Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Der_Campus

.pdf
Скачиваний:
32
Добавлен:
24.03.2015
Размер:
2.49 Mб
Скачать

menen gegen alle und jeden, der mehr als nur mittelmä ûig ist. Thurow verkö rpert den Typ in Reinkultur. Das lebende Ressentiment. Ein bö sartiger Wadenbeiûer, ohne einen Funken Generositä t, eine töd liche Hyä nennatur. So, jetzt haben wir die Typologie, und Sie sagen mir, wer wozu gehö rt.«

»Sie gehö ren zum Typus eins«, sagte sie lachend.

»Aha, die Probe aufs Exempel der Typologie. Ich danke Ihnen. Also ü be ich Triebverzicht.«

Hanno schien es, als ob das Gespräc h in ein leicht kokettes Fahrwasser geriet; aber doch nicht mit Veronika, dieser Figur von der Nü chternheit einer Zahnarztpraxis!

»Gut«, fuhr er fort, »wie ist es mit Ascheberg bei den Germanisten?«

Er hatte sich jetzt das Vorlesungsverzeichnis aus dem Regal gegriffen und ging den Personalteil der Geisteswissenschaften alphabetisch durch.

»Klassischer Goethe-Experte der traditionellen Schule. Ich wü rde sagen, Typus zwei, aber militanter Hermeneutiker mit Allergien gegen Sozialgeschichte.«

Hannos Stift strich den Namen Ascheberg mit heftigen Strichen aus dem Vorlesungsverzeichnis. Als sie eine Stunde spä ter beim Namen »Weskamp« angelangt waren, hatten sie ihre Kandidatenliste beisammen, und es war Zeit, in den Club zum Mittagessen zu gehen und das Programm fü r das dreistün dige Oberseminar am Nachmittag ü ber »Lebenswelt und Alltagswelt« zu besprechen. Veronika muûte eventuell die Sitzung zu Ende füh ren, denn um halb sechs wü rde schon das Taxi des Senders kommen, um Hanno zum Interview ins Studio abzuholen. Und so wü rde der Arbeitstag eines akademischen Olympiers im gleiûenden Licht der Fernsehscheinwerfer wü rdig zu Ende gehen.

71

4

Bab-si, kindlicher Lippenlaut. Unschuld und Lust und unschuldige Lust. Barbara am Morgen fü r alle Welt, Barbi am Mittag fü r ihre Freunde und Babsi nach Dienstschluû fü r Hanno. Doch nur noch heute, nur noch einmal. »Dann sprach der Rabe: Niemals mehr.« Nie-mals mehr. Bar-ba-ra. Heute wü rde Hanno Babsi zurü ckverwandeln in Barbara. Er muûte es tun. Sein Krach mit Gabrielle begann langsam zu vernarben. Daû er im Fernsehen aufgetreten war, hatte sie etwas besä nftigt. Wahrscheinlich konnte sie gegenü ber Freunden schlecht von seinem Prestige zehren, wenn sie gleichzeitig Krieg gegen ihn füh rte. Und tatsäc hlich, wenn er immer stä rker ins ö ffentliche Rampenlicht trat, konnte er nicht eine zweifelhafte Liaison mit sich herumschleppen. Nein, er muûte die Sache beenden.

Er hatte sich die Szene vorgestellt. Babsi betrat sein Bü ro und lieû sich wie immer auf dem Sofa nieder. Wahrscheinlich warf sie ihre Schuhe weg und zog die Beine hoch. Wenn sie wieder eins dieser lockeren Kleider trug, die sie in letzter Zeit bevorzugte, konnte daraus leicht eine Katastrophe entstehen. Sollte er sich vielleicht hinter dem Schreibtisch verschanzen und ihr den Besucherstuhl anbieten? Nein, verklemmt wirken wollte er auch nicht. Er wü rde ihr gegenü ber auf dem Sessel sitzen, aufstehen, beilä ufig zum Bü - cherbord gehen, zwei Whiskyglä ser einschenken und sagen:

»Babsi, so wie sich unsere Beziehung gestaltet hat, lä uft sie auf einen Rollenkonflikt zu.« Klang das zu gestelzt? Er hatte in ihren Armen Ekstasen erlebt, durfte er da plö tzlich reden wie der Kollege Gün ter? Vielleicht sollte er vorsichtig vorgehen. »Babsi, ich habe nachgedacht.« Aber schon hö rte er im Geiste ihre Flirtstimme mit langgezogenem Ton: »Nach-ge-dacht?« Als ob er wieder einen Rü ckfall bekommen hä tte. »Ts, ts, ts. Du sollst das doch nicht tun. Du weiût doch, daû dir das schadet, Hanno.« Nein, er

72

durfte sich in ein Vorgeplä nkel mit ihr erst gar nicht einlassen. Er muûte mit der Tü r ins Haus fallen: »Hö r zu, Babsi, wir mü ssen Schluû machen.« Um Himmels willen, er klang ja wie ein Teenager. Die ganze Affaire zehrte an seiner Wü rde Ð Gabrielle hatte recht, sein Sinn fü r Wü rde war unterentwickelt. Er litt am Hochstaplersyndrom, weil er selbst nicht daran glaubte, daû er seine Stellung zu Recht einnahm. Er war ein Schauspieler seiner selbst, na ja, als Soziologe wuûte man das ja. Vielleicht sollte er einfach hemmungslos den Jargon des »Selbsterfahrungsmilieus« benutzen, dem Babsi zugehö rte: »Sorry, Babsi, aber unsere Beziehung gibt mir irgendwie ein schlechtes Gefüh l. Sorry, das ist nicht deine Schuld, das ist irgendwie meine Kiste. Irgendwie gibst du mir total das Gefüh l, ich mü ûte dir was vormachen. Ich weiû nicht. Ich kann nicht mehr ich selber sein, sorry, und das ist nun mal meine erste Prioritä t, verstehst du?«

Hannos Blick fiel aus dem Fenster auf den leeren Synagogenplatz, auf dem der Wind die Zeitungen mit plö tzlichem Wirbel emporriû und dann wieder gleichgü ltig fallen lieû, so daû sie verwirrt zur Erde taumelten. Windbrä ute in der Stadt der Frauen. Christine de Pizan. Ja, jetzt hatte er's! So ging es, er wü rde Christine de Pizan ablehnen. Er wü rde es ablehnen, ihre Diplomarbeit zu betreuen, weil sich die Betreuungsfunktion mit einem Verhä ltnis nicht vertrug. Und wenn sie protestierte, wü rde er ihr wie zum Opfer anbieten, statt dessen ihr Verhä ltnis zu lö sen. Damit sie Christine de Pizan nicht aufgeben muûte. Jawohl! Erleichtert schenkte er sich ein Glas Whisky ein, als die Tü r aufgestoûen wurde und Babsi hereinfegte.

Sie ging nicht, sie tanzte. Sie schwebte, sie wirbelte und drehte sich um das Gegengewicht ihrer Schultertasche im Halbkreis bis zum Bü cherbord, umarmte Hanno mit flü chtiger Ballettgrazie, hauchte einen Kuû und kreiste mit verzü cktem Ausdruck weiter durch das Bü ro, wä hrend ihr lockeres dunkles Gewand sich beim Drehen bauschte und bis zu den Schenkeln hob. Dabei jubelte sie

73

in einem beseligten Singsang: »Ich bin wiedergeboren worden. Ich bin ein neuer Mensch. Ich habe mich gefunden. Ich weiû endlich, was ich tun muû. Ich bin eine Mondfrau. Mein Wesen ist die Wechselhaftigkeit. Alle Frauen sind Mondfrauen. Ich muû tanzen, tanz mit mir, Hanno!« Sie versuchte, ihn an der Hand in ihren Wirbel zu ziehen, und als er nicht folgte, tanzte sie weiter. »Du kannst gar nicht glauben, wie gut ich mich füh le. Also Ð ich hab doch diese Freundin, von der ich dir erzä hlt habe, die ich von frü - her kenne, Heike. Richtig schö n, lange Beine, schlank, Busen noch gröû er als meiner, hellblonde Haare, die treffe ich morgens auf der Straûe, am Tag nach deinem Vortrag war das, und ich sag: -Eh, Heike, was machst du?¬ Weiût du, was sie macht? Sie macht Sprechtheaterregie und Schauspiel, hier am Forumtheater. -Sprechtheaterregie und Schauspiel?¬ sag ich. -Ja¬, sagt sie. -Ich hab keine Zeit, ich muû zu einer Audition.¬ -Zu einer was?¬ sag ich. -Zu einer Vorsprechprobe. Weiût du was¬, sagt sie, -komm doch einfach mit und guck dir's an, dann reden wir weiter.¬ -Ich weiû nicht recht¬, sag ich. -Ach komm schon¬, sagt sie, -guck dir das an, das macht Spaû. Da ist auch Gün ther Pellmann dabei.¬ -Was, Pellmann, der Regisseur?¬ sage ich. -Ja, auch Schlü ter. Die sind immer auf Talentsuche. Auûerdem haben die irgendwas in diesem Studiengang zu sagen.¬ Also bin ich mitgegangen...«

»Babsi, setz dich doch.«

»Ich kann nicht stillsitzen, ich bin so aufgekratzt. Und weiût du was? Wir kommen also ins Forum, die haben da ein wunderbares Theater, das wuûte ich gar nicht, da waren die Schauspieler schon alle da, also die, die sie testen wollten, ich kann dir sagen, das sind Typen! Die Mä nner alle schwul Ð na ja, nicht alle, aber viele, und die Frauen ganz schrille Tussis. Also, wir setzen uns in die zweite Reihe, und dann kommt diese Frau. Man sieht es auf den ersten Blick: Karrierefrau, weiût du, total dominierend, gut angezogen, modischer Outfit, echt geil, ein Typ Frau, auf den ich richtig abfahre. Brigitte Schell heiût sie, kennst du die? Die managt diese Theaterseminare zusammen mit diesem Rasche...«

74

»Babsi, ich muû dir was sagen.«

»Klar doch. Also fangen die mit den Proben an. Das ist echt geil, das ist richtig physisch, weiût du, da siehst du, wie die plö tzlich Kö rpergefüh l kriegen. Alles vibriert da, hier und hier und hier.« Sie faûte sich an Schenkel, Bauch und Brust. »Das ist echt erotisch. Das ist dann so eine Ausstrahlung, die Leute sehen direkt gröû er aus auf der Bühn e. Da war so eine kleine Tussi, ganz unscheinbar, eigentlich direkt hä ûlich. Aber auf der Bühn e war sie plö tzlich groû und schö n. Prä sent, sagt Brigitte dazu, wer Prä senz hat, wird auf der Bühn e erst lebendig. Wem sie fehlt, der wirkt auf der Bühn e wie tot. Kannst du dir das vorstellen? Und das stimmt. Die Bühn e ist eine Welt in der Welt, verstehst du? Da wirst du wiedergeboren, sagt sie...«

»Babsi, halt doch mal die Luft an und hö r mir zu«, schnaubte Hanno, nun langsam gereizt, aber sie schien nicht zu hö ren.

»Die Frau ist echt geil, sag ich dir. Die gibt dir ein total neues Feeling. Also, die managt da alles, der Pellmann und der andere, wie heiût er doch gleich? Die saûen nur schlaff da herum. Aber die Brigitte kann direkt zaubern. Die kennt einfach die Kö rper ihrer Schauspieler. »Klemm die Pobacken zusammen!« sagt sie zu Heike, als die oben stand, und weiût du was, plö tzlich sah die ganz anders aus. Also, sie besetzen gerade dieses Stü ck, Medea heiût es, ist aber nicht dieser Klassiker, sondern ein modernes Stü ck von einer Englä nderin, Jessica Wilson oder so ä hnlich, und da gibt es eben die Titelheldin, eine Räc herin gegen Mä nnergewalt, ein Opfer mä nnlicher Sexualitä t, weiût du? Und sie proben und proben, und da sagt die Schell schlieûlich zu mir: -Kommen Sie doch mal auf die Bühn e.¬ -Was, ich?¬ sage ich. -Ja, Sie!¬ sagt sie. Da bin ich da rauf. Was soll ich sagen, jetzt spiel ich die Rolle der Medea. Sie haben mir die Hauptrolle gegeben, das finde ich ja so was von geil...«

Unvermittelt brü llte Hanno so laut er konnte: »Ich weigere mich, deine Diplomarbeit zu betreuen, hö rst du?« Er hatte es geschafft. Das Gebrü ll hatte sie in vollem Lauf gestoppt. Sie blieb

75

stehen und starrte ihn an. Drauûen auf der Fensterbank erklang das Gurren der Tauben.

»Du tust was?« fragte sie ruhig.

»Ich weigere mich. Es muû sein, es geht nicht anders. Betreuung der Arbeit und Ð alles andere in unserem Verhä ltnis, das ist ein Rollenkonflikt. Ich kann es nicht, und ich will es nicht. Du kannst zu Gün ter gehen, der versteht auch was davon. Oder besser noch zu Frau Siefer, die wird dich mit Kuûhand nehmen und auch deinen unhistorischen Feminismus akzeptieren.«

Babsi schaute ihn mit groûen Augen an. Um Himmels willen, hoffentlich fä ngt sie nicht wieder an zu weinen! Doch sie weinte nicht. Sie wendete sich langsam zum Fenster und schaute auf den Bornplatz hinaus, wo der Wind noch immer sein Spiel mit den Zeitungen trieb. Hanno wurde unbehaglich zumute.

»Du nimmst es mir hoffentlich nicht ü bel. Aber es ist einfach besser so. Es ist korrekt, und bei Prü fungen muû man einfach korrekt sein.«

Ruhig stand sie am Fenster, und ihre Brust hob und senkte sich unter dem Kleid. Vor ihrer ü berwä ltigenden Femininitä t kam Hanno sein Betragen klä glich vor. Sie drehte sich langsam um und sah ihn an.

»Du willst mich also verstoûen?« »Ich will nicht, ich muû.«

»Das ist echt brutal.« »Ich weiû.«

»Ich muû mir einen anderen Prü fer suchen.« Nach einer Pause: »Oder Prü ferin.«

Sie stieû sich vom Fenster ab, glitt mit einem Finger ü ber die Kante der Fensterbank, segelte dann quer durch den Raum, warf die Schuhe weg und setzte sich im Schneidersitz auf das Sofa, indem sie ihr Kleid wie ein Zelt um sich herum drapierte. Mit ihren langen, auf die Schultern flieûenden Haaren wirkte sie wie eine indische Gö ttin, und Hanno hä tte sich nicht gewundert, wenn ihr sechs Arme gewachsen wä ren.

76

»Aber der Grund, daû du es ablehnst, meine Arbeit zu betreuen, ist, daû wir ein Verhä ltnis haben?« fragte sie ruhig.

»Ja. Das eine verträ gt sich nicht mit dem anderen. Man kann nicht bei seinem Geliebten Examen machen.«

»Geliebter! Wie das klingt! Du bist mein Lover«, sagte sie. »Auûerdem ist es Unzucht mit Abhä ngigen.« Jetzt war es ihm

doch rausgerutscht.

»Bin ich die Abhä ngige?« fragte sie in einem so ironischen Unterton, daû er sich beeilte zu betonen:

»Nur im juristischen Sinne natü rlich. Als Examenskandidatin. Psychisch bin ich es«, füg te er murmelnd hinzu.

»Nicht psychisch, mein Lieber, physisch.« Sie hob ironisch ihr Kleid, so daû er ihre Schenkel sehen konnte.

»Du solltest sehen, was du fü r einen Gesichtsausdruck bekommst.«

»Bitte laû das, Babsi.«

Sie lieû das Kleid wieder fallen. »Also gut«, fuhr sie fort, »du wü rdest meine Arbeit also nur betreuen, wenn wir unser Verhä ltnis beenden wü rden, stimmt's?«

Eine Welle der Aufgeregtheit lief durch Hannos Gemü t. Sollte die Strategie etwa klappen?

»Ja, natü rlich«, antwortete er so neutral wie mö glich.

»Kö nntest du verstehen, wenn ich mein Studium fü r wichtiger

halte als meine Beziehung?«

 

 

 

 

Hannos Hoffnung spreizte die Flüg el.

 

 

 

 

»Ja, natü rlich.« Er konnte den Drang nach

Bestä tigung kaum

noch zurü ckhalten.

 

 

 

 

»Du hä ttest also Verstä ndnis dafü r, wenn

ich

sagen

wü rde,

das

Examen geht vor, wir machen Schluû?«

 

 

 

 

»Ja, das hä tte ich.« Hanno versuchte so

zu tun, als

ob er

sich

ü berwinden mü ûte.

 

 

 

 

»Gut. Dann sage ich jetzt, wir machen Schluû.« Hanno strahlte.

»Wirklich?«

77

»Du strahlst ja.«

»Ich strahle nicht, mein Herz blutet. Aber ich bringe das Opfer.«

»Quatsch, du lüg st. Du bringst kein Opfer, du bist erleichtert.« »Nein, ich tue es fü r dich.«

»Hä ltst du mich fü r blöd ?«

Der Ton in ihrer Stimme hö rte sich an wie ferner Schlachtenlä rm.

»Nein, nein, natü rlich nicht.«

»Du willst mich lossein, und weil du nicht den Mut hast, es mir zu sagen, erpreût du mich mit diesem Scheiûexamen.«

»Nein, nein.«

»Und wie nennst du das, was du tust? Entweder Liebe oder Examen? Findest du das nicht schä big, du Vertreter der Civil Society, du?«

Hanno zuckte unter den Hammerschlä gen.

»Du bist genauso ein schä biger kleiner Macho wie all die anderen.«

»Ja, vielleicht«, murmelte Hanno.

»In Wirklichkeit haût ihr Frauen. Ihr mö gt uns nicht. Ihr benutzt uns nur. Das sagt Brigitte auch. Du hast mich nie respektiert. Du bist nur geil. Gib es zu. Geistig hast du mich nicht fü r voll genommen, gib es doch zu!« schrie sie jetzt aufgebracht. »Warum gibst du es nicht ein Mal zu, nur ein Mal?«

»Weil es nicht stimmt.«

»Was lüg st du so? Wä r ich ein Mann, hä ttest du mich gar nicht zur Kenntnis genommen. Ich muûte dir schon meine Schenkel zeigen, um deine Aufmerksamkeit zu erregen. Das ist eine Form der Vergewaltigung. Vergewaltigt hast du mich.«

Hanno war baff. Sie meinte es offenbar ernst.

»Hö r mal, Babsi, du hast wohl vergessen, wer hier wen verfüh rt

hat.«

 

»Ich wollte deinen Geist verfüh ren, meinst

du, mich hä tte dein

Kö rper interessiert?« schrie sie so laut, daû

Hanno befü rchtete,

78

man kö nnte sie drauûen auf dem Flur hö ren. »Aber hä tte ich dir meinen Geist nackt gezeigt, hä ttest du bloû die Nase gerü mpft. Mein Kö rper, das war die einzige Sprache, in der ich dich ansprechen konnte. Das ist ja die Scheiûe bei euch Mä nnern, daû ihr beides so trennt.«

»Das sind ja die Ladenhü ter des Feminismus aus der Steinzeit!« schrie Hanno jetzt auch.

»Und die Scheiûe ist, daû sie immer noch stimmen. Du selbst hast es bewiesen.«

»Hab ich nicht.« »Hast du doch.« »Hab ich nicht.« »Hast du doch!«

Ein lautes Pochen an der Tü r unterbrach unvermittelt ihr Duett und lieû Hannos Herz bis zum Hals klopfen. Noch ehe er »Herein« sagen konnte, wurde die Tü r aufgestoûen, und zwei Handwerker in grauen Kitteln schoben einen Wagen mit Bü rsten, Lappen, Eimern, Besen und Putzgerä ten herein.

»Entschuldigung, Herr Professor, aber wir mü ssen mol eben Ihre Fenster hier putzen«, sagte der kleinere von ihnen im breitesten Hamburgisch, »dauert man goor nicht lang.« Und damit begannen er und sein gröû erer Kollege ohne Zö gern, die beiden Fensterfronten einzuseifen. Babsi und er starrten sich an, ohne ein Wort zu sagen. Hannos Hirn raste. Heimlich sah er sich nach den, eifrig putzenden Handwerkern um. Sie konnten doch hier nicht stumm wie bei einer Meditation herumsitzen.

»Also, Frau Clauditz«, begann er endlich, »Christine de Pizan hat zwar gegen die misogyne Literatur des Mittelalters protestiert, aber das muû man im Kontext ihrer Polemik gegen den Roman de la Rose von Jean de Meun sehen. Sie selbst bleibt vö llig der mittelalterlichen Anthropologie verhaftet.«

Babsi starrte ihn an. Plö tzlich brach sie in schallendes Geläc hter aus. Die Handwerker hatten begonnen, die Fenster mit Lederlappen abzureiben, und guckten sich irritiert um. Als Babsis Geläc h-

79

ter hemmungslos weiterperlte, wurde der gröû ere von ihnen angesteckt, und sein breites Gesicht ü berzog sich mit einem sinnlosen Grinsen, bis er wie ein schwergä ngiger Motor beim Anlassen ein unregelmä ûiges tiefes Krachen hö ren lieû, das schneller und immer explosiver wurde und schlieûlich mit lautem Gebell Babsis Silberlachen ü bertö nte. Schlieûlich lachten beide, die groûe Bulldogge von einem Fensterputzer und Babsi, im Duett, so als ob sie wü ûten, worü ber, bis die Gewalt dieses Ausbruchs den Handwerker nach rü ckwä rts schleuderte, wo sein Eimer stand, und er mitsamt seinem Putzwagen zu Boden krachte, wä hrend Babsis Lachen, um eine Tonlage schriller, den Zusammenbruch begleitete.

»Mann, paû doch auf, was du machst!« schrie der kleine Fensterputzer den verstummten Kollegen an, der sich müh selig wieder hochrappelte. »Entschuldigung, Herr Professor, das ist gleich wieder in Ordnung.« Und damit richteten die beiden den Wagen wieder auf, sammelten ihre verstreuten Utensilien ein, verrieben das umgeschü ttete Putzwasser im Teppichboden und verschwanden in Windeseile auf den Flur. Kaum war die Tü r hinter ihnen geschlossen, brach Babsis Geläc hter wieder aus.

»Hast du gesehen, wie der Typ zu Boden gegangen ist?« Sie warf sich an die Lehne des Sofas. »Himmel, ich sterbe. So, stell ich mir vor, muû es aussehen, wenn eines Tages der Turm von Pisa umkippt.« Erneutes Geläc hter. »O Gott, da fä llt mir Christine de Pizan wieder ein.« Das ernü chterte sie etwas. »Komm, gib mir einen Whisky, Hanno.« Er goû ihr ein Glas ein, sie trank es mit einem Zug aus, um ihr Lachen unten zu halten, riû danach erleichtert ihren Mund auf wie eine Katze und fauchte. »So, jetzt geht es mir besser.« Er goû ihr erneut ein, und sie sah ihn gesammelt an. »Setz dich, Hanno, ich hab dir auch was zu sagen.«

Er tat es.

»Du hast es vorhin vielleicht nicht ganz ernst genommen, aber ich hab es ernst gemeint. Ich bin wiedergeboren worden.«

»Was?« Hanno füh lte Entsetzen in sich aufsteigen, als ob er es mit einer Wahnsinnigen zu tun hä tte.

80

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]