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Der_Campus

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Buch

Noch vor kurzem sonnte sich Vorzeigeprofessor Hanno Hackmann in akademischem Ruhm. Jetzt kocht der Campus, die Stadt ist entsetzt, und die Presse reiß t sich um die Story; Der Starsoziologe soll eine Studentin vergewaltigt haben.

Eigentlich ist es kaum verstä ndlich, wie aus der harmlosen Affä re des akademischen Olympiers mit seiner leicht exaltierten Studentin Babsie ein »Fall« werden konnte. Doch im Kampf um Institutsbereiche kommt den eifernden Wäc htern der Political Correctness der Skandal um die vorgeblich sexuelle Belä stigung gerade recht. Die Hatz auf Hanno Hackmann beginnt. Zudem steht die Wahl des Universitä tsprä sidenten an. Eine unglü ckselige Mischung aus wahlstrategischen Notwendigkeiten, radikalfeministischen Intrigen, Gesinnungsterrorismus und der Sensationsgier der Presse bringt den Professor an den Rand des Abgrunds.

Autor

Dietrich Schwanitz wurde am 23. 4. 1940 in Werne an der Lippe (Ruhrgebiet) geboren, verbrachte seine Kindheit bis zum elften Lebensjahr bei mennonitischen Bergbauern in der Schweiz ohne Schulbesuch, wurde nach seiner Rü ckkehr von einem tollkühn en Gymnasialdirektor ohne Vorkenntnisse in die höh ere Schule aufgenommen und studierte nach dem Abitur Anglistik, Geschichte und Philosophie in Mün ster, London, Philadelphia und Freiburg, wo er in Anglistik promoviert wurde und sich nach Forschungsaufenthalten in den USA auch habilitierte. Seit 1978 lehrt er als Professor fü r englische Literatur und Kultur an der Universitä t Hamburg.

Sein erster Roman »Der Campus« wurde auf Anhieb ein Bestseller.

Dietrich Schwanitz

Der Campus

Roman

Digitalisiert von

>faultier<

(06.11.2002)

GOLDMANN

Die Figuren in diesem Roman sind frei erfunden. Ä hnlichkeiten mit lebenden Personen

sind nicht beabsichtigt und rein zufä llig.

Umwelthinweis:

Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches sind chlorfrei und umweltschonend.

Der Goldmann Verlag

ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Berteismann GmbH

Genehmigte Taschenbuchausgabe 10/96 © 1995 by Vito von Eichborn Verlag, Frankfurt am Main, Berlin und Weimar

Umschlaggestaltung: Design Team Mün chen Umschlagmotiv: Uli Gleis

Satz: IBV Satzund Datentechnik GmbH, Berlin Druck: Elsnerdruck, Berlin

Verlagsnummer: 43349

Ge • Herstellung: Sebastian Strohmaier

Made in Germany

ISBN 3-442-43349-5

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»Verflucht!«

Hanno Hackmanns Hand ö ffnete und schloß sich vergeblich. Zwei Zentimeter entfernt lag der Manschettenknopf auf dem Teppichboden unter dem Biedermeier-Bett, aber er konnte ihn nicht zu fassen kriegen. Bloß mit dem Hemd bekleidet, noch ohne die zugehö rige Smoking-Hose, hatte er sich ganz unter das Bett gezwä ngt und steckte nun fest wie in einer Felsspalte. Er konnte nicht mehr vor und zurü ck. In seinem Kreuz spü rte er die Querleiste der Matratze, die ihn flach auf dem Boden preß te. Dieses verdammte Biedermeier-Bett! Daß seine Frau auch alle Möb el durch Antiquitä ten ersetzen muß te! Ä rger quoll in ihm auf, wä hrend er versuchte, die rechte Schulter noch einen Zentimeter vorwä rts zu renken. Das alte extra groß e Bett war das Symbol ihrer Jugend gewesen. Er hatte es geliebt, wie Napoleon Austerlitz geliebt hatte. Und nun hatte Gabrielle es auf den Sperrmü ll gestellt, und der Mö - belwagen von Kempner & Co. hatte Biedermeier-Möb el aus Kirschbaum gebracht, aus dem das Sä gemehl der Jahrtausende rieselte. Seitdem konnte man kein Whiskyglas mehr beilä ufig auf den Tisch stellen, ohne daß Gabrielle panisch herbeistü rzte, um einen Untersatz drunterzuschieben. Und wenig spä ter, nachdem die Orgie des Biedermeier begonnen hatte, bat sie ihn darum, er mö chte sie fortan nicht mehr Gabriele nennen, sondern Gabrielle.

»Gabrielle!«

Keine Antwort. Sie war sicher im Bad. Wahrscheinlich noch im totalen Déshabillé. Dabei muß ten sie sich beeilen. Er selbst hielt den Festvortrag, da konnten sie nicht zu spä t kommen. Bilder von befrackten Mä nnern und abendkleidumhü llten Frauen mit leeren,

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läc helnden Gesichtern

besetzten sein Hirn. Zwar wü rden sie kei-

nen Schimmer haben,

wovon er sprach, aber nicht verstä ndlich

sollte er sein, sondern erhebend, zwingend, interessant, opak. Idioten! Kaum hatte er seiner Forschungsrichtung einen Namen gegeben — Neokonstruktivismus — , war er ein akademischer Guru geworden, und man hatte ihn mit Ehren ü berhä uft. Vergangene Zukunft war bei ihm Konstruktion der Kontingenz geworden. Und das hatte er dann mit der neuen Historik verknü pft; atemberaubend. »Sie sind jetzt ein ›Olympier‹«, hatte der alte Professor Straub ihm gesagt und das Waschbrett seiner gewaltigen Stirn vorgebeugt, »also gehö ren Sie auf den Olymp.« Und nun lag er hier, ohne Hosen, flach auf dem Bauch unter dem Bett, das so unverrü ckbar zu sein schien, als wä re es festgeschraubt.

Wenn er langsam den Rü cken wö lbte, konnte er es vielleicht nach oben drü cken. Der Manschettenknopf blinkte hö hnisch. Da verdunkelte sich plö tzlich sein Blickfeld, und eine weiche warme Wand drü ckte sich gegen sein Gesicht. Die verdammte Katze! Er versuchte, den Kopf zu drehen. Da hatte sie schon auf den Hinterpfoten gewendet, und mit routiniertem Hü ftschwung warf sie sich, puckelverkü rzt und aufschnurrend, von der anderen Seite gegen sein Gesicht. Ihm blieb die Luft weg. Sein Kopf ruckte zurü ck. Ein scheuûliches Gerä usch hinter ihm teilte ihm mit, daû das Ende einer kaputten Matratzenfeder seinen Hemdkragen zerfetzt hatte. Verzweifelt versuchte er, seine Hand zurü ckzuziehen, um die Katze abzuwehren, die wieder zum Schmiegeangriff ansetzte. Ihr Schnurrmotor lief jetzt so gleichmä ûig wie sein Mercedes. Ein neuer Erstickungsanfall und der gedä mpfte Aufschrei:

»Gabrielle!«

»Was ist, mein Schatz? Wo bist du denn?«

Er sah ihre rotlackierten Zehennä gel unter der Bettkante auftauchen. Zu spä t erkannte er, was sie vorhatte.

»Neiiin!«

Da warf sie sich schon auf das Bett. Das Fallgewicht von 68 Kilo

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ü bertrug sich auf das Zentrum der Matratze und ü bersetzte sich in die Bö sartigkeit von wenigen Stahlfedern. Eine von ihnen bohrte sich in seinen Nacken. Eine andere erwischte die Katze. In Sekundenschnelle verwandelte sich das weiche Kuschelfell in eine fauchende Granate. Mit allen vier Krallen explodierte sie in Hanno Hackmanns Gesicht.

»Ahhhh! Verfluchte Bestie! Sie bringt mich um!«

Aus den Kratzspuren auf Stirn und Wange quoll langsam das Blut. Die Katze schoû wie eine Kugel unter dem Bett hervor und verschwand. Das Gewicht der Stahlfedern verlagerte sich jetzt in Richtung Rü cken.

»Hanno, hast du die Katze gequä lt?«

Ihr Gesicht erschien kopfü ber unter der Bettkante wie ein umgekehrt untergehender Mond.

»Bitte geh sofort vom Bett runter. Du zerquetschst mich!«

»Oh, Hanno!« Klang das etwa neckisch? Natü rlich, sie war wieder verspielter Laune, denn sie warf sich mit ihren 68 Kilo herum, so daû die Stahlfedern ihn nun in die Nieren trafen.

»Versprich mir, daû wir nachher noch ins ›Bon Jour‹ gehen.« Heiteres Geläc hter. »Sonst presse ich dich zu Tode.«

Der Schmerz in seinem Gesicht verschmolz mit tiefem Ä rger. Seine Leiden wirkten auf sie wie Sekt. Jedesmal, wenn es ihm schlechtging, tat sie so, als ob das besonders lustig wä re. Sie zeigte dann wieder jene ungeteilte reine Gutgelauntheit wie in der Zeit ihrer ersten Bacchanalien. Damit stempelte sie seine Klagen zum Jammergeschrei eines kleinen Kindes, das versuchte, wie ein Mann zu wirken. Wie sollte er wie ein Mann wirken, wenn er ohne Hosen unter einem Biedermeier-Bett eingeklemmt war und vergeblich versuchte, gleichzeitig einen Manschettenknopf zu angeln und seinen Hemdkragen von einer kaputten Stahlfeder der Matratze zu lö sen, wä hrend eine Katze sein Gesicht zerfleischte!

Da schrillte das Telefon.

Plö tzlich gab die Matratzenfeder seinen Hemdkragen frei. »Ich nehme ab.«

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Gott sei Dank Ð sie wä lzte sich vom Bett und eilte die Treppe hinab. Hanno wüh lte sich rü ckwä rts Zentimeter um Zentimeter unter der Matratze hervor und ging ins Bad. Aus dem Spiegel starrte ihm eine Ruine entgegen. Die sensiblen generö sen Züg e seines Renaissance-Gesichts waren entstellt. Hatte Babsi ihm nicht gesagt, er sä he aus wie der Ritter von Cellini? Läc herlich! Jetzt sah er aus wie ein Trunkenbold, der in einen Stacheldraht gefallen war. Vorsichtig machte er einen Waschlappen naû und tupfte das Blut ab. Vielleicht konnte er flü ssiges Pflaster auf die Wunden sprüh en und sie dann mit Tipp-Ex zuschmieren. Sein Gesicht: ein

Text

mit Tippfehlern! Haha, ein Witz

fü r Dekonstruktionisten.

Der

Dä mon Selbstironie begann ihn zu

belä stigen. So konnte er

doch nicht den Festvortrag halten! Mit einem Gesicht wie ein kor-

rigiertes

Manuskript wü rde ihm niemand

mehr zuhö ren.

Da

konnte er

sich genausogut eine Nudel an

die Nase hä ngen.

So

etwas ruinierte den besten Vortrag. Und er war ein Darsteller! Er spielte auf dem Manuskript wie auf einer Orgel Ð er zog alle Register, sä uselte wie der milde Zephyr und lieû dann wieder den Orkan des historischen Pathos anschwellen, daû die Zuhö rer vom Atem der Geschichte in die Lü fte gehoben wurden. Aber solch ein Gesicht gehö rte in die Komöd ie! Vielleicht konnte er eine Locke ü ber die Stirnwunde hä ngen lassen. Der Ritter Cellinis nach der Schlacht! Wo war der Haarfestiger?

»Mein Gott, wie siehst du denn aus?«

Gabrielle betrachtete ihn von hinten im Spiegel. »Die Katze hat mich zerfleischt.«

Wieder dieses heitere Geläc hter.

»Die Leute werden sagen, ich hä tte dich zerkratzt. Oder diese Babsi.«

»Babsi?«

»Ja, sie hat gerade angerufen. Ich hab ihr gesagt, du kö nntest jetzt nicht telefonieren, du hä ttest noch keine Hose an. Ð Wer ist Babsi, Hanno?«

Der Ton der Frage war wie fernes Wetterleuchten.

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»Babsi? Keine Ahnung.«

Also hatte sie angerufen! Und sie hatte ihm doch hoch und heilig versprochen, es nie zu tun.

»Du bist ein schlechter Lügn er.«

»Ich schwö re dir, ich weiû nicht, wer Babsi ist. Ich habe Hunderte von Studentinnen, und ich kann nicht alle Namen behalten. Was weiû denn ich, wer Babsi ist. Die nennen sich doch alle beim Vornamen, aber ich kenne nur die Nachnamen!«

War das zuviel an Erklä rung? Verriet er sich damit? Wirkte er vielleicht nicht nonchalant genug, wenn er diese komplizierten Deklarationen abgab? Er muûte diesen Eindruck vermeiden.

»Hilf mir lieber, die Kratzwunden loszuwerden.«

»Gemeinsam mit Babsi ü ber einen Liebesroman gebeugt, der Text steuert dem Hö hepunkt zu, da kann sie sich nicht mehr zurü ckhalten und bohrt ihre Nä gel in dein Gesicht.«

Das Lachen nahm jetzt einen metallischen Ton an. »Komm, ich mach dir Puder drauf. Setz dich und halt still.«

Ihre Hä nde waren ü berraschend zart. Er hatte das schon fast vergessen. Sie stand zwischen seinen Beinen und streute milden Mondstaub auf die zerfurchte Landschaft seines Professorenantlitzes. Wie sü û das Mondlicht auf dem Ufer sitzt! Wie ein Echo aus fernen Zeiten regten sich milde priapische Gefüh le in ihm. Vielleicht kö nnte er ja eine eheliche Renaissance versuchen, einen neuen Aufbruch in die grün en Weiden antiker Heiterkeit.

»Du machst das wunderbar, Gabrielle!«

»Ha.« Ein bitter-satirischer Ausruf. »Babsi zerfetzt dir das Gesicht, und ich bin da, um es zu reparieren.«

So war sie! Sie hatte vergessen, daû nicht Babsi, sondern ihre eigene verfluchte Katze ihm das Gesicht zerfleischt hatte. Sie konnte das Innere ihres Schä dels nicht von der Auûenwelt unterscheiden. Sie war eine Psychopathin! Sie brachte es fertig zu sagen: »Ich mö chte etwas Tee!« Und wenn man ihn ihr eingoû, empö rt einzuwenden: »Wenn ich Tee sage, meine ich doch Kaffee«, so als ob das jeder wissen mü ûte; Sie trat einem vor das Schienbein und

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sagte dann: »Es ist aber lieb gemeint.« Sie war eine Irre! Sie hatte ihm sogar schon eine Szene gemacht, weil er sie in einem ihrer Trä ume mit einer Studentin betrogen hatte! Sie hatte es geträ umt und ihn beim Früh stü ck dafü r beschimpft. So ging das nicht weiter! Aber erst muûte er Babsi loswerden.

»Auslä nder raus!« stand mit Filzstift auf dem verschmutzten Sitz der U-Bahn geschrieben, die sie ratternd zur Akademie brachte. Hanno stellte sich vor, wie ein glatzköp figer Barbar mit stumpfem Grinsen die Parole auf den Sitz schmierte. Um sie herum drä ngten sich die Verdammten der stä dtischen Vorhö lle. Im Ecksitz war eine Schnapsleiche in sich zusammengesunken. Ihr gegenü ber saû lallend ein Irrer, dessen unnatü rlich helle Augen in blöd em Glanz flimmerten, wä hrend aus seinem Munde der Speichel troff und in einem elastischen, mal lä nger, mal kü rzer werdenden Gummifaden im Rhythmus der U-Bahn an seinem Kinn pendelte. Neben ihm goû sich ein junger Asozialer eine Dose Bier in den unrasierten Schlund. Auf seinem nackten Oberkö rper trug er nichts als eine umgedrehte Fellweste, und auf seinen muskulö sen Oberarmen waren Ritterkreuze eintä towiert. Das war eine Kriegserklä rung an jene beiden schuhcremeschwarzen Afrikaner, die auf der anderen Seite des Ganges stumm wie Idole aus dem Fenster starrten, aus dem man nur auf die vorü berfliegenden Lichter der Unterwelt blickte. Sie kö nnen jeden Moment ü bereinander herfallen, schoû es Hanno durch den Kopf. Neben ihm saû aufgerichtet Gabrielle im Abendkleid und versuchte, niemanden anzublicken. Sie hatte den Wagen nehmen wollen, aber er hatte eingewandt, daû sie keinen Parkplatz finden wü rden. Das stimmte zwar, aber er wollte sie auch dazu zwingen, von ihrem snobistischen Biedermeier-Roû zu steigen und dem arbeitenden Volk ins Gesicht zu sehen, das mit der U-Bahn fuhr.

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