Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:
Юдина Л.Д.Политология.doc
Скачиваний:
26
Добавлен:
24.03.2015
Размер:
1.07 Mб
Скачать

Wer beschränkt künftig die Willkür der Regierungen und des Marktes?

Kaum bestreitbar ist dagegen, daß problemorientierte politische Integrationsformen jenseits des Nationalstaats eine gute Sache sind und daß sie sich gelegentlich auch realisieren lassen. Der Nationalstaat ist nicht mehr die einzige Form, in der sich gesellschaftliche Handlungszusammenhänge und Identifikationsmuster bündeln, ohne daß darum jenes Globalisierungschaos ausbricht, das Carl Schmitt und seine heutige überwiegend linken Schüler immer wieder gerne an die Wand gemalt haben.

Zwar möchte auch Zürn das Auseinandertreten von Staat, Volk und Territorium durch die Ausdehnung des Geltungsbereichs politischer Regelungsbefugnisse unter Kontrolle bringen. Allerdings soll dazu weder der klassische Nationalstaat wiederbelebt noch eine weltumspannende Dublette desselben geschaffen werden. Der Autor vermeidet sorgfältig jeden Anklang an ältere Weltstaats-Utopien und entziffert statt dessen in den Schiedsgerichten der Welthandelsorganisation oder den Vertragsstaatenkonferenzen der großen UN-Konventionen sichtbare Vorboten einer noch embryonalen Weltverfassung. Dabei werden internationale Institutionen, die nationalstaatliche Hoheitsrechte einschränken, um das Spiel der Marktkräfte zu erleichtern, von solchen Institutionen unterschieden, die gleichermaßen den Nationalstaat wie auch den Weltmarkt in seiner Willkür beschränken und positiv auf die Gestaltung der Gesellschaftswelt einwirken. Beispiele sind die länderübergreifenden Regelwerke zur Bekämpfung des "sauren Regens", zum Schutz der Ozonschicht sowie zur Verhütung der Verschmutzung der Meere durch Öltanker.

Anders als die Regelungspessimisten unter den deutschen Politikwissenschaftlern, die internationalen Institutionen nur im Bereich von Militär und Markt eine Zukunft bescheinigen, glaubt Zürn, daß neue weltweite Behörden mehr tun können als die wirtschaftliche Globalisierung zu beschleunigen, die ohnehin stattfindet. Woher nimmt er diesen Optimismus? Warum soll das Regieren, das schon im nationalen Rahmen durch Gruppenegoismen und Lobbymacht schwer genug ist, ausgerechnet im globalen Dorf, wo sich die Clans noch unversöhnlicher gegenüberstehen, leichter sein? Auf diese zentrale Frage, die den gesamten Text durchzieht, gibt Zürn im wesentlichen zwei Antworten, die auch das geneigte Publikum stutzig machen werden. So wird an vielen Stellen der Eindruck erweckt, als bilde der steigende Bedarf an globalen Regierungsinstrumenten zugleich den Grund ihrer Entstehung. Zürn rechnet hier allzu großzügig mit der Weisheit der Regierenden. Als würde er seinem eigenen Argument nicht trauen, setzt er jedoch an anderer Stelle nicht auf die Einsicht, sondern auf dei überlegene Macht einzelner Akteure. Sinnbildlich hierfür steht Kalifornien, wo der Erlaß strikter Umweltgesetze keineswegs zur Abwanderung von Investoren führte, sondern umgekehrt zur nachholenden Übernahme dieser Gesetze durch andere Bundesstaaten. So ist das Machtungleichgewicht zwischen den Staaten teils ein Hindernis, teils aber eine Voraussetzung transnationaler politischer Innovationen.

Da dem Autor die gesamte Werkzeugkiste seiner Disziplin zur Verfügung steht, bleibt ihm nicht verborgen, daß die Bedingungen, die günstigstenfalls zur Vereinbarung globaler gesellschaftsbildender Regelungen führen, andere sind als die, die ihre durchgängige Akzeptanz und Befolgung sichern. Regeln können leer laufen oder aber ihre Effektivität mit hohen Einbußen an Legitimität erkaufen. Die Grundmelodie eines energischen Universalismus wird auf diese Weise immer wieder unterbrochen von skeptischen Zwischentönen. Letztlich ist es die überzogene "Denationalisierungs"-These, die eine Ausarbeitung solcher skeptischen Motive verhindert. Im Lichte dieser These werden die "globalen" Probleme nach dem Modell der biblischen Sintflut betrachtet: Der Meeresspiegel steigt, und Bengalen sitzen mit Holländern im selben Boot.

Vielleicht ist die Wirklichkeit aber doch vertrackter, und die sozialen Verteilungsmuster und kulturellen Deutungen, an denen sich auch globale Probleme oder der weltwirtschaftliche Effizienzdruck brechen, spielen eine größere Rolle, als Zürn ihnen zugestehen möchte. Daß sich im Einzugsbereich der großen internationalen Organisationen, bei der neuen Elite der globalen Ressourcenmanager, der knowledge brokers und Katastrophensimulatoren, eine Art Esperanto gemeinsamer Weltdeutungen herausbildet, wollen wir gerne glauben – nicht jedoch, daß dieses Esperanto gleich zur Muttersprache aller Völker wird! Die große Zahl der UN-Beamten, die außerhalb des Westens regelmäßig bedroht, entführt und oft genug auch ermordet werden, spricht eine deutliche Sprache.

Gewiß, die Hoffnung, die Welt möge an der Denationalisierung ihrer Problemwahrnehmungen genesen, ehrt ihre Verkünder; vieles spricht jedoch dafür, daß sie nicht weniger eitel ist als jene alten nationalistischen Weltgenesungswünsche, gegen die sie nicht richtet.

По материалам еженедельника "DIE ZEIT"