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Remarque, Erich-Maria - Liebe Deinen Nchsten

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08.06.2015
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»Nein«, erwiderte Steiner. »Ich sehe nur einen jämmerlichen Hurensohn! Einen Hurensohn,verstehst du?«

SchäferwareinenMomentsprachlos.»Mensch«,sagteerdann leise.»Siemüssenverrücktsein!DaswerdenSiemirbüßen!Los, mit zurWache!«

Er versuchte,seinen Revolver zu ziehen.Steiner trat mit dem Fuß gegen seinen Arm,trat blitzschnell heran und tat das Entehrendste,wasesfüreinenManngibt;erschlugSchäfermitder flachen Hand links und rechts ins Gesicht.

DerWachmann röchelte und sprang auf ihn los.Steiner wich zurSeiteundlandeteeinenlinkenSchwingerauf SchäfersNase, die sofort blutete. »Hurensohn!« knurrte er. »Jammervoller Scheißer! FeigesAas!«

ErzerschlugihmmiteinemtrockenenGeradendieLippenund fühlte die Zähne unter seinen Knöcheln knacken. Schäfer taumelte.»Hilfe!« schrie er dann mit einer fetten,hohen Stimme. »Halt’sMaul!«knurrteSteinerundsetzteeinenscharfenRechtenaufsKinnundgleichdaraufdiekurzgeschlageneLinkegenau aufdenSolarplexus.SchäfergabeinenfroschähnlichenLautvon sich und stürzte wie eine Säule zu Boden.

Ein paar Fenster wurden hell.»Was ist denn da schon wieder los?« schrie eine Stimme.

»Nichts«,erwiderte Steiner aus dem Dunkel.»Nur ein Besoffener!«

»DerTeufelsolldieSaufbrüderholen!«rief dieStimmeärgerlich.»Bringen Sie ihn doch zur Polizei!«

»Da soll er gerade hin!«

»Hauen Sie ihm vorher noch ein paar in das versoffene Maul!«

Das Fenster klappte zu. Steiner grinste und verschwand um die nächste Ecke. Er war sicher, daß Schäfer ihn mit seinem

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veränderten Gesicht im Dunkel nicht erkannt hatte.Er kreuzte noch ein paar Straßenecken,bis er in eine belebte Gegend kam. Dann ging er langsamer.

Wunderbar und gleichzeitig zum Kotzen, dachte er. So ein bißchen lächerliche Rache! Aber es wiegt Jahre der Flucht und Geducktheit auf! Man muß die Gelegenheit nehmen, wie sie kommt! Er blieb unter einer Laterne stehen und holte seinen Paß heraus. Johann Huber! Arbeiter! Du bist tot und verfaulst irgendwoinderErdevonGraz–aberdeinPaßlebtundistgültig für die Behörden.Ich,Josef Steiner,lebe; aber ich bin ohne Paß totfürdieBehörden.Erlachte.Tauschenwir,JohannHuber!Gib mirdeinpapierenesLebenundnimmmeinenpapierlosenTod! Wenn die Lebenden uns nicht helfen,müssen die Toten es tun!

6Kern kam Sonntag abend ins Hotel zurück. In seinem Zimmer stieß er auf Marill,der sehr aufgeregt war.»Endlich irgend jemand!« rief er. »Verdammte Bude, in der

ausgerechnet heute kein Aas zu finden ist! Alles ausgegangen! Alles unterwegs! Sogar der verfluchteWirt!«

»Was ist denn los?« fragte Kern.

»Wissen Sie,wo eine Hebamme wohnt? Oder einArzt,irgendein Frauenarzt oder so was?«

»Nein.«

»Natürlich nicht!« Marill starrte ihn an. »Sie sind doch ein vernünftiger Mensch, Kern. Kommen Sie mit. Irgend jemand muß bei der Frau bleiben. Ich werde dann losgehen und eine Hebamme suchen.Können Sie das?«

»Was?«

»Aufpassen, daß sie sich nicht zuviel bewegt! Mit ihr reden. Irgendwas tun!«

ErschleppteKern,dernichtverstand,wasloswar,denKorridor entlang in den unteren Stock und ö nete die Tür eines kleinen Zimmers, in dem nicht viel mehr als ein Bett stand. Darin lag eine Frau und stöhnte.

»Siebenter Monat! Fehlgeburt oder so was! Beruhigen Sie sie, wenn Sie können! Ich hole einenArzt.«

Er war draußen,ehe Kern etwas erwidern konnte.

Die Frau im Bett stöhnte.Kern trat auf Zehenspitzen heran. »Kann ich Ihnen etwas geben?« fragte er.

Die Frau stöhnte weiter. Sie hatte klatschnasse, verschwitzte Haare von einem verblichenen Blond und ein graues Gesicht, aus dem dicke Sommersprossen sonderbar dunkel hervorschimmerten. Die Augen waren verdreht; unter den halbgeschlossenen Lidern war fast nur das Weiße zu sehen. Die dünnen Lippen waren zurückgezogen, die Zähne gefletscht

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undfestaufeinandergebissen.Sieleuchtetensehrweißausdem Halbdunkel.

»Kann ich Ihnen etwas geben?« fragte Kern noch einmal. Er sah sich um. Ein billiger, dünner Staubmantel hing über einem Stuhl, wie hingeworfen.Vor dem Bett standen ein Paar ausgetretene Schuhe. Die Frau lag mit ihren Kleidern im Bett, wiehineingestürzt.AufdemTischstandeineFlaschemitWasser und neben demWaschtisch ein Ko er.

DieFraustöhnte.Kernwußtenicht,wasertunsollte.DieFrau warf sich hm und her.Er erinnerte sich an das,was Marill ihm gesagt hatte, und an das wenige, was er von dem einen Jahr an der Universität wußte, und versuchte, die Schultern der Frau festzuhalten.Aber es war,als wollte er eine Schlange festhalten. Währendersichbemühteundsieihmentglittundihnwegstieß, riß sie plötzlich die Hände hoch und krallte sich augenblicklich mit aller Kraft an seinenArmen fest.

Erstandwiefestgeschmiedet.Erhätteniegeglaubt,daßdieFrau eine solche Kraft haben könnte. Sie drehte den Kopf langsam, als wäre er eine Schraube,und stöhnte grauenvoll,als käme ihr Atem aus der Erde.

DerKörperzuckte,undplötzlichsahKernunterderBettdecke, diesichverschobenhatte,einenschwarzrotenFleckhervorkriechen,das Leintuch entlang,größer werden und sich ausbreiten. Er versuchte, sich loszumachen, aber die Frau hielt ihn eisern fest.Wie gebannt starrte er auf den Fleck,der zu einem breiten Streifenwurde,biserdieKantedesLeintuchserreichteundvon da zur Erde tropfte und eine schwarze Lache bildete.

»Loslassen! Lassen Sie los!« Kern wagte nicht die Arme zu bewegen, weil er dann den Körper der Frau geschüttelt hätte. »Loslassen!« knirschte er.»Loslassen!«

Plötzlich erschlaffte der Körper der Frau. Sie ließ los und fiel

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indieKissen.Kerngri nachderDeckeundhobsieetwashoch. Ein Schwall Blut quoll hervor und klatschte auf den Boden. Er sprang auf und rannte hinauf zu dem Zimmer, in dem Ruth Holland wohnte.

Siewarda.Siesaßalleinauf ihremBettzwischenihrenaufgeschlagenenBüchern.»KommenSie!«riefKern.»Untenverblutet eine Frau!«

Sie liefen hinunter. Das Zimmer war dunkler geworden. Im Fenster flammte dasAbendrot und warf einen düsteren Schein über den Boden und den Tisch. Ein roter Reflex funkelte wie ein Rubin in derWasserflasche.Die Frau lag jetzt ganz still.Sie schien nicht mehr zu atmen.

Ruth Holland hob die Bettdecke auf. Die Frau schwamm in Blut.»Machen Sie Licht«,rief das Mädchen.

KernliefzumSchalter.DasLichtderschwachenBirnemischte sichmitdemAbendrotzueinertrübenHelligkeit.IndiesemgelbrotenBrodemlagdieFrauaufdemBett.Sieschiennichtszusein als ein unförmiger Bauch mit verschobenen,blutigen Kleidern, unterdenendieBeinemitherabgerutschten,schwarzenStrümpfen herausragten,sonderbar in sich verdreht und erschlafft.

»Geben Sie das Handtuch! Sie muß aufhören zu bluten!Vielleicht finden Sie irgend etwas!«

Kern sah,wie Ruth dieÄrmel hochschob und die Kleider der Frau zu lösen versuchte. Er gab ihr das Handtuch vom Waschtisch.»DerArzt muß gleich kommen! Marill ist unterwegs.« Er suchte nach Verbandszeug und stülpte den Ko er hastig um.

»Geben Sie her,was Sie finden«,rief Ruth.

Auf dem Boden lag ein Haufen Säuglingswäsche – kleine Hemden,Windeln, Tücher und dazwischen ein paar Jäckchen, gestrickt aus rosa und hellblauerWolle,mit Schleifen und Seide

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geschmückt. Eins war noch nicht fertig; ein paar Stricknadeln steckten noch drin. Ein Knäuel weiches, blaues Wollgarn fiel heraus und rollte lautlos über den Boden.

»Geben Sie her!« Ruth warf das blutige Handtuch weg. Kern gab ihr dieWindeln und die Tücher.Dann hörte er Schritte auf der Treppe.Gleich darauf ging die Tür auf,und Marill kam mit einemArzt herein.

»Ja,was ist denn da …verdammt!«

Der Arzt machte einen langen Schritt, schob Ruth Holland beiseiteundbeugtesichüberdieFrau.NacheinigerZeitwandte er sich um zu Marill.»Rufen Sie sofort Nummer 2 67 an.Braun soll eiligst kommen und alles mitbringen für Narkose, Brax- ton-Hicks-Operation.Verstanden?Außerdem alles für schwere Blutungen.«

»Gut.«

Der Arzt sah sich um. »Sie können gehen!« sagte er zu Kern. »DasFräuleinbleibthier.HolenSieWasser.GebenSiemirmeine Tasche.«

DerzweiteArztkamzehnMinutenspater.MitHilfeKernsund einiger anderer Leute,die inzwischen gekommen waren,wurde der Raum neben dem Zimmer,wo die Frau lag,in ein Operationszimmer verwandelt.Die Betten wurden beiseite geschoben, Tische herangerückt und die Instrumente vorbereitet.DerWirt holte die stärksten Birnen,die er hatte,und schraubte sie in die Lampen ein.

»Los,Los!«

DerersteArzttobtevorUngeduld.ErrißseinenweißenMantel überundließsichihnvonRuthHollandzuknöpfen.»NehmenSie sichauchsowas!«ErwarfihreinenMantelzu.»WirbrauchenSie vielleicht hier.Können Sie Blut sehen?Wird Ihnen schlecht?« »Nein«,sagte Ruth.

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»Gut! Brav!«

»Vielleichtkannichauchwastun«,sagteKern.»Ichhabezwei Semester Medizin.«

»Vorläufignicht.«DerArztsahnachdenInstrumenten.»Können wir anfangen?«

DasLichtspiegeltesichinseinerGlatze.DieTürwurdeausgehängt.Vier Männer trugen das Bett mit der leise wimmernden Frau über den Korridor herein. Die Frau hatte die Augen weit o en.Ihre farblosen Lippen bebten.

»Los!Anfassen!«schnauztederArzt.»Hochheben!Vorsichtig, verflucht noch mal!«

DieFrauwarschwer.KernstandendieSchweißtropfenaufder Stirn.Sein Blick begegnete dem Ruths.Sie war blaß,aber ruhig und so verändert, daß er sie kaum wiedererkannte. Sie gehörte zu der blutenden Frau.

»So!’rausalles,wasnichtshierzutunhat!«schnauztederArzt mit der Glatze.Er nahm die Hand der Frau.»Es tut nicht weh. Es ist ganz leicht.« Er hatte plötzlich die Stimme einer Mutter.

»Das Kind soll leben«,flüsterte die Frau. »Beide,beide …«,erwiderte derArzt sanft. »Das Kind …«

»Wir drehen es nur ein bißchen um, aus der Schulterlage heraus. Dann kommt es wie der Blitz. Nur ruhig, ganz ruhig. Narkose!«

KERN STAND MIT Marill und ein paar anderen Leuten in dem verlassenenZimmerderFrau.Siewartetendarauf,daßsiewieder gebraucht würden.Von nebenan klang gedämpft das Murmeln der Ärzte.Auf dem Boden verstreut lagen die rosa und blauen gestrickten Jäckchen.

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»Eine Geburt«, sagte Marill zu Kern. »So ist das, wenn man auf die Welt kommt … Blut, Blut und Schreie! Verstehen Sie, Kern?«

»Ja.«

»Nein«, sagte Marill. »Sie nicht und ich nicht! Eine Frau, nur eine Frau! Fühlen Sie sich nicht wie ein Schwein?«

»Nein«,erwiderte Kern.

»So?Aberich!«MarillwischtesichdieBrilleabundbetrachtete Kern.»Haben Sie schon mit einer Frau geschlafen? Nein! Sonst würdenSiesichauchwieeinSchweinfühlen.Gibt’shierirgendwo eine Möglichkeit für einen Schnaps?«

Der Kellner trat aus dem Hintergrund des Zimmers hervor. »BringenSieeinehalbeFlascheKognak!«sagteMarill.»Jaja,ich habe Geld dafür! Bringen Sie nur!«

Der Kellner verschwand. Mit ihm der Wirt und zwei andere Gestalten.Diebeidenbliebenallein.»SetzenwirunsansFenster«, sagte Marill.Er zeigte auf dasAbendrot.»Schön,was?«

Kern nickte.

»Ja«,sagteMarill,»allesnebeneinander.IstdasFlieder,daunten im Garten?«

»Ja.«

»Flieder undÄther.Blut und Kognak.Na,prost!«

»IchhabevierGläsergebracht,HerrMarill«,sagtederKellner und stellte das Tablett auf den Tisch.»Ich dachte,vielleicht …« Er wies mit dem Kopf nach nebenan.

»Gut.«

Marill schenkte zwei Gläser voll.»Trinken Sie,Kern?« »Wenig.«

»EinjüdischesLaster,Abstinenz.Dafürverstehensiemehrvon Frauen.Aber Frauen wollen gar nicht verstanden sein.Prost!« »Prost!«

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KerntrankseinGlasleer.Erfühltesichbesserdanach.»Istdas nur eine Frühgeburt?« fragte er.»Oder noch mehr?«

»Ja. Vier Wochen zu früh. Überanstrengt. Deshalb: Reisen, Umsteigen, Aufregung, ’rumlaufen und so was, verstehen Sie? Sollte eine Frau nicht machen in dem Zustand.«

»Und warum?«

Marillschenkteneuein.»Warum…«sagteer.»Weilsiewollte, daßihrKindTschechewürde.Weilsienichtwollte,daßmanesin der Schule schon anspucken und Dreckjude schimpfen sollte.« »Ich verstehe«, sagte Kern. »Ist der Mann nicht mit ’rausgekommen?«

»Den Mann hat man vor ein paar Jahren eingelocht.Warum? Weil er ein Geschäft hatte und tüchtiger und fleißiger war als seinKonkurrentandernächstenEcke.Wasmachtmandannals Konkurrent? Man geht hin und zeigt den Fleißigen an – staatsverräterische Reden, geschimpft, oder kommunistische Ideen. Irgendwas. Darauf wird er eingelocht – und man übernimmt die Kunden.Kapiert?«

»Das kenne ich«,sagte Kern.

Marill trank sein Glas aus.»Ein rauhes Zeitalter.Der Frieden wird mit Kanonen und Bombenflugzeugen stabilisiert, die Menschlichkeit mit Konzentrationslagern und Pogromen.Wir leben in einer Umkehrung aller Werte, Kern. Der Angreifer ist heutederHüterdesFriedens,derVerprügelteundGehetzteder Störenfried der Welt. Und es gibt ganze Völkerstämme, die das glauben!«

Eine halbe Stunde später hörten sie ein dünnes, quäkendes Schreien von nebenan.

»Verdammt!«sagteMarill.»Siehabenesgeschafft!EinTscheche mehraufderWelt!Daraufwollenwireinenheben!Los,Kern!Auf das große Mysterium derWelt! Die Geburt!Wissen Sie,warum

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es ein Mysterium ist?Weil man hinterher wieder stirbt.Prost.« Die Tür ö nete sich.Der zweiteArzt kam herein.Er war blutbespritzt und schwitzte. In den Händen hielt er ein krebsrotes Etwas,das quäkte und dem er auf den Rücken patschte.

»Es lebt!« knurrte er. »Gibt’s hier irgendwas …« er gri nach einem Pack Tücher …»na,zur Not …Fräulein!«

ErübergabRuthdasKindunddieTücher.»Badenundeinwik- keln–nichtzufest–dieAltedrinnenweißBescheid,dieWirtin

– aber’raus aus demÄther,lassen Sie es im Badezimmer …« Ruth nahm das Kind. Ihre Augen schienen Kern doppelt so groß wie sonst. Der Arzt setzte sich an den Tisch. »Gibt’s hier Kognak?«

Marill goß ihm ein Glas ein. »Wie ist einem Arzt eigentlich zumute«,fragteer,»wennersieht,daßtäglichneueBombenflugzeuge und Kanonen gebaut werden,aber keine Hospitäler? Die einen sind doch nur dazu da,um die andern zu füllen.«

DerArztschauteauf.»Beschissen«,sagteer,»beschissen!Schöne Aufgabe: man flickt sie mit der größten Kunst zusammen, damit sie mit der größten Barbarei wieder in Stücke gerissen werden. Warum nicht gleich die Kinder totschlagen! Ist doch viel einfacher.«

»Mein Lieber«, erwiderte der Reichstagsabgeordnete Marill, »KindertötenistMord.ErwachsenetötenisteineAngelegenheit nationaler Ehre.«

»ImnächstenKriegwerdenauchgenugFrauenbundKinderda- beisein«,brummtederArzt.»DieCholerarottenwiraus-dabei ist das eine harmlose Krankheit gegen ein bißchen Krieg.« »Braun!« rief derArzt aus dem Nebenzimmer.»Rasch.« »Ich komme!«

»Verdammt! Scheint nicht alles glatt zu gehen«,sagte Marill.

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