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Der_Campus

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»Guck mich nicht so an, das verstehst du nicht, weil du ein Mann bist. Ich war bis jetzt auch eine Mä nnerfrau, deshalb hab ich mich immer so elend gefüh lt, sagt Brigitte.«

»Halt, halt, wer ist jetzt wieder Brigitte?«

»Frau Schell.« Als er verstä ndnislos blickte, ergä nzte sie: »Die vom Theater. Hab ich dir nicht erzä hlt, daû ich die Hauptrolle in einem Frauenstü ck ü bernehme? Das ist es, was ich jetzt brauche. Die Wissenschaft ist fü r mich wie der pornographische Blick der Mä nner: Sie distanziert die Kö rper, sie spieût sie auf, objektiviert sie und tö tet sie, sagt Brigitte. Deshalb muû ich Theater machen. Da werden die Kö rper erlö st. Da wird mein Kö rper zur Kö rperin, sagt Brigitte. Ð Und es stimmt, es ist ein echt geiles Gefüh l. Du kö nntest das auch gebrauchen, um die Frau in dir zu befreien.«

Hanno wagte nicht zu glauben, was er da hö rte.

»Versteh ich dich richtig, du willst die Soziologie aufgeben und Theater studieren?«

»Ja, ich mach Schluû mit der Wissenschaftsscheiûe. Das ist einfach nichts fü r mich. Aber fü rs Theater bin ich unheimlich begabt, sagt Brigitte. Verstehst du? Und diese Rolle ist echt geil. Da ist also diese Frau, so ein englischer Twen, mit einem miesen Macho verheiratet, die guckt sich ein Snuff movie an, weiût du, was das ist?«

Er schü ttelte den Kopf.

»Das sind Gewaltpornos, da wird vor laufender Kamera die weibliche Pornodarstellerin wirklich zerstü ckelt, und du siehst an der Reaktion des Opfers, daû das wirklich Realitä t ist.«

»Das glaube ich nicht.«

»Egal, die Figur, die ich spiele, Rhoda heiût sie, die glaubt das und geht auf einen feministischen Trip. Sie erinnert sich daran, daû sie als Kind von ihrem Vater miûbraucht wurde, weiût du, das legt sie alles in sich frei, und daû sie davon diesen Hang zur Prostitution hat, das erfä hrt sie alles in sich, und auch, daû sie vergewaltigt wurde.«

»Mein Gott!« Hanno war ü berwä ltigt. Babsi sah ihn nachdenklich an.

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»Das hab ich auch alles in mir, weiût du? Mit dieser Rolle kriege ich es heraus. Das ist wie ein Exorzismus. Wie eine Wiederholung. Komm, laû uns noch einmal bumsen«, sagte sie unvermittelt.

Hanno fuhr zurü ck.

»Ein letztes Mal, zum Abschied. Ich verschwinde dann aus deinem Leben. Ein letztes Mal bist du mir schuldig.«

»Hier?« fragte er entsetzt.

»Hier war es auch beim ersten Mal. O ja, es wird eine Wiederholung. Ein re-enactment. Das ist wie beim Psychodrama. Wir spielen die Urszene.«

Sie packte ihn beim Handgelenk und zog ihn vom Sessel hoch. »Wie war das? Wie fing es an? Ach ja, du bist zur Tü r gegangen

und hast den Riegel vorgeschoben. Das machen wir jetzt auch.« Sie tat es. »Ich erschrecke: Was hast du vor?«

Er protestierte: »Nein, das stimmt nicht. Du warst es, die die Riegel vorgeschoben hat. So wie jetzt auch. Und erschrocken bin ich.«

Sie schaute ihn an wie ein krankes Kind. »Das nennt man Projektion, was du jetzt machst, weiût du das? Also, danach hast du ganz unvermittelt meine Brü ste ergriffen, komm, tu es jetzt!« Sie nahm seine Hä nde und legte sie auf ihre Brü ste. »Und dann hast du mein Kleid heruntergerissen, so.« Mit einem Griff lieû sie ihr Gewand auf die Fü ûe fallen und stand nur mit einem Slip bekleidet da. »Und dann hast du mich durch das Bü ro gejagt, komm, jag mich, jag mich!« Sie floh vor ihm hinter seinen Schreibtisch und blieb breitbeinig stehen, so als ob sie nach jeder Richtung hin fliehen wollte. »Jag mich sofort, sonst schrei ich laut um Hilfe! Komm! Hilfe! Hilfe!«

Hanno füh lte sich elend. Da kam ihm ein unglaublicher Gedanke.

»Babsi, spielst du etwa eine Szene aus deinem Stü ck?«

»Ja, wir spielen, komm, jag mich. Du bist ein schauriger Macho und Vergewaltiger! Jag mich! Reiû mir den Slip herunter! Hier auf dem Schreibtisch!«

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Das Wort, das die Lawine in ihm auslö ste, war »Schreibtisch«. Den Ort seiner Askese, den Feldherrenhüg el seiner geistigen Schlachten mit Babsis schwer pendelnden Brü sten und ihren zitternden Schenkeln in Verbindung zu bringen, war, als ob eine Staumauer geborsten wä re. Sein Hirn wurde von einigen flachen Gewittern durchquert. Er lö ste seinen Gü rtel, lieû die Hose auf die Schuhe fallen, stieg aus ihr heraus, riû Babsi den Slip herunter und nahm sie auf dem Schreibtisch, wä hrend Kalender, Kugelschreiber, Lexika, Briefbeschwerer und Aktenordner im Rhythmus der Erschü tterungen an den Rand der Schreibplatte wanderten und

eins nach dem anderen ü ber die

Kante fielen, als wä re es der Rand

der Welt. Schlieûlich, als auch

das Telefon heruntergefallen war,

ohne daû sie es gehö rt hä tten, und beide in der Stille erschöp ft dem

leisen Tuten des Hö rers lauschten, das vom Fuûboden zur

Schreibplatte stetig herauftö nte, erhob

sich

ganz in der

Nä he, so

als ob es im Zimmer selbst wä re,

ein

klatschender

Applaus.

Hanno fuhr in die Hö he und blickte

in

die

lachenden

Gesichter

von fün f Bauarbeitern, die von drauûen

ins

Fenster hereinblick-

ten. Mein Gott, das Baugerü st, er hatte es vollstä ndig vergessen! Wie in Zeitlupe sah er das Bild vor sich, das sich den lachenden Bauarbeitern bieten muûte. Babsi und er wie das Tier mit den zwei Rü cken ineinander verkeilt auf seinem Schreibtisch. Der Olympier bei der Arbeit an seinem Arbeitsplatz. Welche Groteskerie! Die Bauarbeiter winkten ihm aufmunternd zu, hoben die Bierflaschen und grinsten: »Mach's noch mal, Prof!« Hanno kletterte auf allen vieren von seinem Schreibtisch, trat auf das Telefon, knickte um, fiel mehr als er ging zum Fenster und zog mit einem Ruck den groûen Vorhang zu. Auf dem Baugerü st hö rte er Protestgejohle. »Unfair! Weitermachen! Mach wieder auf, Prof.«

Babsi richtete sich vom Schreibtisch auf, zog wortlos ihren Slip an, stü lpte sich ihr Kleid ü ber, stieg in die Schuhe, griff ihre Tasche, ging geradewegs zur Tü r, zog den Riegel zurü ck, ging ohne sich umzusehen oder zu grü ûen hinaus und lieû Hanno im Trü m- merfeld seiner Orgie ohne Hosen zurü ck.

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Ü ber dem runden Portal des alten Universitä tsgebä udes in Hamburg lief ein Band aus Stein mit der in rö mischen Versalien gehal-

tenen Inschrift DER FORSCHUNG, DER BILDUNG, DER WISSEN-

SCHAFT. Ironische Gemü ter hatten das Gerü cht in Umlauf gesetzt, die Frauenbeauftragte der Universitä t, Frau Wagner, hä tte die In-

schrift

als chauvinistisch denunziert

und vom

Prä sidenten

ver-

langt,

daû dort DIE FORSCHUNG, DIE BILDUNG, DIE WISSEN-

SCHAFT

eingemeiûelt wü rde. Trat man

durch die

Tü r in die

fin-

stere Eingangshalle, fiel der Blick auf ein paar trü be beleuchtete Vitrinen mit Gesteinsproben, mit denen die Verwaltung dem Pu-

blikum

die

wissenschaftliche Maulwurfsarbeit

verdeutlichen

wollte,

die in

der Universitä t getrieben wurde. An

ihnen vorbei

rüh rte eine kleine Treppe rechts hinauf zu einem Gang. Neben der ersten Tü r dieses Ganges prangte ein Schild mit den Buchstaben »Dr. Dr. h. c. Hans-Ulrich Schacht, Prä sident der Universitä t Hamburg«. Als Bernie Weskamp an der Tü r vorbeitrottete, wurde er kurz von dem Impuls irritiert, die Zahl der Doktortitel auf dem Schild mit seinem Filzstift zu verdoppeln, um die Serie durch ihre Lä nge ad absurdum zu füh ren: »Dr. Dr. Dr. Dr. h. c. Hans-Ulrich Schacht«. Er schaute sich links und rechts um, ob jemand kä me Ð nein, das ging nicht. Schlieûlich war er Vorsitzender des Disziplinarausschusses, und dazu paûte es nicht, wenn er den Namen des

Prä sidenten

durch Schmierereien

verunglimpfte. Dabei nannte

man

den Prä sidenten

selten bei seinem Namen. Entweder sagte

man

»Herr

Prä sident«,

auswä rtige

Gä ste aus anderen Universitä -

ten benutzten manchmal noch den Titel »Magnifizenz«, mit dem

anderswo die Rektoren angeredet

wurden, und

wenn man

ü ber

ihn sprach, sagte man »H. U.«, was fü r Hans-Ulrich

stand,

aber

die Nebenbedeutung »Hamburger

Universitä t«

hatte,

oder

man

nannte ihn den »Groûen Hä uptling« im Unterschied zum Leitenden Verwaltungsbeamten Seidel, dem »Kleinen Hä uptling«.

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Bernie ging weiter, am Vorzimmer des Prä sidenten vorbei, bog nach links ein, stieg eine Treppe hinauf und kam in einen helleren Gang. Hier schlug das administrative Herz der Universitä t. Hier lagen die Bü ros des Planungsstabs, des Wahlamts, des Auslandsamts, des Baureferats, des Studentensekretariats, des Referats fü r Haushaltsangelegenheiten und der Pressestelle. Fü r den groûen Hä uptling war die Pressestelle eines der wichtigsten Ä mter ü berhaupt, denn ihre Aufgabe bestand in der Verkün dung des Ruhms des Groûen Hä uptlings. Diesem Ziel widmeten sich zwei Dioskuren, die allgemein »Castor und Pollux« genannt wurden, womit ausgedrü ckt werden sollte, wie gut sie sich ergä nzten. Polluxens Arbeit bestand darin, die Redaktionsstuben und Presseagenturen der Hansestadt stä ndig mit kleinen Bildgeschichten aus der Universitä t zu beliefern wie »Prä sident Schacht unterschreibt den Partnerschaftsvertrag mit der Universitä t Bukarest« (langsam wurden die Universitä ten knapp, die noch keinen Partnerschaftsvertrag mit Hamburg hatten); »Prä sident Schacht verleiht Dr. Weinberger von der Harvard University die Ehrendoktorwü rde« (das wü rde ihm selbst auch wieder eine einbringen); »Prä sident Schacht erö ffnet die Ausstellung Ergebnisse der Meeresforschung«. Castor dagegen gab dreimal im Semester eine Universitä tszeitung heraus, die ihre Spalten so ausschlieûlich dem Ruhm des Groûen Vorsitzenden weihte, daû der Osservatore Romano dagegen kritisch wirkte. Normalerweise lief die Arbeit der Dioskuren im gut geö lten Tempo mittlerer Reisegeschwindigkeit. Aber in der letzten Zeit hatte sie einen Gang zugelegt, da der Tag nahte, an dem Prä sident Schacht fü r seine dritte Amtszeit wiedergewä hlt werden sollte. Und diesmal, so hieû es, wü rde es einen Gegenkandidaten geben. Das war zwar erst ein Gerü cht, ein unklares näc htliches Gerä usch im dunklen Dschungel der Stadtpolitik, aber der Groûe Hä uptling war immer auf das Schlimmste vorbereitet. Nur

deshalb

hatte

er als einziger Prä sident

seit der groûen

Rebellion

ü berlebt.

Und

Bernie und Castor und

Pollux und Peter

Schmale

und Erich Matte wuûten das. Dr. Schmale war der Persö nliche Re-

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ferent des Prä sidenten, und Dr. Matte war der Leiter der Rechtsabteilung. Zusammen bildeten sie mit dem Leitenden Verwaltungsbeamten Seidel eine Art Stab, der sich je nach Bedarf in ein Wahlkampfbü ro, ein Beratergremium, ein Oberstes Gericht oder auch eine Feuerwehr verwandeln konnte. So nannten sie sich selbst: »Die Feuerwehr«. Sie lö schten alle Brä nde, die dem Ruf des Groûen Hä uptlings gefä hrlich werden konnten, denn Gefahren fü r H. U. waren Gefahren fü r sie selbst. Aus diesen Feuerwehrsit-

zungen waren

schnell informelle Routineberatungen geworden,

bei denen man

kün ftige Konfliktherde, die zu Fläc henbrä nden

werden konnten, schon bei der Entstehung bekä mpfte. Als Bernie das Sitzungszimmer des Rechtsreferats betrat, fiel sein Blick zunäc hst auf die gewaltige Gestalt von Dr. Erich Matte, der sich unruhig in seinem Drehstuhl hinund herwä lzte. Er war so schwer, daû er es selten lange Zeit in derselben Stellung aushielt und deshalb stä ndig sein Gewicht verlagerte. Dabei lieû er in regelmä ûigen Abstä nden eine Art Stö hnen hö ren, das dem Atmen eines Wals glich. Obwohl Bernie ihn mochte, konnte er es angesichts seiner ü berwä ltigenden physischen Prä senz nicht lange aushallen, neben ihm zu sitzen, zumal Matte die meiste Zeit damit beschä ftigt war, riesige Mengen von Wurstsalat, Fleischsalat, Kartoffelsalat, Krautsalat oder Heringssalat in sich hineinzuschaufeln, die ihm ein frettchenhafter Sachbearbeiter mit dem bizarren Namen Kuhdung aus der Fleischerei um die Ecke holen muûte. Jedesmal, wenn Bernie die beiden nebeneinander sah, muûte er an eine Sau denken, die ihren ganzen Wurf gefressen und nur ein Ferkel ü briggelassen hat. Jetzt aber war Kuhdung nicht zu sehen, und Matte vertilgte statt seiner eine Portion zartrosa Krabben. Als er Bernie sah, rollten seine Augen zur Seite, und bei vollen Backen formte der Schmollmund in seinem haarkranzumrahmten Mondgesicht mit groûer Anstrengung langsam die Silben »MOMEMI! MILIMONIEREN!« Womit er sagen wollte: » Hallo, Bernie! Pit ist telefonieren.«

Im selben Moment legte jemand im Nebenraum den Telefonhö - rer auf, und Schmale trat durch die offene Tü r.

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»Du kommst grade recht zur Raubtierfü tterung, Bernie.« Bernie grinste.

»Man muû ihn demnäc hst doppelt bezahlen, weil er zwei Planstellen einnimmt.« Erich Matte hö rte kurz auf zu kauen und preûte die Bemerkung durch seine Krabben:

»In mir ist der Geist Fleisch geworden.«

Schmale zupfte seine Fliege zurecht und steckte sich eine Zigarette an. Seit man ihm wä hrend seiner Studienzeit in Oxford gesagt hatte, er hä tte Ä hnlichkeit mit Beau Brummell, pflegte er eine leicht exentrische Eleganz.

»Bernie, der Groûe Hä uptling will wissen, was du in der Brock- haus-Sache unternommen hast.« Bernie ü berlegte. In der Nachmittagssitzung hatte die Kommission den Fall abgewiesen. Nur, bevor er damit herausplatzte, muûte er die Stimmung der Feuerwehr erkunden. »Stellen wir uns mal vor, der Rö ssner hat recht mit seiner Denunziation...« begann er vorsichtig.

»Ekelhafter Kerl!« warf Matte ein. »Ein richtiges Schwein.«

»Was soll dann passieren?« fuhr Bernie fort. »Will der Groûe Hä uptling dem Brockhaus dann medienwirksam den Doktorhut vom Kopf schlagen, den Talar zerfetzen und die Promotionsurkunde zerreiûen, um zu beweisen, daû wir genauso hohe Standards fü r die Promotion haben wie die in Kiel?«

»Du willst also den Fall im Disziplinarausschuû abweisen?« fragte Matte. »Und wenn der Rö ssner die Presse informiert?«

»Ich hatte mir gedacht, wir kriegen ihn mit dem Vertraulichkeitsgebot. Er war doch damals Assistent von Killer-Keller.«

»Ja, so geht's«, bestä tigte Matte. »Die Schweigepflicht gilt auch nach Beendigung der Dienstzeit weiter.« Bernie war erleichtert.

»Deswegen haben

wir in der Kommission beschlossen, die

Rö ssner-Denunziation

abzuweisen.« Und um sie abzulenken,

fuhr er schnell fort: »Auûerdem herrschte Highlife. Bauer war nicht da, Vahrenholt ist ausgeschieden, da gibt's schon Ersatz, eine Assistentin von Schä fer, und dann ist der Köb ele ausgerastet und hat ein Go-In von Studenten provoziert.«

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»Köb ele?« fragte Schmale. »Ich dachte, der wä r vernün ftig. Was hat er denn gemacht?«

»Ihr kennt Köb ele?« Sie nickten. »Also Ð er sitzt da unscheinbar in der Ecke und knackt Nü sse. Das ä rgert den Studentenvertreter, so eine mü rrische Wohngemeinschaftspflanze, und er sagt, das wä re faschistisch. Da hä ttet ihr Köb ele mal sehen sollen. Er steht auf, und aus dem kleinen Mä nnchen wird der zornige Moses, der die Gesetzestafeln zerbricht, und mit den Bruchstü cken trommelt er auf diesen Fä rber ein. Als er fertig ist, saust der hinaus und holt sich Verstä rkung, und fertig war das Go-In. Da habe ich abgebrochen. Dafü r haben wir aber vorher noch den Fiedler angehö rt.«

»Und was sagt er?«

»Er behauptet, von den Hakenkreuzschmierereien nichts zu wissen, und der Vorwurf der vö lkischen Gesinnung sei in Wirklichkeit ein Kompliment.«

»Was?«

»Ja, er hat's behauptet, und ich hab's selbst mit seiner E rlaubnis protokolliert.«

Alle drei brachen in wieherndes Geläc hter aus. Aber sie waren diese Heiterkeitsausbrü che gewohnt. Wenn es ihnen in den Feuerwehrsitzungen gelang, den Irrsinn unschä dlich zu machen, bevor er sich zu rufschä digenden internen Kriegen auswachsen konnte, dann lö ste er sich meist in Geläc hter auf. Und zu Bernies Erleichterung fand auch Matte als Leiter des Rechtsreferats, daû das Disziplinarverfahren gegen Fiedler jetzt gegenstandslos geworden war. Er versprach, dies auch dem beleidigten Fachbereichssprecher klarzumachen. Und so lö schten sie den tä glich lodernden Irrsinn der Universitä t: Dr. Grimm von den Germanisten klagte die Spartakisten an, sie seien in die Arbeitsstelle fü r Exilliteratur eingebrochen und hä tten das Briefpapier entwendet, um in seinem Namen Beleidigungsbriefe an einschlä gige Fachkollegen fü r Exilliteratur zu schreiben, damit er als Bewerber fü r die Stelle unmö glich gemacht wü rde. Professor Wickert von den Historikern bezichtigte seinen Kollegen Gebhard, seine Seminarankün digungen bewuût

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entfernt zu haben, so daû kein einziger Student in seine Veranstaltungen gekommen sei. Die Frau des amerikanischen Gastprofessors Nelson beschwerte sich, daû die Frau ihres Austauschpartners, Professor Seliger, deren Hamburger Haus sie fü r ein Jahr bezogen hatten, das Porzellan weggeschlossen hä tte. Frau Professor Stumm von den Wirtschaftswissenschaftlern hatte eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihr ganzes Seminar in Gang gesetzt, weil sich alle Kollegen weigerten, mit ihr zusammen Prü fungen abzunehmen. Frau Koch vom Betriebsrat des Technischen und Verwaltungspersonals hatte ein Normenkontrollverfahren darü ber beantragt, ob es in der Universitä t eine Gruûordnung gä be und ob Professor Furk beanspruchen dü rfte, von ihr zuerst und mit Titelanrede gegrü ût zu werden. Professor Busch von den Psychologen empfahl in einem Schreiben an den Prä sidenten Professor Schü ler fü r die Untersuchung im personalä rztlichen Dienst. Und Dr. Gerke bezichtigte in einem Brief an Matte seinen Namensvetter Professor Gerke, sich durch Umstellung seiner Vornamen in der Kartei der Universitä tsbibliothek vor ihn geschmuggelt zu haben.

»Alles der normale Irrsinn, den die Uni da ausschwitzt«, mä - kelte Schmale.

»Immerhin, der Schweiû lä uft ihr nur so herunter.« Bernie lehnte sich zurü ck.

»Ja, aber nichts, was der Groûe Hä uptling fü r den Wahlkampf gebrauchen kö nnte.«

Matte blickte Schmale miûmutig an.

»Und was wä re ein guter Fall fü r den Groûen Hä uptling?« Schmale drü ckte seine Zigarette aus und stand auf.

»Na, etwas, womit er an seine heroische Zeit anknü pft, wo er sich als Vorkä mpfer gegen die Ordinarienuniversitä t und die Reaktion profilieren kann. Wenn irgendwo ein richtiger Parteienkampf, ein Prinzipienstreit zwischen links und rechts ausbrechen wü rde, mit einem groûen berüh mten Ordinarius als reaktionä rem Gegner, das wä re lecker. Aber wo sind sie, die Gegner von einst?« rief er nostalgisch.

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»Seht ihr, wie wichtig es ist, daû man seine Gegner pflegt und gut behandelt, damit sie dann nach Bedarf ihre Pflicht tun?«

Bernie verschrä nkte die Arme hinter dem Kopf und sah zur Decke. Der fleckige Putz verformte sich zum Erinnerungsbild an die alten

Schlachten der

Hochschulrevolte, als er noch wuûte,

wofü r er

kä mpfte. Aber

der Gegner war lä ngst geschlagen oder

geflohen,

und mit ihm waren auch die groûen Themen verschwunden, die damals wie bunte Fahnen ü ber ihnen wehten im Sturm der Debatten: antiautoritä re Erziehung, demokratische Wissenschaft, herrschaftsfreier Diskurs, sozialistische Gesellschaft oder, noch besser, die Feldzeichen, die man dem Gegner in die Hand drü ckte, um besser auf ihn schieûen zu kö nnen: ideologische Verblendung, autoritä re Herrschaft, faschistische Gesinnung, reaktionä re Fachidioten. Diese wunderbaren Dinge fehlten ihm jetzt.

Und was taten sie, die Veteranen des Schlachtfeldes, womit verbrachten sie ihre Zeit? Mit den Miasmen des Irrsinns, mit dem Schwitzwasser der Universitä t und den Ausscheidungen, die die Verdauungstrakte der Gremien produzierten. Mit Fä llen wie dem von Professor Stilz in der Germanistik: Er war ein alter Ordinarius und wollte sich nicht daran gewö hnen, daû die Studenten wä h- rend seiner Vorlesungen kamen und gingen, wie es ihnen gefiel. Jedesmal, wenn ein Student aufstand und den Hö rsaal verlieû, drü ckte Professor Stilz auf den roten Knopf des Feueralarms. Zuerst hatte es eine Panik gegeben, dann hatte niemand mehr den Alarm beachtet, so daû der Sicherheitsbeauftragte zurü cktrat, weil er die Verantwortung fü r den Fall eines echten Alarms nicht mehr auf sich nehmen mochte, und schlieûlich hatte man Professor Stilz ein Vorlesungsverbot erteilt, weil er sich weigerte, die Notrufe einzustellen, mit der Begrün dung, man kö nne ja die Studenten veranlassen, bis zum Ende der Vorlesung zu bleiben. Und im ü brigen sei der Notruf ein symbolischer Alarm, mit dem er auf den Verfall der Universitä t aufmerksam machen wollte. Er wü rde ihn weiter betä tigen, bis man es beachte. Solche Fä lle zu bearbei-

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