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Text 14. Neues Museum Berlin

Dieses Museum ist ein großer architektonischer Roman, ein Gebäude, in dem alles Bedeutung hat. Ein Haus mit den Wunden der Geschichte für die Wunder der Kultur. Erstmals nach 70 Jahren sind mit der Wiedereröffnung des Neuen Museums wieder alle fünf Museen der Museumsinsel zugänglich.

Wäre das Neue Museum eine Privatwohnung, jeder neue Mieter würde sagen, sie sei in einem katastrophalen Zustand. Abblätternder, rissiger Putz in mehreren Schichten, offenes Mauerwerk, Brandspuren, Einschusslöcher, Zeugnisse von Wasserschäden und Altersschwäche überall. „Akuter Renovierungsbedarf“ würde die Diagnose jeder deutschen Handwerkerseele lauten. Nicht so in Berlin auf der Museumsinsel. Da ist dieser Zustand bereits die Renovierung. Denn im Unterschied zum Eigenheim zeigen diese „Mängel“ in dem 150 Jahre alten Gebäude Spuren einer bewegten Geschichte, die von Idealismus und Zerstörung, Wissenschaft und nationaler Verblendung handelt. Mit dem überzeugenden Vorschlag, dass diese Geschichte nicht vertuscht, sondern erzählt werden muss, erhielt der britische Architekt David Chipperfield 1997 den Auftrag, die Reste von Friedrich August Stülers Kriegsruine wieder in ein vollständiges Museum zu verwandeln. Preußen, Kaiserreich, Nationalsozialismus, DDR und globalisierte Gegenwart haben ihre Zeichen in dem klassizistischen Gebäude hinterlassen, und mit ihrer Konservierung ist das Neue Museum, das am 16. Oktober nach 70 Jahren Leerstand von Bundeskanzlerin Angela Merkel wiedereröffnet wurde, ein großer architektonischer Roman über die Schicksalsgemeinschaft von Kultur und Nation geworden. Denn in diesem Gebäude heischt alles nach Bedeutung, steckt in jedem Farbfleck Kulturgeschichte und Symbolik.

Karyatiden und ionische Säulen, Tympanon und Arkaden, die von Stülers Entwurf den Bombenkrieg und den Teilabriss in den1950er-Jahren überlebt haben, erzählen beredt vom Selbstdarstellungswunsch Preußens als Bildungs- und Zivilgesellschaft nach antikem Vorbild. Wandbildnisse von Kriegsgottheiten und Walküren im „Vaterländischen Saal“ legen dagegen Zeugnis davon ab, welchen Einfluss germanische Heldenvorstellungen noch im 19. Jahrhundert ausübten. Und die überall sichtbaren Rückstände von Brandbomben und Granatsplittern sowie die Belege der Vernachlässigung, die die DDR-Jahre dem preußischen Erbe zugefügt haben, ergänzen diese Architektur-Novelle um viele weitere plastische Kapitel. Chipperfield, ein Lord - Siegelbewahrer der klassischen Moderne, hat aber nicht nur die Geschichte durch ihre bunten Materialreste inszeniert, sondern sie überall dort behutsam und nüchtern neu interpretiert, wo das Alte verloren war. Den zerstörten Teil des Nordflügels und die kolossale zentrale Treppenanlage Stülers stellte er in ihren Proportionen wieder her, allerdings nicht in ihrer Architektursprache. Abstrakt und ornamentbefreit sind die Neubauteile, reduziert auf Struktur und Materialität. Diese sachliche Sprache aus Beton und hellgrauem Terrazzo sowie die rötlichen Ziegelmauern, mit denen Chipperfield die Verluste ersetzt hat, sorgen für einen relativ unverfälschten Raumeindruck, leisten aber darüber hinaus etwas, das die historische Rekonstruktion von Stülers Architektur nicht geschafft hätte: Sie geben dem Museum eine gesunde Balance aus Vielfalt und Strenge.

Vermutlich gibt es kein Museum auf der Welt, das derartig überreich an unterschiedlichen Texturen ist. Schon die vielen Architekturzitate Stülers und die Bandbreite der Raumlösungen von kryptaähnlichen Tonnengewölben zu imperialen Sälen, die er entworfen hatte, dazu die starken Farben der erhaltenen Ausstellungsräume und die bewegten Wandgemälde in ihren Resten sorgen für einen permanenten Wandel der Stimmungen. Durch die Konservierung der historischen Spuren, die wilde und buntscheckige Nacktheit vieler einst verputzter Bauteile und die bizarren Gebilde der Putz- und Materialreste hätte sich die Atmosphäre des Neuen Museums auf vier Stockwerken aber vermutlich doch irgendwann in Überreizung geäußert. Die nüchterne Beschränkung auf das Einfachste, die Chipperfield überall dort zeigt, wo vollständig Zerstörtes durch Neubau ersetzt werden musste, sorgt deshalb für die notwendige Fassung und Abkühlung.

Beim Rundgang durch die vier Geschosse und zwei Flügel des Neuen Museums wechselt der Besucher deswegen ständig vom ruinösen und düsteren Charme der alten Teile zur geometrischen und lichtdurchfluteten Noblesse der neuen und zurück. Verlässt er etwa den dunklen Kuppelsaal Stülers, in dessen Zentrum allein die Büste der Nofretete theatralisch ausgeleuchtet ihre idealen Proportionen zeigt, tritt er als nächstes in die mit kantigen hellen Betonbalken strukturierten Säle und das große Plateau, das Chipperfield in den Ägyptischen Hof gestellt hat. Hier werden Büsten und Skulpturen Ägyptens in dem kalten Dreiklang der Moderne aus Stahl, Glas und Beton präsentiert, was ihre Sinnlichkeit aber eher verstärkt.

Das Museum beherbergt heute diverse Aspekte der Frühgeschichte: Neben dem Schwerpunkt der ägyptischen Sammlung, die gerade in ihrer Porträtgalerie über 30 Jahrhunderte das übliche Vorurteil ausräumen kann, altägyptische Menschendarstellung sei stereotyp, finden sich im Neuen Museum so unterschiedliche Themen wie Völkerwanderung und Neandertaler, Götter und Särge, Steinzeit und Rom, Slawen und Deutsche. In abwechslungsreichen Präsentationsformen versammelt das Neue Museum Gladiatorenhelme und Faustkeile, griechische Philosophen und grinsende Masken, aber auch geschmolzene Glasperlenklumpen, die durch die Brandbomben entstanden sind. Neben Resten von Schliemanns Troja-Ausgrabungen und der Nofretete verteilen sich über das Haus aber noch verschiedene archäologische Sensationsfunde: der Xantener Knabe, ein aus dem Rhein geborgener Stummer Diener für römische Gelage, ein goldener Hut mit astronomischen Tabellen, der in Süddeutschland vor 3000 Jahren getragen wurde, oder die Kolossalstatue des griechischen Sonnengottes Helios.

Diese steht in dem vielleicht schönsten, wenn auch sehr intimen Raum, den Chipperfield als Ersatz für zerstörte Bausubstanz geschaffen hat. Für den verlorenen südlichen Kuppelsaal ließ Chipperfield eine neue Kuppel aus flachen, dunklen Ziegeln aufschichten, die sich von einem viereckigen Grundriss zu einem kreisrunden Gewölbe mit blauer Laterne entwickelt. Von hier blickt der nackte Gott einmal quer durch das ganze Museum in den nördlichen alten Kuppelsaal, von wo Nofretete, gefangen in diesem ewigen Flirt, zurückblickt. Und in dieser spannenden Opposition ist die ganze schöne Komposition dieses neuen Neuen Museums erzählerisch vollendet.

David Chipperfields unterkühlte Architektur und sein Pragmatismus haben in der Vergangenheit nicht immer zu Gebäuden geführt, die über ihre Kantigkeit auch Charme entwickeln konnten. Aber der 12-jährige Kampf um die Koexistenz von Zeitspuren und Abstraktion im Neuen Museum hat zu etwas Großem geführt. Obwohl seine Vorschläge von einer starken Lobby, die sich für die originale Rekonstruktion kriegszerstörter Gebäude in Berlin stark macht, geschmäht wurden, hat Chipperfield konsequent sein Konzept der Vielschichtigkeit verfolgt. Und das Ergebnis ist eindeutig historischer als die historische Rekonstruktion. Denn erst Gebäude und Ausstellung gemeinsam spannen einen Menschheitsbogen vom Mammutjäger zum modernen Infosammler, der das Neue Museum zu einem universalen Geschichtsmuseum macht. Und das auf so charmante Art, dass auch die Handwerkerseele keinen Renovierungsbedarf mehr erkennen kann. (Till Briegleb)

Lexik zum Einprägen und zum Aktivieren:

1. zugänglich – доступний

2. das Eigenheim – дім для однієї родини, котедж

3. vertuschen – зам’яти, сховати (діло)

4. verwandeln – перетворювати

5. heischen – вимагати, потребувати

6. die Säule (-n) – колона

7. der Entwurf (-würfe) – нарис, ескіз

8. beredt – красномовний, переконливий

9. die Walküre – валькірія

10. ausüben – користуватися (правом); здійснювати

11. der Beleg (-e) – документація, довідка; доказ

12. die Vernachlässigung – зневага, зневажливе відношення

13. zufügen – причиняти (зло); додавати

14. der Siegelbewahrer – хранитель печатки

15. behutsam – обережний

16. der Verlust (-e) – втрата, збиток

17. bizarr – своєрідний

Beantworten Sie die Fragen:

1. Warum wird das Museum renoviert? 2. Welche Epochen haben ihre Zeichen im klassizistischen Gebäude hinterlassen? 3. Wann und von wem wurde das Museum wiedereröffnet? 4. Wovon zeugen die Spuren von Brandbomben und Granatsplittern? 5. Wodurch unterscheidet sich das Museum von anderen Museen der Welt? 6. Worin besteht die besondere Atmosphäre des Museums? 7. Welche Exponate gibt es in diesem Museum? 8. Welche Kunstarten sind im Museum vertreten? 9. Welche Ausstellungsstücke aus der Frühgeschichte beherbergt heute das Museum? 10. Was schlug David Chipperfield vor?

Textgliederung:

1. „Akuter Renovierungsbedarf“

2. Die Reste von Friedrich August Stülers Kriegsruine sollen wieder in ein vollständiges Museum verwandelt werden.

3. Die Spuren von Brandbomben und Granatsplittern.

4. Düsterer Charme der Geschichte.

5. Der 12-jährige Kampf für die Koexistenz von Zeitspuren und Abstraktion im Neuen Museum.

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