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1) Sui generis (lat.): von eigener Art

Evolutionäre Ethik

(Wuketits, Franz M.: Kultur und Moral, 1990)

Unser Moralverhalten ist evolutiven Ursprungs, es hat sich, wie auch andere elementare Verhaltensweisen des Menschen, in langen stammesgeschichtlichen Zeiträumen entwickelt. Die Ethik, ob nun in ihrem Rahmen Normen aufgestellt werden oder bloß reflektiert wird, wie diese Normen entstanden sind und wie sie befolgt werden (oder warum sie nicht befolgt werden), muss auf die Evolution des Menschen und die dabei waltenden Prinzipien Rücksicht nehmen. Kurz, keine Ethik kann heute auf empirisch gewonnene Untersuchungsergebnisse der einzelnen Wissenschaften (von der Biologie bis zur Soziologie) verzichten. Im konkreten Fail der Soziologie gilt, dass man meistens akzeptiert, dass die Rechtfertigung von Normen von der Entstehung moralischen Verhaltens zu trennen ist, dass aber gerade zu dieser “Entstehungsfrage” ein wichtiger Beitrag zu leisten beansprucht wird. [...]

Eine Ethik, die sich überhaupt nicht um den Menschen betreffende biologische Erkenntnisse kümmert, wird ein Luftschlossgebilde bleiben, ebenso wie jede Ethik, die sich auf einen übernatürlichen Ursprung von Werten und Normen beruft (unabhängig davon, wie wirkungsvoll – im positiven wie im negativen Sinne – eine unter Berufung auf übernatürliche Prinzipien etablierte Ethik das Zusammenleben von Menschen zu regeln vermag).

Aus der Sicht des Biologen, der weiß, dass Menschen aus Fleisch und Blut bestehen [...], hat daher Simpson (1972) die Annahme, dass Ethik keine natürliche Grundlage hätte, als “konternaturalistischen Trugschluss” verworfen. [...]

Unter diesen Prämissen wird eine realistische Ethik (Kadlec 1976) gefordert, die Möglichkeiten und Grenzen des Menschen als Lebewesen berücksichtigt. Auch einige Moralphilosophen attestieren heute dem evolutionären Ansatz Bedeutung. Sofern damit keine ethischen Normen begründet bzw. gerechtfertigt werden sollen, sei eine evolutionäre Ethik als empirische, auf die Evolution gestützte Theorie der Ethik dienlich (Morscher 1986)

Altruismus als Egoismus?

(Wuketits, Franz M., Gene, Kultur und Moral, 1990)

Innerhalb einer Sozietät ist altruistisches Verhalten sowohl für die Individuen (der betreffenden Sozietät) als auch für die Sozietät selbst von Vorteil: Durch die Kooperation der Individuen ist die Gruppenstabilität einigermaßen gewährleistet, die wiederum den Individuen Vorteile bietet: denn in dem Maße, in dem das Individuum mit anderen Individuen seiner Gruppe kooperiert, wird es mit dem Schutz belohnt, den die Gruppe ihm bietet.

Es liegt auf der Hand, dass eine Gruppe, deren Individuen ausschließlich egoistisch agieren, fortgesetzt Konflikte verursachen, nicht “lebensfähig” ist; außerhalb der Gruppe jedoch werden die Überlebens-chancen des Individuums vermindert.

Allerdings ist das Argument, wonach altruistisches Verhalten sozusagen für sich existieren kann, widerlegbar. Denn der für die Gruppe förderliche Altruismus auf der Ebene der Individuen kann letztlich als Egoismus entlarvt werden: Aus seinem altruistischen Verhalten gegenüber den Gruppenangehörigen erwachsen dem Individuum wiederum Eigenvorteile (etwa, weil ihm die Gruppe, zu deren Stabilität er beiträgt, Schutz bietet).

Daher wird das Argument der Soziobiologen, dass Egoismus, d. h., dass die Sicherung des eigenen Reproduktionserfolgs, die eigentliche Triebfeder sozialen Verhaltens ist, einen hohen Plausibilitätsgrad haben.

Das Konzept der Gesamteignung jedenfalls legt nahe, dass altruistisches Verhalten von Individuen auf der Ebene der Gruppe in egoistisches Verhalten übergeht.

Neigung und Moral

(Lorenz, Konrad: Der Abbau des Menschlichen, 1983)

In unserer Zivilisation erweckt der Verstoß gegen rituelle Sitte beim unbeteiligten Beobachter eher Gelächter und Mitleid, keine Empörung. Verstöße gegen die Moral, wie die Zehn Gebote sie lehren, rufen andere Empfindungen hervor. Der Täter empfindet nicht Scham, sondern Reue, der unbeteiligte Mensch aber Empörung. Ein normaler Mensch befolgt diese Gebote aus natürlicher Neigung, wenn sein Verhalten persönliche Freunde betrifft. Einen Freund belügt und bestiehlt man nicht, man begehrt auch nicht seine Frau, und am allerwenigsten bringt man ihn um. Die Zehn Gebote verlieren ihre fundamentale Wirkung erst durch die zunehmende Anonymität der menschlichen Gesellschaft. Merkwürdigerweise spricht Immanuel Kant der natürlichen Neigung jeden Wert ab. Für Handlungen aus natürlicher Neigung kann man kein moralisches Verdienst beanspruchen, selbst wenn die Handlung durchaus altruistisch und sozial lobenswert ist. Die merkwürdige Blutlosigkeit dieser Meinung eines unserer größten Denker hat den Spott eines großen Dichters herausgefordert. Friedrich Schiller parodierte sie in der Xenie: “Gern dien ich dem Freund, doch leider tu ich’s aus Neigung, darum wurmt es mich oft, dass ich nicht tugendhaft bin. [...] Drum lerne den Freund zu verachten, um dann mit Abscheu zu tun, was die Pflicht dir gebeut.” Moralisch verdienstvoll sind für Kant nur Verhaltensweisen, die von der Voraussicht ihrer Folgen geformt sind. Die kategorische Frage Kants lautet sinngemäß: Kann ich die Maxime der eben geplanten Handlung zum Naturgesetz erheben, oder würde in diesem Fall Vernunftwidriges herauskommen? In die Sprache biologischer Soziologie übersetzt, heißt diese Frage: Ist die geplante Handlung teleonom, d. h. art- und sozietätserhaltend, oder nicht?

Maximen kritischen Managements

Die sieben wichtigsten Dimensionen der Produktethik (Aus: Management Wissen 8/1986)

Wirtschaft und Gesellschaft sind nicht voneinander unabhängige Bereiche. Der Wertewandel, der sich in der Gesellschaft vollzieht, konnte somit nicht ohne Konsequenzen bleiben. Vor allem die Folgen des stürmischen Wachstums stehen im Widerspruch zu vielen humanitären, sozialen und christlichen Grundsätzen. Die neue Moral zielt deshalb besonders auf die Wirtschaft: ihre Produkte und Produktionsweisen, ihre Methoden und Manager. Die derzeil wichtigsten Ethiken sind:

Verbraucherethik: Es genügt nicht mehr, dass Produkte “verbraucherfreundlich” sind. Sie müssen auch ”verbraucherehrlich” sein. Das hei8t: Der Hersteller darf die Unkenntnis und Hilflosigkei1 des Verbrauchers nicht ausnützen. Er muss auch über die Nachteile seines Pro- dukts aufklären. “Schummelpackungen” und “Kleingedrucktes” in Verträgen sind ebenso un- moralisch wie die Herstellung kurzlebiger Güter oder das Verschweigen von Nebenfolgen.

Dritte-Welt-Ethik: Unternehmensinteressen müssen in vielen Bereichen des internationalen Handelns stärker auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer abgestimmt werden. Die Würde der Menschen in diesen Ländern muss ebenso unangetastet bleiben wie die Würde der Menschen im eigenen Land: freiwillige Zurückhaltung gegenbüber Staaten mit diktatorischen Regimen; Vorsicht mit High-Tech- oder High-Chem-Lieferungen in niedrig entwickelte Länder; keine Ausbeutung natürlicher Ressourcen durch ausländische Gesellschaften.

Umweltethik: Die Unternehmen werden zunehmend gefordert, eigene Technologiefolgeabschätzungen vorzunehmen, um die Konsequenzen ihrer Produkte und Produktionsweisen für die Natur zu übersehen: größere Verantwortlichkeit für kleinere Eingriffe in den Naturhaushalt. Der Verbrauch von Wasser, Luft und Boden wird künftig als Kosten bilanziert. Zur betrieblichen Perspektive muss die gesamtgesellschaftliche Perspektive hinzukommen.

Gesundheitsethik: Die Verantwortung des Herstellers für seine Produkte und Produktions- weisen muss zeitlich, räumtich und sachlich ausgeweitet werden. Erheblich höhere Aufwendungen zur Untersuchung von Nebenfolgen und Synergismen 1) (bei chemischen Produkten) sind notwendig. Besonders betroffen: Chemie- und Kernkraftindustrie, Lebensmittel- und Genussmittelindustrie.

Sozialethik: Die Bewertung neuer Technologien und Produktionsweisen wird sich noch stärker an den Wirkungen auf die Zahl und die Art der Arbeitsplätze orientieren müssen. Das heißt: Die Möglichkeit der Rationalisierung wird noch stärker an die Pflicht zur Schaffung neuer Arbeitsplätze gebunden werden. Andernfalls drohen höhere Sozialabgaben, höhere außertarifliche Forderungen bei Tarifverhandlungen, Maschinensteuer.

Arbeitsethik: Die Humanisierung der Arbeitswelt muss umfassender werden. Persönlichkeitsrechte müssen mehr berücksichtigt werden. Privilegien werden nicht durch Positionen, sondern durch Leistungen gerechtfertigt. Die “Spaß”- und “Lust”-Komponente an der Arbeit wird durch die “Verdienst”-Komponente in den Hintergrund gedrängt.

Tierethik: Die Preiswürdigkeit oder Sicherheit eines Produkts darf nicht zu Lasten des Tieres gehen. Die modernen Methoden der Stallmast und der Käfighaltung von Hühnern gelten schon heute als unmoralisch. Dasselbe gilt für Tierversuche, in denen Kosmetika getestet werden. Auch der Erhaltung der Artenvielfalt in der freien Natur wird ein höherer Stellenwert beigemessen als etwa einer weiteren Industrialisierung.

1) Synergismus (griech. syn = zusammen + ergon = Werk): Zusammenwirken mehrerer sich gegenseitig verstärkender Faktoren

Das Recht künftiger Generationen

(Greinacher, Nobert)

1. Künftige Generationen haben ein Recht auf Leben.

2. Künftige Generationen haben ein Recht auf nicht manipuliertes, das heißt nicht durch den Menschen künstlich verändertes menschliches Erbgut.

3. Künftige Generationen haben ein Recht auf eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt, damit auf Leben in einer reichen Natur und auf Wahrung vielfältiger genetischer Resourcen.

4. Künftige Generationen haben ein Recht auf gesunde Luft, aut eine intakte Ozonschicht und auf hinreichenden Wärmeaustausch zwischen Erde und Weltraum.

5. Künftige Generationen haben ein Recht auf gesunde und hinreichende Gewässer, besonders auf gesundes und hinreichendes Trinkwasser.

6. Künftige Generationen haben ein Recht auf einen gesunden und fruchtbaren Boden und auf einen gesunden Wald.

7. Künftige Generationen haben ein Recht auf erhebliche Vorräte an nicht oder nur sehr langsam erneuerbaren Rohstoffen und Energieträgern.

8. Künftige Generationen haben das Recht, keine Erzeugnisse und Abfälle früherer Genera- tionen vorfinden zu müssen, welche ihre Gesundheit bedrohen oder einen übermäßigen Be- wachungs- und Bewirtschaftungsaufwand erfordern.

9. Künftige Generationen haben ein Recht auf kulturelle Erbschaft, das heißt auf Begegnung mit der von früheren Generationen geschaffenen Kultur.

10. Künftige Generationen haben allgemein ein Recht auf physische Lebensbedingungen, die ihnen eine menschenwürdige Existenz erlauben, insbesondere haben sie ein Recht, keine von ihren Vorfahren bewusst herbeigeführten physischen Gegebenheiten hinnehmen zu müssen, die ihre individuelle und gesellschaftliche Selbstbestimmung in kultureller, wirtschaftlicher, politischer oder sozialer Hinsicht übermäßig einschränken.

Das Gerechtigkeitsprinzip

Topitsch, Ernst – Salamun, Kurt: Ideologie, 1972)

“Alle Menschen sollen gleich behandelt werden.” So gehaltvoll und suggestiv diese Forderung aus dem Munde manches Politikers oder Ideologen auch klingen mag, sie stellt sich nur allzu oft als gehaltsleer und nichtssagend heraus, wenn man genauer danach fragt, wie dieses Postulat in die Wirklichkeit umzusetzen ist. Denn es werden in Verbindung damit zumeist keine näheren Angaben darüber gemacht, in Hinblick worauf man alle Menschen gleich behandeln solle bzw. welche Unterschiede zwischen ihnen bei der Gewährung von Rechten und der Auferlegung von Pflichten zu berücksichtigen und welche nicht zu berücksichtigen seien. Da man Frauen nicht in jeder Hinsicht wie Männer, Kranke nicht wie Gesunde, Schwachsinnige nicht in jeder Hinsicht wie Normale behandeln kann, weist schon darauf hin, dass man nicht alle Menschen in jeder Beziehung gleich behandeln kann. Werden daher in den verschiedenen Zu-sammenhängen keine näheren Bestimmungen des Gleichheitsprinzips mitgegeben, bleibt dieses Prinzip ein Leerschema, aus dem in konkreten Entscheidungssituationen keine brauchbaren Entscheidungshilfen und Verhaltensdirektiven ableitbar sind, weil man daraus, wenn man will, alles ableiten kann. Dieses Schema ist vielmehr auf Grund seiner Unbestimmtheit willkürlich manipulierbar und geeignet, als Rechtfertigungsinstrument für alle möglichen Standpunkte, ja sogar für gegensätzliche soziale und politische Zielsetzungen zu dienen.

Das gleiche gilt, wie H. Kelsen und A. Ross gezeigt haben, noch für eine ganze Reihe anderer Gerechtigkeitspostulate, die zum Standardwortschatz von Ideologen und politischen Propagandisten gehören. So bleibt z. B. der Grundsatz, dass man Gutes mit Gutem und Böses mit Bösem vergelten solle, so lange relativ leer und nichtssagend, als nicht näher angegeben wird, was man unter »gut« bzw. »böse« verstehen will, denn bekanntlich herrschten bei verschiedenen Völkern und zu verschiedenen Zeiten recht unterschiedliche Auffassungen darüber, welche Handlungen als “gut” und welche als “böse” zu gelten haben.

Auch die Gerechtigkeitsformeln “Jedem nach seinen Fähigkeiten”, “Jedem das Seine” oder “Jedem nach seinen Leistungen” bleiben so lange leere Phrasen, als keine operationalen Ma8stäbe angegeben werden, nach denen die jeweiligen Fähigkeiten oder Leistungen gemessen werden können.Solange unbeantwortet bleibt, was jedermann als “das Seine” zu betrachten habe, bleibt die Formel “Jedem das Seine” eine Leerformel, die “zur Rechtfertigung jeder beliebigen Gesellschaftsordnung dienen kann, mag es sich um eine kapitalistische oder sozialistische, eine demokratische oder autokratische Ordnung handeln. Nach allen diesen Ordnungen wird jedem das Seine gewährt, nur dass eben das Seine nach jeder Ordnung verschieden ist.” (Kelsen)

Wir wissen, aber wollen nicht

(Hemminger, Wolfgang: Die Rückkehr der Zauberer, 1990)

Sicher wissen wir manchmal zuwenig, und sicherlich kann das “systematische Denken” wis- senschaftliche Fortschritte bringen. Aber allgemein gesprochen wissen wir bei weitem genug, um viele Probleme wirksam angehen zu können. Die Strukturen des Welthandels bleiben doch nicht deswegen zum Schaden der rohstoffproduzierenden Entwicklungsländer unverändert, weil wir nicht wissen würden, wie die Sache läuft. Änderungen sind nicht durchsetzbar, sie scheitern an der Machtfrage, nicht an der Erkenntnisfrage. Und dasselbe gilt für alle möglichen Umweltschutzmaßnahmen. [...] Die Hindernisse liegen im Bereich konkurrierender Werte nicht im Bereich mangelhaften Wissens. Solange Millionen von Autofahrern ihrer Reise- und Rasefähigkeit einen hohen Wert beimessen und nicht bereit sind, Einschränkungen zu dulden, wirkt sich der alternative Wert der Gesundheit von Mensch und Natur nur sehr eingeschränkt auf die Politik aus. Ich gehe so weit zu behaupten: Würde die Menschheit alle diejenigen Maßnahmen verwirklichen, die nach heutiger Kenntnis GIück, Gesundheit und Frieden in der Welt fördern, dann würde die Erde in wenigen Jahrzehnten von Pol zu Pol zum Garten des Wohlstands und der Gerechtigkeit werden. Noch mehr: Wenn auch nur verwirklicht würde, was Philosophie und Wissenschaft vor hundert Jahren zu sagen hatten, wenn zehn oder zwanzig Forderungen konsequent erfüllt würden, wäre unsere Erde nicht wiederzuerkennen.

Der Mensch ist Freiheit

(Sartre, Jean-Paul: Der Existenzialismus ist ein Humanismus 1994)

Dostojewski schrieb: “Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt,” Das ist der Ausgangspunkt des Existenzialismus. In der Tat ist alles erlaubt, wenn Gott nicht existiert, und folglich ist der Mensch verlassen, denn er findet weder in sich noch außer sich einen Halt. Zunächst einmal findet er keine Entschuldigungen. Wenn tatsächlich die Existenz dem Wesen vorausgeht, ist nichts durch Verweis auf eine gegebene und unwandelbare menschliche Natur erklärbar; anders gesagt, es gibt keinen Determinismus, der Mensch ist frei, der Mensch ist die Freiheit, Wenn zum anderen Gott nicht existiert, haben wir keine Werte oder Anweisungen vor uns, die unser Verhalten rechtfertigen könnten. So finden wir weder hinter noch vor uns im Lichtreich der Werte Rechtfertigungen oder Entschuldigungen. Wir sind allein, ohne Entschuldigungen. Das möchte ich mit den Worten ausdrücken: der Mensch ist dazu verurteilt, frei zu sein. Verurteilt, weil er sich nicht selbst erschaffen hat, und dennoch frei, weil er, einmal in die Welt geworfen, für all das verantwortlich ist, was er tut. Der Existenzialist glaubt nicht an die Macht der Leidenschaft. Er wird nie meinen, eine schöne Leidenschaft sei eine alles mitreißende Flut, die den Menschen schicksalhaft zu bestimmten Taten zwingt und daher eine Entschuldigung ist. Er meint, der Mensch ist für seine Leidenschaft verantwortlich.

Der Mythos von Sisyphos

(Camus, Albert: Der Mythos von Sisyphos, 1971)

Die Götter hatten Sisyphos dazu verurteilt, unablässig einen Felsblock einen Berg hinaufzuwälzen, von dessen Gipfel der Stein von selbst wieder hinunterrollte. Sie hatten mit einiger Berechtigung bedacht, dass es keine fürchterlichere Strafe gibt als eine unnütze und aussichtslose Arbeit. [...] Dieser Mythos ist tragisch, weil sein Held bewusst ist. Worin bestünde tatsächlich seine Strafe, wenn ihm bei jedem Schritt die Hoftnung auf Erfolg neue Kraft gäbe? Heutzutage arbeitet der Werktätige sein Leben lang unter gleichen Bedingungen, und sein Schicksal ist genauso absurd. Tragisch ist es aber nur in den wenigen Augenblicken, in denen der Arbeiter bewusst wird. Sisyphos, der ohnmächtige und rebellische Prolet der Götter, kennt das ganze Ausmaß seiner unseligen Lage: über sie denkt er während des Abstiegs nach. Das Wissen, das seine eigentliche Qual bewirken sollte, vollendet gleichzeitig seinen Sieg. Es gibt kein Schicksal, das durch Verachtung nicht überwunden werden kann. […] Es macht aus dem Schicksal eine menschliche Angelegenheit, die unter Menschen geregelt werden muss. Darin besteht die ganze verschwiegene Freude des,Sisyphos. Sein Schicksal gehört ihm. Sein Fels ist seine Sache. […] Der Kampf gegen Gipfel vermag ein Menschenherz auszufüllen. Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Gleichheit für Tiere

Singer, Peter: Praktische Ethik 1984)

Normale erwachsene Menschen haben geistige Fähigkeiten, derentwegen sie unter gewissen Umständen mehr leiden als Tiere unter denselben Umständen. Würden wir etwa beschließen, äußerst schmerzhafte oder tödliche wissenschaftliche Experimente an normalen erwachsenen Menschen durchzuführen, die man – wie es der Zufall will – aus öffentlichen Parks zu diesem Zweck entführt, so würden die Erwachsenen, die einen Park betreten, sich vor einer Entführung zu fürchten beginnen. Der daraus resultierende Schrecken wäre eine Form von Leiden, die zu den Schmerzen des Experiments hinzukäme. Dieselben Experimente würden aber bei nichtmenschlichen Lebewesen weniger Qual verursachen, weil die Tiere nicht im voraus befürchten würden, entführt und zu Experimenten mißbraucht zu werden. Das bedeutet natürlich nicht, dass es richtig wäre, diese Experimente an Tieren durchzuführen, sondern nur, dass es einen nicht speziesistischen Grund gibt, dafür eher Tiere als normale erwachsene Menschen zu verwenden, wenn die Experimente überhaupt durchgeführt werden müssen. Man sollte allerdings festhaIten, dass dieses selbe Argument uns auch Gründe dafür gibt, Kleinkinder – vielleicht Waisen – oder geistig behinderte Kinder eher zu verwenden als Erwachsene, weil Kleinkinder und geistig behinderte Kinder ebenfalls keine Vorstellung davon hätten, was mit ihnen geschehen wird. Was dieses Argument betrifft, so gehören nichtmenschliche Lebewesen, Kleinkinder und geistig behinderte Kinder zur selben Kategorie; und wenn wir uns dieses Arguments bedienen, um Experimente an nichtmenschlichen Lebewesen zu rechtfertigen, so müssen wir uns selbst fragen, ob wir bereit sind, Experimente an Kleinkindern und geistig behinderten Kindern zuzulassen. Wenn wir einen Unterschied zwischen Tieren und diesen Menschen machen, so geschieht das wohl deshalb, weil wir die Angehörigen unserer eigenen Spezies in rnoralisch unvertretbarer Weise bevorzugen.

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