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Der Kampf um einen Ausbildungsplatz
Yasin Abdelkrim will Industrie- oder Anlagemechaniker werden
Viele freie Stellen, aber tausende von Jugendlichen suchen noch eine Lehrstelle. Zum Auftakt des neuen Ausbildungsjahres ist ein altes Problem wieder zurückgekehrt. Wie finden Unternehmen und junge Leute zusammen?
Vor den Stellwänden mit Ausbildungsangeboten drängen sich dutzende Jugendliche. Mit Papier und Stift notieren sie die Kontaktadressen der Firmen, die hier Stellen ausschreiben. Veranstalter dieser sogenannten "Jobbörse" ist die Bundesagentur für Arbeit in Bonn. Gedacht ist sie für junge Bewerber, die für dieses Jahr noch keinen Ausbildungsplatz in einem handwerklichen Betrieb oder in der Industrie gefunden haben. Auch Yasin Abdelkrim sieht sich die Ausbildungsangebote an den Wänden interessiert an. Der 20-Jährige bewirbt sich schon seit Anfang des vergangenen Jahres auf einen Ausbildungsplatz als Industrie- oder Anlagemechaniker. Er versteht nicht, warum er bisher noch keinen Erfolg hatte. "Ich habe eigentlich einen relativ guten Abschluss, aber im Moment klappt es einfach nicht. Die Konkurrenz ist schon ziemlich groß."
Dabei scheinen die Zahlen etwas anderes zu sagen. Im September waren noch über 90.000 Ausbildungsplätze deutschlandweit ausgeschrieben. Die Zahl der Bewerber lag hingegen nur bei 88.000. War das Verhältnis vor einigen Jahren noch umgekehrt, so müssen sich die Firmen heute regelrecht um junge Leute bemühen, die einen Beruf in ihrem Unternehmen erlernen sollen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt, dass die Chancen für Ausbildungssuchende noch nie so gut gewesen seien wie jetzt. Nachzügler sollten also theoretisch gute Aussichten haben.
Unterschiedliche Branchen, unterschiedliche Erwartungen
Der Andrang ist groß bei der Jobbörse der Arbeitsagentur
In der Praxis sieht es allerdings anders aus. Ein Grund sind die hohen Ansprüche der Arbeitgeber. Yasin Abdelkrim ist auf Lehrstellensuche. Er hatte schon öfter mit diesem Problem zu kämpfen. "Viele denken, dass man Abitur braucht, also eine allgemeine Hochschulreife. Im handwerklichen Bereich ist das aber oft gar nicht notwendig." Yasin ist nicht allein mit seiner Meinung. An diesem Tag beschweren sich die meisten Schulabgänger über die Voraussetzungen, die man erfüllen soll, um einen Ausbildungsplatz zu bekommen.
In der IT-Branche zum Beispiel erwarten viele Firmen, dass die Jugendlichen sich bereits vor Antritt ihrer Lehrstelle mit Technik und sogar mit den Programmiersprachen richtig auskennen. Vor zwei Jahren ist Sören Kampschroer erfolgreich bei dem kleinen Bonner IT-Unternehmen "Glamus" eingestiegen. Der Auszubildende hat dort schon während seiner Schulzeit gejobbt und hatte deswegen gute Karten bei der Bewerbung. Geschäftsführer Gerhard Loosch betont, dass die Azubis in seiner Firma direkt in die aktuellen Projekte einbezogen werden. Da seien gute Vorkenntnisse ein Muss. "Wenn ein Bewerber im Alter vom 18 oder 20 Jahren noch nicht programmiert hat, dann ist wahrscheinlich kein richtiges Interesse da. Dann ist er hier fehl am Platz."
Staatliche Initiativen
Azubi Sören Kampschroer hat seinen Traumberuf gefunden
Doch es liegt nicht immer an zu anspruchsvollen Arbeitgebern, dass die Bewerber keine passende Ausbildungsstelle finden. Manchmal hake es auch einfach an den Bewerbungsunterlagen, sagt Carola Kipka. Sie ist Teamleiterin bei der Bundesagentur für Arbeit in Bonn und dort zuständig für die Betreuung von Arbeitssuchenden unter 25 Jahren. "Manchmal schreiben junge Leute über 100 Bewerbungen. In so einem Fall läuft normalerweise etwas schief." Entweder seien die Bewerbungsunterlagen fehlerhaft oder nicht komplett oder der Jugendliche bewerbe sich in einem Bereich, wo es wenig Ausbildungsstellen gebe.
Bereits seit einigen Jahren sind Berufe wie Mechatroniker und Einzelhandelskaufmann beziehungsweise Einzelhandelskauffrau beliebt. Auch ins Bankgeschäft wollen viele. Da ist die Konkurrenz dann tatsächlich groß, und nicht jeder kann seinen Traumberuf verwirklichen. Außerdem werden für die verschiedenen Berufssparten auch unterschiedliche Schulabschlüsse nachgefragt, und da passen Wunsch und Wirklichkeit oft nicht zusammen. Aus diesem Grund bietet die Bundesagentur für Arbeit Jugendlichen ein einjähriges Schulungs-Programm an. Es gibt extra Deutsch- und Mathekurse, Übungen für Bewerbungsschreiben und Gespräche zur Karriereplanung. Auch Praktika in Betrieben sind vorgesehen. Die Berater der Arbeitsagentur versuchen, die Jugendlichen später dann auch als Azubis in diese Unternehmen zu vermitteln.
Die Industrie macht mit
Emrah Ceylan macht eine Ausbildung bei der Telekom
Vor sieben Jahren, als die Lehrstellen noch knapp waren, schlossen Bundesregierung und Wirtschaft den sogenannten "Ausbildungspakt". Es ging darum, jedem Jugendlichen eine adäquate Lehrstelle zu verschaffen. Der demografische Wandel und der Mangel an Fachkräften zwingt die Industrie heutzutage dazu, sich stärker um die Jugendlichen zu bemühen, die eine Ausbildung suchen. Viele Unternehmen präsentieren ihre Berufssparten deshalb bereits in den Abschlussklassen der Schulen. Auch Bewerber, die ansonsten nicht durch den üblichen Bewerbungsprozess durchkommen würden, sind für die deutsche Industrie interessant geworden. Oft haben sie einen Migrationshintergrund. Dennis Dennert, Sprecher für Ausbildung bei der Deutschen Telekom, sagt, dass seine Firma durch den demografischen Wandel gezwungen sei, frühzeitig zu reagieren: "Wir können nicht warten, bis es keine passenden Fachkräfte mehr gibt."
Die Deutsche Telekom bietet deshalb eine "Einstiegsqualifizierung für Jugendliche", kurz EQJ. Das Programm wird zusammen mit der Bundesagentur für Arbeit koordiniert. Genau wie bei einer normalen Ausbildung bekommen die Jugendlichen einen Ausbildungsvertrag und damit eine Chance, in den Betrieb einzusteigen und gleichzeitig zur Berufsschule zu gehen. Der EQ-Vertrag geht aber höchstens über ein Jahr. Je nachdem, wie der Auszubildende abschneidet, fängt er oder sie dann anschließend mit der richtigen, drei Jahre dauernden Ausbildung an. Bei der Telekom gibt es das Programm seit 2009. Hier werden nur Verträge an Jugendliche vergeben, die schon längere Zeit Sozialleistungen vom Staat bekommen.
Emrah Ceylan war im ersten Jahrgang dabei. Der Sohn türkischer Einwanderer hat 2009 bei der Telekom angefangen, nachdem er ein Jahr lang erfolglos auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz war. Ceylan gibt selbst zu, dass er ziemlich schlechte Noten auf seinem Abschlusszeugnis hatte. In der Praxis aber zeigte sich, dass Emrah Ceylan so gut war, dass er nach seinem Probejahr sofort ins zweite Ausbildungsjahr gehen durfte. Er hat – ohne Zweifel – den Weg zum passenden Arbeitgeber gefunden.
Autor: André Leslie Redaktion: Gaby Reucher
Karte 45. Leseverstehen: Aufgabe (1) Globales Lesen (742 Wörter; 5398 Zeichen) 10 Min.
Ausbildung in Deutschland: Dual hält besser!
Duale Ausbildung heißt das Erfolgsrezept für Handwerk und Industrie made in Germany. Dahinter steckt die Kombination von Theorie in der Schule und Praxis im Betrieb. Ein System, das auch Vorbild für andere Länder ist.
Egal, ob sie nach neun Jahren von der Hauptschule kommen oder nach zwölf bis 13 Jahren das Abitur gemacht haben: Für eine Berufsausbildung können sich alle Jugendlichen in Deutschland bewerben, die die Schule mit einem Abschluss verlassen haben. Das Besondere daran: Die Jugendlichen kombinieren die Ausbildung in einem Betrieb mit Theoriephasen in der Berufsschule. Deswegen spricht man von der dualen Berufsausbildung. "Deutschland geht da einen besonderen Weg", sagt Markus Eickhoff, Leiter der Abteilung Ausbildungsberatung und Nachwuchssicherung der Handwerkskammer in Köln. "In zwei bis dreieinhalb Jahren Ausbildungsdauer bekommen die Jugendlichen viel Fachwissen mit auf den Weg."
Berufsausbildung mit Tradition
Das Tischlerhandwerk verbindet Präzision und Kreativität
Die Berufsausbildung in Deutschland ist einzigartig. Schon im Mittelalter wurde die Ausbildung in "Gilden" und "Zünften" für bestimmte Berufsgruppen geregelt. Seit 1869 gibt es die "Berufsschulpflicht" für Arbeiter unter 18 Jahren. Heute entscheiden sich Schüler in Deutschland mit 15 oder 16 Jahren, ob sie mit einer Berufsausbildung beginnen möchten. Sie verlassen dann die allgemeinbildenden Schulen, um Tischler, Koch, Krankenschwester oder Bankkauffrau zu werden.
Zwischen 350 Berufen können die Jugendlichen wählen. Für sie hat diese Form der Berufsausbildung enorme Vorteile: Sie können einen Beruf im Handwerk oder im Handel in aller Ruhe kennenlernen. Und auch die Unternehmen profitieren: "Die Auszubildenden bekommen das Wissen vermittelt, das in den Betrieben gefragt ist", sagt Markus Eickhoff. "Unmittelbar nach der Ausbildung können sie dann als Fachkraft eingesetzt werden." Und Fachkräfte braucht Deutschland dringender denn je.
Die Anforderungen sind gestiegen
Zurzeit machen in Deutschland etwa 1,6 Millionen Jugendliche die duale Berufsausbildung. Trotzdem gibt es viele Schulabgänger, die keinen passenden Ausbildungsplatz finden. Das liegt unter anderem daran, dass die erforderlichen Qualifikationen in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen sind. So muss sich ein Kraftfahrzeug-Mechaniker heute auch mit Elektronik befassen und deshalb gute Mathematikkenntnisse in die Ausbildung mitbringen. Wenn sie die Wahl haben, nehmen viele Unternehmer deshalb am liebsten Abiturienten, also Abgänger mit einer Hochschulzugangsberechtigung. Im vergangenen Jahr blieben rund 84.000 Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag.
Der Schulabschluss ist entscheidend
Hauptsache Abschlusszeugnis!
"Das Problem ist, überhaupt einen passenden Ausbildungsplatz zu finden", sagt Sirikit Krone, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen arbeitet, das unter anderem den Übergang von der Schule in das Berufsleben bei Jugendlichen erforscht. Viele Jugendliche verfügten über keinen Schulabschluss. Für sie sei es sehr schwer, in die duale Berufsausbildung zu kommen: "Das Eintrittsticket ist der Schulabschluss, und deshalb muss es auch die Möglichkeit geben, diesen nachzumachen."
Besonders häufig finden Jugendliche aus Familien mit Migrationshintergrund nicht sofort einen Ausbildungsplatz. Sie schneiden oft schon in der Schule schlechter ab als ihre deutschen Mitschüler und müssen noch zusätzliche Qualifizierungsmaßnahmen durchlaufen. Diese Qualifizierungsmaßnahmen werden immer häufiger von Arbeitsagenturen und auch von den Betrieben selbst angeboten, denn es gibt zurzeit mehr Firmen, die freie Ausbildungsplätze haben, als Jugendliche, die einen Platz suchen.
Im Prinzip steht die Berufsausbildung allen Jugendlichen offen, auch Bewerbern aus dem Ausland. Die Betriebe erwarten eine Bewerbungsmappe und laden die Jugendlichen zu Vorstellungsgesprächen ein. Manche setzen auch ein Praktikum voraus. "Da kann man sich dann schon kennenlernen, und der Arbeitgeber kann sehen, ob der- oder diejenige ins Team passt", sagt Ausbildungsberater Markus Eickhoff.
Duales System made in Germany
Sirikit Krone
Die duale Ausbildung gibt es nur in Deutschland und in etwas abgewandelter Form noch in Österreich und der Schweiz. Zwar versuchen andere Länder immer wieder, das Modell zu exportieren, doch nicht immer funktioniert das reibungslos. In Frankreich zum Beispiel landen im Moment nur die schwächsten Schüler in einer solchen Berufsausbildung. "Da gibt es durchaus Bestrebungen, die handwerkliche Ausbildung aufzuwerten und sie für Jugendlichen mit höheren Schulabschlüssen attraktiv zu machen", meint Sirikit Krone. In vielen Ländern werde aber eine Berufsausbildung gegenüber einem Studium immer noch als minderwertig angesehen.
In Deutschland dagegen gilt die duale Ausbildung weiterhin als Erfolgsmodell. Und sie wird auch immer weiterentwickelt. Abiturienten haben zum Beispiel die Möglichkeit, eine Berufsausbildung mit einem Studium zu kombinieren. Für viele Betriebe sind diese Auszubildenden sehr attraktiv, denn sie kennen die Produktionsabläufe in den Betrieben – werden aber oft für Management-Tätigkeiten ausgebildet. "Sie können auf der kommunikativen Ebene mit den Meistern und mit den Menschen in der Produktion reden", betont Sirikit Krone die Vorteile. "Außerdem haben sie auch für die Führungsetage die nötigen sozialen Qualifikationen." Von diesem "dualen Studium" profitieren Auszubildende und Unternehmensleitung also gleichermaßen.
Autorin: Britta Mersch Redaktion: Gaby Reucher
Karte 46. Leseverstehen: Aufgabe (1) Globales Lesen (742 Wörter; 5398 Zeichen) 10 Min.