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Der_Campus

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»Das

stimmt«,

bestä tigte

er wie bei einer

braven Schü lerin,

»aber

fü r Ihre

Unabhä ngigkeitserklä rung von

den Germanisten

werden Sie bestraft, indem man Sie verhungern lä ût, stimmts?«

Sie nickte wieder.

 

 

»Das

stimmt«,

bestä tigte

Heribert erneut. »Und mit welchem

Ziel lä ût man Sie verhungern? Na? Na?«

Sie schaute ihn fragend an. Sie hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte.

Enttä uscht wie ein Lehrer, der seine Fragen selbst beantworten muû, sagte er:

»Nun, damit Wienholt vom Zentralen Institut fü r Sprachpraxis Sie besser schlucken kann.« Er grinste. »Wienholt ist der bö se Wolf, und Sie sind das kleine Rotkä ppchen, auf das er es abgesehen hat.« Heribert stach mit seinem wurstigen Zeigefinger auf sie ein, als er das sagte. »Ein richtig leckerer kleiner Happen.«

Brigitte muûte lachen. Ihr schien es fast, als ob Heribert sich die Lippen leckte.

»Und Sie sind meine gute Mutter, die mich warnt.«

»Richtig«, bestä tigte Heribert. »Weichen Sie nicht vom Wege ab, kommen Sie zu mir, und dann kann Ihnen nichts passieren.«

»Ich kenne ein Mä rchen, da verkleidet sich der Wolf selbst als liebe Mutter, indem er die Pfote weiû fä rbt und Kreide friût, um die Kinder zu verschlingen.«

Heribert hob die Krü cken.

»Sehen Sie mich an, einen Krü ppel. Sehe ich etwa aus wie ein Wolf?«

Tatsäc hlich sah er ebenso präc htig und rä uberisch aus wie ein Wolf. Und ebenso schmutzig, dachte Brigitte, als das InterkomGerä t summte. Heribert drü ckte auf den Knopf, und eine Frauenstimme sagte: »Herr Pietsch aus der Bü rgerschaft auf Apparat 4!« Brigitte wuûte, daû Pietsch der Fraktionsvorsitzende der SPD im Hamburger Landesparlament war. Deshalb war sie erstaunt, wie freundschaftlich Kurtz ihn am Telefon begrü ûte. »Hallo, Willi...

Ja, immer noch auf Krü cken, aber wieder an Deck...« Dann ver-

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dü sterte sich sein Gesicht. »Wenn ihr uns die Mittel fü r den Verein kü rzt, Willi, dann muû ich Kurse streichen, das ist ja klar, denn du willst doch sicher nicht, daû ich die schö nen Ferien fü r dich und Ruth in Sevilla streiche, oder?... Ja, ich meine die näc hste Summer School... da wird Ruth gar nicht glü cklich sein, sie will doch Spanisch lernen. Sag ich doch, Willi, sag ich doch... also muû ich die Kurse streichen. Und weiût du, was dann passiert?... Natü rlich ist das auslä nderfeindlich... Hö r zu, Willi, die Bü rgerschaft sagt: Aufenthaltsgenehmigung gibt sie nur bei kultureller Integration. Und dann streicht sie die Mittel fü r die Sprachkurse. Was wü rdest du denken, wenn du Mutlu Ö ztü rk wä rest? Wü rdest du nicht auch sagen, man will dich verarschen? Und was glaubst du, wird Mutlu Ö ztü rk tun, wenn man ihn verarscht? Ja natü rlich bin ich dein Freund, aber soll ich ihm sagen: Mutlu, der Senat verlangt von euch die kulturelle Integration, aber er verweigert auch die Mittel dazu? Ach hö r doch auf, Willi, das ist doch eine Scheiûpolitik, was ihr da macht. Wenn ihr ihnen nicht die deutsche Staatsbü rgerschaft gebt, kö nnen sie sich auch nicht in der deutschen Politik engagieren. Und dann werden sie auch nicht demokratisch sozialisiert. Damit drä ngt ihr sie in ihre faschistischen Korankurse ab Ð so sieht das aus! Und wenn wir fü r euch die Basisarbeit machen mit der kulturellen Integration und fü r euch die Kastanien aus dem Feuer holen, dann streicht ihr uns die Mittel. Nein, es gibt keinen Aufenthalt in Sevilla. Ruth soll mich doch mal am Arsch lecken! Ja, das sage ich ihr auch selber... ja sicher, beschlieû doch die Mittelkü rzung, aber dann stock doch gleich die Personalmittel fü r die Polizei auf, die brauchen jetzt mehr Leute, um die Demos zu regeln... Da mach ich noch persö nlich mit, sag ich dir! Ja, ich organisier sie persö nlich! Ich werde mit dem Mikro persö nlich vor eurem Scheiûrathaus auftreten und den Auslä ndern sagen, was Sache ist. Das wollen wir doch mal sehen, ob ich die Studenten hier nicht mobilisieren kann...« Lange Pause. »Ja, das ist gut, Willi. Besprich es noch mal mit den Genossen... der Opitz fä hrt ja auch nur zu gerne mit nach Sevilla.«

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Als er auflegte, blinzelte er Brigitte an und nahm einen Schluck Kaffee.

»Sie sind Dramaturgin, stimmt's?« fragte er. Und als si e nickte, fuhr er fort: »Aber Sie haben einen Doktor und sind Professorin geworden. Was, glauben Sie, habe ich fü r eine Qualifikation fü r den Arbeitsbereich -Deutsch fü r Auslä nder¬? Ich sage es Ihnen: gar keine. Und warum habe ich die nicht? Weil, als ich Examen machte, da gab es ü berhaupt noch keinen Arbeitsbereich -Deutsch fü r Auslä nder¬, fü r den ich mich qualifizieren konnte. Ich habe ihn

erst geschaffen.«

 

 

 

 

 

 

Der

Hinweis

auf

diesen einmaligen

Schöp fungsakt

schwebte

ü ber

der glä sernen

Tischplatte

wie

der

Geist ü ber den

Wassern.

Von

ferne hö rte

Brigitte durch

die

Wä nde die Silben

deutscher

Übungssä tze.

DER MANN KAM IN DIE KÜ CHE.

DER MANN , DER IN DIE KÜ CHE KAM.

Und jetzt du noch mal, Suheila:

DIE FRAU KAM IN DIE KÜ CHE.

DIE FRAU, DIE IN DIE KÜ CHE KAM.

Brigitte muûte an den Mann denken, der aus der Kä lte kam. All diese Leute kamen aus der Kä lte in die Wä rme der Bundesrepublik, und hier saû der Gott, der sich um sie kü mmerte. Er gab ihnen die Sprache, die sie brauchten. Heribert Kurtz, ohne Qualifikation fü r irgendwas, und eine der wenigen Figuren, die auf der Universitä t wertvolle gesellschaftliche Arbeit leisteten. Und da kam sie mit ihren Mickymausproblemen wegen der Proberä ume. Wenn der Kerl nur nicht so schmutzig wä re! dachte sie. Blinzelte er sie etwa begehrlich an, dieser Wolfshund?

»Und was ist das Geheimnis dieser Schöp fung?« fuhr er fort. Langsam lö sten diese rhetorischen Fragen in Brigitte den Zwang aus, ihre Ahnungslosigkeit zu bekennen und um Antworten zu betteln. »Der gemeinnü tzige Verein fü r Internationale Verstä ndigung. Er ist der Finanzträ ger fü r alle Sprachkurse, und er ist der Garant meiner Unabhä ngigkeit.«

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»Ja, aber Sie haben doch eine Stelle bei der Universitä t, oder nicht?«

»Ich bin wissenschaftlicher Angestellter; aber kann man als wissenschaftlicher Angestellter ein Sprachimperium aufbauen?« Als Brigitte den Kopf schü ttelte, bestä tigte er: »Nein, das kann man nicht. Dazu braucht man Geld. Und wo kommt das Geld her? Wenn die Schü ler arm sind, wie die tü rkischen Arbeitsemigranten, dann kommt es vom Staat. Wenn die Schü ler reich sind, wie die Firmenbosse aus Ü bersee oder die amerikanischen Studenten, die hier ihre European Studies Abroad machen, dann kommt es von den Schü lern selbst.« Brigitte lauschte mit wachsender Verwunderung, wie Heribert Kurtz den Aufbau seines Imperiums erlä uterte. Sie ahnte, daû er das tat, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Damit sie nicht glaubte, er sei der bö se Wolf. Aber warum wollte er, daû sie ihm das glaubte? Um sie besser fressen zu kö nnen? »Der Fachbe-

reich ist

ein Kontinent«, hö rte sie ihn sagen, »mit Hochebenen,

Wü sten,

Steppen, ein paar

fruchtbaren

Tä lern,

Hochgebirgen,

Kü stenstrichen und Fluûdeltas.« Er zeichnete mit

seiner Krü cke

eine imaginä re Landkarte in

die Luft.

»Aber die tektonischen

Spannungen in der Erdrinde sind groû. Dauernd verschiebt sich der Kontinentalschelf, und neue Grabenbrü che und Meeresarme schaffen ganz neue Klimazonen. Sie selbst sind so eine Halbinsel, die sich von dem Wü stengü rtel des Germanistischen Seminars losgerissen hat. Nun, das Zentrale Institut fü r Sprachpraxis ist die Sahelzone, sie will sich immer weiter ausdehnen. Aber der Arbeitsbereich >Deutsch fü r Auslä nden ist der groûe tropische Urwald. Den kann man nicht verwalten, indem man das Hochschulgesetz studiert; mit dem kommt man nur zurecht, wenn man die Gesetze des Dschungels kennt. Und was sind die Gesetze des Dschungels? Na?«

Brigitte wuûte es nicht.

»Aber das wissen wir doch aus der Marx-Lektü re von früh er. Es sind die Gesetze des Marktes und der Politik. Und wie beeinfluût man Politiker? Durch kleine Geschenke und die Androhung ö f-

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fentlichen Aufsehens. Das da«, er zeigte auf das Plakat mit der Aufschrift »International Summer Conference of Seville«, »das sind die kleinen Geschenke. Praktisch bezahlte Ferien unter dem Deckmantel von hochkarä tigen Konferenzen. Alle wichtigen Mitglieder der Bü rgerschaft sind so bereits auf Staatskosten verreist, und sie sind alle im Vorstand meines kleinen Vereins fü r Internationale Verstä ndigung.«

Brigitte staunte ü ber diese Enthü llungen. Die Universitä t muûte Schutzgeld bezahlen, um unterrichten zu dü rfen!

»Das andere sind die Demos«, fuhr Heribert fort, »seit den siebziger Jahren haben die Hamburger Politiker eine heilige Angst vor Demos. Gott sei Dank wissen Sie nicht, daû die Studenten jetzt so revolutionä r geworden sind wie Maisbrei. Also, was ist die Konsequenz? Was macht man, wenn man keine Demos mehr auf die Beine bringt?«

Wieder muûte Brigitte passen.

»Nun«, Heribert drohte tatsäc hlich schelmisch mit seinem Wurstfinger, als ob sie jetzt aber selbst auf die Antwort hä tte kommen mü ssen, »man inszeniert sie. Und was braucht man zur Inszenierung?«

Diesmal wuûte sie es und strahlte. »Theaterensembles!«

»Verstehen Sie nun, warum ich eine eigene Theatertruppe gegrün det habe?«

Brigitte verstand, aber sie fand es unglaublich. Meinte er wirklich, daû man die Demonstrationen ohne weiteres inszenieren konnte, mit ein paar Leuten?

»Früh er«, sagte Heribert, »früh er, da gab es die Marxistische Gruppe, den Kommunistischen Bund Westdeutschland, den Spartakus, die KPDML, die Roten Zellen, die Revolutionä re Aktion, den Republikanischen Club, die Linke Front, die MarxistenKommunisten, die Anarchisten, Trotzkisten und Maoisten. Da brauchte man keine Theatergruppen, die machten genug Theater. Und viele von den Jungs hatten Jobs im Arbeitsbereich -Deutsch

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fü r Auslä nder¬, Auûerdem organisierte ich damals noch die Sprachkurse fü r Firmenmanager.« Er lachte amü siert bei der Erinnerung daran. »Kö nnen Sie sich das vorstellen, so wilde Spartakisten in den Vorstandsetagen bei Esso und Unilever? Die fün fte Kolonne im Herzen des Kapitalismus? Da beschwerten sich die Bosse bei mir wegen der Lehrinhalte, und die Stadt beschwerte sich, daû sie die Auslä nder agitierten. Die beste Reklame fü r den Kapitalismus, kann ich Ihnen sagen. Erst gibt es Jobs, und im Deutschunterricht wird ihnen erzä hlt, daû das lä ngst nicht reicht und erst eine Form der Vorhö lle ist.«

Brigitte holte ihn in die Gegenwart zurü ck: »Aber Sie kö nnen doch mit einer kleinen Theatergruppe keine Demo auf die Beine stellen!«

Heribert grinste breit.

»Das sagen Sie, eine Regisseurin? Wenn der Kameramann des Fernsehens mitmacht, sieht das wilder aus als eine richtige. Zwanzig bis dreiûig Leute braucht man, das reicht. Und wissen Sie was? Man braucht nur einen harten Kern, dann wird manchmal eine wirkliche Demo draus.«

Er drü ckte auf sein Interkom-Gerä t. »Ist Tews irgendwo, Helga, ja? Wenn er kommt, kannst du ihn dann zu mir schicken? Danke! Also dieser Tews«, fuhr er fort, »der füh rt diese Truppe. Sie ist deutsch-auslä ndisch gemischt, die meisten sind Tü rken und Afghanen, und eigentlich sollen sie niedliche Stü cke aus ihrer Heimat ü bersetzen und auffüh ren, um bei der deutschen Bevö lkerung Sympathie fü r ihre Landsleute zu wecken. Aber unabhä ngig davon sollten sie auch jederzeit so viel Leute auf die Beine stellen kö nnen, daû es im Fernsehen wie eine Demo aussieht. So sieht die Sache aus.«

Er sagte das in einem Ton, als ob nun die Kindersendung vorbei sei und der ernste Teil des Programms anfinge. »Ich verstehe«, sagte Brigitte.

»Wenn Sie das tun, wenn Sie das wirklich tun« Ð er beugte sich weit ü ber seinen glä sernen Schreibtisch Ð, »wenn Sie verstanden

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haben, worü ber ich gesprochen habe, dann kommen Sie zu mir, und wir arbeiten zusammen. Ich schwö re, so wie ich hier sitze« Ð er erhob die Krü cke zum Schwur Ð, »daû ich Sie nicht ü bers Ohr hauen werde. Denn eins haben wir gemeinsam«, er machte eine bedeutungsvolle Pause, »Sie sind nur ein kleiner leckerer Happen nebenbei.«

Lieber Gott, worauf wollte er hinaus?

»Der fette Brocken, den Wienholt gerne fressen mö chte, das bin ich.«

Ach, das war es also!

»Deshalb muû ich mich wehren, denn solch einen Arbeitsbereich, den kann man nicht mit Gremien verwalten, dann macht man ihn kaputt. Da braucht man Pioniere, Abenteurer, bunte Typen, die in die Wildnis gehen.«

Sie wurden durch Tews unterbrochen, einen langbeinigen groûen Kerl Anfang Dreiûig mit einer wilden Mä hne und sympathischem Grinsen im hü bschen Gesicht, Rollenfach Don Juan und jugendlicher Liebhaber. Hier versteckten sich also all diese Kerle, schoû es Brigitte durch den Kopf, denn in puncto Mä nner hatte sie die Universitä t enttä uschend gefunden. Die Studenten waren zu jung fü r sie, und die meisten Profs bestanden aus erotischer Antimaterie Ð fade Pedanten, die belehrende Vorträ ge hielten und ungeheuer verklemmt wirkten. Die Verstä ndigung mit ihnen war meistens eine Tortur. Das war noch schlimmer als all die vielen Schwuchteln vom Theater. Aber hier, im Halbdunkel des Dschungels, lebten richtige Mä nner, wenn sie auch etwas verlottert wirkten. Aber dafü r waren sie ja Pioniere.

»Hallo, Sahib«, sagte Tews, als ob er gesagt hä tte »Hallo, Livingstone!«

»Hallo, Tews! Das ist Frau Schell vom Studiengang Theater. Setz Dich.«

Wä hrend Tews sich einen Stuhl heranzog, erklä rte Kurtz: »Meine Freunde nennen mich Sahib.«

»Weil er sich auffüh rt wie ein Kolonialoffizier«, ergä nzte Tews

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und grinste. »Irgendein Inder konnte den Namen -Kurtz¬ nicht aussprechen, und da hat er gesagt -Just call me Sahib¬. Und was glauben Sie, der hat gesagt: -Yes, Sahib Sir.¬ Seitdem heiût er Sahib.«

In dem Moment steckte ein schwarzbä rtiger Orientale seinen Kopf durch die Tü r und redete einen Schwall in einer Sprache, die Brigitte nicht verstand. Aber wegen der vielen Ö s und Ü s tippte sie auf Tü rkisch. Zu Ihrer Verblü ffung antwortete Tews ebenfalls in flieûendem Tü rkisch und wandte sich dann an sie: »Mö chten Sie etwas essen? Eine Teigtasche mit Fleisch oder Grillspieûchen mit Salat?«

Brigitte schaute bedauernd in ihre leere Kaffeetasse. »Nein, danke, aber kö nnte ich vielleicht einen Mokka haben?«

Tews gab auf tü rkisch die Bestellung weiter, und der Orientale verbeugte sich und verschwand.

Brigitte kam plö tzlich ein Verdacht.

»Gehö rt Ihnen vielleicht das Restaurant da unten auch?«

»Wir sind beteiligt«, grinste Heribert. »Aber der Studentenreisedienst gehö rt uns ganz. Ich wollte sagen, dem Verein.« Er wandte sich Tews zu. »Also, Frau Schell meint, es gibt Ü berschneidungen bei den Proberä umen, und ü berhaupt hat sie Bedenken, daû so ein Haufen Amateure wie ihr den Studiengang Theater in Miûkredit bringen kö nnte.«

»Das habe ich nicht gesagt«, protestierte Brigitte.

»Aber gemeint.« Heribert hob die Arme. »Und wieso nicht? Stö ren tut es auf jeden Fall. Der erste Jahrgang Ihrer Absolventen kommt erst in zwei Semestern?« Sie nickte. »Oh, dann kommen alle Geier und warten auf Ihre Leiche. Wenn Ihre Zö glinge dann nicht so gut sind wie unsere Amateure, dann kommt Wienholt und macht -Haps¬.«

Brigitte füh lte ein Ziehen in der Magengegend. Sie mochte an die Zeit noch gar nicht denken, da ihre Studenten ihre ersten Examensprojekte vorstellten. Kurtz hatte recht. Wenn sie durchfielen und die Kritiker sie verrissen, war der Studiengang gefä hrdet.

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Deshalb hatte sie sich auf Frauenstü cke verlegt. Wenn die verrissen wü rden, konnte sie das als mä nnlichen Chauvinismus hinstellen und die Unterstü tzung der Feministinnen gewinnen. Natü rlich muûte sie dafü r die Freundschaft von Ursula Wagner in Kauf nehmen. Sie ü berlegte gerade, ob sie sich aus Balancegrün den auch mit diesen Leuten verbün den kö nnte, als der Orientale mit einem Kupfertablett erschien und hö flich läc helnd eine Runde Mokka servierte.

»Ich habe gehö rt, die Produktion ist geplatzt«, begann Tews, als der Tü rke gegangen war. »Ihre Hauptdarstellerin ist doch irgendwie auf der Bühn e zusammengebrochen oder so was.«

»Wer hat Ihnen denn das erzä hlt?« Brigitte wunderte sich, wie schnell Gerü chte die Runde machten. »Nein, ich hab schon Ersatz, und ich hab sie selber rausgeworfen. Und erst dann ist sie zusammengebrochen. Sie war ja gar keine Studentin von uns.« Ob sie den Typen die ganze Geschichte erzä hlen sollte? Also gut, dieser Tews sah sie so niedlich an. Und schlieûlich war es besser, kün ftig mit ihnen gut auszukommen. »Sicher, verrü ckt war das schon«, fuhr sie fort. »Dieses Mä dchen kommt da eben nur mal so zur Besetzungsprobe vorbei, ich sehe, sie ist ein Naturtalent, und merk sie mir fü r die Titelrolle vor.«

»Medea?« warf Tews ein.

»Ja, aber modern. Eine junge Frau, die von ihrem Lehrer miûbraucht, vergewaltigt und sexuell erniedrigt wird und sich dafü r räc hen will. Also diese Barbara spielt das so hinreiûend, daû alle Mitspieler auf der Bühn e Beifall klatschen. Da sagt sie plö tzlich, sie kann das so gut, weil sie alles ganz genau so erlebt hat. Hier in der Uni.«

»Ja, und?« fragte Tews. »Deswegen haben Sie sie rausgeworfen?«

»Ja, sicher. Ich kann doch nicht ein Mä dchen eine Rolle spielen lassen, die ihr eigenes Trauma enthä lt. Da bricht sie mir ja mitten in der Produktion zusammen oder wä hrend der Auffüh rungen, das ist viel zu gefä hrlich. Und ich hab recht gehabt«, fuhr sie fort.

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»Kaum hatte ich dieser Barbara gesagt, daû sie die Hauptrolle unter diesen Bedingungen nicht spielen kann, kriegt sie einen Anfall. Sie rastet vö llig aus. Sie brauche die Rolle fü r ihre Wiedergeburt, sagt sie. Sie dreht vö llig durch, schaurig! Und dann sagt sie doch tatsäc hlich, das mit der sexuellen Erniedrigung, die sie selbst erlebt hä tte, das wä re alles erfunden, weil sie gedacht hä tte, das wä re gut fü r die Rolle. In Wirklichkeit sei kein Wort davon wahr.«

»Vielleicht sagte sie da die Wahrheit«, warf Tews ein. »Es klingt doch logisch.«

»Nein, nein Ð da kannst du Gift drauf nehmen, daû das stimmt. Die hat das wirklich erlebt.«

Brigitte sah Kurtz ü berrascht an. Normalerweise erwartete sie von Mä nnern, daû sie solche Geschichten als Hirngespinste hysterischer Frauen abtaten. Besonders normale, nette Mä nner taten sich schwer damit zu akzeptieren, daû es unter ihren Geschlechtsgenossen jede Menge sadistische Schweine gab.

»Ich frage Sie jetzt, Brigitte, wollen sie mit uns zusammenarbeiten?« Wie ein Priester vor dem Traualtar schaute Kurtz sie an. Was nahm er sich heraus, sie mit dem Vornamen anzureden? Brigitte sah hinü ber zu Tews. Der grinste freundlich und nickte ganz unmerklich mit dem Kopf. Irgendwo aus dem Gebä ude drangen leise die deutschen Ü bungssä tze an ihr Ohr.

DIE ZIEGE ZEUGT SO ZÜ CHTIG NUR IM ZOO.

DIE SCHNEPFEN HÜ PFEN TAPFER IN DEN TOPF.

Da dachte Brigitte: -Ich tu's. Ich gehe vom Wege ab und laû mich vom Wolf auffressen. Ich gehe in den Urwald, wo die Mä n- ner wohnen.¬ Sie blickte zu Kurtz, der sie noch immer erwartungsvoll anstarrte.

»Gut. Ich arbeite mit Ihnen zusammen. Aber ich bleibe mein eigener Herr, und wenn mir nicht paût, was Sie machen, steige ich aus.«

»Keine Angst, Sie steigen nicht mehr aus.« Tews grinste sie liebenswü rdig an. »Er ist ein politisches Genie. Sonst kö nnte er nicht zugleich Gutes tun, mehr Geld verdienen als der Prä sident und als

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