aber, um einen nicht Sütterlinschen Ausdruck zu gebrauchen, grammatisch ausdrucksfähigen Formen zu Hilfe kommen kann. Seine Beispiele sind: Antrag Kanitz, Schutzes Beruf als Lehrer, Müller-Meiningen, ein Pfund Kirschen (vgl. auch Ljungerud, 119—121; 55, 85).

Brinkmann behandelt diese Erscheinung, auch solche wie Anfang Mai, als Erstarrung der Gestalt des Substantivs (148, 12—16).

Zu erwähnen wären noch die Fügungen mit dem Wort Art (eine Art Glück, eine Art Platz, eine Art Wechselfieber), mit dem Wort Stück (nicht nur Stoffnamen treten dabei «kasuslos» auf: ein Stück Welt) usw.

Doch nimmt diese Erscheinung einen verhältnismäßig bescheidenen Platz im deutschen Kasussystem ein. Und es ist kein Zufall. Im großen und ganzen widersetzt sich der Schaffung eines echten Ge­meinschaftskasus im Deutschen vor allem die Tatsache, daß die Nullflexion, wenn wir das ganze Deklinationssystem im Auge behalten, in der deutschen Sprache, im Gegensatz zum Englischen und Franzö­sischen, keineswegs überwiegt. Selbst auf dem Gebiete der Substantiv­deklination als solcher ist die Nominativform, durch Nullflexion (aber auch nicht immer) charakterisiert, zahlenmäßig schwächer vertreten als die Form der obliquen Kasus mit der Endung -en. Sogar bei den Stoffbezeichnungen beginnt der Gemeinschaftskasus zu schwanken, sobald der Stoffname in Begleitung eines Adjektivattributs erscheint. Wenn die ganze Gruppe in einem obliquen Kasus steht, hat das Adjektiv hier nie die Endung des Nominativs, was besonders bei Maskulina klar zutage tritt:

...Sie bringt... eine Schnitte fast heißen Streuselkuchen. (Seghers)

Eine Aufforderung im Sinne (Geben Sie mir...)

Ein Glas Wein, feurigen Wein. (Alexis)

Jung bringt als Normalform das Beispiel

bei einem Glas(e) kühlem Wein (2, 66—67) usw.

Also beruht in diesen Gruppen das syntaktische Verhältnis zwischen ihren Gliedern auf der Kongruenz, die in den meisten Fällen monoflexi-visch zum Ausdruck gebracht wird. Was die anderen Beispiele des Gemeinschaftskasus anlangt, so ist da eher mit Mensing an die Einwirkung einiger Züge und Verwendungsarten des Nominativs als an das Vorhandensein einer besonderen Kasusform zu denken. In der Gruppe Antrag Kanitz erscheint die zweite Komponente als verkürzte Benennung eines Ereignisses (in diesem Fall eines parlamentarischen Vorfalls), die eine gewisse Parallele zu Buchtiteln usw. bildet (vgl. der Erfolg seines Dramas {Die Räuber)). Letzten Endes gründet sich dieser Gebrauch auf die Benennungsfunktion des Nominativs — seine Hauptfunktion, die sich auch in der Bildung der Benennungssätze kundgibt (s. § 20). In der Gruppe Müller-Meiningen, in welcher die zweite Komponente eine Ortschaft bezeichnet (eine verkürzte Form der Präpositionalgruppe: aus Meiningen, von Meiningen), ist er «parenthe­tisch» gegeben und steht oft in Kommas oder Klammern. Erst der Kontext stellt die Attributivbeziehung zwischen dieser Form und dem leitenden Wort fest.

Anderseits wirken hier auch die syntaktischen Fügungstendenzen, die eben für den Nominativ charakteristisch sind. Von der Form des Nominativs gehen (vgl. § 20) potentielle syntaktische Strahlungen aus, die sowohl auf das Prädikat vom Subjekt her (wenn der Nominativ die Funktion des Subjekts oder eine analoge übernimmt) als auch auf das Subjekt vom Prädikat her (wenn der Nominativ als Prädikativ oder in einer analogen Funktion auftritt) gerichtet sind. Und solche Strahlun­gen werden zuweilen bei den Nominativformen spürbar, die in der Substantivgruppe ohne Kongruenz mit dem regierenden Wort erscheinen.

So bekommt der Nominativ in den verselbständigten Attributen, besonders bei einiger Distanzierung vom regierenden Wort, scheinbar eine prädikative Beziehung zu dem im regierenden Worte enthaltenen Begriff, die dem Nominativ im Benennungssatz eigen ist: es wird auf diese Weise die unmittelbare Zugehörigkeit des von ihm bezeichneten Begriffes zu einem anderen Begriff bezeichnet, der im Kontext enthalten ist. Somit wird hier eine unmittelbare prädikative Projektion vom Appositionsnominativ zu dem Begriff hergestellt, der durch das

leitende Wort ausgedrückt ist, ohne die grammatische Form zu beachten, in der er auftritt, wie es bei den nominativischen Benen­nungssätzen der Fall ist:

Er trug ein Wams von Leder und Beinkleider von grobem blauem Tuche, ein unscheinbarer Anzug, der aber seinen kräftigen Körperbau hervorhob. (Hauff)

Auch die Tendenz zum Obergang in die syntaktische Ruhelage (der Nominativ spielt im syntaktischen System eben die Rolle des Ruhelage-Kasus) dürfte bei Beispielen solcher Art im Spiele sein. Ähnliche Triebkräfte wirken auch bei dem Ersatz der obliquen Kasus durch den Nominativ in den a/s-Appositionen, was zum Teil auch durch die Tendenz zur Monoflexion hervorgerufen werden kann.

Es sind also manche Gebrauchsweisen der Nominativformen, die man zum Gemeinschaftskasus zählt, in Wirklichkeit fest mit den Hauptfunktionen des Nominativs als eines besonderen Kasus verbunden, während einige andere Gebrauchsweisen von diesen Formen auf der Tendenz zur Monoflexion beruhen. Wie weit diese beiden Erscheinungen ihren ursprünglichen Gehalt eingebüßt und sich zu einer strukturell-semantischen Einheit, zu einem Kasus vereinigt haben, ist eine große Frage. Und wenn man bedenkt, daß im Falle der Begleitung des Substantivs durch Artikel oder Adjektiv die Kongruenz mit dem regierenden Wort oft wiederhergestellt wird, so wird es klar, daß man es hier mit einer sehr beschränkten und widerspruchsvollen Erscheinung zu tun hat.

Es sind nur Ansätze zur Bildung eines neuen Kasus da. Und diese Ansätze, was sehr wichtig ist, führen nicht in Richtung Ge­meinschaftskasus, wie er im Englischen oder Französischen existiert, sondern in Richtung auf einen ganz eigenartigen Kasus. Es handelt sich ja hier fast ausschließlich (mit einer einzigen Ausnahme) um solche Besonderheiten im Kasusgebrauch, die den Substantiven nur als Gliedern der Substantivgruppe eigen sind. Nur die Substantivgruppe vermag es, einem (oder einigen) von ihren Gliedern die Nullflexion oder die Nominativflexion statt der Kasusflexion aufzuzwingen, die das Substantiv haben sollte, falls es allein (oder in Verbindung nur mit Artikel, Pronomen, Adjektiv) in derselben syntaktischen Funktion wie die ganze Gruppe auftreten sollte. Die einzige Ausnahme ist der Gebrauch nach Präpositionen (z. B. laut Befehl, wegen Mordversuch, zwischen Affe und Mensch), der aber einige Ähnlichkeit mit dem Gebrauch in der Substantivgruppe hat und ihm wenigstens nicht ganz entgegengesetzt ist: eine Art Diebstahl wegen Diebstahl. Es wäre also richtiger, von den Ansätzen zur Schaffung eines Kasus zu sprechen, der speziell zum Gebrauch in der Substantivgruppe bestimmt ist, der also an eine Gruppe gebunden ist und keinen klaren gramma­tischen Bedeutungsgehalt enthält.

Daß ein solcher Kasus überhaupt möglich ist, lehrt das Beispiel der russischen Sprache, die den Präpositionalkasus (predloznyj padez) kennt, in welchem sogar nicht die Abhängigkeit von einem vollwertigen Redeteil, sondern die von einem Hilfswort die Einheitlichkeit des Kasus in seinem Gebrauch ausmacht. Diese auf die Substan­tivgruppe beschränkten Kasus der deutschen Sprache könnte man vielleicht «Monoflexiv» nennen, da die Monoflexion doch die wichtigste Rolle bei der Bildung dieses Kasus spielt. Dem Nominativ ist der Monoflexiv, insoweit er überhaupt existiert, homonym oder er stellt nur eine besondere Gebrauchsweise des Nominativs dar. Es wäre aber auch durchaus möglich, in den betreffenden Besonderheiten der Substantivflexion in der Substantivgruppe einfach die durch die Tendenz zur Monoflexion bestimmten Formvarianten der gewöhnlichen Kasus zu sehen.

Fünftes Kapitel

Die Hilfswörter, die in den Spezialbereich des Substantivs gehören (Artikel und Präposition)