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Remarque, Erich-Maria - Liebe Deinen Nchsten

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08.06.2015
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dasSäckchenmitSchillingstückenundeinigePaketeNähseide.Die Wäsche,dieSchuhe,derAnzugunddieübrigenSachendesalten SeligmannlagennochimKo er.Derältestesahauf,alsSteinermit MoritzRosenthalhereinkam.UnwillkürlichbreiteteerdieHände über die Dingeauf der Matratze.Steinerblieb stehen.

Der Junge blickte Moritz Rosenthal an. Seine Wangen waren gerötet,undseineAugenglänzten.»Wennwirdasdaverkaufen«, sagte er aufgeregt und wies auf die Sachen im Ko er, »werden wir noch ungefähr dreißig Schilling mehr haben.Wir können das ganze Geld anlegen und Sto e dazu nehmen – Manchester, BuckskinundauchnochStrümpfe–,damitverdientmanmehr. Ich fange morgen gleich an. Morgen um sieben Uhr fange ich an.« Er sah ernst und sehr gespannt den alten Mann an.

»Gut!« Moritz Rosenthal streichelte ihm den schmalen Kopf. »Morgen um sieben Uhr fängst du an.«

»WalterbrauchtdannnichtnachRumänien«,sagtederJunge. »Er kann mir helfen.Wir kommen schon durch.Nur Max muß dann weg.«

Die drei Kinder sahen Moritz Rosenthal an.Max,der jüngste, nickte.Er fand es richtig so.

»Wir werden sehen.Wir sprechen nachher noch darüber.« Moritz Rosenthal begleitete Steiner zur Tür.»Keine Zeit zum Kummer«,sagte er.»Zuviel Not,Steiner.«

Steiner nickte. »Ho entlich erwischt man den Jungen nicht sofort …«

MoritzRosenthalschütteltedenKopf.»Erwirdschonaufpassen.Er weiß genug.Wir lernen früh.«

STEINER GING ZUM Café Sperler.Er war lange nicht mehr dagewesen. Seit er den falschen Paß hatte, vermied er Plätze, wo er von früher her bekannt war.

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Kern saß an derWand auf einem Stuhl.Er hatte die Füße auf seinen Ko er gestellt,den Kopf zurückgelehnt und schlief.Steiner setzte sich behutsam neben ihn;er wollte ihn nicht wecken. Etwas älter geworden,dachte er.Älter und reifer.

Er sah sich im Lokal um. Neben der Tür hockte der Landgerichtsrat Epstein,ein paar Bücher und ein GlasWasser vor sich auf demTisch.Ersaßalleinundunzufriedenda;niemandsaß vorihm,angstvoll,fünfzigGroscheninderHand.Steinerblickte sichum;anscheinendhattedieKonkurrenz,RechtsanwaltSilber, die Kundschaft an sich gerissen.Aber Silber war gar nicht da. DerKellnerkamheran,ohnegerufenzuwerden.SeinGesicht war verklärt.»Auch wieder einmal da?« fragte er familiär.

»Erinnern Sie sich an mich?«

»Undob!IchhatteschonSorgenumSie.Istjaallesvielschärfer geworden jetzt.Wieder einen Kognak,mein Herr?«

»Ja.Wo ist denn der Rechtsanwalt Silber geblieben?«

»Das ist auch ein Opfer, mein Herr.Verhaftet und ausgewiesen.«

»Aha!War Herr Tscherniko kürzlich hier?« »In dieserWoche nicht!«

DerKellnerbrachtedenKognakundstelltedasTablettaufden Tisch.Im selben Moment ö nete Kern die Augen.Er blinzelte; dann sprang er auf.»Steiner!«

»Komm«,erwidertederruhig.»TrinkmalgleichdiesenKognak hier. Nichts erfrischt so, wenn man sitzend geschlafen hat, wie ein Schnaps.«

KerntrankdenKognakaus.»Ichwarschonzweimalhier,dich zu suchen«,sagte er.

Steiner lächelte. »Die Füße auf dem Ko er.Also ohne Bleibe, was?«

»Ja.«

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»Du kannst bei mir schlafen.«

»Wirklich?Daswärewunderbar.IchhattebisjetzteinZimmer beieinerjüdischenFamilie.Aberheutemußteich’raus.Siehaben zuvielAngst,jemand länger als zwei Tage zu behalten.«

»Bei mir brauchst du keine Angst zu haben. Ich wohne weit draußen. Wir können gleich aufbrechen. Du siehst aus, als brauchtest du Schlaf.«

»Ja«,sagte Kern.»Ich bin müde.Ich weiß nicht,warum.« SteinerwinktedemKellner.Derkamangaloppiertwieeinaltes Schlachtroß, das schon lange Karren gezogen hat, beim Signal zum Sammeln. »Danke«, sagte er erwartungsvoll, schon bevor Steiner gezahlt hatte,»danke herzlichst,mein Herr!«

Er besah das Trinkgeld.»Küß’die Hand«,stammelte er überwältigt.»Ergebenster Diener,Herr Graf!«

»Wir müssen in den Prater«,sagte Steiner draußen.

»Ich gehe überall hin«,erwiderte Kern.»Ich bin schon wieder ganz munter.«

»Wir werden die Trambahn nehmen. Besser, wegen deines Ko ers.Immer noch Toilettewasser und Seife?«

Kern nickte.

»Ich heiße inzwischen anders; kannst mich aber ruhig weiter Steinernennen.IchführedenNamenfüralleZufällealsKünstlernamen.Kann dann immer behaupten,er sei ein Pseudonym. Oder der andere sei eines.Je nachdem.«

»Was bist du denn jetzt?«

Steiner lachte. »Eine Zeitlang war ich Aushilfskellner.Als der frühere dann aus dem Hospital zurückkam, mußte ich ’raus. JetztbinichAssistentdesVergnügungsetablissementsPotzloch. Schießbudenhengst und Hellseher.Was hast du vor,hier?« »Nichts.«

»Vielleicht kann ich dich bei uns unterbringen. Es werden

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gelegentlich immer Leute zur Aushilfe gebraucht.Werde morgen mal dem alten Potzloch auf die Bude rücken. Der Vorteil ist, daß niemand im Prater kontrolliert. Brauchst nicht einmal angemeldet zu werden.«

»MeinGott«,sagteKern,»daswäregroßartig.Ichmöchtejetzt gern eine Zeitlang inWien bleiben.«

»So?« Steiner sah ihn schräg von der Seite an. »Möchtest du?«

»Ja.«

Sie stiegen aus und gingen durch den nächtlichen Prater.Vor einem Wohnwagen, etwas abseits von der Rummelplatzstadt, blieb Steiner stehen.Er schloß auf und zündete eine Lampe an. »So, Baby, da sind wir. Jetzt werden wir dir zunächst einmal eineArt Bett zaubern.«

Er holte ein paar Decken und eine alte Matratze aus einem Winkel und breitete sie neben seinem Bett auf dem Boden aus. »Du hast sicher Hunger,was?« fragte er.

»Ich weiß es schon nicht mehr.«

»In dem kleinen Kasten ist Brot,Butter und ein Stück Salami. Mach mir auch ein Brot zurecht.«

Es klopfte leise an die Tür. Kern legte das Messer weg und lauschte. Seine Augen suchten das Fenster. Steiner lachte. »Die alteAngst,Kleiner,was?Werdenwirsicherniewiederlos.Komm herein,Lilo!« rief er.

Eine schlanke Frau trat ein und blieb an der Tür stehen.»Ich habe Besuch«,sagte Steiner.»Ludwig Kern.Jung,aber schon erfahreninderFremde.Erbleibthier.KannstduunsetwasKa ee machen,Lilo?«

»Ja.«

Die Frau nahm einen Spirituskocher, zündete ihn an, stellte einen kleinen Kessel mit Wasser darauf und begann, Ka ee zu

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mahlen. Sie machte das alles fast geräuschlos, mit langsamen, gleitenden Bewegungen.

»Ich dachte,du schliefest längst,Lilo«,sagte Steiner. »Ich kann nicht schlafen.«

Die Frau hatte eine tiefe, heisere Stimme. Ihr Gesicht war schmalundregelmäßig.DasschwarzeHaarhattesieinderMitte gescheitelt. Sie sah aus wie eine Italienerin, aber sie sprach das harte Deutsch der Slawen.

KernsaßaufeinemzerbrochenenRohrstuhl.Erwarsehrmüde, nichtnurimKopf–eineschläfrigeEntspannung,wieseitlangem nicht,war über ihn gekommen.Er fühlte sich geborgen.

»Ein Kissen«, sagte Steiner. »Das einzige, was fehlt, ist ein Kissen.«

»Das macht nichts«, erwiderte Kern. »Ich lege meine Jacke zusammen oder etwas Unterzeug aus meinem Ko er.«

»Ich habe ein Kissen«,sagte die Frau.

Sie brühte den Ka ee auf, dann erhob sie sich und ging mit ihren schattenhaften,lautlosen Bewegungen hinaus.

»Komm,iß!« sagte Steiner und goß Ka ee in zwei henkellose Tassen mit blauem Zwiebelmuster.

SieaßendasBrotunddieWurst…DieFraukamwiederherein undbrachteeinKissenmit.Sielegteesauf dasLagerKernsund setzte sich an den Tisch.

»Willst du keinen Ka ee,Lilo?« fragte Steiner.

SieschütteltedenKopf.Siesahstilldenbeidenzu,währendsie aßen und tranken.Dann stand Steiner auf.»Zeit zum Schlafen. Bist doch müde,Kleiner,was?«

»Ja.Jetzt allmählich wieder.«

Steiner strich der Frau über das Haar. »Geh auch schlafen, Lilo …«

»Ja.« Sie stand gehorsam auf.»Gute Nacht …«

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Kern und Steiner legten sich zu Bett.Steiner löschte die Lampe aus.»Weißtdu«,sagteernacheinerWeileausdemwarmenDunkelhervor,»mansollsoleben,alsobmanniemehrzurückkäme nach drüben.«

»Ja«,erwiderte Kern.»Für mich ist das nicht schwer.« Steiner zündete sich eine Zigarette an. Er rauchte langsam. DerrötlicheLichtpunktglommjedesmalhellerauf,wennerden Rauch einatmete. »Willst du auch eine haben?« fragte er. »Sie schmecken ganz anders im Dunkeln.«

»Ja.« Kern fühlte Steiners Hand, die ihm das Paket und die Streichhölzer hinüberreichte.

»Wie war es in Prag?« fragte Steiner.

»Gut.« Kern wartete und rauchte. Dann sagte er: »Ich habe jemand da getro en.«

»Bist du deshalb jetzt nachWien gekommen?« »Nicht nur deshalb.Aber sie ist auch inWien.«

Steiner lächelte im Dunkeln.»Bedenke,daß du einWanderer bist, Baby. Wanderer sollen Abenteuer haben; aber nichts, was ihnen ein Stück Herz wegreißt,wenn sie fort müssen.«

Kern schwieg.

»Das sagt nichts gegen die Abenteuer«, fügte Steiner hinzu. »Auch nichts gegen das Herz. Am allerwenigsten aber gegen die, die uns ein bißchen Wärme unterwegs geben. Nur etwas gegenuns,vielleicht.Weilmannimmt–undwenigzurückgeben kann.«

»Ichglaube,ichkanngarnichtszurückgeben.«Kernfühltesich plötzlich sehr mutlos.Was wußte er schon? Und was konnte er Ruth schon geben? Nur sein Gefühl.Und das schien ihm nichts zu sein.Er war jung und unwissend,das war alles.

»Gar nichts ist viel mehr als ein wenig, Baby«, sagte Steiner ruhig.»Es ist schon beinahe alles.«

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»Es kommt darauf an,von wem …«

Steiner lächelte. »Hab keine Angst, Baby. Alles ist richtig, was man fühlt.Wirf dich hinein.Aber bleib nicht hängen.« Er drückte seine Zigarette aus. »Schlaf gut. Morgen gehen wir zu Potzloch…«

»Danke.Ich werde sicher gut schlafen hier …«

KernlegteseineZigarettebeiseiteundwühltedenKopf indas KissenderfremdenFrau.Erwarimmernochmutlos;aberauch fast glücklich.

9Direktor Potzloch war ein behendes kleines Männchen mit einem zausigen Schnurrbart,einer riesigen Nase und einemKneifer,derewigrutschte.Erwarimmeringroßer

Eile;am meisten,wenn nichts zu tun war.

»Was ist los? Schnell!« fragte er, als Steiner mit Kern zu ihm kam.

»WirbrauchendocheineHilfe«,sagteSteiner.»Tagsüberzum Aufräumen,abendsfürdietelepathischenExperimente.Hierist sie.« Er wies auf Kern.

»Kann er irgend etwas?«

»Er kann das,was wir brauchen.«

Potzlochblinzelte.»EinervonIhrenBekannten?Wasverlangt er?«

»Essen,Wohnen und dreißig Schilling.Vorläufig.«

»Ein Vermögen!« schrie Direktor Potzloch. »Die Gage eines Filmstars!WollenSiemichruinieren,Steiner?Sovielzahltman jabeinaheeinemlegalangemeldetenArbeitsburschen«,fügteer friedlicher hinzu.

»Ich bleibe auch ohne Geld«,erwiderte Kern rasch.

»Bravo,jungerMann!SowirdmanMillionär!NurderBescheidene kommt vorwärts im Leben!« Potzloch blies schmunzelnd LuftdurchdieNaseunderhaschteseinenrutschendenKlemmer. »Aber Sie kennen Leopold Potzloch nicht, den letzten Menschenfreund! Sie bekommen Gage. Fünfzehn blanke Schilling imMonat.Gage,sagteich,lieberFreund.Gage,nichtGehalt!Ab heute sind Sie Künstler.Fünfzehn Schilling Gage sind mehr als tausend Gehalt.Kann er noch was Besonderes?«

»Etwas Klavier spielen«,sagte Kern.

Potzloch hakte den Klemmer energisch auf die Nase. »Können Sie leise spielen? Stimmungsmusik?« »Leise besser als laut.«

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»Gut!« Potzloch verwandelte sich in einen Feldmarschall.»Er sollirgendwasÄgyptischesüben!BeiderzersägtenMumieund der Dame ohne Unterleib können wir Musik brauchen.«

Er verschwand. Steiner sah Kern kopfschüttelnd an. »Du bestätigst meine Theorie«,sagte er.»Ich habe die Juden immer für dasdümmsteundvertrauensseligsteVolkderWeltgehalten.Wir hätten glatt dreißig Schilling’rausgeholt.«

Kernlächelte.»Durechnestnichtmiteinem:mitderpanischen Angst,dieeinpaartausendJahrePogromeundGettogezüchtet haben. Daran gemessen, sind die Juden sogar ein tollkühnes Völkchen.Und schließlich bin ich nur ein elender Mischling.« Steinergrinste.»Naschön,dannkomm.Mazzesessen!Wirwollen dasLaubhüttenfest feiern.Lilo ist eine wunderbare Köchin.« Das Etablissement Potzloch bestand aus drei Abteilungen: einem Karussell, einer Schießbude und dem Panorama der Weltsensationen.SteinerführteKernamMorgengleichineinen Teil seinerArbeiten ein.Er hatte den besseren Karussellpferden dieMessingteileihresGeschirrszuputzenunddasKarussellzu fegen.

KernmachtesichanseineArbeit.ErputztenichtnurdiePferde,sondern auch die Hirsche,die sich im Takt wiegten,und die SchwaneunddieElefanten.Erwarsovertieft,daßernichthörte, wie Steiner an ihn herantrat.»Komm,Kleiner,Mittagessen!« »Schon wieder essen?«

Steinernickte.»Schonwieder.Etwasungewohnt,was?Dubist unterKünstlern;daherrschendiebürgerlichstenSittenderWelt. Es gibt sogar nachmittags eine Jause.Ka ee und Kuchen.« »Ein Schlara enland!« Kern kroch aus einer Gondel vor, die von einemWalfisch gezogen wurde.»Mein Gott,Steiner!« sagte er. »Man könnte Angst kriegen, so wunderbar geht alles in der letzten Zeit. Zuerst in Prag – und jetzt hier. Gestern wußte ich

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noch nicht, wo ich schlafen sollte … und heute habe ich eine Stellung, eine Wohnung und werde zum Mittagessen abgeholt! Ich glaube es noch nicht!«

»Glaub’s nur«, erwiderte Steiner. »Denk nicht nach, nimm’s! Alte Devise der fahrenden Leute.«

»Ho entlich dauert es noch ein bißchen!«

»EsisteineLebensstellung«,sagteSteiner.»Mindestensfürdrei Monate.Bis es zu kalt wird.«

Lilo hatte einen wackeligen Tisch in das Gras vor demWohnwagengestellt.SiebrachteeinegroßeSchüsselmitGemüsesuppe und Fleisch und setzte sich zu Steiner und Kern. Es war helles Wetter mit einerAhnung von Herbst in der Luft.Auf derWiese warenWäschestückeaufgehängt,zwischendeneneinpaargelbgrüne Zitronenfalter spielten.

Steiner dehnte die Arme. »Eine gesunde Existenz! Und nun auf in die Schießbude.«

Er zeigte Kern die Gewehre,und wie sie geladen wurden.»Es gibt zwei Arten von Schützen«, sagte er. »Die Ehrgeizigen und die Habgierigen.«

»Wie im Leben«,meckerte Direktor Potzloch,der gerade vorüberstrich.

»DieEhrgeizigenschießenauf KartenundNummern«,erläuterte Steiner weiter.»Sie sind nicht gefährlich.Die Habgierigen wollen etwas gewinnen.« Er zeigte auf eineAnzahl Etageren im Hintergrund der Bude, die mit Teddybären, Puppen, Aschbechern,Weinflaschen,Bronzefiguren,Haushaltungsgegenständen und ähnlichen Sachen gefüllt waren.

»Sie sollen etwas gewinnen. Die unteren Etagen nämlich. Kommt einer aber an fünfzig Ringe heran,dann gerät er in die obersten Etagen, wo die Stücke zehn Schilling und mehr wert sind.Dann gibst du eine von Direktor Potzlochs Original-Zau-

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