Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Remarque, Erich-Maria - Liebe Deinen Nchsten

.pdf
Скачиваний:
329
Добавлен:
08.06.2015
Размер:
2.68 Mб
Скачать

»Nein«,sagteKern.»Ichweißniemand.Unddie,dieichwüßte, haben keineAdresse.«

DerWagenschwebtelangsamempor,undunterihmentfaltete sichallmählich,wieeingroßerFächer,dasPanoramavonWien. Zuerst der Prater mit den hellen Schnüren der erleuchteten Alleen,die wie doppelreihige Perlenstränge über dem dunklen Nacken desWaldes lagen – dann,wie ein riesiger Schmuck aus SmaragdenundRubinen,derbunteGlanzderBudenstadt–und endlich, mit allen Lichtern, unübersehbar fast, die Stadt und dahinter der schmale,dunkle Rauch der Höhenzüge.

Sie waren allein in dem Wagen, der in sanfter Kurve immer weiter stieg und dann nach links hinüberglitt – und es schien ihnen plötzlich,als wäre es keinWagen mehr – als säßen sie in einem lautlosenAeroplan und unter ihnen drehte sich langsam dieErdefort–alsgehörtensiegarnichtmehrzuihr,alswärensie ineinemGeisterflugzeug,dasnirgendwomehreinenLandeplatz hatte und unter dem tausend Heimaten vorüberzogen,tausend erleuchtete Häuser und Stuben, abendliches Heimkehrlicht bis zu den Horizonten,Lampen undWohnungen und schirmende Dächerdarüber,dieriefenundlockten,undkeineswardasihre. Sie schwebten darüber im Dunkel der Heimatlosigkeit, und alles, was sie anzünden konnten, war die trostlose Kerze der Sehnsucht …

DieFensterdesWohnwagensstandenweito en.Eswarschwül und sehr still. Lilo hatte eine bunte Decke über das Bett und einen alten Samtvorhang aus der Schießbude über Kerns Lager gebreitet.Im Fenster schwankten zwei Lampions.

»VenezianischeNachtderNomadenvonheute«,sagteSteiner. »Wart ihr im kleinen Konzentrationslager?«

»Was meinst du?« »Die Geisterbahn.«

171

»Ja.«

Steiner lachte.»Bunker,Verliese,Ketten,Blut und Tränen -die Geisterbahn ist plötzlich modern geworden,was,kleine Ruth?« Erstandauf.»WolleneinenWodkanehmen!«ErholtedieFlasche vom Tisch.»Wollen Sie auch einen,Ruth?«

»Ja,einen großen.« »Und Kern?« »Einen doppelten.«

»Kinder,ihr macht euch!« sagte Steiner.

»Ich nehme einen aus reiner Lebensfreude«,erklärte Kern. »Gib mir auch ein Glas«,sagte Lilo,die mit einer Platte braunerPiroggenhereinkam.Steinerschenkteein.Dannhobersein Glas und grinste. »Es lebe die Depression! Die dunkle Mutter der Lebensfreude!«

LilostelltediePlatteabundholteeinenSteinkrugmitGurken und einen Teller mit dunklem russischem Brot.Dann nahm sie ihrGlasundtrankeslangsamaus.DasLichtderLampionsglitzerte in der klaren Flüssigkeit, daß es schien, als tränke sie aus einem rosafarbenen Diamanten.

»Gibst du mir noch ein Glas?« fragte sie Steiner.

»Soviel du willst, mein melancholisches Steppenkind. Ruth, wie ist es mit Ihnen?«

»Auch noch einen.«

»Gebtmirauchnocheinen«,sagteKern.»IchhabeGehaltserhöhung bekommen.«

Sie tranken und aßen dann die warmen Kohlund Fleischpasteten.Hinterher hockte Steiner sich auf sein Bett und rauchte. Kernund Ruthsetzten sich auf das Lager Kerns amBoden.Lilo ging hin und her und räumte ab. Ihr Schatten schwankte groß über die Wände des Wagens. »Sing etwas, Lilo«, sagte Steiner nach einerWeile.

172

SienickteundnahmeineGitarre,dieinderEckeanderWand hing.IhreStimme,dieheiserwar,wennsiesprach,wurdeklarund tief,wennsiesang.SiesaßimHalbdunkel.Ihrsonstunbewegtes Gesicht belebte sich,und dieAugen bekamen einen wilden und schwermütigen Glanz. Sie sang russische Volkslieder und die alten Wiegenlieder der Zigeuner. Nach einer Zeitlang hörte sie auf und sah Steiner an.Das Licht spiegelte sich in ihrenAugen. »Sing weiter«,sagte Steiner.

Sie nickte und gri einige Akkorde auf der Gitarre. Dann begann sie zu summen,kleine,einförmige Melodien,aus denen manchmal Worte aufstiegen wie Vögel aus dem Dunkel weiter Steppen, Lieder der Wanderschaft, der flüchtigen Ruhe unter Zelten,und es schien,als würde auch derWagen im unruhigen Licht der Lampions zu einem Zelt, rasch aufgeschlagen in der Nacht,und morgen müßten sie alle weiter.

Ruth saß vor Kern und lehnte sich an ihn; ihre Schultern berührten seine hochgezogenen Knie, und er spürte die glatte Wärme ihres Rückens. Sie legte den Kopf zurück gegen seine Hände.DieWärme strömte durch seine Hände in sein Blut und machteihnhilflosvorfremdenWünschen.Eswollteetwasherein undhinaus,einDunkles,eswarinihmundaußerihm,eswarin dertiefen,leidenschaftlichenStimmeLilosundindemAtemder Nacht, in der verworrenen Flucht seiner Gedanken und in der leuchtenden Flut,die ihn plötzlich hob und trug.Er legte seine Hände wie eine Schale um den schmalen Nacken vor ihm, der ihm willig entgegenkam.

ES WAR STILL draußen, als Kern und Ruth fortgingen. Die Buden waren schon mit ihren Zeltplanen verhängt,der Lärm war verstummt,und über Rummel und Geschrei,über das Knallen derSchüsseunddieschrillenRufederAchterbahnenwarlautlos

173

wieder der Wald gewachsen und hatte den bunten und grauen Aussatz der Zelte unter sich begraben.

»Willst du schon nach Hause?« fragte Kern. »Ich weiß nicht.Nein.«

»Laßunsnochhierbleiben.Herumgehen.Ichwollte,eswürde nie morgen.«

»Ja.Morgen ist immer Angst und Ungewißheit.Wie schön es hier ist.«

SiegingendurchdasDunkel.DieBäumeüberihnenregtensich nicht.SiewarenineinweichesSchweigenwieinunsichtbareWatte gepackt.Die Blätter machten nicht das geringste Geräusch. »Vielleicht sind wir die einzigen,die noch wach sind …« »Ich weiß nicht.Die Polizisten sind immer länger wach …« »Hier gibt es keine Polizisten. Hier nicht. Hier ist Wald.Wie schön es ist zu gehen! Man hörte die Füße gar nicht.«

»Ja,man hört nichts.«

»Doch,dich höre ich.Aber vielleicht bin ich es auch.Ich kann mir nicht mehr vorstellen,wie es war ohne dich.«

Siegingenweiter.Eswarsostill,daßdieStillezuraunenschien

–alswäresieohneAtemundwarteaufetwasungeheuerFremdes von weit her.

»Gib mir deine Hand«, sagte Kern. »Ich habe Angst, daß du plötzlich nicht mehr da bist.«

Ruth lehnte sich an ihn.Er fühlte ihr Haar an seinem Gesicht. »Ruth«,sagte er,»ich weiß,es ist nichts anderes als ein bißchen ZusammengehöreninallderFluchtundderLeere–aberfüruns ist das wohl mehr als vieles,das große Namen hat …«

Sie nickte an seiner Schulter.Sie standen eineWeile so.»Ludwig«,sagte Ruth.»Manchmal möchte ich nirgendwo mehr hin. Mich einfach so fallen lassen,in die Erde,und auslöschen …« »Bist du müde?«

174

»Nein,nicht müde.Ich bin nicht müde.Ich könnte immer so weitergehen.Es ist so weich.Man stößt nirgendwo an.«

Esbegannzuwehen.DasLaubüberihnenfinganzurauschen. KernfühlteeinenwarmenTropfenauf seinerHand.Einzweiter streifte sein Gesicht.Er sah auf.»Es fängt an zu regnen,Ruth.« »Ja.«

Die Tropfen fielen regelmäßiger und dichter. »Nimm meine Jacke«,sagte Kern.»Mir macht es nichts,ich bin es gewohnt.« Er hängte Ruth seine Jacke über die Schultern. Sie fühlte die Wärme,die noch darin war,und fühlte sich plötzlich sonderbar geborgen.

Eshörteauf zuwehen.EinenAugenblickschienderWaldden Atemanzuhalten,dannflammteeinlautloser,weißerBlitzdurch dasDunkel,einrascherDonnerfolgte,undaufeinmalstürzteder Regen hernieder,als hätte der Blitz den Himmel aufgerissen.

»Komm schnell!« rief Kern.

Sie liefen dem Karussell zu, das mit seinen heruntergelassenen Zeltwänden wie ein stumpfer Räuberturm undeutlich in der Nacht stand. Kern hob die Zeltplane an einer Stelle hoch, sie krochen beide darunter hinweg und standen,hoch atmend, plötzlich geschützt wie unter einer riesigen,dunklen Trommel, auf die der Regen herabprasselte.

Kern faßte Ruths Hand und zog sie mit sich. Ihre Augen gewöhnten sich bald an das Dunkel. Gespensterhaft ragten die Umrisse der sich bäumenden Pferde auf; die Hirsche waren in ewiger,schattenhafter Flucht versteinert; die Schwäne breiteten FlügelvollgeheimnisvollerDämmerung,undruhevollstanden, dunkler im Dunkel,die mächtigen Rücken der Elefanten.

»Komm!« Kern zog Ruth zu einer Gondel. Er gri ein paar SamtkissenausdenWagenundKarossenzusammenundpackte sieuntenhinein.DannrißereinemElefantenseinegoldbestickte

175

Schabracke ab. »So, jetzt hast du eine Decke wie eine Prinzessin …«

Draußen rollte langgezogen der Donner.Die Blitze warfen ei- nenmatten,bleichenGlanzindaswarmeDunkeldesZeltes-und jedesmal tauchten dann die bunten Geweihe und Geschirre der Tiere,diefriedlichinewigemKreisehintereinanderparadierten, auf, wie die sanfte, ferne Vision eines verzauberten Paradieses. KernsahRuthsbleichesGesichtmitdendunklenAugen,under spürte, während er sie zudeckte, ihre Brust unter seiner Hand; unbekannt und fremd wieder und erregend, wie in der ersten Nacht im Hotel Bristol in Prag.

Das Gewitter kam rasch näher. Der Donner überrollte das Trommeln auf dem stra gespannten Zeltdache, von dem das Wasser in Güssen herniederschoß; der Boden bebte bei den heftigenSchlägen,undplötzlich,imnachklingendenSchweigen einer letzten,besonders schweren Erschütterung,löste sich das Karussellundbegannsichlangsamzudrehen.Langsameralsam Tage,fastunwilligundwieuntereinemgeheimenZwang–auch die Musik war langsamer als am Tage und auf eine sonderbare WeisemitPausenuntermischt.EswarnureinehalbeRunde,als wäre es einenAugenblick aus dem Schlaf erwacht – dann stand es wieder still, und auch die Orgel schwieg, als wäre sie müde auseinandergebrochen,undnurnochRegenrauschte,derRegen, das älteste Schlaflied derWelt.

ZWEITER TEIL

10Der Platz vor der Universität lag in der leeren Mittagssonne.DieLuftwarklarundblau,undüberdenDächern kreisteeinZugunruhigerSchwalben.KernstandamRandedes

Platzes und wartete auf Ruth.

DieerstenStudentenkamendurchdiegroßenTürenundgingendieTreppenhinunter.KernrecktedenKopf,umRuthsbraune Baskenmütze zuentdecken.Siewargewöhnlicheinederersten, dieherauskamen.Aberersahsienicht.Eskamenplötzlichauch keineStudentenmehr.ImGegenteil:eineAnzahlvondenen,die draußen waren,kehrte wieder um.Es schien etwas los zu sein. Plötzlich,wiedurcheineExplosionhervorgetrieben,quollein wirrer,ineinanderverfilzterHaufevonStudentenausderTür.Es war eine Prügelei.Kern unterschied jetzt auch die Rufe: »Juden ’raus!«–»HautdieMosessöhneindiekrummenFressen!«–»Jagt sie nach Palästina!«

ErgingraschüberdenPlatzundstelltesichamrechtenFlügel des Gebäudes auf. Er mußte vermeiden, in die Prügelei zu geraten; gleichzeitig wollte er aber so nahe dabeisein,wie es ging, um Ruth herauszuholen.

Eine Gruppe von etwa dreißig jüdischen Studenten versuchte zu entkommen. Dicht aneinandergedrängt, schoben sie sich die Treppe hinunter. Sie waren umringt von ungefähr hundert anderen,die von allen Seiten auf sie einschlugen.

»Haut sie auseinander!« schrie ein großer, schwarzhaariger Student,derjüdischeraussahalsdiemeistenderAngegri enen. »Packt sie einzeln!«

Er setzte sich an die Spitze eines Trupps, der mit gewaltigem GeschreieinenKeilindieGruppederJudenbohrteundnacheinander einzelne losriß und sie den andern hinwarf,die sie sofort lit Fäusten,Bücherpacken und Stöcken bearbeiteten.

Kern blickte unruhig nach Ruth aus.Er konnte sie nirgendwo

178

sehenundhoffte,daßsieinderUniversitätgebliebenwar.Oben aufderFreitreppestandennurnochzweiProfessoren.Einer,mit einem geteilten, grauen Franz-Joseph-Bart und einem rosigen Gesicht, der sich lächelnd die Hände rieb – und ein anderer, der hager und streng,mit unbewegter Miene in das Getümmel hinabschaute.

Ein paar Polizisten kamen von jenseits des Platzes eilig heran. Der vorderste blieb in der Nähe Kerns stehen.»Stopp!« sagte er zu den beiden anderen.»Nicht einmischen!«

Die beiden blieben stehen. »Juden, was?«, fragte einer von ihnen.

Dererstenickte.DannbemerkteerKernundsahihnscharfan. Kern tat,als habe er nichts gehört.Umständlich zündete er sich eine Zigarette an und ging dabei wie absichtslos einige Schritte weiter fort. Die Polizisten verschränkten die Arme und sahen neugierig der Schlägerei zu.

EinkleinerjüdischerStudententkamdemGetümmel.Erblieb wiegeblendeteinenAugenblickstehen.DannsaherdiePolizisten und rannte auf sie zu.

»Kommen Sie!« schrie er.»Rasch! Helfen Sie! Man schlägt sie ja tot!«

Die Polizisten betrachteten ihn wie ein seltenes Insekt.Keiner von ihnen erwiderte etwas. Der Kleine starrte sie einen Moment fassungslos an.Dann drehte er sich ohne einWort wieder um und ging zurück,auf das Getümmel zu.Er war noch keine zehn Schritte weit gekommen,als sich zwei Studenten aus dem großenHaufenlösten.Siestürmtenauf ihn zu.»Saujud!« schrie der vorderste. »Der Saujud jammert nach Gerechtigkeit! Sollst du haben!«

Er schlug ihn mit einem klatschenden Schlag ins Gesicht nieder. Der Kleine versuchte, wieder hochzukommen. Der andere

179

stieß ihn mit einem Tritt vor den Bauch zurück.Dann packten beide ihn an den Beinen und schleiften ihn wie einen Karren über das Pflaster. Der Kleine versuchte sich vergebens an den Steinen festzukrallen.Sein weißes Gesicht starrte wie eine Maske des Entsetzens zurück zu den Polizisten.Der Mund war wie ein schwarzes,o enes Loch,aus dem Blut über das Kinn lief.Er schrie nicht.

KernspürteseinenGaumentrockenwerden.ErhattedasGefühl,auf die beiden losspringen zu müssen.Aber er sah,daß die Polizisten ihn beobachteten,und steif und verkrampft vorWut ging er zur andern Ecke des Platzes hinüber.

Die beiden Studenten kamen mit ihrem Opfer dicht an ihm vorüber.Ihre Zähne schimmerten,sie lachten,und ihre GesichterwiesennichtdieSpurvonBosheitauf.Sieleuchteteneinfach nurvonaufrichtigem,unschuldigemVergnügen–alstriebensie irgendeinen Sport und schleiften nicht einen Menschen blutig. Plötzlich kam Hilfe. Ein großer, blonder Student, der bisher herumgestanden hatte, verzog angewidert das Gesicht, als der Kleine an ihm vorbeigeschleppt wurde. Er streifte die Ärmel seinerJackeetwashoch,machteeinpaarlangsameSchritteund schlug dann mit zwei kurzen,wuchtigen Schlägen die Peiniger des Kleinen nieder.

ErhobdenverschmiertenKleinenamKragenhochundstellte ihn auf die Beine.»So,nun mach,daß du wegkommst«,knurrte er.»Aber schnell!«

Darauf ginger,ebensolangsamundnachdenklichwievorher, aufdentobendenHaufenzu.Erbesahsichdenschwarzhaarigen Anführer und gab ihm dann einen so furchtbaren Hieb auf die Nase undsofort hinterhereinen fast unsichtbaren Schlag gegen das Kinn,daß er krachend aufs Pflaster stürzte.

IndiesemAugenblickerblickteKernRuth.SiehatteihreMütze

180

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]