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Masterstudium Mangelware
Bildungsministerin Annette Schavan (2. von links) auf der Bologna-Konferenz in Berlin
Den Bachelor abgeschlossen, aber kein Job in Sicht? Viele Studierende wollen deshalb noch den Master machen. Doch an vielen Unis fehlen Master-Studienplätze. Ein Thema der Nationalen Bologna-Konferenz in Berlin.
Es sollte alles so schön werden: ganz Europa eine blühende Hochschul-Landschaft mit Studierenden, die virtuos zwischen den Ländern wechseln können, mehrsprachig und vor allem - mobil. Doch der so genannte Bologna-Prozess, der all das möglich machen sollte, gestaltet sich schwierig. An den deutschen Hochschulen jedenfalls verursacht die Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge, mit denen "Bologna" einhergeht, große Probleme.
Streitpunkte en masse
Massenhaft gingen die Studierenden vor zwei Jahren auf die Straße und protestierten in ihren Universitäten. Zu viel Stoff im Bachelor-Studium, extreme Arbeitsbelastung, hoher Prüfungsdruck - das waren wichtige Kritikpunkte. Seither sind Hochschulen, Bildungspolitiker und Studenten-Organisationen damit beschäftigt, die Probleme zu lösen. Bundesbildungsministerin Schavan rief 2010 eine "Nationale Bologna-Konferenz" ins Leben, die nun jährlich prüfen soll, was man erreicht hat und wo es noch klemmt. Doch zusätzlich zu den lange bekannten Themen gibt es neuerdings Streit darüber, ob es in Deutschland überhaupt genügend Master-Studienplätze gibt.
Seit zwei Jahren demonstrieren die Studierenden - wie hier in Halle - gegen die Bologna-Reform.
Kein Grund zur Sorge?
Glaubt man der zweiten Nationalen Bologna-Konferenz, die nun in Berlin eine Bilanz der Erreichten zog, besteht kein Grund zur Klage. Bernd Althusmann jedenfalls, Präsident der Kulturministerkonferenz, versuchte die Studierenden zu beschwichtigen, die fürchten, nach erfolgreichem Bachelor-Abschluss keinen Master-Studienplatz zu bekommen. "Wir wissen, dass mit Blick auf das Wintersemester 2010/11 lediglich 24 Prozent aller Master-Studiengänge an staatlichen Hochschulen überhaupt zulassungsbeschränkt waren. Von Engpässen im Master-Bereich kann also nicht gesprochen werden."
Völlig anders sieht das Florian Pranghe, der als Studierendenvertreter am Tisch sitzt. Er bezweifelt, dass diese Zahlen tragfähig seien. "Bisher gibt es noch nicht diese großen Kohorten an Studierenden", sagt er, "die werden jetzt erst fertig mit dem Bachelor. Da ist die Frage, wie das erst im nächsten Wintersemester wird. Wie schwer wird es dann, einen Studienplatz zu finden? Und werden Hochschulen dann verstärkt den Zugang beschränken?"
Bachelor: Attraktive Angebote?
Bachelor - und dann?
Die Unis nämlich rechnen nämlich mit verstärktem Andrang wegen doppelter Abiturjahrgänge nach der um ein Jahr verkürzten Schulzeit - und wegen der Aussetzung der Wehrpflicht. Doch Bundesbildungsministerin Annette Schavan von der CDU hält dagegen mit der Prognose, der Arbeitsmarkt werde viele Studierende gleich nach dem Bachelor mit Jobs versorgen: "Angesichts der wirtschaftlichen Dynamik in Deutschland", so die Ministerin, "wird es einen wachsenden Anteil derer geben, die attraktive Angebote unmittelbar zum Berufseinstieg bekommen".
Und die Wirtschafts-Vertreter auf der Bologna-Konferenz hätten deutlich gemacht, in den Unternehmen werde eine "wachsende personalpolitische Verantwortung" entwickelt, um "Möglichkeiten der Weiterqualifizierung" zu schaffen. Im Klartext: Wer mit dem Bachelor in der Tasche einen Job angetreten hat, soll später die Möglichkeit erhalten, den Master zu machen. Doch selbst wenn das so eintritt, werden viele Berufseinsteiger später wieder an den Hochschulen auftauchen. Die Nachfrage nach Master-Studienplätzen wäre damit nur zeitlich verlagert.
Studierende: "Kosmetik-Politik"
Doch während die Bildungsministerin schöne Zukunftsszenarien entwirft, sind aus Sicht der Studierenden selbst viele der alten Probleme noch nicht gelöst. Seit dem letzten Jahr, sagt Florian Pranghe, habe es nur "Kosmetik-Politik" gegeben: "Wir haben immer noch eine große Prüfungslast, das Studium ist immer noch sehr unflexibel und verschult." Und wenn Studierende - wie es der Bologna-Prozess ausdrücklich wünscht - ins Ausland gehen wollen, gebe es noch Probleme mit der Anerkennung. "Da haben wir nicht das Gefühl, dass sich wirklich etwas gebessert hat."
In der Kritik: Annette Schavan
Ähnlich kritisch fallen die Reaktionen der Oppositionsparteien auf die zweite Bologna-Konferenz aus: Von einer "Showveranstaltung" der Bildungsministerin spricht die SPD, für die Grünen war sie eine "Konferenz des "Gesundbetens und Schönredens" - unzumutbar für Lehrende und Studierende. Und für die Linke befindet die Hochschul-Politikerin Nicole Gohlke, die Ministerin nehme die Sorgen der Studenten nicht ernst.
Neue Unübersichtlichkeit
Zu diesen Sorgen gehört auch die neue Unübersichtlichkeit bei den Bachelor-Studiengängen: Rund 6000 verschiedene Möglichkeiten - viel zu viele, um sich sinnvoll für ein Studium entscheiden zu können. Erst recht für Schulabgänger aus dem Ausland, für die es weitaus schwieriger ist, sich einen Weg durch den Angebots-Dschungel zu bahnen. Studentenvertreter Florian Pranghe fordert darum eine kleinere Auswahl an verschiedenen Bachelor-Studiengängen. "Früher hat es ja auch mit weniger Studiengängen geklappt. Erst wenn man dann auf die Diplom- oder Magisterarbeit zuging, hat man sich spezialisiert. Diese Spezialisierung müsste jetzt der Master übernehmen!" Dieses Problem immerhin wurde in Berlin erkannt und diskutiert. Doch wie man die deutsche Bildungspolitik kennt, wird es bis zur Lösung noch dauern.
Autorin: Aya Bach Redaktion: Gaby Reucher
Karte 56. Leseverstehen: Aufgabe (1) Globales Lesen (742 Wörter; 5398 Zeichen) 10 Min.
Praktikum: Chance oder Ausbeutung?
Rund ein Drittel aller Hochschulabsolventen entscheiden sich nach dem Studium für ein Praktikum. Sie hoffen danach auf einen richtigen Arbeitsvertrag. Doch auch nach dem Praktikum bleiben viele ohne festen Job.
Es ist 11 Uhr morgens, in einem kleinen Unterrichtszimmer des Bonner Goethe-Instituts. Zehn Teilnehmer aus den verschiedensten Ländern der Erde sitzen an Tischen und blicken konzentriert in Richtung Tafel. Dort versucht ihnen Anna Sancillo mit klarer Stimme beizubringen, wie man den Dativ richtig verwendet. Noch vor wenigen Monaten hat die 25-Jährige selbst an der Uni Bonn Germanistik studiert. Inzwischen aber hat Anna Sancillo ihr Studium erfolgreich abgeschlossen. Statt eine Stelle anzutreten, hat sie sich für ein unbezahltes Praktikum beim Goethe-Institut entschieden. "Ich will im September den Weiterbildungsstudiengang Deutsch als Fremdsprache studieren. Bis dahin möchte ich die Zeit sinnvoll überbrücken", sagt sie.
Ausländern die deutsche Sprache beibringen, das ist Anna Sancillos Traum. Am Goethe-Institut lernt sie, wie der Alltag eines Deutschlehrers aussieht. Direkt nach dem Uni-Abschluss einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben, das sei ihr zu verbindlich gewesen. Laut einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gehört Anna Sancillo zu gut einem Drittel aller deutschen Hochschulabgänger, die sich auch nach dem Studium für ein Praktikum entscheiden.
Will erst einmal prüfen, ob ihr der Job liegt: Praktikantin Anna Sancillo erklärt den Dativ
Unbezahlte Praktika bei Geisteswissenschaften besonders häufig
Die Forscher haben 674 Absolventen an vier Universitäten in Deutschland online befragt. Auch wenn die Studie nicht repräsentativ sei, so bestätige sie die Ergebnisse vergleichbarer Studien, sagt Claudia Bogedan, Leiterin der Forschungsförderung bei der Hans-Böckler-Stiftung: "Die Absolventinnen und Absolventen erhoffen sich dadurch einen Einstieg in den Arbeitsmarkt." Viele von ihnen hätten jedoch auch unzumutbare Arbeitsverhältnisse geschildert. So leisteten vier von fünf Praktikanten vollwertige Arbeit, würden aber nur selten angemessen dafür bezahlt.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert deshalb ein generelles Verbot von Praktika nach dem Studium. Praktika, die während des Studiums absolviert werden, sollten zudem mit mindestens 300 Euro pro Monat vergütet werden. "Im Moment gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Studienfächern. Bei den Ingenieurwissenschaftlern absolvieren deutlich weniger junge Leute Praktika als bei den Kultur- und Sozialwissenschaftlern", sagt Claudia Bodegan. Zudem würden Praktikanten in der Industrie besser behandelt als im öffentlichen Dienst, wo sie häufig unbezahlt sind.
Nur jeder Fünfte bekommt eine Stelle
Deutschkurs-Teilnehmer vor dem Bonner Goethe-Institut
Anna Sancillo stört es nicht, dass sie für ihre Arbeit im Bonner Goethe-Institut kein Geld bekommt. Dank der Unterstützung ihrer Eltern kann sie ihre Miete und andere monatliche Ausgaben weiterhin bezahlen. Da sie während des Studiums nebenbei gejobbt hat, konnte sie sogar etwas Geld beiseite legen, auf das sie nun zurückgreift. Sie sieht ihr unbezahltes Zwischenpraktikum als Investition in die eigene Zukunft: "Ich kann hier Erfahrungen sammeln und persönliche Kontakte knüpfen. Für mich ist das wichtiger, als bezahlt zu werden."
Doch nicht jeder Absolvent kann so sorglos ein unbezahltes Praktikum antreten. Zwei von zehn sind auf staatliche Sozialeistungen während des Praktikums angewiesen, so die aktuelle Studie. Claudia Bogedan rät: "Jeder, der trotzdem ein Praktikum machen möchte, sollte vorher klare rechtliche Vereinbarungen mit dem Unternehmen treffen." Nur so könne verhindert werden, dass Praktikanten tatsächlich zu billigen Arbeitskräften verkommen. Eine Tendenz in die richtige Richtung seien sogenannte Traineeships und Volontariate. Bei diesen Mischformen aus Ausbildung und bezahlter Arbeitsstelle sind die Ziele und Inhalte vorher klar dargelegt, und die Teilnehmer sind versichert.
Doch die unverändert hohe Zahl an Praktikanten mit Hochschulabschluss macht deutlich: Auch unter jungen, qualifizierten Menschen bestimmt oft die Angst vor der Dauerarbeitslosigkeit das Handeln. Denn trotz Studium und einem weiteren Praktikum bekommt nur jeder Fünfte eine Stelle angeboten.
Autorin: Elisabeth Jahn Redaktion: Gaby Reucher
Karte 57. Leseverstehen: Aufgabe (1) Globales Lesen (742 Wörter; 5398 Zeichen) 10 Min.