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Der_Campus

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barkeit signalisieren. Da fiel ihm ein, daû die Kratzspuren der verfluchten Katze den ganze Effekt verdarben, und so begnüg te er sich mit einem ernsten, priesterlichen Blick ins Auditorium. Alte Damen nickten ihm innig und aufmunternd zu, so als ob sie am

Vorabend mit

ihm seinen Konfirmationsspruch geü bt hä tten und

er jetzt ihre

schö nsten Erwartungen ü bertroffen hä tte. Gabrielle

läc helte ihn strahlend an, Weizmann zwinkerte ihm zu, o Gott Ð und Babsi klatschte in einer Orgie der Begeisterung wie eine Entfesselte. Er muûte verschwinden, bevor sie Gelegenheit fand, ihm stü rmisch zu gratulieren, Er trat vom Rostrum herunter. Das Auditorium hatte sich erhoben und klatschte stehend weiter. Vielleicht konnte er den Notausgang benutzen? Gabrielle und Babsi standen in der Nä he des linken Ganges. Wenn er sich rechts hielt, muûte die Menge ihn aus dem rechten Ausgang hinausspü len. Jetzt betrat Weizmann das Rostrum. Das war der Moment! Hanno hö rte noch, wie er ihm dankte und dann die Gä ste nach nebenan in den kleinen Saal zum Empfang bat. Da war er schon in der Vorhalle, die Garderobenfrau blickte von ihrer Zeitung auf und sah gleichgü ltig zu, wie er in der Herrentoilette verschwand. Erleichtert schloû sich Hanno in einer Kabine ein und lieû sich auf den Sitz sinken. Sollten sie doch nach ihm suchen! Wahrscheinlich vermutete ihn jeder sowieso in einer anderen Gespräc hsgruppe, die sich im kleinen Saal bilden wü rde. Er sah die Vorwü rfe Gabrielles voraus. Endlich konnte sie sich in seiner Prominenz sonnen, da ruinierte er wieder alles; und hatte sie nicht recht? Der Olym-

pier auf der Flucht, eingeschlossen auf

der

Herrentoilette. Ein

ä ngstlicher kleiner Eindrucksmanipulator

mit

feuchten Hä nden,

ewig damit beschä ftigt, einen Olympier zu spielen, doch in Wirklichkeit ein Mickerling. Mü de lehnte er sich auf seinem Toilettensitz nach hinten. Ein schlü rfendes Rauschen war die Folge. Er hatte sich mit dem Rü cken gegen die Wasserspü lung gelehnt. Entsetzt sprang er auf, aber nicht schnell genug Ð sein Hosenboden war vö llig durchnä ût. Er muûte die Hose ausziehen. Vielleicht gab es hier ein Geblä se zum Hä ndetrocknen. Er machte die Kabinen-

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tü r vorsichtig auf und spä hte hinaus. Tatsäc hlich Ð neben jedem Spiegel gab es ein Heiûluftgeblä se. Aber jeden Augenblick konnte einer der Gä ste kommen. Vielleicht sollte er sich einfach so unter ein Gerä t bü cken, daû sein Hosenboden genau in den Heiûluftstrahl geriet. Er kö nnte dann ja so tun, als ob das seine ü bliche Gymnastik nach einem Vortrag wä re. Oder aber er kö nnte seine Kontaktlinsen suchen. Dazu muûte er seine Jacke ausziehen. Er stellte eins der Gerä te an. Aufheulend schickte es einen scharfen Strahl heiûer Luft nach unten. Das muûte klappen. Er hä ngte die Smokingjacke an den Fenstergriff und bü ckte sich unter das Gerä t. Da ging die Tü r auf. Hanno richtete sich ruckartig auf und schlug krachend mit dem Kopf direkt unter das Geblä se.

»Hanno, gut daû ich dich treffe!«

Es war Norbert, der Penner. Er schien von sachlichem Ernst ergriffen.

»Was du da gesagt hast, da kann ich so nicht mit einverstanden sein.«

Hanno hielt sich den schmerzenden Schä del.

»Einer fü r alle und alle fü r einen? Das ist doch alles gelogen! Solidaritä t Ð das gibt's doch gar nicht unter den Menschen.«

Da kam Hanno die rettenden Idee.

»Norbert, leih mir mal deine Hose. Ich muû meine trocknen. Du kannst solange in der Kabine warten.«

Norbert schaute ihn an. In seinem verfilzten Gesicht blitzten die blauen Ä uglein.

»Ne, warte du mal in der Kabine, ich trockne dir die Hose schon. Ich hab da mehr Ü bung.«

Das war einsichtig. Hanno ging in die Kabine zurü ck, zog seine Smokinghose aus und warf sie ü ber die Tü r. Norbert fing sie auf. Dann hö rte Hanno, wie Norbert das Geblä se anstellte. Auf der Toilette kamen und gingen die Besucher, wä hrend Norbert die Hose trocknete. Endlich hö rte er Norberts Stimme.

»Weiût du was, Hanno? Deine Hose paût mir genau.« Hanno war entsetzt.

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»Norbert, du hast doch nicht meine Hose angezogen?«

»Doch, sie paût mir besser als meine eigene. Die ist mir zu groû, aber dir wird sie prima passen. Du bist etwas gröû er. Hier hast du sie.«

Norbert des Penners erdfarbenes Beinkleid segelte in die Kabine.

»Norbert, das kannst du nicht machen. Das ist ein Smoking, verstehst du, da gehö ren Jacke und Hose zusammen.«

Aus Norberts Stimme klang die Endgü ltigkeit der Logik. »Sag ich ja, die Jacke paût auch prima.«

Verflucht, er hatte die Jacke am Fenster hä ngen lassen. Wut stieg in ihm auf.

»Warte, Norbert! Das lasse ich mir nicht bieten!«

Er hö rte, wie die Tü r aufging und ein Besucher die Toilette betrat. Er muûte warten. Wenn er wieder gegangen war, wü rde er Norbert stellen. Dazu muûte er aber erst dessen Hose anziehen. So stieg er angeekelt in die erdige Pennerhose, die sich von innen merkwü rdig rauh anfüh lte. An seinen nackten Beinen entlang rieselte der Staub der Mä nnerasyle. Hanno schü ttelte sich. Da rauschte die Spü lung, und die Tü r schloû sich hinter dem Besucher. Hanno stü rzte aus der Kabine. Norbert war weg.

Als Hanno spä tabends seine Wohnung betrat, hatte er sich einen Auftritt als Buffo zurechtgelegt. Damit wollte er Gabrielles Wut in Komik erträ nken. Wenn Sarah noch wach wä re, kö nnte das gelingen Ð Sarah war ihre fün fzehnjä hrige Tochter. Sie hatte in der letzten Zeit eine bemerkenswerte Wandlung durchgemacht: Dem intensiven Sozialstil ihrer Mutter entgegnete sie zunehmend mit küh ler Distanz, in die sich manchmal ein Schuû Verachtung mischte. Hanno hatte es mit dankbarem Erstaunen bemerkt. In der Wildnis seiner Ehe war ihm unverhofft ein vertrautes Gesicht begegnet, ein Mensch, der seine Sprache sprechen konnte und

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seine Wirklichkeit wahrnahm. Doch in Sarahs Zimmer war kein Licht mehr. Sicher wü rde sie morgen wieder irgendeine Klassenarbeit schreiben. Der Flur füh rte an der Kü che mit den schwarzweiûen Bauernfliesen, am Eûzimmer mit dem Berliner Ofen vorbei zum Wohnzimmer.

»Da bin ich wieder«, flö tete er. Keine Antwort.

Gabrielle saû auf dem Sofa und sah ihn an. Offenbar hatte sie ferngesehen, aber bei seiner Ankunft das Gerä t abgeschaltet.

»Mir ist da was wirklich Komisches passiert. Ich hab mit einem Penner die Hose getauscht.«

Er schob ein herzhaftes Geläc hter hinterher, von dem die Kün stlichkeit niedertroff wie Sirup.

Gabrielle stand wortlos auf und ging an ihm vorbei in die Kü - che. Seine Rü ckenmuskeln verkrampften sich. Wut gegen sich und gegen Gabrielle stieg in ihm hoch. Aber noch wollte er den BuffoAkt nicht aufgeben. Er folgte ihr in die Kü che. Gabrielle stand am Küh lschrank und steckte sich hektisch Oliven in den Mund.

»Gabrielle, so etwas Verrü cktes hast du noch nicht gehö rt!« Sie fuhr herum. Ihr Gesicht war rot vor Wut, und dann explodierte der Vulkan.

»Das ist unglaublich. Du bist einfach unglaublich. Du verschwindest spurlos auf dem Empfang und lä ût mich da einfach allein. Hattest du eine Verabredung? War dir plö tzlich was Besseres eingefallen? Wolltest du mich unmö glich machen? Alle haben mich gefragt, wo du geblieben wä rst. Und wie sie mich dabei angeschaut haben! Als ob ich eine töd liche Krankheit hä tte, so mitfüh - lend und schonend. Und diese dü rre Schä fer ging sogar so weit mich zu trö sten, diese Ziege. Du wä rst eben ein kreativer Mensch, beinah ein Genie, da mü ûte eine Frau viel hinnehmen. Ich hä tte ihr den sehnigen Hals umdrehen kö nnen! Alle haben mich bedauert, alle! Ich hä tte ebensogut ein Schild um den Hals tragen kö nnen mit der Aufschrift: arme betrogene Ehefrau. Und jetzt kommst du in einer anderen Hose nach Hause!«

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Ihr Wutkrampf lö ste sich in einem hysterischen Geläc hter, das sich mit Weinen mischte.

»Laû dir erklä ren, Gabrielle...«

»Spar dir deine Ausreden. Ich kenne deine Erklä rungen. Sitzungen, Tagungen, Reisen, Verpflichtungen. Aber wenn du unbedingt mit dieser Studentin schlafen willst, muût du das ausgerechnet wä hrend des Empfangs der Akademie tun?«

Ein Schlag in den Magen hä tte ihn nicht mehr aus dem Gleichgewicht bringen kö nnen.

»Welcher Studentin?«

Sie sah ihn angeekelt an. Hatte sie einen Verdacht? Hatte Babsi ihr etwa alles verraten? Er traute es ihr zu Ð sie war eine psychologische Abenteurerin, vö llig unberechenbar. Er muûte sie loswerden Ð bei der näc hsten Gelegenheit.

»Ich war bei keiner Studentin. Ich schwö re dir, Gabrielle, ich weiû nicht, wovon du redest! Ich habe mit einem Penner die Hose gewechselt.«

Schrilles Geläc hter war die Antwort.

»Du rennst aus der Akademie, reiût dem näc hsten Penner die Hose herunter, zwä ngst ihn in deinen Smoking«, sie schrie jetzt hysterisch vor Lachen, »so war es doch, nicht wahr? Und steigst schlieûlich selber in die Pennerhose, ja? Und du erwartest, daû ich das glaube?«

»Nein, es war in der Herrentoilette der Akademie.« Ein neuer hysterischer Anfall.

»Du verabredest dich mit Pennern?«

»Nein, ich hatte ihn gebeten, dich vor dem Vortrag zu suchen.« »Mich zu suchen? Wieso mich?«

Jetzt war sie wirklich verblü fft.

»Weil du doch das Manuskript meines Vertrages hattest.«

»Aha, aber statt dir vor dem Vortrag das Manuskript zu geben hat er dir nach dem Vortrag die Hose genommen?« Ihre Stimme vibrierte vor Sarkasmus. »Weiût du, was du bist, Hanno? Eine traurige Figur!«

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Diese Feststellung schien ihr Sicherheit zu geben, so als ob sie jetzt ihren weiteren Weg kannte. »Was dir fehlt, ist einfach Statur. Auf der Flucht aus irgendeinem studentischen Schlafzimmer tischst du mir die phantastischsten Lüg en auf. Dir fehlt die Form. Sieh dich doch an in deiner Pennerhose. Du bist selbst ein Penner! Du liebst Penner Ð du fä hrst lieber zusammen mit dem Abschaum in der U-Bahn, anstatt unseren Mercedes zu nehmen. Und dann wä lzt du dich mit einer Epileptikerin auf der Erde herum. O ja, du bist ja so sozial! In Wirklichkeit hast du keine Wü rde. Du stehst nicht zu deiner Position. Bei all deinem Gerede hast du ü berhaupt keinen Sinn fü r die Gesellschaft, in der du lebst. Du bist ein ver-

dammter Hochstapler, eine ekelhafte und

billige

Lüg e, das bist

du.«

 

 

 

Zufrieden und hoheitsvoll schritt sie

zur

Kü che

hinaus. An der

Tü r drehte sie sich noch mal um.

 

 

 

»Du schlä fst besser in deinem Arbeitszimmer.«

 

Hanno ging zum Küh lschrank und

starrte miûmutig in das

Chaos aus halbverfaultem Gemü se,

zerwüh lten

Butterpaketen

und unfö rmigen Aufschnitthaufen. Es war Sonntag, und die tü rkische Putzfrau war drei Tage nicht dagewesen. Da verwandelte sich die Kü che regelmä ûig in einen Komposthaufen. Hanno war es verboten, hier einzugreifen, weil er alles falsch machte. Aber auch Gabrielle lehnte es ab, etwas zu tun Ð sie empfand das als Sklavendienst. Dafü r hatte sie eine gute Hand mit den Domestiken, wie sie sich ausdrü ckte. Und die waren gehalten, ihrer Vorstellung von Ä sthetik zu folgen. Sie bestand darin, das Haus in ein Theater zu

verwandeln, eine

präc htige Dekoration auf der

Bühn e

und

eine

Mü llhalde hinter

den Kulissen. Miûmutig holte

Hanno

den

Rest

4er Oliven aus dem Küh lschrank und lieû sich auf einen Kü chenstuhl fallen. Und wä hrend er teilnahmslos eine Olive nach der anderen aû, blickte er in einen Tunnel der Vergangenheit, an dessen anderem Ende die strahlende Gabriele stand, die er vor fün fzehn Jahren geheiratet hatte.

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Das Bü ro war eher ein Saal. Bis zur Mitte der Wä nde war es mit glä nzendem Mahagoniholz getä felt. Darü ber zogen sich historistische Fresken entlang, auf denen die Entwicklung der Freien und Hansestadt Hamburg von der Grün dung Karls des Groûen bis zur Beherrscherin der Meere in wilhelminisch-pompö sen Allegorien festgehalten war. An den Rä ndern des geschnitzten Schreibtisches mit der Oberfläc he von der Gröû e einer Tischtennisplatte lief ein

kleines

Messinggelä nder entlang.

In Hamburg muûte alles an

Schiffe

erinnern. Und tatsäc hlich

schwamm auf der linken

Seite

des grün en Lederü berzugs, der die Schreibtischplatte matt

ü ber-

zog, das Miniaturmodell einer Hansekogge. Ihre winzigen Messingbeschlä ge funkelten im gedä mpften Licht, das durch die hohen Fenster vom Rathausmarkt hereindrang. Auf der rechten Seite des Schreibtisches stand ein Globus, der aussah, als ob er von Martin Behaim persö nlich zusammengeleimt worden sei. Und zwischen beiden Insignien Hamburger Tradition glä nzte das fettige Haupt des Justizsenators Schabowski. Aber das war gar nicht der Raum, in dem Bernd Weskamp saû. Bernd, genannt Bernie, saû in einem engen, schä bigen Bü ro im vierten Stock der Universitä t und las. Er hatte die Beine auf den Schreibtisch gelegt, auf dem sich Bü cher, Manuskripte und alte Kaffeebecher tü rmten, und las den SPIEGEL. Aber die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen und bildeten einen durchsichtigen Schleier. Und durch den Schleier sah Bernie wieder das mahagonigetä felte Bü ro des Justizsenators, den er am vergangenen Freitag zum ersten Mal besucht hatte, um sich als neuer Vorsitzender des Disziplinarausschusses vorzustellen. Natü rlich kannte er ihn aus der Partei. Sie hatten sogar schon einmal zusammen einen Tag lang einen Info-Stand wä h- rend des Wahlkampfes bemannt. Aber Bernie sah nicht das glä n- zende Gesicht des Justizsenators, und nur von ferne hö rte er seine Worte Ð »Zusammenarbeit zwischen Stadt und Universitä t Ð Ver-

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antwortung Ð Autoritä t der Wissenschaft Ð Macht der Intellektuellen Ð Prestige des Geistes« Ð, denn seine Sinne waren gefangen von einer schlanken weiblichen Gestalt. Der Senator hatte sie ihm als seine neue wissenschaftliche Mitarbeiterin vorgestellt. Als sie ihn anblickte, sah er, daû sie ein blaues und ein grün es Auge hatte. Jedes dieser Augen teilte ihm dieselbe Botschaft mit. Sie lautete: »Hier, in diesem Mahagonizimmer, wohnt die Macht. Hol dir die Macht, Bernie, nimm Platz in diesen beschlagenen Ledersesseln, und ich gehö re dir!« Eine Blutwelle durchlief Bernies Hirn. Er spü rte sie in diesem Augenblick, wä hrend ihn durch den Buchstabenschleier das Mä dchen mit dem grün en und dem blauen Auge anblickte.

Da wirbelte ihm plö tzlich Zugluft die Seiten des SPIEGEL um. Bernie blickte auf und sah, wie sich durch die geö ffnete Tü r langsam ein gekrü mmter weiblicher Rü cken schob. Er gehö rte der Traktoristin. Sie wurde so genannt, weil sie so entschlossen dreinblickte wie eine sowjetische Heldin der Arbeit. Aber ihr Kartoffelgesicht mit dem verkniffenen Mund konnte Bernie jetzt nicht sehen. Sie drü ckte mit ihrem Hintern die Tü r weiter auf, und erst jetzt bemerkte Bernie, daû sie ihr Kinn auf einen Bü cherstapel geklemmt hatte, den sie mit beiden Armen von unten festhielt. Langsam drehte sie sich durch den engen Eingang ins Bü ro, als sie plö tzlich stolperte. Wie am Strick gezogen lief sie der Fallinie des stü r- zenden Bü cherstapels hinterher und verlieh ihm dadurch zusä tzliche Beschleunigung. Endlich konnte sie ihn nicht mehr halten und schleuderte den gesamten Stapel durch Bernies Bü ro. Eins der Bü - cher traf die Hortensie auf der Fensterbank und köp fte sie. Ein anderes traf Bernie am Hals und ein drittes den Kaffeebecher aus Styropor, so daû sich der Kaffeerest der letzten Woche in die Manuskripte ergoû. Bernie sprang auf und versuchte, die Post zu retten. Im selben Moment schrillte das Telefon. Bernie nahm ab.

»Was, zum Teufel, wollen Sie mit diesen Schinken hier?«

Die Frage war an die Traktoristin gerichtet, aber die füh lte sich unschuldig.

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»Was sollte ich denn machen? Drü ben ist die Tü r abgeschlossen, und so muûte ich durch Ihr Bü ro, um die Zeitschriften zur Signatur zu bringen.«

Am Telefon war Petzold von der Raumvergabe. »Was haben Sie gesagt?«

Bernie war nur zu bereit, seine Wut auf diese inkompetente Flasche zu ü bertragen.

»Sagen Sie mir nicht, daû Sie meinen Hö rsaal wieder geä ndert haben!« schrie er ins Telefon.

Petzold erhob sein ü bliches Gejammer: »Es geht nicht anders. Im Hö rsaal B liegt Donnerstag um 11 Uhr schon eine Anmeldung vor.«

»Und wo kommt die her?« »Von den Psychologen.«

»Hö ren Sie zu, Petzold!« Bernie klaubte den Styroporbecher aus dem Manuskript und warf ihn mit spitzen Fingern in den Papierkorb, wä hrend die Traktoristin auf dem schmutzigen Teppich herumkroch, um die Zeitschriftenbä nde wieder einzusammeln. »Wie oft habe ich Ihnen schon gesagt, daû wir in diesem Gebä ude Vorrang haben? Die Psychologen haben ihr eigenes Gebä ude.«

Jetzt legte Petzold seinen triumphalen Ton auf.

»Sie sind offenbar noch nicht informiert, Herr Kollege Weskamp.« Er machte eine Pause, um Bernie füh len zu lassen, wie wenig informiert er war. Petzolds Stimme wurde jetzt geradezu freundlich. »Der Prä sident hat Anweisungen gegeben, daû die Psychologen ü berall ein festes Raumkontingent erhalten. Und Ihr Seminar muû sich schon am Burden-Sharing beteiligen.«

Burden-Sharing! Petzold war bei einem Manager-Kurs gewesen! Kein Wunder, daû er ihn in den letzten Wochen nicht erreichen konnte. Er war immer auf bezahlten Weiterbildungskursen. Nur seinen verdammten Computer beherrschte er nicht.

Die Traktoristin hatte ihren Bü cherstapel wieder unters Kinn geklemmt und plazierte jetzt ihre gewaltige rechte Hinterbacke auf die Klinke des Nebenraumes. Aber der war abgeschlossen.

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»Und warum gibt es da ein burden zu sharen?« Bernie lieû es parodistisch klingen.

»Ja wissen Sie das denn nicht?« Schon wieder diese Uninformiertheit!

»Hö ren Sie, Petzold, ich muû gleich zum Justizsenator.« Das war eine krasse Lüg e, aber Petzold brauchte einen Schuû vor den Bug. »Ich habe jetzt keine Zeit fü r Ratespiele.« Das tat seine Wir-

kung.

 

»O ja, selbstverstä ndlich. Also, die Terroristen haben

die Ca-

mera Obscura der Psychologen in die Luft gesprengt.«

 

»Was? Ist jemand verletzt?«

 

»Nein, das nicht. Aber das Institutsgebä ude ist stark

beschä -

digt. Bei der Camera Obscura ist die ganze Auûenwand herausgesprengt. Und die Ü bungsrä ume sind nicht mehr benutzbar.«

»Mein

Gott, Petzold, warten Sie. Da mü ssen wir natü rlich et-

was tun.

Ich guck mir das an und ruf dann zurü ck.«

Petzolds Stimme klang jetzt zufrieden. Er hatte seine Ü berraschung gut angebracht.

»Gut, ich erwarte Ihren Anruf. Aber noch heute!« Er legte auf. Die Traktoristin nahm das Gewicht ihrer Hinterbacke von der Tü rklinke.

»Was ist los?« fragte sie. Ihre sibirische Natur sah kein Problem darin, sich direkt an ein Telefongespräc h anzuhä ngen, das sie nichts anging. Sie war eine der ungehobelsten Frauen, die Bernie je kennengelernt hatte. Und sie war seine wissenschaftliche Mitarbeiterin. Er hatte sie sich nicht aussuchen kö nnen. An der Universitä t wurden Personaleinstellungen durch Gremienbeschluû geregelt. Und dabei muûte man Richtlinien beachten, wie z.B. die Frauenfö rderungsrichtlinie. Daû die Traktoristin ü berhaupt als Frau durchgegangen war, hatte ihn oft genug gewundert. Manchmal hatte er gedacht, sie sei ein verkleideter Mann, der in den Genuû der Frauenfö rderung kommen wollte. Auûerdem muûte er sie sich mit vier anderen Dozenten teilen. Bernie war C2-Professor. Und deshalb standen ihm lediglich 1/4 wissenschaftlicher Assi-

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