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Stil. Syntax Nach Bernhard Sowinski.doc
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Satzgefüge

Damit gelangen wir zum zweiten Typ der langen Sätze, zu den Satzgefügen, den syntaktischen Gebilden aus unabhängigen Hauptsätzen und abhängigen Gliedsätzen. Unser letztes Beispiel erinnert daran, daß bestimmte komplexe Satzaussagen, besonders bei längeren Informationen, nicht ohne Auflösung in Gliedsätze auskommen. Durch eine solche Umwandlung bestimmter Satzglieder in Gliedsätze wächst der Satz zwar im Umfang, gewinnt aber meistens an Übersichtlichkeit, wenn die Zahl und Form der Gliedsätze nicht zu groß wird. Manche Autoren bilden mit Vorliebe lange Satzgefüge, um die Komplexität bestimmter Sachverhalte möglichst angemessen, d.h. unter Angabe der verschiedenster Umstände und Beziehungen, auszudrücken. Die Form des Satzgefüges ermöglicht es jedoch auch, gegebene Aussagen durch Einflechtung weniger wichtigir Gliedsätze zu verzögern oder einzuschränken. Die Variationsmöglichkeiten, auf die wir im einzelnen noch zurückkommen (vgl. S. 143 ff.), können auf diese Weise je nach der Art der Satzgefüge unterschiedliche Stilwirkungen zeitigen. Die bessere syntaktische Gliederung kommt nicht nur dem Verständnis zugute, sie bietet auch bessere Mögllichkeiten zu rhythmischer Gliederung und rhetorischer Spannungssteigerung. Während der erweiterte einfache Satz keine strukturelle Pausengliederung kennt und nur vom verstehenden Sprecher nach den inhaltlich-logischen Einheiten angemessen vorgetragen werden kann, besitzt das Satzgefüge klar erkennbare strukturelle Zäsuren in den Gliedsätzen, die dem lesenden Sprecher das Aufnehmen erleichtern und dem Redenden eine abgewogene Stimmführung ermöglichen. Überschaubare Satzgefüge eignen sich daher besser zum mündlichen Vortrag als wenig gegliederte lange Sätze.

Satzgefüge werden in vorbereiteten wie unvorbereiteten Reden bevorzugt, ebenso wie in allen dichterischen Texten, soweit sie sich nicht auf kürzere einfache Sätze beschränken. Selbst im Drama erweist sich die Verwendung überschaubarer Satzgefüge neben kurzen Sätzen, vorwiegend in den Dialogen, als sinnvoll, weil der Vortrag der rhythmischen Gliederung und sprachmelodischen Variation bedarf. Allerdings verbietet hier die Notwendigkeit leichten Verstehens zumeist Erweiterungen zu langen Sätzen. Um so häufiger finden sie sich dafür in der dichterischen und wissenschaftlichen Prosa. Heinrich von Kleists Sätze z.B. sind dafür bekannt, daß sie die verbale Satzspannung durch mehrere Gliedsatzeinschübe über bestimmte Umstände, die das Geschehen determinieren, bis zum äußersten steigern und durch diese Form des Retardierens zugleich die inhaltliche Spannung erhöhen:

Kohlhaas, dem sich, als er die Treppe vom Schloß niederstieg, die alte von der Gicht geplagte Haushälterin, die dem Junker die Wirtschaft führte, zu Füßen warf, fragte sie, indem er auf der Stufe stehenblieb, wo der Junker Wenzel von Tronka sei; und da sie ihm mit schwacher zitternder Stimme zur Antwort gab, sie glaube, er habe sich in die Kapelle geflüchtet, so rief er zwei Knechte mit Fackeln, ließ in Ermangelung der Schlüssel den Eingang mit Brechstangen und Beilen eröffnen, kehrte Altäre und Bänke um und fand gleichwohl zu seinem grimmigen Schmerz den Junker nicht. (Kleist, »Michael Kohlhaas«)

Während Kleist in seinem Satzgefüge die Verbindung von Informationsfülle und dramatisch-situativer Spannung liebt, bevorzugt Thomas Mann die kommentierende, differenzierende oder auch ironisch aufhebende Erweiterung bestimmter Anfangsaussagen, Wir wählen ein verhältnismäßig einfach strukturiertes Beispiel dieser Satzgestaltung:

Die muntere Großtante hatte den Tischgenossen, also den Vettern, der Lehrerin und Frau Stöhr, ein Abschiedssouper im Restaurant gegeben, eine Schmauserei mit Kaviar, Champagner und Likören, bei der Joachim sich sehr still verhalten, ja, nur einzelnes mit fast tonloser Stimme gesprochen hatte, so daß die Großtante in ihrer Menschenfreundlichkeit ihm Mut zugesprochen und ihn dabei, unter Ausschaltung zivilisierter Sittengesetze, sogar geduzt hatte. (Th. Mann, »Zauberberg«)

Auch manche Autoren der Gegenwart greifen auf längere Satzgefüge zurück, ohne jedoch die stilistischen Traditionen Kleists oder Thomas Manns fortzusetzen. Das längere Satzgefüge bildet oft nur noch eine Art von Stauung im Strom der kürzeren Sätze, häufig auch eine Kumulation mit Aufreihungen verschiedener Art.

Robert wollte nicht zum Flugplatz, aber Riebenlamm hatte ihn gefragt, ob er nun zu allem noch feige sein wolle, und da hatte Robert zum erstenmal gemerkt, daß er nicht nur von Trullesand durchschaut worden war, und er war in den Bus gestiegen und hatte erwartet, daß es ihm gehen werde wie Hagen, der Siegfried erschlagen und dem aufgebahrten Toten die Wunde wieder bluten machte durch seine bloße Gegenwart: »dộ kom der künic Gunthệr dar mit sînem man, und auch der grimme Hagene: dar waere bezzer verlân.« (H. Kant, »Die Aula«)

Scheint das längere Satzgefüge auch der Dichtung (bis auf wenige Autoren) zurückzutreten, so wahrt es in zahlreichen politischen, philosophischen und wissenschaftlichen Texten weiterhin seinen Platz. Die Möglichkeit zum Ausdruck bestimmter gedanklicher Beziehungen, die das Satzgefüge bietet, machen es für wissenschaftliche Darlegungen besonders geeignet. Die Grenzen, die Verständnis-fähigkeit und Überschaubarkeit dem Satz setzen, werden dabei von den einzelnen Autoren recht unterschiedlich beachtet. Insofern zeigt der funktionale Stil wissen-schaftlich-theoretischer Texte auch gewisse Ausprägungen von Personalstil.

In der didaktischen Stilistik wird häufig vor dem Gebrauch längerer Satzgefüge gewarnt.23 Die Gründe für diese Scheu sind historischer wie empirisch-didaktischer Natur. Längere Satzgefüge tauchen erst im 16.Jh. in verstärktem Maße in deutschen Texten auf24, vermutlich unter dem Einfluß des Lateinischen, dessen komplizierte Partizipialkonsruktionen insbesondere von den Humanisten nachgeahmt wurden. Während im Mittelhochdeutschen und Frühneuhochdeutschen vorwiegend parataktische vor- und nachgestellte Nebensätze (meistens ohne Umstellung des Verbs) üblich sind, seltener eingeschobene Nebensätze25, begegnen nun immer häufiger hypotaktische Satzstrukturen mit Nebensätzen verschiedenster Art in verschiedenen Stellungen sowie mit der Endstellung des Verbs im Nebensatz. Die im Mittelhochdeutschen gewahrte Freiheit der Satzgliedstellung weicht dabei mehr und mehr einer Logisierung des Satzbaus.

Die Blütezeit der weitgespannten Satzgefüge, die nach dem griechischen Vorbild als »Perioden« (aus gr. períodos = Um-Weg, Umwendung) genannt werden, ist im 17. Jh. und frühen 18. Jh. zu sehen. Muster und Regelbeispiele für Variationen dieses Satzbaus lieferte die antike Rhetorik mit ihrer Differenzierung zwischen einem ordo naturalis, der »durchschnittlich sprachüblichen Abfolge der Satzteile im Satz«, und einem ordo artificialis, der »nicht sprachüblichen Abfolge der Satzteile«26, wenn auch der auf besondere Aufmerksamkeit mit Hilfe sprachlicher »Verfremdungen« zielende »ordo artificialis« nicht ohne weiteres mit dem Periodenbau antiker wie neuzeitlicher Autoren gleichgesetzt werden kann.

Während die Rhetoriklehrbücher des frühen 18. Jhs. den langen Satz noch uneingeschränkt verteidigen, setzt im späten 18. Jh. bereits eine Gegenbewegung ein. Sowohl Th. G. von Hippel (1741-1796) als auch J. G. Herder (1744-1803) wenden sich gegen die zwar rhetoriscn formvollendeten, aber oft inhaltsschwächeren Satzgefüge, deren Vorbild in den im Lateinunterricht eingeübten Perioden Ciceros gesehen wird. Die von den Verfechtern des längeren Satzgefüges betonte Angemessenheit der syntaktischen Periode gegenüber der Folge und Komplexität der Gedanken27 weist Herder mit folgenden Worten zurück: »In demjenigen Stil aber, der nur vom Gedanken beherrscht wird, kann die allzu complicierte und gelehrte Perioden-Lagerung, der auch auf der gegenwärtigen Stufe der deutschen Sprache viel organisch Hinderliches entgegensteht, fortan kein gültiger Schematismus mehr sein, eben weil sie nichts ist als ein Schematismus.«28

Herder bringt noch ein anderes Argument gegen diese Satzform vor, das auch von anderen Gegnern des Periodensatzes wiederholt wurde: die Andersartigkeit des deutschen Satzes gegenüber dem Satzbau anderer Sprachen. Sie zeigt sich besonders in der Behandlung der Partizipialkonstruktionen und der verkürzten Nebensätze, die im Deutschen weniger häufig und wesentlich umständlicher realisiert werden als beispielsweise im Lateinischen, Französischen, Englischen oder Russischen. Die Versuche deutscher Autoren, informationsreiche Sätze dieser Sprachen in deutschen Perioden nachzubilden, müssen deshalb langatmig und schwerfällig wirken. Wenn nun gar vom Lateinunterricht her der Ehrgeiz bestehe, die Sätze Ciceros nachzuahmen, dessen Stil Theodor Mundt (1808-1861), ein Kritiker der »Periode« im 19. Jh., sogar als einen »Stil der Gesinnungslosigkeit« bezeichnete, als eine »Zungendrescherei der langen und atemlosen Perioden, die aufgeblasene Eitelkeit der Rednerbühne«29, so bedeute dies von vornherein die Gefahr der Schwerfälligkeit, Unübersichtlichkeit und eher nur äußerlichen Satzbauordnung.

Während Herder eine Rückführung der Sätze auf die Grenzen des akustisch und visuell Erfaßbaren sowie einen inhaltlich geprägten Wechsel längerer und kürzerer Sätze empfiehlt und Th. Mundt eine Nachahmung des bewegteren taciteischen Stils mit seinen Ellipsen, Anakoluthen und anderen der mündlichen Sprache nahestehenden Elementen fordert, sehen neuere Stilisten, wie schon erwähnt, in der Meidung der Perioden und der Bevorzugung des kurzen Satzes ein stilistisches Heilmittel. Die Bildung umständlicher Satzgefüge ist im 20. Jh. wohl deshalb zurückgegangen, weil die Teilnahme weiterer Volksschichten (ohne lateinische Stilschulung) an der Schrift- und Lesekultur eine stärkere Einwirkung mündlicher Redestrukturen auf die Schriftsprache begünstigte, und zum anderen, weil geänderte Stilideale in der Dichtersprache seit dem 18. Jh. einen natürlichen Sprachstil bevorzugten. Die nunmehr weniger geläufige Periodenbildung konnte so für darin wenig Geübte zur sprachlichen Falle werden, indem sie leicht zu verunglückten Saizbildungen führte. Die Warnung der neueren didaktischen Stilistik vor längeren Satzgefügen erwächst sowohl aus der Auffassung vom »undeutschen« Charakter der Satzperioden als auch aus der Erfahrung häufigen sprachlichen Versagens; sie verkennt dabei jedoch leicht, daß sich diese Form des langen Satzes in jahrhundertelanger schriftsprachlicher Tradition innerhalb der deutschen Sprache einen Platz als vorzügliches Stilmittel gesichert hat, das bei richtiger Handhabung besondere kommunikative und stilistische Aufgaben erfüllen kann und in der künstlerischen wie wissenschaftlichen Literatur auch erfüllt. Wir werden auf die Bildungsweise solcher Satzgefüge noch gesondert zurückkommen (vgl. S. 147ff.).

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