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Пелашенко, Серебрякова. KONJUNKTIV.doc
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  • 4. Lesetexte

Poetische Texte

J.W. Goethe

Wäre der Rubin mir eigen,

Perlen wären um ihn her,

O so wollt ich bald erzeigen,

Wie so herzlich lieb er wär;

Denn ich schüf ihn gleich zum Ringe,

Schlangen würd ich um ihn ziehn,

Und ich sagte: Liebe, bringe,

bring ihn der Geliebten hin

Erich Kästner

Existenz im Wiederholungsraum

Man müsste wieder sechzehn Jahre sein

Und alles, was seitdem geschah, vergessen

Man müsste wieder seltne Blumen pressen

Und (weil man wächst) sich an der Türe messen

Und auf dem Schulweg in die Tore schrein.

Man müsste wieder nachts am Fenster stehn

Und auf die Stimmen der Passanten hören,

wenn sie den leisen Schlaf der Straßen stören.

Man müsste sich, wenn einer lügt empören

Und ihm fünf Tage aus dem Wege gehen.

Man müsste wieder durch den Stadtpark laufen

Mit einem Mädchen, das nach Hause muss

Und küssen will und Angst hat vor dem Kuss.

Man müsste ihr und sich, vor Ladenschluss,

für zwei Mark fünfzig ein paar Ringe kaufen.

Man würde seiner Mutter wieder schmeicheln,

weil man zum Jahrmarkt ein paar Groschen braucht.

Man sähe dann den Mann, der lange taucht.

Und einen Affen, der Zigarren raucht.

Und ließe sich von Riesendamen streicheln.

Man ließe sich von einer Frau verführen

Und dächte stets: das ist Herrn Lehmanns Braut.

Man spüre ihre Hände auf der Haut.

Das Herz im Leibe schlüge hart und laut,

als schlügen nachts im Elternhaus die Türen.

Man sähe alles, was man damals sah.

Und alles, was seit jenеr Zeit geschah,

Das würde nun zum zweiten mal geschehn,

Dieselben Bilder willst du wiedersehn?

Ja!

Kristiane Allert – Wybranietz

*****

Der Durst nach Liebe,

der Hunger nach Zärtlichkeit,

die Sehnsucht nach Geborgenheit,

wie einfach

wäre das alles zu stillen,

könnte man literweise Liebe kaufen

und stückweise Zärtlichkeit,

und drei Wochen Geborgenheit buchen.

Wie einfach wäre das alles stillen,

würden wir mehr Zeit

und mehr Verständnis

für einander haben.

Nachtrag zu einem Gespräch

Du sagtest,

du fändest das

gar nicht witzig,

als ich lachte.

Hast du nicht gefühlt,

dass dieses Lachen

nur Make-up

zu meinen Tränen war?

Hans Magnus

Enzensberger

Eine schwache Erinnerung

Bei unsren Debatten, Genossen,

kommt es mir manchmal so vor

als hätten wir etwas vergessen.

Es ist nicht der Feind.

Es ist nicht die Linie.

Es ist nicht das Ziel.

Es steht nicht im Kurzen Lehrgang.

Wenn wir es nie gewusst hätten

Gäbe es keinen Kampf-

Fragt mich nicht was es ist.

Ich weiß nicht wie es heißt.

Ich weiß nur noch

Dass es das Wichtigste ist

Was wir vergessen haben.

Harijs Skuja

Ich möchte deine schönste Liebe sein

Ich möchte deine schönste Liebe sein

und deine Kraft,

und frischer Wind

in deinen Segeln,

und Brot,

das du an deinen Lippen führst.

Ich möchte

deines Himmels weiße Wolke sein,

die keinen Sturm

und kein Gewitter kennt,

die Schatten gibt,

wenn du zur Ruhe gehst.

Und wenn du durch die Wolke gehen müsst,

zu deinen Füßen falle ich,

verwandle ich in einen Weg,

und du kannst ruhig gehen –

du wirst dich nicht verirren.

Und wenn dich irgendwann die Ferne ruft,

dein Brunnen

will ich sein –

komm, trink aus mir

und geh weiter deinem Ziel entgegen.

Dein Reisestock,

dein Stern, der dir den Weg weist,

will ich sein.

Schau aus dem Fenster,

wenn der Morgen glüht,

und alles, was dein Auge sieht,

das will ich sein – für dich.

Georg Kreisler

Wenn alle das täten … (Lied)

Bleiben Sie doch mal Ihrer Arbeit fern,

gehen Sie stattdessen spazieren,

wenigstens vormittags, das macht doch Spaß.

Schlafen Sie aus oder lesen Sie was,

alles wird weitergehen ohne Sie,

Sie würden gar nichts riskieren.

Sie werden sagen, wenn alle das täten,

dann wär das ein schrecklicher Schlag.

Ja, wenn alle das täten, dann hätten

halt alle einen herrlichen Vormittag.

Oder machen Sie gerade Ihr Studium?

Und macht das Studium Sorgen?

Na, jung und gesund sind Sie, das ist doch

Fein, lassen Sie einfach das Studium sein.

Werden Sie verhungern? Bestimmt nicht

Gleich, heute verhungert man morgen.

Sie werden sagen, wenn alle das täten,

wie soll unsere Welt dann florieren?

Ja, wenn alle das täten, würde halt

Niemand studieren, aber sonst würde gar

Nichts, rein gar nichts den Leuten passieren.

Deswegen geht die Welt noch nicht

Unter, sie geht eher unter, wenn’s so

Bleibt wie jetzt.

Mut macht erfinderisch, glücklich

Und munter, nur Angst macht uns

Hungrig, verwirrt und verhetzt.

Seien Sie doch nicht immer so

Angepasst, tun Sie, was andere ärgert,

andere rechnen, dass Sie sich bemühen,

ihnen die Kohlen aus dem Feuer zu

ziehen. Finden Sie Kohlen denn

wichtiger als Ihr eigenes Leben?

Sie werden sagen, wenn alle das täten,

dann würden sich viele doch grämen.

Ja, wenn alle das täten, dann müssten

Halt alle mehr Rücksicht nehmen.

Aysel Özakin

Neue Umwelt

Wenn ich den Geschmack nachempfinden kann

Bei einem Mädchen, das Crepes isst

Und an mir vorbeigeht.

Wenn ich mir vorstellen kann

Was die beiden alten Frauen vor mir

Arm in Arm einander erzählen

Während sie zurück ins Altersheim gehen

Nach Kaffee und Kuchen.

Wenn ich die Mischung

Spüren kann

Von Spaß und Verlorenheit

Bei den arbeitslosen Männern

Die gemeinsam ein zerbrochenes Lied singen

Am Brunnen.

Wenn ich abschätzen kann

Welche Zeitung

Die junge Frau

Mit der Baumwolljacke

In der Tasche hat

Oder junger Mann

Der mitten in Europa

Von Afrika träumt.

Wenn ich mir nur denken kann

Worauf das Kind neugierig ist

Das enttäuscht

Die Hand der Mutter verlässt.

Wenn ich die Suche nach dem Sinn des Lebens

Nachfühlen kann

Hinter dem verbitterten Gesicht

Der allein stehenden Frau.

Wenn ich Herzklopfen hören kann

Um mich herum

Dann denke ich mir

Hier lebe ich.

Artur Nickel

Zwiespalt

reiche mir das wort weiter

als wär’s

ein stück von dir

das kartell des schweigens

erinnert sich

Was……

Сhristian Morgenstern

Nein!

Pfeift der Sturm? Keift ein Wurm? Heulen Eulen hoch vom Turm? Nein! Es ist des Galgenstrickes dickes Ende, welches ächzte, gleich als ob Im Galopp eine müdgehetzte Mähre nach dem nächsten Brunnen lechzte (der vielleicht noch ferne wäre).

Thomas Rackwitz

Der unmoderne Dichter sagt:

Der Reim ist mir die liebste Barbarei. Ich abstrahiere und verkompliziere, dass sich der Vers nicht mehr verliere, und denk mir dabei allerlei.

Die normkonforme Polizei sagt mir so nebenbei, ich sei nicht besser als ein Papagei, denn: „unsre Zeit hat sich befreit vom Reim (dem Kleid der Albernheit). Er ist stattdessen längst vergessen. Es wär vermessen, auszupressen noch seinen letzten Saft der Leidenschaft.“

Egal, ihr könnt mich x. Sei es doch, wie es sei. Der Reim bleibt mir die liebste Barbarei.

Ruth-Maria Schanovsky

aquarius

aus tiefen brunnen sehen wir auf zu den sternen die so ferne und eisig funkeln in der kalten nacht unnahbar sind sie und schweigen

könnte ich doch eine sternschnuppe pflücken für uns alle für die ganze welt eine wassermann – sternschnuppe zu beginn des jahrtausends

dann wär unser aller leben wohl auch kein bett von rosen aber vielleicht eine freundliche warme stube groß wie unsere mutter erde da wir alle platz hätten und speise und trank in fülle

und nicht mehr aufblicken müssten zu den eisigen sternen aus tiefen brunne

…….

………..

………

………………………………………………………………..

, wenn?

Prosatexte

Franz Kafka

Die Wahrheit über Sancho Pansa

Sancho Pansa, der sich übrigens dessen nie gerühmt hat, gelang es

im Laufe der Jahre, durch Beistellung einer Menge Ritter- und

Räuberromane in den Abend- und Nachtstunden seinen Teufel, dem

er später den Namen Don Quixote gab, derart von sich abzulenken,

dass dieser dann haltlos die verrücktesten Taten aufführte, die aber

mangels eines vorbestimmten Gegenstandes, der eben Sancho

Pansa hätte sein sollen, niemandem schadeten. Sancho Pansa, ein

freier Mann, führte gleichmütig, vielleicht aus einem gewissen

Verantwortlichkeitsgefühl, Don Quixote auf seinen Zügen und hatte

davon eine große und nützliche Unterhaltung bis an sein Ende.

Bertolt Brecht

Die Frage, ob es einen Gott gibt

Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe. Herr K. sagte: "Ich rate

dir nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese

Frage sich ändern würde. Würde es sich nicht ändern, dann können

wir die Frage lassen. Würde es sich ändern, dann kann ich dir

wenigstens noch so weit behilflich sein, dass du hast dich schon

entscheiden: Du brauchst einen Gott".

Georg M. Oswald

Alles, was zählt

Auszug

Anrufe bitte erst ab zehn. Ich werfe meinen Computer an. Ich spiele

ein Spiel. Bitte geben Sie Ihren Nachnamen ein. Bitte geben Sie

Ihren Vornamen ein. .Bitte warten Sie einen Moment Linda. Sonntag

wird sich gleich um Sie kümmern.

- Zunächst: Haben Sie Abitur?

- Ja.

- Besitzen Sie den Abschluss einer Hochschule?

- Ja.

- Haben Sie einen akademischen Grad in Wirtschaf, Marketing oder Informatik?

- Ja.

- Was heißt für Sie Erfolg? Ist es der Beruf, das Geld, das Sie verdienen, oder die Macht über andere?

- Von allem etwas.

- Hatten Sie sich eigentlich für extrem ehrgeizig? Antworten Sie nur mit Ja oder Nein.

- Ja.

- Wenn Sie wählen könnten, wie würden Sie sich entscheiden: (a) für einen schlecht bezahlten Job mit

guten Aufstiegschancen oder (b) einen gut bezahlten Job mit schlechten Aufstiegschancen? Wählen

Sie nur (a) oder (b).

- (a)

- In unserem Unternehmen erwarten wir außerordentlich viel von unseren Mitarbeitern. Wären Sie

bereit, Überstunden auch am Wochenende ohne zusätzliche Vergütung zu machen?

- Ja.

- Vielen Dank. Sie bekommen in Kürze eine E-Mail von uns.

Das Spiel heißt „Virtual Corporation. Der gnadenlose Wettlauf um die Führungsspitze!“

William M. Harg

Der Retter

Der Retter

Der Schoner "Christoph" ging so sanft unter, dass Senter, der einzige Mann am Ausguck, nichts empfand als Staunen über das Meer, das zu ihm emporstieg. Im nächsten Augenblick war er klatschnass, das Wasser schlug über ihn zusammen, und das Takelwerk, an das er sich klammerte, zog ihn in die Tiefe. Also ließ er los.

Senter schwamm benommen und verwirrt, wie ein Mensch, dessen Welt plötzlich versunken ist. Mit einemmal hob sich, wie aus der Kanone geschossen, eine Planke mit einem Ende aus dem Wasser und fiel mit Dröhnen zurück. Er schwamm darauf zu und ergriff sie. Er sah, dass noch etwas auftauchte, und das musste einer seiner acht Kameraden sein. Als aber der Kopf sichtbar wurde, war es nur der Hund.

Senter mochte den Hund nicht, und da er erst so kurze Zeit zur Bemannung gehörte, erwiderte das Tier seine Abneigung. Aber jetzt hatte es die Planke erblickt. Es mühte sich ab, sie zu erreichen, und legte die Vorderpfoten darauf. Dadurch sank das Ende tiefer ins Wasser. Senter überkam die furchtbare Angst, sie könnte untergehen. Er zog verzweifelt an seinem Ende: die Pfoten des Hundes rutschten ab, und er versank.

Aber der Hund kam wieder hoch, und wieder schwamm er schweigend, ohne Hass oder Nachträglichkeit, zur Planke zurück und legte seine Pfoten darauf. Wieder zog Senter an seinem Ende, und wieder versank der Hund. Das wiederholte sich ein Dutzend Mal, bis Senter, vom Ziehen ermüdet, mit Entsetzen und Verzweiflung erkannte, dass der Hund es länger aushalten konnte als er.

Senter wollte nicht mehr an das Tier denken. Er stützte die Ellenbogen auf die Planke und hob sich, soweit es ging, aus dem Wasser empor, um sich umzusehen. Der Schrecken seiner Lage überwältigte ihn. Er war Hunderte von Meilen vom Land entfernt. Selbst unter den günstigsten Umständen konnte er kaum hoffen, aufgefischt zu werden. Mit Verzweiflung sah er, was ihm bevorstand. Er würde sich einige Stunden lang an der Planke festhalten können - nur wenige Stunden. Dann würde sich sein Griff vor Erschöpfung lösen, und er würde versinken.

Dann fiel sein Blick auf die geduldigen Augen des Hundes. Wut erfüllte ihn, weil der Hund offenbar nicht begriff, dass sie beide sterben mussten. Seine Pfoten lagen am Rande der Planke. Dazwischen hatte er die Schnauze gestützt, so dass die Nase aus dem Wasser ragte und er atmen konnte. Sein Körper war nicht angespannt, sondern trieb ohne Anstrengung auf dem Wasser. Er war nicht aufgeregt wie Senter. Er spähte nicht nach einem Schiff, dachte nicht daran, dass sie kein Wasser hatten, machte sich nicht klar, dass sie bald in ein nasses Grab versinken mussten. Er tat ganz einfach, was im Augenblick getan werden musste.

In der halben Stunde, seit sie sich beide an der Planke festhielten, war Senter bereits ein Dutzend Mal gestorben. Aber der Hund würde nur einmal sterben. Plötzlich war es Senter klar: wenn er selbst zum letzten Mal ins Wasser rutschte, würde der Hund noch immer oben liegen. Er wurde böse, als er das begriff, und er zog sich die Hosen aus und band sie zu einer Schlinge um die Planke. Und er triumphierte, denn er wusste: so konnte er es länger aushalten. Dann aber warf er einen Blick auf die See, und Entsetzen erfasste ihn aufs Neue. Schnell sah er den Hund an und versuchte, so wenig an die Zukunft zu denken wie das Tier.

Am Nachmittag des zweiten Tages fingen die Pfoten des Hundes an, von der Planke abzurutschen. Mehrere Male schwamm er mit Anstrengung zurück, aber jedes Mal war er schwächer. Jetzt wusste Senter, dass der Hund ertrinken musste, obwohl er selbst es noch nicht ahnte. Aber er wusste auch, dass er ihn nicht entbehren konnte. Ohne diese Augen, in die erblicken konnte, würde er an die Zukunft denken und den Verstand verlieren. Er zog sich das Hemd aus, schob sich vorsichtig auf der Planke vorwärts und band die Pfoten des Tieres fest.

Am vierten Abend kam ein Frachter vorüber. Seine Lichter waren abgeblendet. Senter schrie mit heiserer, sich überschlagender Stimme, so laut er konnte. Der Hund bellte schwach. Aber auf dem Dampfer bemerkte man sie nicht. Als er vorüber war, ließ Senter in seiner Verzweiflung und Enttäuschung nicht ab zu rufen. Aber als er merkte, dass der Hund aufgehört hatte zu bellen, hörte auch er auf zu rufen. Danach wusste er nicht mehr, was geschah, ob er lebendig war oder tot. Aber immer suchten seine Augen die Augen des Hundes …

Der Arzt des Zerstörers "Vermont", der zur Freude und Aufregung der Mannschaft einen jungen Kameraden und einen Hund auf der See entdeckt und sie hatte auffischen lassen, schenkte den abgerissenen Fieberphantasien des jungen Menschen keinen Glauben. Denn danach hätten die beiden sechs Tage lang auf dem Wasser getrieben, und das war offenbar unmöglich. Er stand an der Koje und betrachtete den jungen Seemann, der den Hund in den Armen hielt, so dass eine Decke sie beide wärmte. Man hatte ihn erst beruhigen können, als auch der Hund gerettet war. Jetzt schliefen beide friedlich. "Können Sie das verstehen", fragte der Arzt einen neben ihm stehenden Offizier, "warum in aller Welt ein junger Bursche, der den gewissen Tod vor Augen sah, sich solche Mühe gab, das Leben eines Hundes zu retten?"

Margaret Fishback Powers

Spuren im Sand

Eines Nachts hatte ich einen Traum: ich ging am Meer entlang mit meinem Herrn. Vor dem dunklen Nachthimmel erstrahlten, Streiflichtern gleich, Bilder aus meinem Leben. Und jedes Mal sah ich zwei Spuren im Sand, meine eigene und die meines Herrn. Als das letzte Bild vor meinen Augen vorüber gezogen war, blickte ich zurück. Ich erschrak, als ich entdeckte, als ich entdeckte, dass an vielen Stellen meines Lebensweges nur eine Spur zu sehen war.

Das waren gerade die schwersten Zeiten meines Lebens. Besorgt fragte ich den Herrn: „Herr, als ich anfing, dir nachzufolgen, da hast du mir versprochen, auf allen Wegen bei mir zu sein. Aber jetzt entdecke ich, dass in den schwersten Zeiten meines Lebens nur eine Spur im Sand zu sehen ist. Warum hast du mich allein gelassen, als ich dich am meisten brauchte?“ Da antwortete er: „Mein liebes Kind, ich liebe dich und werde dich nie allein lassen. Erst nicht in Nöten und Schwierigkeiten. Dort, wo du nur eine Spur gesehen hast, da habe ich dich getragen.“

Friederike Mayröcker

Das Licht in der Landschaft

Auszug

… er habe das Geräusch früher einmal gehört, aber nie erfahren

können, woher er stamme, er erkannte dieses Geräusch als eines

der vertrautesten seiner Kindheit wieder. Er hatte nie herausgefunden, ob es von einem Menschen stammte oder von

einem Tier, oder es das Geräusch einer Maschine war, es schien

aus seiner Umgebung herausgelöst, aus dem Zusammenhang

gerissen. Erdschelle, Seidengefährt, die Deichsel des Handwägelchens. Hatte es das Dach hinweg gebrannt?

Was für Geräusche – mir kam vor es hatte geläutet, mir kam vor es hatte geläutet, oder war es im Traum.

…alles stand leer nur große Papiere lagen auf dem Boden, als wir nach Jahren wiederkamen um nach Spuren zu suchen, war alles verwüstet, die Rasenflächen angekohlt, die Bäume im Garten umgehauen…

… er wolle mit mir noch bis dahin gehen, wo die Grenze zwischen Schatten als wir im Zeitlupenverfahren und bei vergrößerter Nähe. Die Regungen unseres Gemütes, ich könnte ihn später vielleicht noch einmal sehen von der Brücke aus, wo ich vorüberkommen würde auf meinem Weg nach Hause, während er in der Bahn darüber hinweg brausen würde. Wir sprachen von unbedeutenden Dingen, während wir redeten, sahen wir einander kaum an. Eine große Nähe … als höre jeder nur auf das Selbstgespräch des anderen, manchmal schwiegen wir lange, wir saßen dann neben einander, lehnten unsere Schultern an einander, lehnten unsere Köpfe an einander, ein weißer Wolkenstrang teilte den Himmel und löste sich auf

… nämlich das ungezierte Sehen. Als würden wir im Zeitlupenverfahren und bei vergrößerter Nähe die Regungen unseres Gemütes vor unseren Augen ablaufen sehen, von unbekannter Hand an eine riesige Flimmerwand geworfen.

Peter Bichsel

November

Er fürchtete sich und wenn er zu jemandem sagte: „Es ist kälter

geworden“, erwartete er Trost.

„Ja, November“, sagte der andere.

„Bald ist Weihnachten“, sagte er.

Er hatte Heizöl eingekauft, er besaß einen Wintermantel, er war

versorgt für den Winter, aber er fürchtete sich. Im Winter ist man verloren. Im Winter ist alles Schreckliche möglich, Krieg zum Beispiel. Im Winter kann die Stelle gekündigt werden, im Winter erkältet man sich. Man kann sich schützen gegen die Kälte, Halstuch, Mantelkragen, Handschuhe. Aber es könnte noch kälter werden.

Es nützt nichts, jetzt „Frühling“ zu sagen.

Die Schaufenster sind beleuchtet, sie täuschen Wärme vor. Aber die Kirchenglocken klirren. In den Wirtschaften ist es heiß, zu Hause öffnen die Kinder die Fenster und lassen die Wohnungstür offen, im Geschäft vergisst man seinen Hut.

Man bemerkt nicht, wie die Bäume Blätter fallen lassen. Plötzlich haben sie keine mehr.

Im April haben sie wieder Blätter, im März vielleicht schon. Man wird sehen, wie sie Blätter bekommen.

Bevor er das Haus verlässt, zählt er sein Geld nach.

Schnee wird es keinen geben, Schnee gibt es nicht mehr.

Frierende Frauen sind schön, Frauen sind schön. „Man muss sich an die Kälte gewöhnen“, sagte er, „man muss tiefer atmen und schneller gehen.“ – „Was soll ich den Kindern zu Weihnachten kaufen?“ fragte er.

„Man wird sich an die Kälte gewöhnen“, sagte er zum andern. „Ja, es ist kälter geworden, November“, sagte der andere.

Sebastian Schuster

Das Leben

„60 000 Soldaten mussten in der Schlacht ihr Leben lassen.“

Krasser Satz. Eine so lebendige Wendung in einem sachlich-

informativen Geschichtsbuch. Es scheint, als wollte sie nur über

diese trockene Zahl hinwegtäuschen. 60 000 Soldaten: Man kann

es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, eine solche Zahl, die

ganzen Toten, einfach nur zu nennen. Die haben mehr verdient,

also muss man ihnen auch mehr geben – eine lebendige

Wendung, nicht nur eine Zahl. Aber was bringt das den Toten jetzt noch? Die haben doch nichts davon. Genauso wenig wie von den ganzen Denkmälern. Gedenktagen und Blumen. Das ist doch sowieso alles geheuchelt. 60 000. So viele wohnen nicht mal annähernd in unserem Dorf-Stadt-Kaff. 60 000 – eine verdammt trockene Zahl für ein solches Ereignis. Man nennt die Zahl, als hätten alle dasselbe erlitten, als wären sie alle gemeinsam gestorben, als wären sie alle Zellen eines Körpers, der in dieser Schlacht sein Leben lassen musste. Hatte nicht jeder dieser 60 000 Soldaten sein eigenes Schicksal? Lag nicht jeder von ihnen in einem Schützengraben, versteckt hinter einem Auto oder hinter einem Fenster – sah die Feinde kommen, erschoss vielleicht ein, zwei von ihnen, um dann selber den Löffel abzugeben? Traf ihn nicht die Kugel, und er schaute auf seinen blutüberströmten Körper, sich auf einmal dessen bewusst, jetzt sterben zu müssen, ohne etwas dagegen tun zu können? Und was geschah in diesem Moment mit ihm?

Wird er dieses Bild nun ewig vor Augen haben?

Oder sterben nicht vielmehr seine Augen mit seinem Körper, so dass er gar nichts mehr sehen kann?

Ist nicht einfach alles aus? Wie schlafen, ohne aufzuwachen. Aber wie ist es, einfach nicht mehr aufzuwachen? Jeder von uns könnte sterben. Jetzt. Heute. Morgen. Wir alle würden nicht einmal merken, dass wir gerade verstorben sind. Woher soll man denn wissen, dass man tot ist, wenn man nicht mehr denken kann? Und woher soll man denn wissen, dass man gelebt hat? Ist mein Leben am Ende nicht einfach nur nichts gewesen? Ich konnte mich vorher an nichts erinnern und werde mich nachher an nichts erinnern. Ist die Menschheitsgeschichte nicht wie ein Delfinschwarm, der durchs Meer zieht, und jeder Mensch ist ein Delfin, der kurz auftaucht, glänzt und schillert, um durch die Natur der Schwerkraft wieder ins Wasser gezogen zu werden, um bald darauf in Vergessenheit zu geraten. Und wer schaut diesen Delfinschwarm an? Hat er … es! Das Leben. Hat es ein Ziel? Oder ist es einfach, weil es ist? Ist es nicht trotz allem, trotz dieser Begrenztheit, trotz dieses jähen Endes schön? Sollten wir nicht einfach glücklich sein zu leben? Egal, wie schlimm es ist, es ist immer noch Leben.

Henriette Kuhrt

12 Regeln

für das Haifischbecken

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe Eltern und Schüler,

Liebes Lehrerkollegium, sehr geehrter Herr Andersen: Um in diesem

Haifischbecken zwischen Lehrerzimmer und Klassenraum

erfolgreich zu überleben, ohne viel Aufwand zu betreiben, ist die

Kenntnis der eigenen Persönlichkeitsstruktur und das Wissen um

einige Grundregeln ein absolutes Muss. Nach neun Jahren am

Christianeum bin ich zu folgenden Ergebnissen gekommen:

1. Suche dir ein möglichst erfolgversprechendes und repräsentatives Hobby wie z.B. eine Band, eine

Zeitung oder ein Schauspielprojekt. Wann immer dich die Lehrer mit ihren Forderungen belästigen,

schaue genervt in den Himmel, murmele: „Wenn Sie wüssten, was ich für einen Stress hatte

gestern Nacht bei einer Bandprobe!“ Gib den Lehrern so ein Gefühl, sich für ihre profanen

Forderungen wie Hausaufgaben schämen zu müssen. Das Hobby darf nicht imaginär sein, hin und

wieder müssen Ergebnisse dieser Arbeit präsentiert werden.

2. Erfinde ein langwieriges Leiden und/oder familiäre Probleme.

3. Wähle einen der beiden Oberstufenkoordinatoren als Tutor. Sind dir regelmäßig Tutoren-Treffen zu

anstrengend, mache mindestens einen von ihnen zu deinem besten Freund.

4. Sorge für eine starke Lobby im Lehrerzimmer. Im Klartext: Verdirb es dir nicht mit allen Lehrern

gleichzeitig.

5. Bedingungsloses Schleimen wirkt sich oft negativ auf die Geberlaune der Lehrer aus. Das richtige

Quantum an zickigen Frechheiten lässt kleine Nettigkeiten gleich viel ehrlicher wirken.

6. Sorge dafür , dass Gruppengeschenke immer von dir übergeben werden.

7. Du brauchst nicht immer zur Schule zu kommen. Viel wichtiger ist, auf dich aufmerksam zu

machen, wenn du mal da bist.

8. Ein Lächeln kostet nichts.

9. Hole immer die Kreide und wische unaufgefordert die Tafel. Das macht zwar keinen Spaß, lässt dich aber gleich netter aussehen.

10. Ein freiwilliges Referat wirkt Wunder: Es entbindet dich praktisch von allen weiteren Hausaufgaben

und kann bei der Notenbesprechung intensiv ausgeweidet werden.

11. Denk dran: Zehn Punkte sind fast immer drin. Schäme dich nicht, bei der Notenbesprechung zu

brüllen, zu keifen oder in Tränen auszubrechen. Habe keine falsche Scham, die Leistungen deiner

Mitschüler in Dreck zu ziehen. Sätze wie “Wenn der und der mündlich zehn Punkte kriegt, habe

ich ja wohl mindestens zwölf verdient“ sind in Ordnung. Vielleicht trifft das nicht auf die ungeteilte

Gegenliebe deiner Mitschüler, aber vergiss niemals: Die beruhigen sich wieder, und wahre

Freunde sehen über so etwas hinweg. Deine Note hingegen zählt im Abitur.

12. Man kann nie genügend Elternteile im Elternrat haben.

Doch all diese Bemühungen können völlig umsonst, ja geradezu katastrophal sein. Beherrscht

man die Fähigkeit des Punkte-Schnorrens in all seinen facettenreichen Möglichkeiten, dann ist das

ein erfolgversprechender Einstieg in die Spaß- und Leistungsgesellschaft, in der wir leben.

Klaus Schlesinger

Am Ende der Jugend

Auszug

Kurz bevor ich aufwachte, hatte ich einen Traum. Ich sah mich im

Zimmer meiner Eltern, auf dem Bett sitzend, jemand hämmerte

gegen der Wohnungstür, und eine Stimme, die mir bekannt vorkam,

rief meinen Namen. Ich wollte zur Tür, war aber wie gelähmt. Angst

befiel mich, ganz plötzlich, ohne dass ich hätte sagen können,

worauf sie sich bezog. Das Pochen wurde stärker, ich wendete unter

unendlicher Mühsal den Kopf, und mir wurde klar, dass die Geräusche nicht von der Wohnungstür kamen, sondern aus der Standuhr, aus dem Innern der Standuhr, deren Verkleidung plötzlich aufsprang, und heraus trat eine kleine muskulöse Gestalt, die mich mit einem froschähnlichen Satz ansprang und mit ihren tätowierten Armen meinen Hals zu würgen begann. Ich hatte Mühe Luft zu holen, fiel irgendwann durch eine lilaschwarze Leere und stand in einem Raum, der mir wie ein Schulzimmer vorkam. Er war voller Menschen; die meisten von ihnen kannte ich, ohne dass ich hätte sagen können, wer sie seien. Ich saß auf einer Bank, flankiert von zwei Wächtern. Hinter dem Katheder stand eine Frau in schwarzem Kostüm, sah mit ernstem, fast strengem Blick zu mir herüber und fragte mich, wer ich sei.

  • Ich heiße Gottfried, sagte ich, indem ich aufstand, bin 24 Jahre alt und technischer Assistent am Institut für Serologie.

Setzen Sie sich, sagte die Frau, in der ich nun meine frühere Englischlehrerin erkannte.

Martin erkannte ich sofort. Er stand im Gespräch mit ein paar Leuten und tat sehr entschlossen. Als er sah, dass ich ihn beobachtete, senkte er seine Stimme und kam dann zu mir herüber. Er beugte sich über die unbeteiligt ins Leere blickenden Wächter und sagte, dass jeder im Raum es hören konnte: Mach dir keine Sorgen! Ich werde auf jeden Fall bezeugen, dass du in der fraglichen Zeit bei mir warst! – Alle sahen auf Martin, der nun, über die Wächter hinweg, die Hand nach mir ausstreckte und sie auf meine linke Schulter legte. Im ersten Moment spürte ich Erleichterung, die aber sofort einer Bestürzung wich, wie wenn etwas verletzt war in mir, ein sehr großes ehrliches Gefühl, aber da war wieder ein Klopfen und ich wachte auf, wusste, dass ich geträumt hatte, wollte aufstehen und die Tür öffnen, fiel für einen Augenblick wieder zurück, stand abermals im Klassenzimmer, sah Martin in die Augen, wusste nun auch, weshalb ich so bestürzt war, lehnte mich auf, redete etwas in den Raum hinein, ganz laut und gut artikuliert, wachte dann wieder auf durch das Klopfen, rollte mich seitwärts aus dem Bett und stand taumelnd im Zimmer. Marie lag im Bett und schlief noch. Wenn ich sie je um etwas beneidet habe, dann war es ihr tiefer Schlaf.

Peter Bichsel

Möchten Sie Mozart gewesen sein?

Auszug

Das Leben misslingt uns allen. Wenn er kommen würde, der

Hochgelobte, im Namen des Herrn, um mit uns ein Glas zu trinken,

wir alle hätten vorerst unsere Terminkalender zu konsultieren und zu

sagen: Heute leider nicht, die nächsten zwei Wochen überhaupt

nicht – und er hätte das zu verstehen, weil wir doch alle fleißig sind, und Fleiß doch etwas Moralisches ist.

Er, da kommt im Namen des Herrn, hat den Fleiß nie von uns verlangt. Der Fleiß als moralischer Wert ist unsere eigene Erfindung. Und bis in dieses Jahrhundert gab es kaum jemand, der an diesem moralischen Wert gezweifelt hätte, und erst seit kurzem wissen wir, dass wir die Welt mit unserem Fleiß zerstören werden. Mit Fleiß, mit Fluss, heißt im Berndeutschen „absichtlich“. Wir zerstören die Welt mit Fleiß und also mit Absicht. Unser Erfolg ist uns mehr wert geworden als diese Welt, als diese Bäume, als diese Sonnenaufgänge – und wir Fleißigen beuten nicht nur die Natur aus, wir beuten auch die Faulen aus – die Wenigerfleißigen – und weil Fleiß ein moralischer Wert ist, glauben wir auch das Recht zu haben, die Faulen auszubeuten. Und wenn dann einzelne von jenen, die wir ausbeuten, kommen und überleben wollen, dann nennen wir sie „Wirtschaftsflüchtlinge“ und fürchten um unser Bruttosozialprodukt, das wir doch mit unserem Fleiß geschaffen haben. Ich bin nicht fromm – mir fehlt die Zeit dazu.

Anneli hatte die Zeit, aber Anneli hatte Angst, hatte ihr ganzes Leben in Angst verbracht, in Angst vor den Nachbarn, in Angst vor dem Vater, in Angst vor dem Lehrer, in Angst vor Gott, denn es war gottesfürchtig geworden – ein schreckliches Wort. Anneli war wirklich fromm, und sie hat ein Leben still und anständig hinter sich gebracht – und hat nie und niemanden gestört – Agnus Dei, ein Lamm Gottes. Sie wäre zu bewundern, wenn sie das frei gewählt hätte, aber es war nicht Gott, der ihr Furcht und Zittern beigebracht hatte, sondern nur die Menschen, und darunter auch fromme Menschen.

Es gäbe Gründe genug, mit Annelis Gott zu hadern. Es gäbe Gründe genug, alle von ihren Sockeln zu reißen – auch Gott.

Als wir zur Schule gingen, da wurden auch sie uns auf Sockeln präsentiert: der Mozart. Der Beethoven, der Schubert, der Schiller, der Goethe. Und es wurde uns von Lehrern erklärt, dass sie nicht nur schön und gut seien, sondern vor allem auch wertvoll und verehrungswürdig. Und wir hätten staunen sollen, und wir staunten nicht.

Und als dann einer kam mit Mozarts Briefen an seine Cousine, ans Bäsle Häsle, da waren wir alle überzeugt, dass unsere Lehrer nichts davon wissen – und ihre Verehrung für Mozart wurde in unseren Augen lächerlich. Ich weiß heute noch nicht, ob wir ihm damit Freude machen wollten, oder ob wir ihn ärgern wollten. Vielleicht fast ein bisschen beides – und er hätte frei wählen können, ob es ihn ärgert oder freut.

Günter Grass

Mein Jahrhundert

Auszug

BEINHART SEI ICH; HEISST ES. Was soll’s! Hätte ich etwa, nur weil

ich eine Frau bin, Schwäche zeigen sollen? Der mich hier

niederschreibt und meint, mir ein Zeugnis ausstellen zu dürfen – „Sozialverhalten mangelhaft!“ - wird, bevor er meine unterm Strich stets erfolgreichen Tätigkeiten als Pleiten auspinselt, zur Kenntnis nehmen

müssen. Dass ich alle, aber auch alle Untersuchungsausschüsse bei bester Gesundheit, das heißt unbeschadet überstanden habe und auch im Jahr 2000, wenn dann die Expo läuft, allen Korinthenkackern und Fliegenbeinzählern gewachsen sein werde…

…Ich liebe die Poesie, doch auch das monetäre Wagnis, gleichfalls das Nichtkalkulierbare, wie einst die „Treuhand“, die unter meiner, schließlich nur unter meiner Aufsicht Milliarden bewegt, vieltausend Betriebsruinen in Rekordzeit abgewickelt und Leerraum fürs Neue geschaffen hat, weshalb dieser Herr, der offenbar vorhat, die von mir für erbrachte Leistung gewährten Spitzengehälter mit unvermeidbaren Sanierungsschäden zu verrechnen, einen – wie gehabt – übergewichtigen Roman plant, in dessen Verlauf er mich mit einer Figur aus dem Werk des Dichters Fontane in Vergleich bringen will, nur weil eine gewisse „Frau Jenny Treibel“ es genau wie ich verstanden hat, das Geschäftliche mit der Poesie zu verbinden …

Warum nicht? Werde fortan nicht nur die beinharte „Frau Treuhand“ sein – auch „Eiserne Lady! genannt -, sondern obendrein zum Bestand der Literaturgeschichte gezählt werden. Dieser Sozialneid und Hass auf uns Besserverdienende! Als hätte ich mir den einen, den anderen Job ausgesucht. Jedes Mal rief die Pflicht. Berufen wurde ich jedes Mal, ob nach Hannover als Minister für Wirtschaft oder später ins große Haus in der Wilhelmstraße, als dort mein Vorgänger – von wem wohl? – einfach weggeschossen wurde, worauf bei der Treuhand Not am Mann war. So auch die Expo 2000. Hat man mir aufgedrängt, und zwar, weil ich Wagnisse nicht scheue, weil ich niemandem, allenfalls dem Markt hörig bin und Verluste wegstecken kann, weil ich Schulden mache, die sich lohnen, und weil ich jedes Ding beinhart durchstehe, koste es, was es wolle …

… Was soll’s, werde ich mir dann sagen und hart, notfalls beinhart zugreifen. Und niemand, auch Sie nicht, mein Herr, der mich niederschreiben will, wird die Frau, die keine Schwäche kennt, vor jener Spielart von Pleite bewahren können, die von Format ist und allein schon deshalb Erfolg verspricht …

  • EU

    EU muss beim Klimawandel Farbe bekennen

    Brüssel/Berlin (dpa) - Die 27 Staaten der Europäischen Union müssen im Kampf gegen den Klimawandel jetzt Farbe bekennen. Die EU- Kommission schlug am Mittwoch konkrete Ziele zur Einsparung von Treibhausgasen und zur Förderung erneuerbarer Energien vor.

    So muss Deutschland den EU-Vorschlägen zufolge bis 2020 den Anteil erneuerbarer Energien von 5,8 Prozent (2005) auf 18 Prozent erhöhen. Der Ausstoß der Treibhausgase von Fahrzeugen, Haushalten, Gewerbe und Landwirtschaft soll um 14 Prozent unter den Wert von 2005 gedrückt werden. Ursprünglich waren 15 Prozent vorgesehen.

    "Die Kommission hat eine historische Entscheidung getroffen. Das ist ein großer Moment für Europa und für unseren Kampf gegen den Klimawandel", sagte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso in Brüssel. Das vorgeschlagene Gesetzespaket soll in der gesamten EU bis 2020 den Ausstoß von Treibhausgasen um 20 Prozent unter das Niveau von 1990 senken. Der Anteil erneuerbarer Energien soll EU-weit von derzeit 8,5 auf 20 Prozent steigen.

    Als Reaktion auf das Klimaschutzpaket der EU-Kommission sagte Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD), dass sich die Menschen in Deutschland auf weitere Verschärfungen bei den Klimaschutzmaßnahmen einstellen müssten. Dazu werde jetzt auch ein allgemeines Tempolimit auf Autobahnen nach 2009 unumgänglich, sagte Gabriel. So klaffe bei den geplanten Maßnahmen zum Abbau der Kohlendioxid-Emissionen von 1990 bis 2020 um 40 Prozent doch noch eine etwas größere Lücke als bisher angenommen.

    Publizistische Texte

Naturkatastrophen

Erdbeben erschüttert die Erde

Tsunami-Alarm nach schwerem Erdbeben vor Indonesien

Ein schweres Erdbeben hat den Osten Indonesiens erschüttert. Das Epizentrum des Bebens der Stärke 6,6 lag nach Angaben der Wetterbehörde in Jakarta 275 Kilometer vor der Küste der Provinz Maluku und zehn Kilometer unter dem Meeresgrund. "Es besteht die Gefahr eines Tsunami", hieß es in der Mitteilung der Behörde. Erdbeben und Tsunami-Warnungen ereignen sich in Indonesien häufig. Der Archipel liegt im Pazifik über Verwerfungen von Kontinentalplatten.

Bei dem Erdbeben im Pazifik Ende Dezember 2004 und dem darauf folgenden Tsunami waren in der indonesischen Provinz Aceh 168.000 Menschen ums Leben gekommen.

Ein starkes Erdbeben hat den Süden Griechenlands erschüttert; das geodynamische Institut in Athen gab die Stärke des Bebens mit 6,5 auf der Richterskala an. Nach Angaben eines US-Instituts lag das Epizentrum rund 60 Kilometer vom Küstenort Kalamata auf der Halbinsel Peloponnes entfernt im Mittelmeer. Das Beben war auf dem ganzen Peloponnes zu spüren. Nach Angaben des Bürgermeisters von Kalamata, Kostas Athanassopoulos, dauerte es ungewöhnlich lange. Die Bewohner seien sehr verängstigt gewesen, sagte er in einem Radiointerview. Viele stürzten in Panik aus ihren Häusern auf die warnten vor weiteren starken Nachbeben und mahnten die Bewohner des Peloponnes zur Vorsicht. Rund die Hälfte aller Erdbeben in Europa ereignet Straße. In Tripoli im Zentrum der Halbinsel wurden Schulen evakuiert, wie der Fernsehsender Net berichtete. Das geologische Überwachungsinstitut der USA gab die Stärke des Erdbebens zunächst mit 7,3 auf der nach oben offenen Richterskala an, korrigierte sie dann aber auf 6,7 nach unten. Das Epizentrum lag demnach 30 Kilometer tief im Mittelmeer. Eine Tsunami-Warnung wurde nicht ausgegeben. In Europa ist Griechenland das am stärksten von Erdbeben betroffene Land. Der Peloponnes war erst im Januar von einem Beben der Stärke 6,5 erschüttert worden. Damals gab es weder Opfer noch große Schäden. 1986 starben bei einem Beben der Stärke 6,2 insgesamt 20 Menschen im Hafen von Kalamata.…

Innenpolitik

SPD will angeblich im Februar 2009 Kanzlerkandidaten küren

Die SPD will ihren Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl angeblich auf einem Parteitag im Februar 2009 nominieren. Das sei bei einem internen Strategietreffen zur Vorbereitung des Bundestagswahlkampfs in Berlin vereinbart worden, berichtet der "Spiegel". Obwohl sich Parteichef Kurt Beck bislang weder öffentlich noch in den sozialdemokratischen Gremien darauf festgelegt hat, ob er antreten will, gehen führende SPD-Strategen laut "Spiegel" inzwischen "zu 99 Prozent" davon aus, dass er der nächste Kanzlerkandidat sein wird.

Umwelt

Deutscher Wald trotz leichter Erholung weiter krank

Berlin (dpa) - Der deutsche Wald ist trotz einer weiteren Erholung noch immer krank. Der Zustand der Wälder habe sich im vergangenen Jahr nach dem extrem heißen und trockenen Sommer 2003 weiter verbessert, heißt es in der Waldzustandserhebung, den das Bundesagrarministerium veröffentlichte.

Obwohl der Anteil schwer kranker Bäume mit deutlicher Kronenlichtung von 28 auf 25 Prozent zurückging, wuchs der Anteil kranker Bäume von 40 auf 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr 2004 nach dem Hitze- Sommer waren 31 Prozent schwer krank. Zu Beginn dieser Statistik 1984 wiesen 23 Prozent der Bäume schwere Schäden auf.

Die Wälder litten unter dem Klimawandel sowie unter einer zu hohen Stickstoff- und Säurebelastung, heißt es in der Untersuchung. Die kritischen Grenzen der Belastung für Stickstoffverbindungen und Säure seien trotz zunehmender Maßnahmen gegen Luftverschmutzung "großräumig überschritten" worden. Der Regen im Sommer 2007 sorgte aber für eine gute Wasserversorgung der Wälder. Große Sorgen machten Forstleuten die Schäden des Orkans "Kyrill", dem Wald mit rund 37 Millionen Kubikmetern Holz zum Opfer fiel. Das nasse Wetter und das schnelle Wegräumen von Holzresten hätten aber eine Borkenkäferplage weitgehend verhindert.

Die Länder mit den größten Waldschäden sind das Saarland, Baden- Württemberg, Hessen und Thüringen. Im Saarland gelten 43 Prozent der Bäume als schwer krank, in Baden-Württemberg 40 Prozent, in Hessen 36 Prozent und in Thüringen 35 Prozent. Die Länder mit den geringsten Baumschäden sind Bremen mit 5 Prozent, Brandenburg mit 12 Prozent, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen mit jeweils 16 Prozent.

Es grünt so grün... Rund um die Messe

Die Cebit verleiht sich einen grünen Anstrich. Mit dem Schwerpunkt "Green IT" springt die Messe auf den Umweltzug auf, will zeigen, wie schnell sich Umwelt-Investitionen für Rechenzentren rechnen. Im grünen Bereich ist die IT-Branche deshalb noch lange nicht: Das Engagement kommt reichlich spät.

Auf einmal wollen alle grün sein. Dabei kann der IT-Branche bisher vieles nachgesagt werden, nur kein ausgeprägtes Umweltbewusstsein. Unaufhörlich gelangen neue Technik-Gimmicks auf den Markt: Handys, Spielkonsolen, Mini-Notebooks und dergleichen. Computer werden mit jeder Generation leistungsfähiger, Festplatten größer, Prozessoren schneller.

Im Internet huschen Videos milliardenfach durch die Datenleitungen. Ein Breitbandanschluss ist heute Ehrensache. Was das alles kostet - nämlich Ressourcen, viel Strom, viel Abfall in Produktion und Entsorgung - machen sich weder Hersteller, Betreiber, noch Nutzer klar.

Das soll sich nun ändern. "Green IT" ist vom Cebit-Betreiber, der Deutschen Messe AG, als diesjähriges Schwerpunktthema auserkoren worden - wohl nicht ganz aus freien Stücken. "Green IT ist durch die öffentliche Aufmerksamkeit zu einem Thema geworden, nicht unbedingt durch die IT-Branche selbst", verrät Jan Roschek, Leider des Green Board bei Cisco Deutschland. "Im Rahmen der Klimadiskussion hat sich jeder damit auseinandergesetzt und viele Unternehmen haben Maßnahmen angestoßen."

Software

Microsoft senkt Preise für einige Versionen von Windows Vista

Redmond (dpa) - Microsoft senkt den Preis für einige Versionen seines Computer-Betriebssystems Windows Vista.

Das Betriebssystem Windows Vista wird demnächst in Deutschland preiswerter. Die Preissenkungen zwischen 20 und 48 Prozent betreffen die einzeln verkauften Voll- und Upgradeversionen von Vista Home und Ultimate, wie der Softwarehersteller am Donnerstag mitteilte. Nicht betroffen seien Versionen, die auf neuen Computern vorinstalliert werden. In Deutschland soll die unverbindliche Preisempfehlung zum Beispiel für Vista Home Basic künftig bei 179 Euro liegen und für Vista Home Premium bei 219 Euro. Die Preissenkungen sollen zusammen mit der Ende März erwarteten Veröffentlichung des ersten Vista- Service-Packs wirksam werden.

Wissenschaft

Brain Drain

In einer UN-Studie von 1976 wird festgestellt, dass die 3. Welt von 1962 bis 1973 ca. 500.000 Wissenschaftler und Fachkräfte durch Abwanderung verloren hat. Diese Abwanderung der nationalen Intelligenz wird auch als "brain drain" bezeichnet. Der ständige Zustrom von Fachkräften ist ein gutes Geschäft für die Industrieländer, denn sie müssen nicht für deren Ausbildung aufkommen. Die UN-Studie von 1976 schlägt radikale Maßnahmen vor, um den "brain drain" zu stoppen. Ein Vorschlag besteht darin, dass sich die Entwicklungsländer von dem internationalen Austausch von Fachkräften zurückziehen. Dazu muss das Schulsystem so geändert werden, dass z.B. ein Abitur eines Entwicklungslandes in den Industrieländern wertlos ist. Eine weitere Maßnahme wird in der Studie vorgeschlagen: Man soll nicht mehr Englisch und Französisch, sondern die einheimischen Sprachen in den Schulen verwenden. Dann werden viele Fachkräfte im Land bleiben.

Diese Maßnahmen scheinen auf den ersten Blick sinnvoll zu sein. Es fragt sich aber, was ein Abiturient macht, wenn er mit seinem Schulabschluss in seinem Heimatland keinen Job bekommt. Die Umstellung der Bildungssysteme auf nationale Sprachen kann - einmal abgesehen von den "Weltsprachen" Arabisch oder Spanisch - schnell dazu führen, dass die wissenschaftliche Entwicklung behindert wird. Vor allem kleine Länder können es sich nicht leisten, die gesamte wissenschaftliche Literatur in die Nationalsprache zu übersetzen.

Vielleicht wird auch die Ausbreitung des Internet dazu führen, dass die Intelligenz der südlichen Länder nicht mehr nach Norden wandern muss, sondern von ihrem Heimatland aus an internationalen Projekten arbeiten kann.

Interviews

Sie kennen doch bestimmt Herrn Derrick?

Kommissar Derrick ist ein filmischer Exportschlager, die Serie wird in 94 Länder verkauft. Keine andere deutsche Sendung ist weltweit so verbreitet. Wer kennt schon Horst Tappert und Fritz Wepper? „Harry Klein“ und „Stephan Derrick“ zählen zu den bekanntesten deutschen Namen in der Welt. Und das seit 21 Jahren.

Die Sendung hat das Bild der Deutschen im Ausland geprägt. Derrick verdrängt den brutalen deutschen Soldaten aus dem Historienfilm oder den preußischen Offizier. Denk ich an Deutschland, denk ich an Derrick, den ehrlichen, groß gewachsenen Münchner Kommissar, der seine Fälle gewaltlos löst. Derrick ist korrekt angezogen, verhält sich kollegial, sucht das Gespräch, und wenn er in Wut gerät, dann nur über die Schlechtigkeit der Welt. Kollegen vom norwegischen Fernsehen haben es den Verantwortlichen beim ZDF versichert: Derrick hat es geschafft, ein positives Bild von den Deutschen zu vermitteln. Selbst wer den großen, älteren Herrn nicht mag, muss damit rechnen, als Deutscher im Ausland mit ihm identifiziert zu werden: „Sie kennen doch bestimmt Herrn Derrick?“

Volker Thomas. Quelle: nach PZ 12/95, S. 19

Interviev mit Rolf Dubral, Verkaufsleiter beim ZDF

taz: Können Sie uns erklären, warum sich ausgerechnet »Derrick« weltweit so gut verkauft?

Rolf Dubral: Nein.

taz: Nein?

Rolf Dubral: Nein, das kann ich Ihnen tatsächlich nicht erklären. Wir haben uns das selbst oft gefragt. Höchstwahrscheinlich liegt das an der Person des Horst Tappert. Der verkörpert offensichtlich einen besonderen Typ des Deutschen.

taz: Wie muss man sich den vorstellen?

Rolf Dubral: So aufrecht, so korrekt, so gewaltlos und kollegial.

taz: Welche Nationen schätzen diese Eigenschaften denn am meisten?

Rolf Dubral: In Italien und Frankreich ist die Begeisterung besonders groß. Aber »Derrick« kommt auch in Finnland sehr gut an. Aber warum, kann ich Ihnen nicht erklären. Die Finnen sind mentalitätsmäßig doch ganz anders geartet als die Italiener und Franzosen ...

taz: Verkaufen Sie die Krimis eigentlich im Paket?

Rolf Dubral: Ja, es wird immer ein kleines Paket zusammengeschnürt.

taz: Man muss dann also alles oder gar nichts nehmen?

Rolf Dubral: Im Prinzip schon. Aber wir machen da auch Ausnahmen für bestimmte, vor allem kleinere Länder, die arm sind oder die nur ein Fernsehprogramm und deswegen nicht so viele Sendeplätze haben. Norwegen zum Beispiel.

taz: Wie ist es im außereuropäischen Bereich? Gibt es da nicht bei einzelnen Folgen religiöse Empfindlichkeiten?

Rolf Dubral: Der Verkauf nach Asien, Afrika und Südamerika läuft über die internationale Vermarktungsgesellschaft Transtel. Die gucken sich vorher schon alles gezielt an im Hinblick auf die islamischen Staaten und sagen uns dann: »Hier ist ein bisschen Alkohol drin, dort ist eine Frau nicht ganz bekleidet.« Solche Folgen werden dann aussortiert.

taz: Fällt da viel raus?

Rolf Dubral: Eigentlich nicht, so oft kommt das bei »Derrick« ja nicht vor.

taz: Was kostet denn eine Folge so?

Rolf Dubral: Da gibt es keine festen Preise, das geht nach der Zahl der Zuschauer. Da zahlt dann Finnland natürlich weniger als Italien.

taz: Bundeskanzler Kohl hat ja gesagt, »Derrick« habe mit dazu beigetragen, ein sympathisches Bild der Deutschen im Ausland zu prägen. Fühlen Sie persönlich sich von Stefan Derrick gut vertreten?

Rolf Dubral: Ja. - Da muss ich jetzt selbst lachen. Aber doch, ja. Wissen Sie, in Norwegen zum Beispiel hatten wir Deutschen nach dem Krieg kein gutes Ansehen, und unsere Kollegen vom norwegischen Fernsehen haben uns immer wieder versichert, dass dieser Derrick es tatsächlich geschafft hat, ein anderes, positives Bild der Deutschen zu vermitteln. Das halte ich schon für ein Verdienst. Da hat Helmut Kohl schon recht. Wir wissen zum Beispiel auch, dass der Polizeipräsident von Shanghai seinen Kriminalpolizisten unsere Serie als Lehrmaterial empfohlen hat.

taz: Macht Sie so etwas stolz?

Rolf Dubral: Nicht stolz, aber es freut einen schon.

Quelle: nach taz 18.08.95, S. 3

Es lebe der Konjunktiv!

“Max hat mir erzählt, er hat 20 Weihnachtsgeschenke bekommen” - Solche Sätze lösen bei Germanisten Kopfschmerzen aus, haben jedoch längst Einzug in den alltäglichen Sprachgebrauch gefunden. Der Konjunktiv, der im Nebensatz richtiger Weise angewandt werden müsste, wird mit Füßen getreten. Auch an der Uni? Konnte die “Indikativ-Epidemie” bereits bis in die alterwürdigen Mauern der Lehranstalt vordringen?

Natur- oder Wirtschaftswissenschaftler benutzen vergleichsweise selten den Konjunktiv - jedoch zu recht. Biologen, Chemiker und Co. beobachten Naturphänomene. “Chlor und Wasserstoff reagieren zu Salzsäure.” Punkt. Fertig. Aus. Wozu sollte man hier den Konjunktiv benutzen? BWL-er und VWL-er hantieren mit Kostenfunktionen, Bilanzposten, Gesetzestexten oder statistischen Auswertungen. Konjunktivische Sätze scheinen lediglich im Fall von Kalkulationen angebracht zu sein.

Doch innerhalb einiger anderer Fachgruppen - einmal abgesehen von allen Germanisten - findet der Konjunktiv noch häufig Verwendung. Angehende Juristen können ein Lied von dem mehr oder weniger geliebten Modus singen. “Dem Angeklagten wird zur Last gelegt” lautet meist eine der wenigen indikativischen Formulierungen innerhalb einer Anklageschrift. Anschließend folgen mehrere Dutzend “soll”s und “zu”s, zahllose Verben im Konjunktiv, “hätte”s, “wäre”s und “würde”s.

Manch ein Mathematiker singt gar Lobeshymnen auf den ansonsten so stiefmütterlich behandelten Modus. Albrecht Beutelspacher widmet dem Konjunktiv in seinem Werk “Das ist o.B.d.A trivial”, dessen Titel bereits wohl nur Zunftgenossen entschlüsseln können, ganze Seiten:

“Schon am Anfang der Bibel findet man die Formulierung «Es werde Licht!» (und es ward Licht!). Entsprechend kann der Mathematiker sagen: «Sei f eine […] monoton wachsende stetige Funktion!» (und f ist eine solche Funktion!) . […] Diese Verwendungsform des Konjunktivs scheint etwas Göttliches an sich zu haben.”

Mathematiker sollen eingebildet sein? Nein, gar nicht.

Aus: Klischees, Uni-Leben, 09.01.08.

Wissenschaftlich-technische Texte

Verbindungen im Kopf

Alles, was den Menschen ausmacht – Sprachen, Denken, Kultur, Erkenntnis -, beruht auf der Fähigkeit,

Erinnerungen abzuspeichern und abzurufen. Ein Mensch ohne Gedächtnis könnte nicht sprechen, weil er keinen Zusammenhang zwischen den Wörtern und den Dingen, die sie bezeichnen finden könnte. Er könnte nicht gehen, weil er die entsprechenden Bewegungsabläufe nicht abgespeichert könnte. Er besäße keine Persönlichkeit, weil er keine individuellen Reaktionsmuster abgespeichert hätte. Er würde aus Fehlern nicht lernen können, weil er keine Erfahrungen behalten könnte.

In den über hundert Jahren der Gedächtnisforschung sind viele Theorien aufgestellt und auch wieder verworfen worden. Heute geht man davon aus, dass zwischen dem Kurzzeitgedächtnis und dem Langzeitgedächtnis unterschieden werden muss. Im Kurzzeitgedächtnis werden Informationen, zum Beispiel, Telefonnummern, für eine kurze Zeit aufbewahrt. Der Inhalt des Kurzzeitgedächtnisses ist uns immer bewusst. Das Langzeitgedächtnis hingegen kann den Zeitraum eines ganzen Lebens umfassen; seine Inhalte sind uns meistens unbewusst. Im Langzeitgedächtnis werden Informationen dauerhaft und mit fast unbegrenzter Kapazität gespeichert. Die Informationen sind so angelegt, dass wir sie aufgrund vieler verschiedener Verbindungen zwischen den Speicherplätzen leicht wieder finden können. Wäre die Speicherung ungeordnet, benötigten wir für die Suche eines Wortes über 400 Jahre. Wie werden aber diese Verbindungen hergestellt? Wie lernen wir?

Man hat inzwischen experimentell die alte Erkenntnis nachgewiesen, dass man genau das lernt, was man im tiefsten Innern lernen will. Berührt uns etwas emotional, wird es in ein breites Nervenzellen-Netzwerk eingebunden. Beispielweise merken wir uns Wörter einer Fremdsprache im emotionalen Umfeld wesentlich besser als im neutralen. Englischen Testpersonen wurde der Begriff „Kornfeld“ vorgelegt. Sie hatten keine Mühe, ihn sich in dem dramatischen Zusammenhang „Der Mann fiel tot ins Kornfeld“ zu merken. Hirnstrommessungen ergaben große Aktivitäten in einer Gehirnregion, die Informationen an das Gedächtnis weiter leitet. Wurde den Probanden hingegen der Satz „Der Bauer fährt durch das Kornfeld“ vorgelesen, hinterließ das Wort schon nach 20 Minuten keine Spuren im Gedächtnis. Noch schlechter schnitt die Vokabelheft Methode ab. Schon nach wenigen Minuten wurde das Wort vergessen. Das Gehirn mag Bilder. Wer sie zum Denken verwendet – also Abstraktes visualisiert – steigert seine Merkfähigkeiten. Je fantastischer die inneren Gemälde ausfallen, desto bereitwilliger wird sich das Erinnerungsvermögen mit ihnen befassen.

New Scientist

Das Ticken in unseren Genen

Wer schon einmal eine Reise über mehrere Zeitzonen unternommen hat, stellt fest, dass er offensichtlich eine innere Uhr besitzen würde, die den Schlaf-Wach-Rhythmus steuert: Angekommen am Reiseziel fühlt man sich in den ersten Tagen müde und schlapp, und es dauert einige Zeit bis man sich an den neuen Tag-Nacht-Zyklus angepasst hat.

Und auch wer selbst nicht weit verreist, dafür aber jedes Wochenende bis tief in die Nacht feiert und dann morgens lange schläft, wird spätestens zu Wochenbeginn an die zeitliche Realität erinnert: Denn unsere innere Uhr geht bereits nach zwei Tagen nach - der Grund, warum das Aufstehen am Montagmorgen besonders schwer fällt. Leben wird durch zeitliche Rhythmen bestimmt - dazu gehören der Tag-Nacht-Zyklus (24 Stunden) ebenso wie der Gezeitenzyklus (12,5 Stunden), der Jahreszyklus (365,25 Tage) oder der Mondzyklus (28,5 Tage). Organismen, die regelmäßige Veränderungen ihrer Umwelt voraussagen können, haben einen Überlebensvorteil. Pflanzen, deren wichtigste Stoffwechselleistung die Photosynthese ist, antizipieren z.B. den Sonnenaufgang: Sie aktivieren ihren Photosyntheseapparat noch bevor es hell wird. Beim Menschen steigt die Körpertemperatur bereits vor dem Aufwachen an, und auch Stoffwechsel, Muskeltonus, Nierenfunktion und Konzentrationsfähigkeit schwanken tagesrhythmisch. Wie werden diese Rhythmen hervorgebracht? Wo sind die Zentren, die sie steuern? Und wie werden sie getaktet?

Bis in das 20. Jahrhundert hinein war die Mehrheit der Naturwissenschaftler davon überzeugt, dass Lebewesen sich nur deshalb rhythmisch verhalten, weil sie auf Signale ihrer Umwelt reagieren - an eine "innere Uhr" mochten nur wenige glauben. Um diese nachzuweisen, ließ der Max-Planck-Forscher Jürgen Aschoff Mitte der 1960er Jahre unterhalb des Institutsgebäudes in Andechs einen "Bunker" einrichten - ein unterirdisches Labor, in dem Versuchspersonen über mehrere Wochen hinweg völlig abgekoppelt vom natürlichen Tageslauf wohnten. Hier gab es keine Uhr, keine Zeitung, kein Radio oder Fernsehen geschweige denn Tageslicht - keinerlei Zeitinformationen also über die Außenwelt.

Gibt man den Lichtpuls in der frühen Nacht, denken die Tiere, der Tag sei länger und dementsprechend werden sie in der folgenden Nacht später aktiv; ein Lichtpuls gegen Morgen verschiebt die Uhr dagegen nach vorn. Wir können bei einer Zeitverschiebung einfach die Zeiger unserer Armbanduhr vor- oder zurückstellen. Doch wo sind die Stellrädchen der inneren Uhr? Die Versuche mit Knockout-Mäusen, bei denen jeweils die Uhren-Gene period 1 und period 2 oder beide ausgeschaltet worden waren, zeigen, dass period 1 die innere Uhr vorstellt, während period 2 die Uhr zurückstellt.

Diese Uhren-Gene spielen demnach eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, den Organismus an einen neuen Tagesrhythmus zu gewöhnen.

Die Forscher haben eine ganze Reihe weiterer Uhren-Gene gefunden - das Uhrwerk der Natur scheint damit doch etwas komplizierter als ursprünglich angenommen. Tatsächlich stellen biologische Uhren ein Netzwerk verschiedener Regelkreise dar - und das macht das System, wie Computermodelle nahe legen, robust und gleichzeitig sensitiv: Der Ausfall eines Rädchens führt nicht gleich zum Stillstand der ganzen Uhr. Umgekehrt lässt sich die Uhr bei Störungen auch wieder präzise neu einstellen.

BIOMAX Ausgabe 18; Christina Beck. Max-Planck-Gesellschaft

Mit Magnetfeldern zu mehr Bewusstsein

Wachkomapatienten könnten von transkranieller Stimulation profitieren

Eine Behandlung mit Magnetfeldern könnte Komapatienten helfen, einen Teil ihrer geistigen Fähigkeit zurückzuerlangen. Darauf deutet zumindest der Fall eines heute 29-jährigen US-Amerikaners hin, der nach einem Autounfall ins Koma gefallen war. Nachdem er später zwar die Augen öffnen, jedoch nicht auf Reize reagieren konnte, wurde er wiederholt mit der sogenannten transkraniellen Magnetstimulation behandelt. Bei dieser Methode wird das Gehirn über eine vor der Stirn angebrachte elektromagnetische Spule schnell wechselnden Magnetfeldern ausgesetzt, die die Hirnzellen anregen. Durch die Therapie habe der Mann gelernt, auf seine Umwelt zu reagieren und sogar einfache Wörter zu sprechen, berichtet die behandelnde Ärztin Theresa Pape vom Kriegsveteranenministerium der USA in Chicago. Andere Mediziner sind allerdings skeptisch, ob die Besserung tatsächlich auf die Behandlung zurückzuführen ist.

Noch fast ein Jahr nach seinem Unfall habe der Patient kaum eine Verbesserung seines Zustandes gezeigt, berichtet Pape: Er konnte zwar die Augen öffnen, zeigte aber keine Anzeichen dafür, dass er seine Umwelt wahrnahm – ein Zustand, der persistierender vegetativer Status (PVS) genannt wird. Die Medizinerin beschloss daher, ihn in ein sechswöchiges Studienprogramm aufzunehmen, in dem er mit transkranieller Magnetstimulation behandelt wurde. Diese Therapie gilt auch bei Migräne, Parkinson und Depressionen als viel versprechende, schmerzlose und praktisch nebenwirkungsfreie Alternative, da die Magnetfelder außerhalb des Schädels erzeugt werden

Bei dem Wachkomapatienten behandelte Pape vordringlich den dorsolateralen präfrontalen Cortex, eine Hirnregion direkt hinter der Stirn, die unter anderem die Aufmerksamkeit mitsteuert. Nachdem sich zuerst keine Veränderung des Zustandes gezeigt habe, begann der Patient etwa nach der 15. Sitzung, Gegenstände mit seinen Augen zu verfolgen, auf Anweisungen zu reagieren und sogar selbst einzelne, einfache Wörter zu sprechen. Eine weitere Folge von Anwendungen nach den ersten 30 Behandlungen erbrachte dann allerdings keine weitere Besserung mehr.

Während es für Pape feststeht, dass die Veränderung vom PVS in den so genannten minimalen Bewusstseinszustand (Minimal Conscious State, MCS) der Magnetfeldstimulation zu verdanken ist, sind andere Hirnforscher skeptischer. Es sei durchaus nicht ungewöhnlich, dass Patienten auch nach Monaten im PVS von alleine in den minimalen Bewusstseinszustand gelangen, kommentiert etwa John Whyte vom Moss-Rehabilitationsforschungszentrum in Philadelphia. Pape will ihr Verfahren nun an weiteren Wachkomapatienten testen und optimieren. Zudem könnte es mit einer medikamentösen Behandlung und einer Art Hirnschrittmacher kombiniert werden, empfiehlt Whyte – beide Ansätze hätten in der Vergangenheit ebenfalls viel versprechende Ergebnisse gezeigt.

www.wissenschaft.de

Computer-Software

Viele Menschen fürchten, Computer könnten eines Tages die ganze Welt beherrschen. Das klingt wie Science-fiction, doch schon heute hätte es katastrophale Folgen, wenn alle Computer streikten.

Wenn plötzlich überall die Computer ausfielen, bräche in unserer Welt ein Chaos aus: Der Verkehr würde sich endlos stauen, viele Fabriken würden stillstehen, Flugzeuge abstürzen, im Supermarkt entstünden lange Schlangen, weil die Kassiererinnen die Preise im Kopf addieren müssten und die Post käme mit der Weiterleitung von Briefen und Paketen in Verzug.

Vor allem aus vier Gründen sind Computer heute so bedeutend: Sie arbeiten äußerst schnell, können riesige Informationsmengen speichern, führen immer wieder die gleiche Aufgabe aus, ohne zu ermüden – und ohne Fehler zu machen.

Computer könnten all dies allerdings nicht leisten, wenn sie nicht Programme, die Software, dazu befähigten. Es gibt unzählige verschieden Programme, doch lassen sich die meisten einer der sechs großen Programmgruppen – Textverarbeitung, Grafik, DTP, Datenbank, Tabellenkalkulation und Steuerungsprogramme – zuordnen.

…Wir benutzen Computer zum Spielen, zum Lernen und zum Beruf, wir lassen sie Maschinen bauen, Ampeln schalten und Weltraumraketen steuern – und das ist erst der Anfang einer gigantischen Entwicklung. Ohne Computer ist unsere moderne Gesellschaft kaum vorstellbar. In rasendem Tempo sind sie in alle Bereiche des modernen Lebens vorgedrungen und fast täglich kommen noch kleinere und leistungsfähigere Geräte auf den Markt. Kaum ein Gebiet der Technik verändert sich so rasant wie die Computerelektronik.

Aus: „Das große Buch der Technik“

Innovative Technik: die Magnetschwebebahn Transrapid

Wir reisen mit dem Auto, der Eisenbahn, dem Flugzeug und mit dem Schiff. In den letzten dreißig Jahren ist ein fünftes, neues Verkehrssystem entwickelt worden: eine Magnetschwebebahn mit dem Namen Transrapid.

Die Magnetschwebebahn fährt nicht auf Schienen, sondern auf einem speziellen Fahrweg. Angetrieben wird der Transrapid mit einem Elektromotor. Das Magnetfeld dieses Elektromotors wird im Fahrweg erzeugt. Es zieht die Bahn mit einer Geschwindigkeit bis zu 550 km/h vorwärts. Dabei schwebt die Bahn 1cm über dem Fahrweg. Das bedeutet, dass die Bahn den Fahrweg nicht berührt. Erstmals in der Geschichte wird das Rad. Auf dem sich die Menschheit seit Jahrzehnten fortbewegt, ersetzt.

Diese innovative Technik hat viele Vorteile. Erstens ist das neue Verkehrssystem sehr leise, weil es berührungsfrei fortbewegt. Dadurch werden Menschen und Tiere nicht durch Lärm belästigt. Zweitens ist die neue Technik sehr wirtschaftlich, da durch die fehlende Berührung keine Reibung und somit kein Verschleiß entsteht. Außerdem erzeugt das neue Verkehrssystem keine Abgase oder andere Schadstoffe. Dadurch wird die Umwelt weniger belastet.

Ein weiterer Vorteil ist die hohe Sicherheit. Weil das Magnetfeld des Elektromotors den Fahrweg wie eine Hand umgreift, kann der Transrapid nicht vom Fahrweg abkommen. Ein anderer Vorteil liegt in der hohen Geschwindigkeit.

Der wäre also eine umweltschonende und bequeme Alternative zum Flugzeug, wenn er schon fahren würde. Die Kritiker sehen in den hohen Kosten für den Bau dieses Verkehrssystems einen Nachteil des Transrapids. Befürworter nehmen eher an, viele Menschen könnten den Transrapid benutzen. Denn der Preis für ein Transrapid-Ticket wäre kaum höher als der Fahrpreis mit der Eisenbahn.

Der Transrapid könnte eine ökologisch und ökonomisch sinnvolle Alternative zu den herkömmlichen

Verkehrssysteme sein. Seine Technik ist einzigartig. Jetzt bleibt nur abzuwarten, wie sich seine Finanziere und Betreiber entscheiden.

Aus: „Das große Buch der Technik“

Literaturverzeichnis