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Der_Campus

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»Susanne. Hier ist Martin. Frag mich jetzt nicht, wieso Ð aber ich mö chte unsere Beziehung beenden. Ich bin einfach nicht der, fü r den du mich hä ltst.«

Als sich nach einer Schrecksekunde am anderen Ende der Sturm der Fragen erhob, legte er auf. Dann rief er seine Mutter in Kamen an.

»Hallo, Mama. Ja, mir geht's gut. Ich rufe an, um dir etwas zu sagen. Ich hä tte es dir schon lä ngst sagen sollen. Ich werd das Examen nicht machen. Ich weiû, daû dich das schockt. Aber schlieûlich bin ich nicht gestorben. Ich habe es mir gerade erst selbst eingestanden, und ich lebe noch. Ich bin nicht dabei gestorben. Was Susanne dazu sagt? Ich hab mich gerade von ihr getrennt. Ich trenn mich jetzt von all diesen Ы er wollte sagen »Lüg en«, aber er wuûte nicht, ob er seine Mutter auch als Lüg e bezeichnen konnte. Er wuûte aber, wenn er auflegte, wü rde sie ihr Indianergesicht auf die Sofalehne legen und um ihren einzigen Sohn weinen. Denn fü r sie war er gestorben, so wie er bis jetzt fü r sie gelebt hatte. Als er aufgelegt hatte, zog er die Karte aus dem Schlitz, ging ü ber die Straûe ins Rauchfaû, trat an die Bar und bestellte einen Doppelten. Er konnte es immer noch nicht fassen. Tatsäc hlich hatte er den katastrophalen Schiffbruch ü berlebt. Zwar hatte ihn der Schiffsrumpf tief unter Wasser gezogen, so daû er glaubte, ertrinken zu mü ssen. Aber jetzt war er wieder aufgetaucht und schwamm zwischen den Trü mmern herum. Er atmete. Er kippte seinen Doppelten und atmete tief durch. Erst jetzt konnte er seine Umgebung wieder wahrnehmen. Die Welt nahm wieder Konturen an. Da, am anderen Ende der Bar, das feiste Schweinsgesicht mit dem hohen Mantelkragen Ð war das nicht Manfred Schröd er, mit dem er am Abendblatt volontiert hatte?

»Hallo, Manfred.«

»Hallo, Martin. He, du siehst irgendwie kä sig aus. Geht's dir nicht gut, bist du krank?«

»Nur den Magen verdorben, es geht schon wieder.«

»Das ist euer Mensaessen. Bist du immer noch auf der Uni?«

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»Hhhhmmmmm. Und was machst du? Bist du noch immer beim Abendblatt?«

»Abendblatt? Wo denkst du hin. Schon lä ngst nicht mehr. Ist mir viel zu brav.« Schröd er blickte sich um, als ob er ein Undercoveragent auf der Spur der Mafia wä re. »Nein. DAS JOURNAL, das ist die Zeitung. Hö r mal, willst du nicht zu uns kommen? Wir haben da ein richtiges Team. Werner ist dabei und Patrick und Irene. Du erinnerst dich doch an Irene, -die groûe Blonde mit dem platten Fuû¬?« Zum ersten Mal seit sechs Wochen füh lte Martin sich wieder lachen. O ja, er erinnerte sich an Irene! Manfred Schröd er rü ckte jetzt noch nä her und beugte sich zu ihm herü ber. »Wir sind gerade hinter dem Gö rde-Mö rder her. Ich glaube, wir wissen, wer es ist, aber die Polente weiû es noch nicht. Das gibt einen richtigen Knü ller. Das ist das richtige Leben, Martin, laû deine Scheiûgermanistik und komm zu uns. Soll ich dich mal unserem Chef vorstellen? Eine richtige Type, sage ich dir. Aber als Zeitungsmacher ein Profi mit Nase. Ein Trendschnü ffler, sag ich dir. Hier ist meine Karte. Wenn du einen Termin willst, ruf an!«

Martin steckte die Karte ein. »Danke. Und jetzt gebe ich dir einen Doppelten aus.«

»Wieso, ist heute etwa dein Geburtstag?« fragte Schröd er. Martin schaute ihn ü berrascht an. Eher sein Todestag! Gestorben war der intellektuell anspruchsvolle Feuilletonredakteur der ZEIT, und geboren war der Reporter, der hinter einer Story her war. Der Typ, der den Fuû in die Tü r stellt und die Steine umdreht. Der Jä - ger und Rechercheur. »Ja, ich hab heute Geburtstag.«

»Monika, schick mal 'ne Lage rü ber auf Kosten des Hauses: Der Junge hier hat heute Geburtstag!«

»Nun sagen Sie mal, sag ich, was glauben Sie, wen Sie vor sich haben? Ich bin doch nicht Ihr Dienstmä dchen. Gehen Sie doch zu Frau Bö rsch oder Frau Haberland. Mit denen kö nnen Sie doch sonst so gut. Ich bin nur fü r den Geschä ftsfüh renden Direktor da! Mir hat niemand sonst was zu sagen, auch Sie nicht. Da hä tten Sie

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sie mal sehen sollen. Fast geplatzt wä re sie. Genau da hat sie gestanden, wo Sie jetzt stehen, und wuûte nicht, wo sie hingucken sollte. Mir hat niemand was zu sagen, auch Sie nicht! Frau Kün zel, hab ich gesagt, und wenn Sie zehnmal Wissenschaftliche Mitarbeiterin sind, mir hat nur der Geschä ftsfüh rende Direktor was zu sagen.«

Erst jetzt ging Bernie auf, daû Frau Novak von der Traktoristin

sprach. Da die Bibliothekarin beurlaubt war, hatte sie der

Herrin

ü ber das Geschä ftszimmer zugemutet, die eingehenden

Bü cher

mit Signaturen zu versehen Ð und damit eine wü ste Verletzung der Etikette begangen. Dafü r waren die Hilfskrä fte zustä ndig oder allenfalls Frau Kempe von der Ausleihbibliothek. Aber doch nicht Frau Novak! Sie war voll damit ausgelastet, dem neugewä hlten Geschä ftsfüh renden Direktor zu zeigen, welche Anweisungen er ihr erteilen sollte.

»Da hat sie gestanden, direkt neben den Postfäc hern. Und weil sie nicht wuûte, wohin sie gucken sollte, tat sie so, als ob sie im Postfach von Professor Breitner was sucht.«

Frau Novaks Stimme hob sich zu einem gellenden Geläc hter. »Und wissen Sie was? In dem Postfach war ü berhaupt nichts

drin, die Post war noch gar nicht dagewesen.«

Noch einmal gö nnte sie sich den Luxus eines kleinen satirischen Exzesses, um plö tzlich abzubrechen: »Das sag ich Ihnen, Herr Weskamp, die Kün zel ist wirklich hinterhä ltig. Die bringt es fertig und beschwert sich. Sie kennen sich doch aus: Ich hab doch recht, nur der GD kann mir Dienstanweisungen geben?«

Bernie gehö rte zu Frau Novaks Vertrauten, denn er benahm sich kollegial. Niemals gab er ihr Anweisungen oder Befehle, sondern verpackte sie in Vorschlä ge und Bitten. Immer, wenn er ins Geschä ftszimmer kam, um seine Post abzuholen, war er zu einem kleinen kollegialen Schwatz von gleich zu gleich aufgelegt. Niemals kehrte er den Professor heraus. Und er war sich noch nicht mal zu schade, Frau Novaks Rollschrank aufzustemmen, wenn er mal wieder klemmte.

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»Natü rlich, Frau Novak, das steht in der Dienstordnung.« Bernie läc helte zustimmend. »Ich red mal ein Wort mit der Traktoristin.«

Als Frau Novak hö rte, daû Bernie den Spitznamen Frau Kün zels benutzte, warf sie sich in ihrem Bü rostuhl zurü ck und stieû einen Laut aus wie ein Vogelschrei. Sie war chic, wie es sich fü r eine Chefsekretä rin gehö rte, wä hrend die Kün zel aussah wie ein Kartoffelsack. Die glaubte wohl, weil sie Akademikerin war, hä tte sie es nicht nö tig.

»Ü brigens«, unterbrach Bernie sie, »kö nnten Sie vielleicht meine Vorlesung am Donnerstag in Hö rsaal B auf Freitag umbuchen, ebenfalls um 11 Uhr im Hö rsaal B? Petzold weiû schon Bescheid. Ja, wegen der Psychologen, schrecklich, was?«

Frau Novak machte sich eine Notiz und beugte dann ihren Oberkö rper konspirativ ü ber den Schreibtisch.

»Wissen Sie, daû die Kün zel früh er auch mal zu den Terroristen gehö rt haben soll? Frau Thieme vom Personalreferat hat's mir er - zä hlt.«

Dramatisch lehnte sie sich zurü ck und wartete auf den Effekt dieser sensationellen Enthü llung. Aber hier war Bernie einfach gezwungen, sie zu enttä uschen.

»Nehmen Sie es mir nicht ü bel, Frau Novak, aber als Vorsitzender des Disziplinarausschusses darf ich so etwas einfach nicht wissen. Denn wenn ich es weiû, muû ich eine Untersuchung einleiten.«

Das stimmte zwar nicht, aber so konnte er Frau Novaks Mitteilungsdrang zugleich stoppen und doch ihre Sensationsgier befriedigen. Sie nickte zufrieden im Vollgefüh l ihrer Gefä hrlichkeit. Hatte sie es nicht in der Hand, die Kün zel mit einem Wort zu vernichten? Heute wü rde sie sie noch verschonen, aber noch einmal so eine Frechheit...

Bernie griff in das Fach mit der Aufschrift »Prof. Weskamp«, nahm seine Post heraus, warf die Reklame in den Papierkorb und ü berlieû Frau Novak ihren rachsü chtigen Visionen. Wä hrend er

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den Gang hinunter zu seinem Bü ro neben der Herrentoilette ging, las er die Absender auf den Umschlä gen durch. Verdammt, schon wieder ein Brief des Oberschulamts. Er hatte immer noch nicht seine Klausurthemen eingereicht. Eine Mitteilung der Gehaltsstelle. Die Entschuldigung eines Studenten, daû er sein Referat nicht halten kö nnte. Dann muûte er also wieder umdisponieren. Die Bitte von Professor Eichkorn, die Kollegen mö chten in ihren Veranstaltungen doch auf den Gastvortrag »Frühn euzeitliche Narrativik« von Professor Ter-Nedden aus Siegen hinweisen. Bernie betrat sein Bü ro und lieû sich auf den Stuhl hinter dem ü berfü llten Schreibtisch fallen. »Frühn euzeitliche Narrativik«! Seine Studenten interessierten sich fü r Filme, aber doch nicht fü r früh - neuzeitliche Narrativik! Und zu Gastvorträ gen erschien in Hamburg sowieso niemand. Der Eichkorn war frisch berufen und kannte die Zustä nde an einer Massenuniversitä t nicht. Das war nicht wie in Tü bingen oder Heidelberg, wo man abends die akademischen Berüh mtheiten aus anderen Universitä ten hö ren konnte. Er wü rde sich noch wundern; in Hamburg wün schten sich die Studenten um 5 Uhr nachmittags »Schö nen Feierabend!« und verlieûen fluchtartig den Campus, um sich an den Tropf des Nullmediums Fernsehen zu hä ngen. Wie ihre Eltern, dachte Bernie, warf Eichkorns Mitteilung in den Papierkorb und griff zum näc hsten Brief. Der Fachbereichssprecher teilte mit, daû in der Magisterprü fungsordnung § 17, 2 nur in Verbindung mit § 24, 1 zu gelten hä tte, und daû der 13. Stock des Hauptgebä udes nicht mehr betreten werden kö nnte. Bernie wuûte, warum: Vor einer Woche war wieder ein Selbstmö rder auf das Dach geklettert und hatte sich hinuntergestü rzt. Der achte in diesem Jahr! Die Novak hatte nachher behauptet, sie hä tte ihn an ihrem Fenster vorbeifliegen sehen.

Der letzte Brief war von der Frauenbeauftragten Frau Wagner. Bernie hatte ihn erwartet. Sicher die Vorschlä ge fü r die Neuformulierung der Geschä ftsordnung des Disziplinarausschusses! Bernie entfaltete das Schreiben mit dem pompö sen Briefkopf »Frau-

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enbeauftragte der Universitä t Hamburg, Leiterin der Frauenfö r- derungsstelle, Frauengleichstellungsbeauftragte des Senats, Professor Dr. Ursula Wagner«. Aber was schrieb sie denn da? Das waren nicht die Vorschlä ge fü r die Neufassung der Geschä ftsordnung, das war ja ein echter Antrag zur Untersuchung eines schweren Falls von sexueller Belä stigung. Bernie las das Schreiben mit wachsender Irritation: »... handelt es sich zweifellos um einen gravierenden Fall. Die betroffene Studentin, Frau Barbara Clauditz, befindet sich augenblicklich in der neurologischen Klinik in stationä rer Behandlung. Ihre Aussagen gegenü ber ihrer betreuenden Dozentin, Professor Dr. Schell vom Studiengang -Sprechthea- terregie und Schauspiel¬, lassen keinen Zweifel daran, daû sie aufgrund sexueller Belä stigung durch einen Hochschullehrer unserer

Universitä t so

schwer

traumatisiert wurde,

daû

sie ihre Studien

nicht ordnungsgemä û

fortfüh ren

konnte.

Als

Frauenbeauftragte

der Universitä t

Hamburg fordere

ich Sie

mit

allem Nachdruck

dazu auf, diesem Fall nachzugehen, indem Sie den Tä ter ermitteln und zur Befragung vor den groûen Disziplinarausschuû laden. Ich lege Wert auf die Feststellung, daû wir uns nicht mit dem Diszipli-

narausschuû des Fachbereichs

zufriedengeben werden, sondern

auf dem paritä tisch besetzten

groûen Disziplinarausschuû beste-

hen mü ssen...«

 

Bernie legte den Brief langsam auf den Tisch. Erbitterung stieg in ihm auf. Was die Wagner sich einbildete! Er war doch nicht ihr Hilfssheriff, der in ihrem Auftrag hinter den Busengrapschern herschnü ffelte! Matte hatte ganz recht, die Wagner nahm sich zuviel heraus. Er lieû sich von niemandem Anweisungen geben, auûer vom Prä sidenten persö nlich, auch nicht von der Frauenbeauftragten. Wo kä me er denn da hin? Oder hatte sie etwa schon mit dem Prä sidenten gesprochen? Bernie ü berflog den Brief erneut. Irgendwie kam ihm das bekannt vor. War das nicht die Studentin aus dem Frauenstü ck, von dem Matte erzä hlt hatte? Ja, richtig, hier schrieb ja die Wagner, sie studiert bei der Schell vom Theater. Auf der Bühn e zusammengebrochen. Aber wer sie belä stigt hat, sagte

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sie nicht. Bernie erinnerte sich. Eine Irre, wieder so eine Irre! Zerbrochenes Glas auf dem gigantischen Scherbenhaufen der Universitä t. Die war ja schon abgehandelt, die hatten sie in der Feuerwehrsitzung schon in die Mü llpresse geschaufelt! Die holte er da nicht wieder heraus. Sollte doch die Frauenbeauftragte selbst da

hineinkriechen, wenn sie sich so fü r

Mü ll interessierte, sollte sie

sich doch selber drin wä lzen, aber

nicht andere dazu abordnen!

Dann wü rde sie sehen, was das fü r einen Spaû machte. Miûmutig blickte Bernie auf den Brief, als das Telefon klingelte. Er nahm den Hö rer ab. Am anderen Ende und zugleich ganz nah an Bernies Ohr fragte eine dunkle Frauenstimme:

»Ist da Professor Weskamp?«

Die sanfte Stimme der Frau schickte Stromstöû e durch die Telefonleitung, die die Membrane im Telefonhö rer zum Vibrieren brachte; das wiederum versetzte die Luft in Schwingungen, die sich auf Bernies Trommelfell ü bertrugen und ü ber den Hammer, Amboû und Steigbüg el immer weiter ins Innere des Kopfes von Bernie wanderten, bis sie in seiner Lymphflü ssigkeit einen mikrologischen Orkan verursachten, der ü ber die Hö rnerven in seinem Hirn ein elektrisches Gewitter auslö ste. Eine Kaskade von Blitzen durchzuckte die neuronalen Bahnen und erleuchtete schlagartig ein Bild: das Mä dchen mit dem blauen und dem grün en Auge! Es war ihre Stimme am andern Ende der Leitung. Die Stimme, so weit weg und doch so wirksam in Bernies Schä del Ð sie flü sterte:

»Hier ist Rebecca Roth vom Bü ro des Justizsenators. Wir haben uns neulich beim Senator kennengelernt.«

»Ich hab Sie sofort erkannt.« Bernie muûte sich rä uspern, weil seine eigene Stimme plö tzlich im Morast der Befangenheit versumpft war.

Ein leises Lachen am anderen Ende: »Kö nnten wir uns vielleicht mal zum Lunch treffen? Ich mö chte etwas mit Ihnen besprechen. Ja? Es ist etwas vertraulich, deshalb mö chte ich es nicht am Telefon sagen. Ja? Morgen um eins? Im Restaurant? Das ist lieb. Was schlagen Sie vor?«

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In rasender Eile blä tterte Bernie das Bilderbuch seiner Gewohnheitskneipen durch. Konnte er sie in eine der Ethnokaschemmen einladen, die den Campus umgaben? Zu Sidu oder zum Afghanen vielleicht, wo man sich in die Polster legen konnte? Eine kleine Weltreise in den Slum? Aber sicher war sie Besseres gewohnt. Sie ging bestimmt ins Harvey's zum Luncheon, wo es Perlhuhn - schaum in Trammergelee gab. Da konnte er sie nicht ins Calcutta einladen und Pakora mit Kichererbsenbeilage und einem Glas Stutenmilch vorsetzen. Nein, das ging nicht.

»Lassen Sie mich nachdenken«, kräc hzte er.

Wie war das mit dem Bistro? Da kö nnte er dem blöd en Breitner zeigen, mit welcher Superfrau er ausging! Und dann kam der dicke Matte und setzte sich einfach dazu, und alles war ruiniert. Nein, das ging auch nicht. Es muûte schon etwas weiter weg sein, schlieûlich wollten sie ungestö rt bleiben. Ein vertrauliches Gespräc h! Edles Ambiente und gepflegte Atmosphä re.

»Wie wä r's mit dem Alsterclub?« fragte er, immer noch heiser. »Das paût mir prima.« Wie das klappte! Bernie, der Weltmann!

Er rä usperte sich noch mal, um die Stimmbä nder endlich freizulegen fü rs weltmä nnische Finale, aber bevor er sie flotthatte, sagte sie:

»Dann also bis morgen um eins. Und gute Besserung!«

Sie legte auf. Bernie betrachtete versunken den Telefonhö rer, packte ihn dann mit beiden Hä nden und bettete ihn behutsam auf die Gabel. Gute Besserung? Ihm ging es blendend. Er stand auf, warf den Brief der Frauenbeauftragten mit Schwung in die Ablage und trat ans Fenster, um zu prü fen, ob er von da aus das weiûe Gebä ude des Alsterclubs sehen konnte.

Am näc hsten Morgen nach dem Früh stü ck hatte Hanno Hackmann sich schon im Mantel auf die Kante des ehemaligen gemeinsamen Biedermeier-Ehebettes gesetzt. An seinem Kopfende in der

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Mitte saû Gabrielle mit gelö stem Haar und im Nachthemd in ein

paar

riesige

gelbe

Kissen gelehnt, ü ber

ihren Knien das Früh -

stü ckstablett,

das Frau Gö rü san ihr gebracht hatte, und um sich

herum in verschwenderischer Fü lle die

prachtvollen

Coverbilder

von

»House

and

Garden«, »Country

Living«,

»Ambiente«,

»Pan«, »Country Homes and Gardens«, »Architektur und Wohnen« und »Der Feinschmecker«. Seitdem Hanno in sein Arbeitszimmer umgezogen war, früh stü ckte sie jetzt hä ufiger im Bett und telefonierte endlos mit ihrer Schwester und ihrer Mutter. Und abends ging sie fast stä ndig mit ihren Freundinnen aus, so daû Hanno sie seit Tagen nicht mehr gesehen hatte. Jetzt schickte sie ihren feindseligen Blick zwischen seinem Gesicht und der Bettkante, auf der er saû, hin und her, um ihm zu bedeuten, daû er sich einer groben Verletzung ihrer Territorialhoheit schuldig machte, die vor dem Gerichtshof ihrer Ehe noch Folgen zeitigen wü rde.

»Paû doch auf, bitte, du bringst ja meine ganzen Zeitschriften durcheinander!« Hanno konnte nicht entdecken, was er da noch durcheinanderbringen konnte.

»Hö r zu, Gabrielle. Mir ist da etwas Dummes passiert.«

»Ich will es nicht wissen.« Das sagte sie in gefaûtem, ruhigem Ton. Dann plö tzlich stieû sie sich von den Kissen ab und schrie mit energischem Haû: »Fang jetzt ja nicht an zu beichten!« Und eine Sekunde spä ter war sie auf dem Gipfel der Raserei. »Ich interessier' mich nicht fü r deine Seitensprüng e, verstehst du? Ich interes - sier' mich einfach nicht dafü r.«

Automatisch stand Hanno auf, um vor der Gluthitze dieser Wut zurü ckzuweichen. Sie war einfach nicht normal! Sie kü mmerte sich gar nicht darum, was er sagte oder tat. Sie registrierte nur ihre eigenen Dramen im Kopf und schrie ihn an, wenn sein kleiner Doppelgä nger in ihrem Hirn sich nicht so benahm, wie sie wollte. Warum sollte er sich ü berhaupt mit ihr herumschlagen? Hanno drehte sich um und ging wortlos zur Tü r.

»Was hast du denn mit deiner Hand gemacht?« Erst jetzt hatte sie also den Verband bemerkt.

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»Das wollte ich dir ja gerade sagen. Deine Katze hat sie mir zerfleischt.« Und Hanno erzä hlte die Geschichte seines Kampfes mit der Katze, indem er den Schauplatz auf den Parkplatz bei der Tierpension verlegte und auslieû, daû er die Katze zwei Tage im Kofferraum vergessen hatte. Als er geendet hatte, bemerkte er mit Schrecken, daû sie weinte. Erst liefen ihr ein paar Trä nen zö gernd ü ber die Wangen, dann fingen ihre Schultern an zu zucken, sie begann zu schluchzen, warf sich herum und heulte schlieûlich mit solch hemmungsloser Hingebung, daû ihr ganzer Kö rper von Konvulsionen geschü ttelt wurde. Hanno staunte ü ber die Intensitä t eines solchen Gefüh ls. Es war, als ob sie alle Verluste ihres Lebens auf einmal beweinte, als ob sie ihre schwindende Jugend und ihre verfehlte Ehe beweinte. Sie weinte so aufopferungsvoll und umfassend grün dlich, als ob sie mit ihren Trä nen das Haus ihrer Trauer ein fü r allemal sä ubern wollte, daû Hanno am liebsten mitgeweint hä tte. Der Impuls breitete sich in ihm aus, sich wieder aufs Bett zu setzen, sie in die Arme zu nehmen und zu trö sten. Er trat einen Schritt vor, da hö rte er die Stimme von Frau Gö rü san.

»Frau Hackmann, Sie haben gerufen, ich komme!«

Gabrielles Geschrei hatte sie aus dem Garten geholt. Hanno eilte aus dem Schlafzimmer, um sie abzufangen. »Es ist nichts, Frau Gö rü san. Meine Frau hat Kopfschmerzen, wir lassen sie besser in Ruhe.«

Frau Gö rü san sah ihn mit schiefgestelltem Kopf an.

»Ahh, ah Ð ist nicht gut, so viel Kopfschmerzen. Wir sagen in Anatolien: Geht der Mann auf Reisen, kommt der Kopfschmerz zu Besuch. Kommt der Mann nach Hause, geht der Kopfschmerz auf Reisen. Sie verstehen?«

Hanno schaute sie verzweifelt an. Frau Gö rü san machte sich also ihren eigenen deftigen Reim auf die Verä nderungen im Hause Hackmann und erinnerte ihn an die guten alten Rezepte. O Gott, wenn das so einfach wä re! In dem Moment wün schte sich Hanno nichts lieber, als nicht mehr Professor Hackmann zu sein, sondern der Mann von Frau Gö rü san.

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