Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Der_Campus

.pdf
Скачиваний:
32
Добавлен:
24.03.2015
Размер:
2.49 Mб
Скачать

ein Kind, das von seiner Mutter gerade aus dem Teich gezogen wird, in den es gefallen ist. »Danke, danke. Ja, mir geht es gut, vielen Dank, sehr liebenswü rdig. Nein, ich bin ganz intakt. Sollen wir uns vielleicht an den Sofatisch setzen, dort drü ben? Es ist vielleicht sicherer fü r mich«, versuchte er tapfer zu scherzen, wä hrend Alice den Verdacht hatte, daû er sich irgendeinen Schmerz verkniff und weich sitzen wollte.

»Ich bin Ihnen eine Erklä rung schuldig«, begann er, als sie sich gesetzt hatten. »Aber vorher mü ssen Sie mir versprechen, daû Sie das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, absolut vertraulich behandeln. Versprechen Sie mir das?«

Alice war jetzt wirklich neugierig geworden. »Ich schwö r«, sagte sie und hob spielerisch die Hand zur Parodie eines Schwurs. »Meine Lippen sind versiegelt.«

Schä fer kniff die Augen zusammen und blinzelte sie skeptisch an.

»Heiliges Ehrenwort«, füg te sie hinzu.

»Also gut.« Er gab sich einen Ruck und zö gerte dann doch wieder. »Auch kein Wort gegenü ber irgendeinem Kollegen! Auch nicht gegenü ber der Sinowatz!«

»Versprochen.«

Das schien ihm endlich zu genüg en. »Ich habe die Tagebü cher«, sagte er.

Sie verstand nicht gleich. Dann ging ihr ein Licht auf. »Ja meinen'S die Lü cke von 1914, wo nachträ glich dran rumgeflickt wor - den ist?«

»Ja, ich habe das Original.« »Nein!«

»Doch.«

»Das war doch vernichtet.«

»War es eben nicht. Ich habe nie dran geglaubt. Und jetzt hab ich's gefunden.«

»Wo?«

Schä fer läc helte sie an.

171

»Da schweigt des Sä ngers Hö flichkeit.« Er machte eine Pause. »Hö ren Sie, Alice«, warum benutzte er plö tzlich ihren Vornamen? »kennen Sie sich in Editionstechnik aus?«

»Na, so das ü bliche«, entgegnete sie vorsichtig. Wollte er sie etwa an der Herausgabe beteiligen? Wenn die Tagebü cher wirklich echt waren, wü rde sie das mit einem Schlag bekannt machen. Dafü r wü rde sie ihre Sozialpolitik der deutschnationalen Volkspartei sofort fahren lassen. Wenn er sie da mitmachen lieûe, wä re sie eine gemachte Frau. Tief in ihrem Inneren füh lte sie eine leichte Vibration, ein seismisches Beben, das einen Bruch in ihrem Dasein anzukün digen schien. Das Original der Riezler-Tagebü cher herauszugeben, das wü rde sie zum Schiedsrichter in der Kriegsschulddebatte machen.

»Und was sagen die Tagebü cher ü ber die Kriegsschuld?« fragte sie.

»Ich mache Ihnen ein Angebot«, sagte Schä fer. Alice spü rte, wie das Beben in ihrem Inneren stä rker wurde. »Wenn Sie es annehmen, kö nnen Sie die Tagebü cher selber einsehen. Wenn nicht, mü ûten Sie alles, was Sie heute gehö rt haben, vergessen. Also Ð ich will ehrlich zu Ihnen sein.« Er stand auf und begann im Bü ro auf und ab zu gehen. »Ich brauche Hilfe bei der Edition. Aber aus dem Seminar kann ich niemandem trauen. Sehen Sie, die Originaltagebü cher sind sehr viel wert. Sowohl finanziell auf dem Medienmarkt als auch als wissenschaftliche Quelle. Da kö nnte jemand in Versuchung geraten. Aber nehmen Sie die Historiker in unserem Seminar«, er machte mit seinem langen Arm eine weit ausholende Geste. »Die meisten von ihnen sind damals ü bergeleitet worden. Keine andere Universitä t will sie haben. Von denen bekommt niemand je einen Ruf. Wenn aber jemand das Original-Riezler-Tage- buch entdeckt, kö nnte sich das ä ndern. Deshalb habe ich auch kontrolliert, wer die Sachen hier ausgeliehen hat. Aber das mit der Presse ist viel gefä hrlicher.«

»Meinen'S, die zahlen jedes Geld, um d ie Tagebü cher selbst zu verö ffentlichen?«

172

»Das wä re vielleicht noch nicht einmal so schlecht.« Er sagte das so schelmisch, als ob er daran däc hte, diese Mö glichkeit selbst auszunutzen. »Nein, wenn die Presse zu früh davon Wind kriegt, gibt es todsicher einen Disput ü ber Verö ffentlichungsrechte. Und dann kö nnen wir eine kritische Edition vielleicht gar nicht mehr machen. Deshalb bin ich so geheimniskrä merisch.«

Jetzt verstand Alice: Er hatte wirklich recht. Und sie hatte ihn fü r einen der ü blichen akademischen Paranoiker gehalten.

»Hat denn jemand die Rechte?« fragte sie.

»Das ist eben nicht klar. Die Rechte an den bisher verö ffentlichten Teilen hat eine Nichte in Bern. Aber auch diese Rechte sind nie gerichtlich ü berprü ft worden.« Schä fer beendete seine Wanderungen und setzte sich wieder auf das Sofa.

»Ham'S die Tagebü cher von ihr?«

»Um Himmels willen, nein. Die weiû gar nicht, daû sie noch existieren.«

»Und wo ham'S s ie gefunden? Jetzt kö nnen's mir ja sagen.« Alice versuchte, verschwö rerisch auszusehen.

Schä fer blickte sie an und machte wieder seine Lippengymnastik.

»In Moskau.«

»In Moskau?«

»Ja, da sind jetzt die groûen Funde zu machen.« Und Alice lauschte mit atemloser Spannung, wie Schä fer von den Katakomben der Moskauer Archive erzä hlte, die zum ersten Mal ihre Tore ö ffneten, um Schä tze freizugeben, von deren Existenz die Welt nicht einmal etwas ahnte. »Fü r uns Historiker brechen aufregende Zeiten an«, schloû er die Erzä hlung von der Odyssee bei der Suche nach den Tagebü chern. »Und da wird sich noch manch einer wundern, wie sehr er mit seinen bisherigen Urteilen danebenlag.«

Alice hatte das Fieber gepackt.

»Wie beim Fluch der Pharaonen«, sagte sie. »Wie?« Schä fer blickte sie verstä ndnislos an.

»Ach nix, a Trivialgeschichtn aus der Archä ologie. Beim Ö ff-

173

nen von den Pharaonengrä bern sollen irgendwelche fün ftausendjä hrigen Bakterien ü ber die Archä ologen hergfallen sein.«

»Unsinn«, bellte Schä fer. »Ü brigens, wo waren Sie eigentlich gestern nachmittag? Ich habe den ganzen Tag nach Ihnen herumtelefoniert, weil ich Sie nach diesem... wie heiût er noch...«, er blickte auf die Ausleihscheine, »... diesem Martin Sommer fragen wollte.«

»Ich war in der Psychiatrie.« Alice schien es fast, als ob das vor Wochen gewesen wä re.

»In der Psychiatrie?« Schä fer wunderte sich. »Was haben Sie denn da zu tun?«

Und Alice erzä hlte es ihm. Zu ihrer Verwunderung hö rte er ihr sehr aufmerksam zu. Er wollte alles wissen und stellte so detaillierte Fragen, daû ihr zwischendurch der Gedanke kam, Schä fer selbst kö nnte der unbekannte Hochschullehrer sein, der Barbara sexuell erpreût hatte. Aber dann schaute sie ihn an und verwarf den Gedanken wieder. Läc herlich! Doch nicht diese Archivratte! Der interessierte sich doch nur fü r Quellen. Als sie ihren Bericht beendet hatte, kam er unvermittelt auf diesen Sommer zurü ck.

»Hö ren Sie, am Montag muû er doch diese Bü cher zurü ckbringen, stimmt's?« Und als sie nickte, fuhr er fort: »Kö nnen Sie es so einrichten, daû Sie wieder die Bibliotheksaufsicht füh ren, und wenn er kommt, schicken Sie ihn zu mir, geht das?«

Ja, sicher, Alice konnte es einrichten. Aber was hatte er vor? »Spuren verwischen«, bellte Schä fer vergnüg t, und sie sah, daû

er einen Plan hatte.

»Oder a Spur legen?« sagte sie anzüg lich.

Er kugelte seinen Kopf im Eierbecher seines Oberkö rpers nach hinten und drehte in einer Geste gespielter Unschuld die Augen zur Decke. »Wir arbeiten zwar ab jetzt zusammen, aber Sie mü ssen nicht alles wissen.«

Doch sie wuûte, daû er wuûte, daû sie wuûte, was er vorhatte.

174

Am Samstag abend stand Bernie vor seinem Spiegel und rasierte sich. Der Spiegel hing in seiner kleinen Junggesellenwohnung in Eppendorf, und Bernie bereitete sich auf einen Theaterabend mit Rebecca vor. Ein ehemaliger Student von Bernie war Regieassi-

stent

am Thalia-Theater und hatte ihm zwei billige

Karten

fü r

zwei

teure Plä tze fü r Wilsons Block Rider besorgt.

So hatte

er

kurzentschlossen im Bü ro des Justizsenators angerufen und gleich Rebecca an die Strippe gekriegt. Ja, sie ging gerne mit, hatte sie mit ihrer schmelzenden Telefonstimme so direkt in seine Ganglien geflü stert, daû die neuronalen Instant-Gewitter direkte priapische Ausschlä ge bewirkten. Das war ihm schon lange nicht passiert, dachte er, als er sich prü fend mit der Hand ü ber die rasierte Wange fuhr. Ob er ein paar Kondome einstecken sollte? Besser ist besser. Er wüh lte im Wandschrä nkchen neben dem Spiegel, da schrillte das Telefon. -O nein¬, dachte Bernie, das war sicher ein Student, der einen Tip fü r ein Referat brauchte! Samstag abend war ihre Zeit, da trafen sich alle in der WG und steigerten sich in Rage ü ber die mangelnden Informationen, die sie von ihren Profs erhielten. Er lieû es klingeln. Mal sehen, wer es lä nger aushielt. Er fand die Packung mit den Kondomen und steckte sie in die Hosentasche, nahm ein frisches Taschentuch aus der Kommode, sprüh te sich etwas Eau de Toilette auf die Handgelenke und klappte das Innere der Schranktü r auf, um eine Krawatte auszusuchen. Meine Gü te, wer mochte da so hartnäc kig klingeln? Ob es vielleicht etwas Dringendes war? Etwa seine Mutter?

Er griff zum Hö rer. Am anderen Ende erscholl das metallische Singen der Kreissä ge.

»Mein Gott, waren Sie in der Badewanne, daû Sie so lange nicht abgenommen haben?«

Die Frauenbeauftragte Ursula Wagner!

»Hallo, Frau Wagner, ich hab jetzt keine Zeit. Ich bin auf dem Sprung ins Theater.«

Er hä tte das genausogut seinem Kleiderschrank mitteilen kö n- nen. Sie ignorierte es einfach.

175

»Ich hab gestern den ganzen Tag versucht, Sie zu erreichen.«

»Ich hatte Prü fungen im Schulamt. Was gibt's denn so Drin - gendes?«

Im näc hsten Moment verfluchte sich Bernie, daû er das gefragt hatte.

»Ich wollte mal hö ren, was sich bei dem Gespräc h mit Barbara Clauditz ergeben hat.«

»Warten Sie den Bericht ab. Ich muû jetzt weg.«

»Na, kommen Sie schon, Weskamp, Sie kö nnen mir doch schnell sagen, wen sie benannt hat.«

Sie klang, als ob sie jemandes Blut saufen wollte. Die Femme fatale. Was hatte Bernie ü ber die phallische Frau im franzö sischen Film gelesen? Der Phall Wagner. Er konnte sich einfach die Befriedigung nicht versagen, sie zu enttä uschen.

»Sie hat niemanden benannt, Frau Wagner.« »Nein?«

Bernie muûte grinsen. Sie klang wirklich enttä uscht. Das geschah ihr recht!

»Nein«, sagte er noch mal mit dem zufriedenen Gestus eines satten Sprechaktes. Die Wagner war schlieûlich Linguistin.

»Sie haben nicht richtig gefragt.« Ebenfalls mehr eine Feststellung als eine Frage.

»Sie kö nnen es ja nachlesen.« Er muûte es ihr noch mal hinreiben. »Sie mü ssen sich schon damit abfinden, Frau Wagner, da ist nichts. Das Mä dchen ist derangiert. Die hat die ganze Geschichte erfunden, um die Rolle zu kriegen, und erst als die Schell ihr die Rolle weggenommen hat, ist sie durchgedreht.«

»Sagt sie das?« »Ja.«

»Und Sie glauben ihr das?« »Ja, sicher.«

»Obwohl sie derangiert ist?« Bernie füh lte die Anfä nge leichter Ungehaltenheit. Er hatte die Sache zum Abschluû gebracht, und damit basta! Sollte sie doch den Bericht abwarten.

176

»Weil es eben schlü ssig ist. Diese Rolle war ihr furchtbar wichtig. Sie hä tten sie sehen sollen, eine Hysterikerin reinsten Wassers. Die war nur scharf auf die Rolle.«

Das mit der Hysterikerin hä tte er nicht sagen sollen. Das war Macho-Sprache, und sie füh rte sofort zum solidarischen Schulterschluû aller leidenden Frauen.

»Aha, aha«, schrie es am anderen Ende der Leitung. »Da haben wir's, das ist typisch, das ist genau wie bei den Polizeiverhö ren von Vergewaltigten! Immer wird erst unterstellt, daû die Frau sich alles einbildet. Oder sogar die Vergewaltigung provoziert hat. Mit so einer chauvinistischen Einstellung kann man doch so eine Befragung nicht machen. Ich werd dafü r sorgen, daû das Mä dchen noch mal befragt wird, von einer Frau.«

Wie froh war Bernie, die Hopfenmü ller mitgenommen zu haben!

»Es war ja eine Frau dabei. Ein Mitglied des Disziplinarausschusses.«

Das nahm der Wagner fü r eine Sekunde die Luft weg. Damit hatte sie wohl nicht gerechnet.

»Kenne ich sie?«

»Weiû ich nicht.« Bernie zwang sie dazu, nachzufragen. »Wie heiût sie?«

»Alice Hopfenmü ller. Vom Historischen Seminar«, füg te Bernie hinzu. Die Frauenbeauftragte kannte sie nicht und lieû sich den Namen buchstabieren.

»Sie hat das Gespräc h protokolliert. Aber um eins mö chte ich Sie bitten, Frau Wagner: Belä stigen Sie sie jetzt ü bers Wochenende nicht mit Anrufen! Sie soll unbeeinfluût den Bericht schreiben.«

»Es ist vielleicht besser, Sie erklä ren mir nicht, wie ich meinen Job machen und die Rechte der Frauen wahrnehmen soll.« Sie hatte ihre Metallstimme wieder etwas gesenkt und nagelte diesen Satz in den Telefonhö rer.

»Was immer Sie tun«, sagte Bernie küh l, »dieser Fall ist jetzt abgeschlossen.«

177

Da legte sie wieder los: »Meinen Sie etwa, wir lassen einen Mann entscheiden, wann so ein Fall von sexueller Belä stigung abgeschlossen ist und wann nicht? Die Zeiten sind vorbei, wo man das einfach vertuschen konnte. Dieser Fall ist erst abgeschlossen, wenn ich es sage«, füg te sie hinzu. »Sie kö nnen das nicht mehr nach Gutsherrenart machen.«

»Wollen Sie damit andeuten...?«

»Ich will gar nichts andeuten«, schnitt sie ihm das Wort ab. »Aber erst gibt Dr. Matte die Informationen nicht weiter, und dann kommen Sie mit diesem Mä rchen von der Hysterikerin, die sich alles einbildet... Das sind doch, weiû Gott, vertraute Muster...«

Bernie sah auf die Uhr. Oje, er muûte sich beeilen und war noch nicht mal ganz angezogen.

»Hö ren Sie, Frau Wagner, ich muû jetzt wirklich Schluû machen, sonst komme ich zu spä t ins Theater. Warten Sie den Bericht in der näc hsten Woche ab. Sie werden sehen, Frau Hopfenmü ller wird das bestä tigen, was ich gesagt habe. Einen schö nen Abend wün sche ich noch.« Er legte auf. Gott sei Dank gab es auch Frauen wie Rebecca! Er wä hlte eine diskrete Krawatte, band sie um, zog sein Jackett ü ber, schloû die Etagentü r hinter sich und verlieû das Haus, um sich in den abendlichen Lichtem der Groûstadt zu verlieren.

9

Am Montag morgen fuhr Martin Sommer mit dem Fahrstuhl in den achten Stock des Hauptgebä udes der Universitä t. Er war deprimiert. Die euphorische Qualitä t seines Neuanfangs hatte sich beim Studium der Bü cher verflü chtigt. Das war ja schlimmer als ein Hauptseminar in Geschichte! Er konnte ü berhaupt nicht begreifen, worum es da ging. Ein editorischer Grabenkrieg zwischen Pedanten und Federfuchsern, Archivratten und Fanatikern. Wa-

178

ren die Eintragungen Riezlers wä hrend der Julikrise nachträ gliche Interpolationen, die das Originaltagebuch simulieren sollten, oder memoirenartige Erinnerungsblä tter? Waren die Eintragungen im Berichtsstil oder im prä sentischen Tagebuchstil geschrieben, wie stand es mit dem Papier und der Numerierung der Blä tter? Wieso behauptete Erdmann, die Eintragungen enthielten eine Widerlegung der These von der deutschen Kriegsschuld, wenn Rothfels ihre Vernichtung mit der Begrün dung empfahl, sie bewiesen die deutsche Kriegsschuld? Martin hatte das ganze Wochenende mit dem Studium dieser Schriften verbracht und hatte keinen Schimmer, was Bü lhoff da suchte. Aber vielleicht wü rde ja ein Interview mit Schä fer Licht in die Sache bringen. Schade nur, daû er nicht als Journalist auftreten konnte. Sich als Student da einzuschleichen war ihm eigentlich zuwider. Er wollte diese Rolle loswerden. Na ja, er war es ja nur noch zum Schein. Er muûte sich daran erinnern, daû er nur noch den Studenten spielte. Seine Miene hellte sich etwas auf, als er in die Bibliothek des Historischen Seminars trat. Ach, da war ja wieder diese knä bische Bayerin! Eine nette Person, eigentlich. Sie hatte seine Parodie neulich mit Humor genommen.

»Guten Morgen, Herr Sommer.«

Halt, woher kannte die seinen Namen? Ach ja, sie hatte ja die Ausleihscheine.

»Guten Morgen.« Er packte die Bü cher auf den Tisch, und sie gab ihm die Leihscheine zurü ck.

»Herr Professor Schä fer mö chte sie fü r einen Moment sprechen, Herr Sommer. Er erwartet Sie in seinem Bü ro. Sie kö nnen gleich reingehen. Lassen's die Bü cher hier, ich stell sie schon zu - rü ck.«

Schä fer wollte ihn sprechen? Er wollte Schä fer sprechen! Was hatte das bloû zu bedeuten? Ach ja, er hatte ja mal einen Seminarschein nicht abgeholt, einfach weil er die Hausarbeit nicht abgeliefert hatte. Ob er sich daran noch erinnerte? Martin hatte wieder dieses ungute Gefüh l.

»Gleich soll ich da rein gehen?«

179

»Ja, er erwartet Sie.«

Schä fer war aufgerä umt und leutselig. Er saû auf dem Sofa und wies mit seinem langen Arm auf den Besuchersessel.

»Ah, Herr Sommer. Nehmen Sie Platz, nehmen Sie Platz. Ich danke Ihnen, daû Sie ein paar Minuten fü r mich freimachen kö n- nen. Ich hoffe, ich bringe Ihren Tagesplan nicht allzusehr durcheinander?« Martin setzte sich. Nette Type, eigentlich, wenn er so redete.

»Mö chten Sie etwas Kaffee? Er ist noch heiû Ð und hier sind Milch und Zucker.«

Mit jedem Schluck hob sich Martins Wohlgefüh l. »Eigentlich wollte ich auch zu Ihnen, Herr Professor.«

»Tatsäc hlich? Warum?« Er schaute Martin neugierig an und stü lpte seinen Schmollmund nach auûen. Ja, was sollte er sagen? Sollte er mit der Tü r ins Haus fallen und zugeben, daû er hinter den Riezler-Tagebü chern her war? Wie machten die richtigen Rechercheure das? Halt, er durfte nicht vergessen, daû er ja als Student auftrat.

»Ich dachte, ich wollte mal mit Ihnen ü ber ein Referatsthema fü r das näc hste Hauptseminar sprechen.«

»Und da haben Sie an die Riezler-Tagebü cher gedacht?«

Ein Schuû

hä tte ihn

nicht

stä rker ü berraschen kö nnen. Woher

wuûte der Schä fer das?

 

 

»Ja... ä hhh,

ja an so

was

Ä hnlidM» hatte ich eigentlich ge-

dacht.«

 

 

 

»Und da haben Sie sich erst einmal einen Forschungsü berblick verschafft, sehr gut, sehr gut!« Schä fer läc helte ihn an. Also daher wuûte er, auf welches Thema er loswollte. Er hatte mitgekriegt, was er sich ausgeliehen hatte. Wahrscheinlich zä hlte er jeden Tag die Bü cher nach, alle 68000 Bä nde, ob abends nicht eins fehlte.

»Und?« fragte Schä fer. »Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? Was mö chten Sie da bearbeiten?«

»Mich interessiert die Zeit um die Julikrise.«

»Ja?« Schä fer blickte ihn erwartungsvoll an. Was sollte er sa-

180

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]