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Der_Campus

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ten war nicht Hochschulpolitik, das war Mü llabfuhr, und neuerdings kam die Frauenbeauftragte noch mit ihren Fä llen von sexueller Belä stigung dazu. Der Aufsichtsfüh rende in der Bibliothek des theologischen Seminars hatte seine Kontrolle der Taschen und Mä ntel bis zur Leibesvisitation gesteigert und sich dabei als Busengrapscher betä tigt, wä hrend er sich damit verteidigte, daû die Theologinnen die Bü cher, die sie stehlen wollten, in den Hohlrä u- men ihrer Bü stenhalter versteckten. Einen Moment lang dachte Bernie an die Mitarbeiterin des Justizsenators mit dem grün en und dem blauen Auge.

Er lö ste seinen Blick von der Decke und betrachtete die gewaltige Gestalt von Erich Matte, die schwitzend und schnaufend vor einem Komposthaufen aus Akten und leergegessenen Plastikschalen saû, wä hrend Schmale ans Fenster getreten war und sich wieder eine Zigarette angezün det hatte. Sie wü rden ihr Leben damit verbringen, diesen akademischen Komposthaufen umzuschaufeln. Sie waren Verwaltungsfuzzis, zwar sympathisch, aber doch nur Apparatschiks. Bernie aber war ein Professor und ein Politiker. Mit der Promotion in Romanistik hatte er geistige Bü rgerrechte im Mutterland der Revolution und der Aufklä rung erworben. So betrachtete er den Vorsitz im Disziplinarausschuû bloû als Zwischenstation auf dem Weg nach oben zum Vizeprä sidenten und, wer weiû, noch weiter. Die Informationen, die er jetzt sammelte, muûten ihm noch als Munition fü r spä ter dienen. Fü r Bernie war der Vorsitzende des Disziplinarausschusses deshalb das akademische Gegenstü ck zum Chef des Geheimdienstes. Niemand wü rde ihn zum Gegner haben wollen. Nun ja, auûer den Irren wie Gerke und Fiedler, denen war ja alles egal.

Das Telefon klingelte im Nebenraum, Erich Matte sammelte seine 140 Kilo Lebendgewicht zusammen und watschelte durch die offene Tü r.

»Hier Rechtsreferat, Dr. Matte«, hö rte Bernie ihn sagen,

»Nein, wir warten noch auf sie...«, lange Pause, »...soll ich das

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bestellen... Versteh ich recht, sie ist jetzt in der Psychiatrie? ... Sie hatte einen Zusammenbruch auf der Bühn e? ... Eieieieiei... also ich weiû nicht recht. Sie rufen am besten noch mal an, wenn Frau Wagner da ist. So in einer Viertelstunde?« Er legte auf und watschelte zurü ck. Als er sich gesetzt hatte, sah er auf die Uhr. »Wo bleibt die Wagner denn, sie mü ûte lä ngst hier sein!«

»Wer war das?« wollte Schmale wissen und deutete mit dem Kopf in Richtung des Telefons.

»Irgendeine Frau Schell oder Schnell vom Theaterseminar. Sie wollte die Wagner sprechen ü ber irgendeine durchgedrehte Studentin, die ein Trauma hat wegen sexueller Nö tigung oder so was. Ich habe das Ganze nicht verstanden. Wieder so eine Irre.«

In jeder Universitä t gab es inzwischen eine Frauenbeauftragte, die darü ber wachte, daû die Frauen bei der Besetzung von Posten nicht ü bergangen wurden und daû ihnen auch sonst keine Unbill widerfuhr. In Hamburg hatte darü ber hinaus noch jeder Fachbereich eine eigene Frauenbeauftragte, und dann gab es noch die drei Damen der Frauenfö rderungsstelle. Deren aller Bemühung en wurden koordiniert von der Zentralfrauenbeauftragten und Vorsitzenden der Stelle fü r Frauenfö rderung, und das war die Linguistin Professor Dr. Ursula Wagner. Schlank, blond, gutaussehend und chic, entsprach sie so gar nicht dem Klischee verunsicherter Machos von der kompensatorischen Funktion feministischen Eiferertums. Doch wurden diese fü r die Enttä uschung ihrer Vorurteile voll entschä digt, wenn Frau Wagner ihre Stimme erhob. Sie

war ihre Geheimwaffe

in ü berfü llten Vollversammlungen,

tumul-

tuö sen Meetings und

chaotischen Gremiensitzungen. Man

muûte

ihr einfach zuhö ren. Vom kakophonen Durcheinander allgemeinen Getö ses hob sich ihre Stimme ab wie die Schrift an der Wand; mit der Präz ision einer Laserkanone stanzte sie ihre Worte in das Chaos, daû sie die Aufmerksamkeit aller durch die schiere Unwi-

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derstehlichkeit ihres Formwillens bannte. Und ihn hatte sie jetzt auf die drei Mä nner konzentriert.

»Sie haben es nicht verstanden.«

Sie hä mmerte die Worte in die Tischplatte, daû sie alle schuldbewuût grinsten wie drei besonders blöd e Schü ler. Ð Die Frauenbeauftragte betrachtete angeekelt die leeren viereckigen Plastikbe-

hä lter

von Kartoffelund Krabbensalat, die auf dem Tisch

vor

Matte

herumlagen, und schaute dann zu Schmale hinü ber,

der

noch immer am Fenster stand.

 

»Kö nnen Sie nicht mal lü ften hier?«

 

Gehorsam kippte Schmale das Fenster einen Spalt weit auf und lieû einen Schwall frischer Luft herein.

»Also Ð ich erklä re es noch mal«, sagte sie mit jener gefesselten Ungeduld, die kurz vor dem Ausbruch der Raserei noch einmal die Form resignierten Martyriums annimmt. Aber Bernie hatte die Frauenbeauftragte schon beim ersten Mal verstanden: Die Frauen

waren bei

der

herrschenden Berufungspraxis von

Professoren

nä mlich in

ein

Dilemma geraten: Freie Professuren

wurden be-

setzt, indem eine Berufungskommission nach Durchsicht der Schriften aller Bewerber dem Senator fü r Wissenschaft eine Vorschlagsliste vorlegte, auf der drei Namen in der Reihenfolge ihrer Qualitä t standen. »Wie bei der Olympiade«, sagte Bernie immer, »Gold, Silber und Bronze.« In aller Regel berief der Senator auch den Goldmedaillengewinner, den die Kommission haben wollte. Aber im Prinzip stand es ihm frei, aus ü bergeordneten Grün den Ð etwa um Geld zu sparen oder einem Fach eine bestimmte Richtung zu geben Ð den Silberoder Bronzemedaillengewinner zu ernennen. Das sahen die Kommissionen aber nicht gern, weil sie die nicht unbeträc htliche Auswahlarbeit und die noch gröû ere Anstrengung bei der Einigung verhö hnt sahen, die ihren Niederschlag in pompö sen Begrün dungen und gigantischen Gutachten von wortgewaltiger Ü bertreibungsrhetorik fanden. Nun hatte der Frauenfö rderungsparagraph dem ganzen Verfahren eine pikante Note verliehen. Er besagte nä mlich, daû bei gleicher Qualifikation

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den Frauen der Vorzug gegeben werden muûte. Setzte also nun eine Kommission eine Frau auf Platz zwei oder drei der Liste, sagte sich der Senator, »Die ist fast ebensogut wie der Goldmedaillengewinner«, und ernannte sie aus politischen Grün den, um als Frauenfö rderer bei der SPD seine Hausmacht zu erweitern. Damit nun

der Senator nicht permanent ihre Hitlisten

umwarf, ü bertrieben

die Kommissionen bei ihren Gutachten die

Abstä nde zwischen

Gold, Silber und Bronze gewaltig und gingen, als auch das nichts half, dazu ü ber, eine Frau gar nicht mehr auf die Liste zu setzen, wenn sie nicht sowieso vorhatten, ihr die Goldmedaille zu geben. Damit vermieden sie schlieûlich erfolgreich, daû der Senator ihre Reihenfolge umwarf. Und langsam war der Frauenbeauftragten aufgefallen, daû Frauen auf Berufungslisten kaum noch die Silberoder Bronzemedaille erhielten, damit der Senator sie nicht in eine Goldmedaille verwandeln konnte. Und nun verlangte sie ein Normenkontrollverfahren und drohte mit einem Boykott aller Berufungskommissionen durch die weiblichen Universitä tsangehö rigen.

»Sicher«, sagte Matte begü tigend, »wir haben uns auch schon Gedanken darü ber gemacht. Aber das ist eben Dialektik.«

»Das ist Chauvinismus!« schnappte Frau Wagner.

»Es ist die Benachteiligung der Privilegierten«, warf Schmale

ein, »sagen Sie dem Senator, er solle damit aufhö ren,

die

Vor-

schlä ge der Kommissionen zu ü bergehen, und kün ftig

nur

noch

den Erstplazierten ernennen, dann hö rt die Benachteiligung der Frauen auf den Listenplä tzen sofort auf.«

»Sie wollen wohl den Frauenfö rderungsparagraphen auûer Kraft setzen?«

»Wenn ich das versuchte, Frau Wagner, kö nnte ich mich genau-

sogut aufhä ngen.«

 

 

 

»Ja, aber Frau Kollegin«, mischte sich Matte wieder ein...

 

»Ich bin nicht Ihre Frau Kollegin!«

 

 

 

»Hö ren Sie, Frau Wagner, Sie sind

die

Frauenbeauftragte

und

ich bin der Leiter des Rechtsreferats.

Der

groûe Hä uptling

will,

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daû wir am gleichen Strang ziehen. Wenn Sie mich angiften, ist das vielleicht Ihr Privatvergnüg en, aber Ihrer Sache tun Sie damit keinen Gefallen. Ich tue das nicht gern, aber ich sage jedem, bevor er sich mit mir anlegt, daû er jetzt noch Zeit hat, es bleiben zu lassen. Wenn er das ignoriert, wird er sich spä ter nicht mehr wiedererkennen. Und ich sage das auch nur einmal.«

Bernie war ü berwä ltigt von so viel ruhiger Entschlossenheit. Er machte sich eine geistige Notiz, den Dicken kün ftig nicht zu unterschä tzen. Der Frauenbeauftragten in einem solchen Ton entgegenzutreten, hä tten nicht viele fertiggebracht. Als Matte geendet hatte, herrschte tiefe Stille. Es war einer jener Momente, in dem man alles fü r mö glich hä lt, einen Pistolenschuû, ein Geläc hter, einen Ausbruch, eine Tü r, die schlä gt. Frau Wagner schwankte leicht wie ein Boxer, der einen schweren Schwinger hat einstecken mü ssen. Ihr Hals war purpurrot angelaufen, und auf den Wangen bildeten sich scharf abgesetzte rote Flecken. Sie schaute Matte mit Augen an, die sich in Dolche zu verwandeln versuchten. Da besann Bernie sich darauf, daû er Politiker war.

»Aber der Sache nach hat Frau Wagner recht.« Sie warf ihm einen dankbaren Blick zu. »Es ist ein Dilemma.« Das hatte zwar sie nicht gesagt, sondern Schmale, aber das war jetzt egal. »Ich glaube, wir sollten das mit dem Hä uptling beraten.« Jetzt waren ihm alle dankbar. »Es ist selbstverstä ndlich, daû Frau Wagner bei ihren Bemühung en, eine Lö sung zu finden, unser aller Unterstü t- zung sicher sein kann.«

»Sag ich ja«, brummte Matte.

Frau Wagner hatte sich wieder erholt.

»Dann ist da noch etwas.« Sie holte vier gleich aussehende bedruckte Blä tter aus ihrer Tasche und legte sie auf den Tisch. »Auf der letzten Vollversammlung der Assistentinnen und Professorinnen wurde beschlossen, daû die Verordnung ü ber sexuelle Belä sti-

gung am Arbeitsplatz ergä nzt werden mü ûte.«

 

Sie verteilte die Bö gen, auf denen die bisherige

Verordnung

stand. »Aber erst mal sollte es -Arbeitsplatz oder

Studienplatz¬

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heiûen, denn die Studentinnen sind auch betroffen, und fü r Prozesse kann das wichtig werden. Aber das dü rfte ja wohl nicht strittig sein.«

Ihre Stimme stieg jetzt auf Kreissä genhö he.

»Die Verordnung nennt zunäc hst die schlimmste Form der sexuellen Belä stigung: Erpressung von Sex durch Androhung beruflicher Nachteile und Unzucht mit Abhä ngigen im Verhä ltnis von Hochschullehrern und Studentinnen. Das sind ja auch ziemlich eindeutige Tatbestä nde, und in beiden Fä llen sind Disziplinarstrafen bis zum Ausschluû aus der Universitä t vorgesehen.«

Sie blickte von ihrem Bogen auf, als ob sie jeden der drei auf frischer Tat ertappen wollte. Nachdem sie sich ü berzeugt hatte, daû sich alle ordentlich benahmen, fuhr sie fort:

»Dann nennt sie als weitere Form die verbale sexuelle Belä stigung. Hier hat nun die Vollversammlung eine Ergä nzung gefordert. Worü ber sich nä mlich viele Frauen beschweren, ist die Herstellung einer chauvinistischen Umgebung am Arbeitsplatz. Oder Studienplatz.«

Die Mä nner schwiegen, bis Schmale zag fragte:

»Wie muû man sich das vorstellen? Pin-up-Girls und dergleichen?«

»Ich habe hier eine Liste mit typischen Situationen zusammengestellt. Sie werden sich wundern, was da alles passiert.« Sie schob Matte die Liste hinü ber, als das Telefon klingelte.

»Ach, das ist fü r Sie«, sagte Matte zur Frauenbeauftragten, »eine Frau Schell oder Scheel hat angerufen und wollte Sie sprechen.«

Sie erhob sich energisch, ging in den Nebenraum und zog die Tü r hinter sich zu. Matte verdrehte die Augen.

»Mein lieber Erich«, sagte Bernie, »das muû ich dir sagen: Du hast mir Eindruck gemacht.«

»Na ja,« sagte Matte, »fü r eine Frauenbeauftragte ist sie gar nicht so ü bel. Aber diese Weiber füh len sich schnell so omnipotent, daû sie sich fü r immun halten, weil sie natü rlich jeden Wider-

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stand gegen sich als weiteres Beispiel mä nnlicher Unterdrü ckung denunzieren kö nnen. Deshalb wagt sich nach einer Zeit keiner mehr an sie heran. Selbst der Groûe Hä uptling zieht vor der Wagner den Schwanz ein.«

»Na ja«, nä selte Schmale, »schlieûlich will er nicht wegen sexueller Belä stigung der Frauenbeauftragten angeklagt werden.«

Ihr Lachen wurde unterbrochen, als die Tü r zum Nebenzimmer wieder aufgestoûen wurde. Frau Wagners Gesicht war gerö tet, als sie ihre Papiere zusammenraffte und in die Tasche stopfte.

»Ä rger?« fragte Bernie teilnahmsvoll.

»Die Polizei bittet mich ins Prä sidium. Man hat vielleicht den Messerstecher aus dem Hauptgebä ude gefaût.« Und zu Matte gewandt fuhr sie fort: »Sie haben ja unseren ausformulierten Vorschlag vorliegen. Alles, was wir wollen, ist, daû Sie im Rechtsreferat prü fen, wie das juristisch gefaût werden muû. Und dann soll die Verordnung ergä nzt werden. Ach ja, und noch was. Das betrifft Sie, Herr Weskamp. Wenn Fä lle von sexueller Belä stigung vor den Disziplinarausschuû kommen, sollten die weiblichen Ausschuûmitglieder ü ber fün fzig Prozent des Stimmanteils verfüg en. Ich hab schon mit dem Prä sidenten gesprochen, und er ist einverstanden. Da braucht der Ausschuû nur mit Zweidrittelmehrheit seine Geschä ftsordnung zu ergä nzen. So, ich muû weg, meine Herren!«

»Auf Wiedersehen, Frau Wagner!« Unter den liebedienerischen Verabschiedungen der drei Mä nner schritt sie hinaus.

Als sie weg war, ging Matte zum Fenster und schloû es wieder. »Was ist denn das fü r ein Messerstecher?« wollte er wissen.

»Ja, Ihr wiût ja in der Festung gar nicht, wie wir drauûen im Hauptgebä ude leben.« Bernie grinste. »Das ist ein Slum. Da schlafen Penner in den Nischen, Dealer schleichen durch die Korridore auf der Suche nach Kunden, die Schwulen aller Lä nder vereinigen sich auf dem Lokus direkt neben meinem Bü ro, und die Terroristen planen ihre Attentate. Unter all diese Leute hatte sich auch ein harmloser Messerstecher gemischt, der dann vor der Wagner

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geflü chtet ist und den sie jetzt geschnappt haben.« Schmale blickte ü berrascht auf.

»Mei, mei, mei, Bernie Ð hö ren wir da Tö ne von Sarkasmus heraus?«

»Ich und Sarkasmus? Ich weiû gar nicht, was das ist.« Und als er das sagte, schaute er zur Decke und sah wieder das Bild von der Frau mit dem grün en und dem blauen Auge.

Das Telefon zerriû seine Vision. Dreimal hö rte er es klingeln, bis Mattes Stimme ertö nte: »Hier Rechtsreferat, Matte... nun ist sie grad wieder weg, Frau Schell, tut mir leid!« hö rte Bernie ihn sagen, »...ja wirklich, Pech... Nein, ich hab ihr noch nichts erzä hlt. Wenn ich ehrlich bin, hab ich es vorhin auch gar nicht genau verstanden ... ich dachte, Sie rufen sowieso noch mal an... na gut, erzä hlen sie es mir. Wenn es was Ernstes ist, krieg ich es sowieso auf den Schreibtisch. Und ich leite es dann an Frau Wagner weiter...« lange Pause. »Hat sie gesagt, mit wem?« Erneute Pause. »Na ja, solange sie keine Namen nennt, lä ût sich mit dem Fall nichts anfangen. Und wenn, dann steht ihre Aussage gegen seine, und da gibts dann immer denselben Kampf der Glaubwü rdigkeiten... ich weiû... ich weiû!... Aber Sie wissen ja, in dubio etc. Na hö ren Sie, Frau Schell, wir kö nnen doch nicht wegen der Leiden der Frauen alle Rechtsprinzipien auûer Kraft setzen, wissen Sie? Im Grundgesetz steht, daû niemand wegen seines Geschlechts diskriminiert werden soll, und das gilt auch fü r Mä nner... na gut, das freut mich zu hö ren. Ja, ich sage es ihr weiter. Sie kö nnen sich darauf verlassen.«

»Was ist los? War es wieder diese Scheel?«

»Schell«, korrigierte Matte, »die betreibt den Studiengang Schauspiel und Sprechtheaterregie oder wie das heiût.«

»Oh, die Schell vom Theater, ja, die kenn ich«, warf Schmale dazwischen. »Die sind gar nicht so schlecht. Haben immer volle Hä user. Gute Reklame fü r die Universitä t.«

»Ja, also, die hat eine Theaterstudentin, die spielt die Hauptrolle in so einem Frauenstü ck.«

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»Was ist das denn, ein Frauenstü ck?« fragte Schmale.

»Was weiû ich denn, was ein Frauenstü ck ist. Ich habe Jura studiert«, bellte Matte jetzt ungeduldig. »Irgend etwas Undelikates, Depressives, nehme ich an. Frag doch Bernie, der kennt sich da aus.«

Bernie lachte. »Matte beschreibt das ganz richtig.«

»Also: In diesem Stü ck spielt die Studentin die Hauptrolle, scheint es, und die Figur, die sie spielt, ist auch eine Studentin oder Schü lerin oder so was, und sie wird sexuell erniedrigt und vergewaltigt und miûbraucht, was weiû ich, halt was in Frauenstü cken so vorkommt. Jedenfalls macht diese Studentin von der Schell das prima. Alle sind begeistert. Und dann, nach so einem Hö hepunkt, spenden die Mitspieler alle Beifall, und da plö tzlich, mitten im Beifall, bricht die Studentin zusammen.«

»Und warum?«

»Sie hat all das, was sie gespielt hat, erst kü rzlich selbst erlebt.« »Nein!« Schmale war begeistert.

»Sagt die Schell«, ergä nzte Matte.

»Etwa hier in der Uni?« wollte Bernie wissen.

»Ja, hier in der Uni. Aber mit wem, sagt sie nicht.« Die gespannte Erwartung verpuffte in Enttä uschung. »Eine Irre«, meinte Bernie.

»Sag ich ja.« Matte wüh lte in seinen Papieren. »Vergiû es«, sagte Schmale.

»Hab ich schon«, erwiderte Matte und fragte Bernie, ob er ihm nicht einen guten Gebrauchtwagenhä ndler empfehlen kö nnte, er wolle sich einen gebrauchten Mercedes besorgen, der aber nicht schö ner sein dü rfe als der des Groûen Hä uptlings.

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Hanno saû im Auto und rollte mit Zehntausenden anderer Autos

im Hamburger Ringstraûenverkehr

der

Stadtmitte zu.

Gestern,

am Tag nach seiner Eskapade, war

er

nicht ins Bü ro

gegangen.

Aber heute lieû sich das nicht vermeiden. Der Fachbereich hatte die vorgeschlagenen Mitglieder der Berufungskommission zur Besetzung der Professur fü r Kultursoziologie ernannt, und Frau Eggert hatte sie alle zu einer ersten Sitzung um 11 Uhr vormittag zusammentelefoniert. Hanno lenkte den Mercedes wie im Fieber. Vor seinen Augen erschienen fratzenhafte Gestalten und quä lten ihn. Er versuchte, sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Noch eine Viertelstunde, und er wü rde in seinen Campus-Parkplatz einbiegen. Oh Gott, das war ja unmittelbar neben dem Baugerü st am Soziologischen Institut. Sicher waren da immer dieselben Bauarbeiter beschä ftigt. Sie wü rden ihm einen triumphalen Empfang bereiten. Ü ber dem Lä rm einer Zementmaschine hö rte er Rufe aus rauhen Mä nnerkehlen:

»Hey, Prof, machs noch mal, Prof!« »Gehts wieder an die Arbeit, Prof?«

»Hey, Karl-Heinz, geh mal mit und hilf dem Prof bei der Arbeit. Das schafft er nicht allein.«

Und dann dieses entsetzlich rohe Geläc hter. Plö tzlich spü rte er Mitgefüh l mit den Frauen, die sich stä ndig solche Spieûrutenlä ufe gefallen lassen muûten. Ob er den feministischen Studentinnen Unrecht getan hatte, die sich im Seminar laufend darü ber beklagten? Er hatte ihre Beschwerden bisher als Technik interpretiert, die Aufmerksamkeit immer wieder von den schwierigen soziologischen Fragen zu den Geschlechterbeziehungen umzulenken, wo alle Frauen Experten waren.

Das wilde Gehupe eines BMW hinter ihm lieû ihn hochfahren. Die Ampel, an der er hielt, war schon lä ngst wieder auf Grün g esprun-

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