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Kostspieliger Unsinn

Siegfried Lenz zur neuen Rechtschreibreform

SPIEGEL: Herr Lenz, die Sprache, in der Sie schreiben, soll sich Endern — statt „Gemse» soll künftig „Gämse», statt „rauh» «rau», statt «Stengel» «Stängel» und statt «Haß» «Hass» geschrieben werden. Wie finden Sie das?

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Lenz: Nachfragebedürftig. Erstens: Welch eine Notwendigkeit besteht

zu solchen Veränderungen? Zweitens: Wer hat ein Interesse daran?

Drittens: Wer besitzt die Legitimation, diese Veränderungen als Regel

einzuführen?

SPIEGEL: Sie halten die Rechtschreibreform für entbehrlich?

Lenz: Mehr als dies; ich halte sie für einen kostspieligen Unsinn.

SPIEGEL: Haben Sie die „Frankfurter Erklärung» als Romancier und

Autor der „Deutschstunde" unterschrieben oder als politischer

Zwischenrufer, im Namen der Demokratie?

Lenz: Als Bürger und Schriftsteller, den der wahrnehmbare Sprachverfall

nicht unbesorgt sein läßt.

SPIEGEL: Wie erklären Sie sich diesen neuen Regulierungswahn der

Deutschen — im vertraglich gesicherten Verbund mit Österreichern und

Schweizern? Kompensation für die Unfähigkeit, wichtigere Probleme der

deutschen Gesellschaft zu lösen?

Lenz: Nein, ich vermute vielmehr, es handelt sich um das Bedürfnis von

Kulturpolitikern und Lektoren, uns die Mühen differenzierten

Sprachgebrauchs zu ersparen.

SPIEGEL: Wünschen Sie sich eine andere Art von Sprachreform?

Lenz: Nein.

SPIEGEL: Warum sind die deutschen Schriftsteller so spät aufgewacht?

Lenz: Deutsche Schriftsteller haben sich bereits vor Jahr und Tag gegen

diese Rechtschreibreform geäußert — zum Beispiel 1995 in der

Tageszeitung.

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«So überflüssig wie ein Kröpf»

Hans Magnus Enzensberger zur neuen Rechtschreibreform

SPIEGEL: Herr Enzensberger, die Landessprache, in der Sie schreiben, soll sich ändern — statt «Gemse» soll künftig «Gämse», statt «rauh» «rau», statt «Stengel» «Stängel» und statt «Haß» «Hass» geschrieben werden. Wie finden Sie das?

Enzensberger: Eine Clique von selbsternannten Experten will sich wichtig machen, zwei Großverlage schnappen nach dem Monopolgewinn, und die Politik übt sich wie gewöhnlich im Etikettenschwindel. Dabei geht es überhaupt nicht um die Sprache, sondern um die Rechtschreibung, die von jeher das Steckenpferd aller Besserwisser war. SPIEGEL: Sie halten die Rechtschreibreform für entbehrlich?

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Enzensberger: Eine solche «Reform» ist natürlich so überflüssig wie ein Kröpf. Nur Zwangsneurotiker können wegen solcher Bagatellen jahrzehntelang Steuergelder in Ausschüssen und Kommissionen verdauen. Ich zitiere Ihnen einen beliebigen Satz aus Wielands «Gesprächen unter vier Augen»: «Von einer Republik, die auf die Rechte der Menschheit gegründet seyn will, und mit den großen Zauberworten, Freyheit und Gleichheit, Vernunft, Filosofie und Filanthropie, so viel Geräusch und Geklingel macht, sollte man doch wohl mit gutem Fug ein besseres Beyspiel erwarten dürfen». Wie viele «Schreib- und Kommafehler» würden die Anbeter des Dudens in diesem Satz finden, je nachdem, welche Auflage ihrer heiligen Schrift sie gerade zu Rate ziehen? Sechs? Sieben? Acht? Dabei muß man schon ein ganz besonderer Trottel sein, um nicht zu begreifen, was Wieland meint und was niemand besser ausdrücken konnte als er. Wer ist überhaupt dieser Herr Konrad Duden? Irgendein Sesselfurzer? Ich halte mich lieber an Lessing, Lichtenberg, Kleist und Kafka.

SPIEGEL: Haben Sie die «Frankfurter Erklärung» als Lyriker unterschrieben oder als politischer Zwischenrufer? Enzensberger: Ein Engländer— ich glaube, es war Shelley — hat einmal gesagt, die Schriftsteller seien die wahren Gesetzgeber der Sprache. So weit möchte ich nicht gehen, aber im Zweifelsfall würde ich einem, der schreiben kann, eher trauen als Ministerialdirigenten und Schulbuchverlegern, die oft ihrer eigenen Sprache nicht mächtig sind. SPIEGEL: Wie erklären Sie sich diesen neuen Regulierungswahn der Deutschen — im vertraglich gesicherten Verbund mit Österreichern und Schweizern? Kompensation für die Unfähigkeit, wichtigere Probleme der deutschen Gesellschaft zu lösen?

Enzensberger: Die Orthographie war in Deutschland seit dem Wilhelminismus ein reiner Amtsfetisch. Die Regierungen sollten die Finger von Dingen lassen, von denen sie nichts verstehen und für die sie nicht kompetent sind. Die sogenannten Regelwerke sind Ersatzhandlungen, mit denen die kulturpolitische Impotenz kaschiert werden soll. Es ist für das Verständnis völlig unerheblich, ob es «Stengel» heißt oder «Stängel», ob man «im Klaren» groß oder klein schreibt — es kommt vielmehr darauf an, ob jemand in der Lage ist, sich klar auszudrücken. Darum sollten sich die Pädagogen kümmern, statt eine alte Zwangsjacke durch eine neue zu ersetzen.

SPIEGEL: Wünschen Sie sich eine andere Art von Sprachreform? Enzensberger: Ich wünsche, daß mich der Staat beim Schreiben in Ruhe läßt.

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SPIEGEL: Warum sind die deutschen Schriftsteller so spät aufgewacht? Enzensberger: Ich habe nicht geschlafen. Auf jedem Manuskript, das ich an meinen Verlag sende, steht seit Jahrzehnten mit großen roten Buchstaben: „Nicht nach Duden!» Allen Lehrern der Republik würde ich raten, den Schwachsinn der neuen „amtlichen Regelung" stillschweigend zu ignorieren. Die Schulen haben Besseres zu tun. Vorschriften, die niemand beachtet, machen sich lächerlich. Sie erledigen sich von selbst. Ich kann mir nicht vorstellen, daß maßgebende Verlage wie Rowohlt, Hanser oder Suhrkamp so dumm sein werden, ihre Bücher einzustampfen. Auch die großen Zeitungen täten gut daran, sich taub zu stellen. Gegen diese Form der zivilen Sabotage ist kein Kraut gewachsen. Ich hoffe, daß der SPIEGEL dabei mit gutem Beispiel vorangeht.

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SPIEGEL Umfrage

Verheerend wären die Folgen»

Schulbuch-, Klassiker- und Belletristik- Verleger äußern sich zur Rechtschreibreform

Zwei Prägen wurden den Verlegern vorgelegt: Welche Konsequenzen hätte die Reform für Ihre Arbeit? Werden Sie den neuen Vorschriften folgen?

MICHAEL KRÜGER

Für uns hat die Rechtschreibreform leider die Konsequenz, daß wir Unsummen, die zur Entwicklung neuer Bücher dringend gebraucht werden, in Neusatz stecken mUssen, was zum Beispiel bei kommentierten Klassikerausgaben ruinös werden könnte. Folge: Verarmung des Verlagsprogramms und des Verlags.

Folgen werden wir den neuen Normen mit knirschenden Zähnen so langsam wie möglich, bei Kinderbüchern so schnell wie möglich, um nicht aus den Vorschlagslisten zu rutschen. Ich bitte um die Verhinderung der Reform! Carl Hanser Verlag

JOACHIM UNSELD

Inwieweit der jetzige, wie ich meine: keinesfalls befriedigende Ansatz zu einer Reform der deutschen Rechtschreibung überhaupt sinnvoll ist und

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somit mehrheitsfähig, kann sich nur längerfristig erweisen. Wir sind als Verlag auf einer abwartenden Position, werden uns aber nach Prüfung den Ansichten unserer Autoren anschließen.

Die Neuvorschläge haben tatsächlich sehr unterschiedliche Qualität. Es ist zu befürchten, daß — eben weil die sogenannte Reform keine überzeugende Mehrheit finden wird—durch diesen möglicherweise nicht genau durchdachten Vorschlag jetzt Tür und Tor geöffnet sind, künftig die jeweils eigene Anschauung von Rechtschreibung zur Grundlage zu nehmen, die Festschreibung also gerade im Gegenteil zu einer Liberalisierung führt, wir also auch bei diesem nicht unwichtigen Detail unserer zivilisierten Welt einer neuen Unübersichtlichkeit entgegensteuern. Frankfurter Verlagsanstalt

MICHAEL KLETT

Für den wirtschaftlich kleinen literarischen Klett-Cotta Verlag sehe ich wenig Probleme, da Autoren und Übersetzer schon immer ihre Eigenheiten, was Orthographie und Kommasetzung angeht, durchgesetzt haben. Verheerend wären die Folgen für den Schulbuchverlag. Die Reform ist bewußt oder unbewußt so subversiv angelegt worden, daß wir aus heutiger Sicht nicht eine komfortable Übergangszeit von fünf bis sieben Jahren haben, sondern die Masse unserer Produktion schon vom l. Januar 1997 an — nach jetzigen Berechnungen — in zwei bis vier Jahren umgestellt haben müssen. Es sieht so aus, daß wir auch Physik— und Erdkundebücher mit einbeziehen müssen. Unsere Verlustrechnungen wegen der wegzuwerfenden Lagerbestände belaufen sich auf Größenordnungen zwischen 25 bis 40 Millionen Mark— unglaublich, wie verantwortungslos hier mit uns umgesprungen wird, und das zu einem Zeitpunkt, wo wir dringend in neue elektronische Konzepte investieren müssen. Schulbuchverlage müssen leider der Reform folgen, denn sie sind Dienstleister der öffentlichen Hand. Verlag Kletlt-Cotta

DIETRICH BODE

Es wird für mindestens ein Jahrzehnt das orthographische Chaos herrschen, wir werden keine Rechtschreibung, sondern Rechtschreibungen haben. Wir bieten jetzt schon historische Orthographie (für Barock und 18. Jahrhundert) und « behutsam modernisierte» Orthographie bei Klassikern mit aller Rücksicht auf Autoren-Intention und kulturelles Umfeld. Bei Sachbüchern würden wir am ehesten auf die reformierte

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Orthographie umstellen, nicht freilich für präsente Titel und Auflagen und schwerlich bei Nachdrucken — plus wirtschaftlichen Gründen. Man kann ein auf Langfristigkeit angelegtes Buchlager, zumal /.ur Weltliteratur, nicht auf einen bestimmten Tennin hin ungültig machen und äußerlich erneuern. Die chaotische Situation wird vielleicht am deutlichsten bei literarischen Anthologien: Hier wird es einmal zwischen zwei Buchdeckeln ein unbegründbares orthographisches Gemisch geben, weil jeder lizenzgebende Verlag oder Rechte-Inhaber oder Autor für seinen Text seine jeweilige Orthographie gewahrt sehen will. Der Leser wird bei diesem Verwirrspiel viel Toleranz aufbringen müssen. Reclam Verlag

GOTTFRIED HONNEFELDER

Der Deutsche Klassiker Verlag hat bisher über 160000 Seiten ediert und die klassischen Texte ohnehin nicht nach den Duden-Regeln modernisiert, sondern hat weitgehend Groß— und Kleinschreibung, Lautstand und Interpunktion der jeweiligen Zeit beibehalten. So wird es auch bleiben. Wir werden der Reform so lange nicht folgen können, solange die Akzeptanz politisch nicht geklärt ist. Und wenn das der Fall ist, werden wir versuchen, in kleinstmöglicher Weise nachzugeben. Ich würde mich freuen, wenn der Widerstand so deutlich würde, daß diese Reform revidiert wird. Was jetzt als Wechselbalg entstanden ist, ist absurd. Der Berg kreißt und gebiert eine Maus. Die Maus ist eine absolute Lächerlichkeit. Deutscher Klassiker Verlag

LOTHAR MENNE

Wir sind ein Autorenverlag, kein Formularverlag, und wir veröffentlichen Bücher präzise in der Form, die unsere Autoren wünschen. Sprache ändert sich, weil Sprache lebt, aber die Veränderung von Sprache läßt sich nicht anordnen. Dekrete von Kultusministern können nicht unsere Richtschnur sein, sondern ausschließlich die lebendige Entwicklung der Sprache, der die Autoren zum Ausdruck verhelfen. Verlag Hoffmann and Campe

Задание 4. Ниже приводятся тексты интервью из еженедель­ника «Шпигель». Обратите внимание, как построены вопро­сы интервьюера, какое воздействие они оказывают на языко­вое оформление текстов, имеет ли место «стилистический уни-

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сон». В каких интервью ответы носят подготовленный харак­тер, в каких спонтанный? Как это проявляется в языковом оформлении устного варианта литературной речи? Проявля­ется ли в ответах языковая личность отвечающего?

Предлагаемые интервью посвящены разным темам. Влия­ет ли различие тематики на построение интервью или преоб­ладает стандартная структура интервью? Изложите диалоги интервью в монологической форме. В какой степени вопросы и реплики интервьюера помогли Вам сохранить содержание и смысл интервью?

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