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Stil. Syntax Nach Bernhard Sowinski.doc
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Die Wortstellung im Satz als stilistisches Mittel

Die deutsche Sprache gehört zu den Sprachen, die die einzelnen Fälle (Kasus) der Substantive durch Artikel und Deklinationsendungen noch verhältnismäßig klar unterscheiden. Die syntaktische Funktion der Substantive im Satz braucht daher nicht durch eine feste Wortstellung angezeigt zu werden, wie dies beispielsweise im Englischen erforderlich ist. Die deutsche Sprache verfügt somit über gewisse Freiheiten in der Wortstellung, genauer in der Satzgliedfolge, die als stilistische Varianten zur zur Modifizierung bestimmter Ausdrucksabsichten genutzt werden können. Zwar gibt es auch im Deutschen bestimmte Grundregeln der Wortstellung, die von der Grammatikforschung ermittelt werden, doch können sie durch eine Reihe von fakultativen Variationsmöglichkeiten durchkreuzt werden. Die Wortstellung ist daher ein Bereich, der Grammatik wie Stilistik in gleichem Maße angeht.34

Als wichtigstes Kriterium hat die Stellung des finiten Verbs im Satz zu gelten. Nach der Verbstellung lassen sich die Satzarten differenzieren, und zwar steht in der Regel das finite (flektierte) Verb im Aussagesatz und bei Ergänzungsfragen an zweiter Stelle, im imperativischen Aufforderungssatz, irrealen Wunschsatz, Konditional- und Konzessivsatz ohne Einleitewort und in selbständigen Entscheidungsfragen an erster Stelle und im Nebensatz (Gliedsatz) an letzter Stelle:

Der Wind weht durch die Wälder. – Durch die Wälder weht der Wind.

Gib mir das Buch! – Sahst du ihn dort? – Käme er doch endlich! Er kam heute nicht, weil er krank war. – Er ist es, den ich dort gesehen habe.

Allerdings können diese Grundregeln in der mündlichen Rede durch die Intonation überspielt werden. So kann ein Aussagesatz durch verstärkte Betonung in der Anrede zum Imperativsatz (Sie gehen jetzt!), durch verstärkte Betonung (Tonerhöhung) des Satzschlusses zum Fragesatz werden (Sie sind jetzt angekommen?).

Die Endstellung des finiten Verbs im Gliedsatz gilt nicht im irrealen Vergleichssatz mit »als« (Er tat so, als hätte er nichts gewußt), in konditionalen und konzessiven Nebensätzen ohne Einleitungswort (Pfeift der Wind, so weint das Kind) sowie in manchen älteren Gliedsatzformen (... welche sind seine Zeugen an das Volk [Luther]), da das Mittelhochdeutsche (vor 1500) keine Endstellung des Verbs im Nebensatz kannte.36

Selbst die »Zweitstellung« des finiten Verbs im Aussagesatz gilt nicht uneingeschränkt. Zunächst ist dabei zu beachten, daß mit der Zweitstellung die Stellung des Verbs als primäres, d.h. unabhängiges Satzglied gemeint ist. Den »primären« Satzgliedern stehen die von ihnen abhängigen sekundären Satzglieder gegenüber. Zwischen dem ersten »primären« Satzglied und dem zweiten »primären« Satzglied, dem finiten Verb, können weitere, »sekundäre« Satzglieder eingefügt werden, so daß das finite Verb erst recht spät im Satz erscheint, wie das folgende Beispiel zeigt:

Eine der Hauptursachen für die Unklarheiten gewisser kunstsoziologischer Betrachtungen und für ihre Verdünnung zur bloßer Sozialphilosophie oder gar Pseudosoziologie liegt im Übersetzen der ersten Regel...(A. Silbermann, »Kunstsoziologie«)

Da die meisten Satzglieder auch durch Gliedsätze ersetzbar sind, kann als erstes Glied vor dem Hauptverb ein Gliedsatz stehen:

Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert.

Selbst Erweiterungen durch zusätzliche Gliedsätze anstelle von Attributen zu einem Substantiv der Satzeinleitung sind möglich:

Trotz der im Verlauf der Geschichte der Künste immer wieder auftretenden Versuche, entemotionalisierte Kunst zu produzieren und zu propagieren, steht im Vordergrund die Auffassung... (A. Silbermann, »Kunstsoziologie«)

Zu große Erweiterungen des Satzbeginns können allerdings die Übersichtlichkeit der Sätze gefährden. Sprachökonomische Tendenzen zur Konzentration von Informationen auf den Satzanfang, wie sie in der Wirtschafts- und Wissenschaftssprache der Gegenwart zu beobachten sind, geraten hier in Konflikt mit den kommunikativen Erfordernissen der Überschaubarkeit und Verständlichkeit. Bei der Zweitstellung des finiten Verbs dürfen einige satzeinleitende Konjunktionen, selbst wenn sie unmittelbar sind, sowie bestimmte satzeinleitende temporale Adverbien nicht mitgezählt werden:

Denn er war unser... (Goethe)

Doch nun taumele ich zurück (Remarque): doch taumele ich nun zurück

Schließlich sind die Aussagesätze zu erwähnen, die – älterem Sprachgebrauch entsprechend – unmittelbar mit dem Verb beginnen. Es handelt sich dabei um Beispiele aus älteren Dichtungen wie um mündliche Redeformen ländlicher Umgangssprache (bzw. ihre literarischen Spiegelungen):

Zogen einst fünf wilde Schwäne ... (Volkslied)

Ein tritt Gorm Grymme. (Th. Fontane, »Gorm Grymme«)

»Gib dem Jungen Eier«, bestimmte der Großvater. »Er scharwerkt wie ein Alter, muß er auch essen, was ihm schmeckt.« (E. Strittmatter, »Tinko«)36

Die meisten Variationen der Satzgliedstellung weisen Aussagesätze auf. Hierbei kommt es vor allem darauf an, wie die Satzeinleitung vor dem finiten Verb und die Stellen nach dem finiten Verb besetzt und auf welche Weise verbale Klammern gebildet werden.

Die fast allgemeingültige Festlegung des finiten Verbs auf die zweite Satzgliedstelle ermöglicht es fast allen anderen »primären« Satzgliedern, die Anfangsstelle zu besetzen. Die traditionelle Satzlehre geht zwar (wie neuerdings wieder die generativ-transformationelle Satzlehre) davon aus, daß der Normalsatz die Reihenfolge Subjekt-Prädikat besitzt, doch zeigen statistische Untersuchungen über die Satzanfänge, daß ein großer Teil der Sätze (rd. 30-50%)37 eine andere Satzeinleitung aufweist. Die Wahl des satzeinleitenden Satzglieds ist nicht dem Zufall überlassen, sondern folgt – wie E. Drach gezeigt hat38 – bestimmten stilistischen Erfordernissen, zumeist denkbedingten. Ausdrucksabsichten. Drach stellte fest, daß das Vorfeld vor dem finiten Verb, soweit es nicht den Zusammenhang mit dem vorhergehenden Satz durch Konjunktionen, Pronomina u.ä. herstellt und so als Anschlußstelle fungiert oder in der »Normalstellung« (Nullstellung)39 vom Subjekt besetzt ist., häufig durch emotional stärker hervorgehobene Wörter gefüllt wird (expressive Wortstellung). Er nannte das »Vorfeld« daher die Ausdrucksstelle des Satzes, die Satzgegend nach dem finiten Verb, die häufig neue Informationen oder besonders Bemerkenswertes enthält, dagegen die Eindrucksstelle. Die Füllung der »Ausdrucksstelle« würde demnach stärker das Gefühl ansprechen, die der »Eindrucksstelle« stärker Vernunft und Gedächtnis. Derartige Faustregeln gelten zwar nicht allgemein, man sollte sich jedoch daran erinnern, wenn man auf ungewöhnliche Wortstellungen stößt. Je ungewöhnlicher die Vorfeldfüllung ist, desto nachdrücklicher ist der »Ausdruckswert« des hier Gesagten. Besonders lyrische Autoren nutzen diese Variationsmöglichkeiten. Dafür einige Beispiele unterschiedlicher Vorfeldfüllung:

Konjunktion: Dann säubert sie den Rahmen von den Resten. (Ch. Morgenstern)

Subjekt: Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt. (I. Bachmann) Adverb: Unsterblich duften die Linden ... (I. Seidel)

Umstandsbestimmung: Ans Haff nun fliegt die Möwe.. (Th. Storm)

Objekt: Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus... (Schiller)

Verbergänzung: Gefunden hab ich, was ich suchte... (Novalis)

Verb: Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt er.. . (C. F. Meyer)

Die Beispiele lassen, so scheint es uns, eine emotionale Steigerung in den Satzanfängen sichtbar werden. Häufig wird allerdings das Ungewöhnliche solcher Satzeinleitungen erst durch den Kontext oder den Vergleich mit eigenen Formulierungen des Betrachters (Umstellproben) bemerkt.

Ist das »Vorfeld« durch ein anderes Satzglied besetzt, so erscheint das Subjekt gewöhnlich unmittelbar nach dem finiten Verb (Inversion). Bei einfachen Sätzen rückt das Subjekt somit in die Endstellung und gewinnt einen neuen »Eindruckswert«. Eine Endstellung des Subjekts tritt ein, wenn dann die Stelle nach dem finiten Verb durch ein akkusativisches Personalpronomen oder ein Reflexivpronomen besetzt ist bzw. werden kann:

Gelegentlich finden sich auch hier andere Formen.

Morgen sieht ihn schon die ganze Welt.

Der Eindruckswert des Subjekts wird bei unerwarteter, nicht obligatorischer Endstellung besonders erhöht, da hier die gesamte Aussage auf das Subjekt hin gespannt ist:

... und über mein Haupt, wie himmlischer Segen, goß seine

süßesten Lyraklänge Phöbus Apollo. (Heine, »Die Harzreise«)

Wohl keimt aus jungen Reben uns heilige Kraft;

In milder Luft begegnet den Sterblichen,

Und wenn sie still im Hause wandeln,

Heiternd ein Gott;.. . (Hölderlin, »Der Zeitgeist«)

Gelegentlich verbinden sich bei Hölderlin Endstellung und Anfangsstellung des Subjekts zur Form des Chiasmus:

Hoch auf strebte mein Geist, aber die Liebe zog

bald ihn nieder;... (»Lebenslauf«)

Die Gliederung des Nachfeldes ist zunächst von der Zahl der postverbalen Glieder abhängig. Für deren Reihenfolge hat sich die Regel ausgebildet, daß sich die Glieder mit zunehmendem Mitteilungswert vom finiten Verb entfernen. Dies trifft insbesondere für die Objekte und adverbialen Angaben zu. Das Satzglied mit dem höchsten Mitteilungswert steht steht deshalb meistens am Ende des Satzes, bei einem klammerschließenden Verbteil vor diesem. Das erklärt, weshalb häufig Akkusativobjekte oder lokale Angaben am Schluß des Satzes erscheinen:

Gestern nachmittag pflanzte der Gärtner in unserem Garten endlich die langerwarteten Sträucher. (Duden-Grammatik, S. 638)

Doch sind gerade innerhalb der adverbialen Angaben Umstellungen aus stilistischen Gründen leicht möglich:

Gestern nachmittag pflanzte der Gärtner endlich die langerwarteten Sträucher in unserem Gärten.

In unserem Garten pflanzte der Gärtner gestern endlich die langerwarteten Sträucher.

Freie Umstandsangaben, die nicht wie die Objekte an ein Verb gebun­den sind, vielmehr zusätzliche Informationen über Zeit, Ort, Art und Weise eines Geschehens bieten, können ihre Stellung fast beliebig wechseln, wobei der größere Eindruckswert vor allem an den Anfang oder den Schluß gebun­den bleibt.

Ähnlich variabel ist die Stellung der Satzadverbien (Modalwörter) und stellungsfreien Konjunktionen im Satz, z.B. vielleicht, wohl, durchaus, frei­lich, praktisch, auch, aber, zudem, sofern sich die damit gemeinten Einschränkungen, kombinationen, Modalitäten nicht auf ein bestimmtes Satzglied beziehen:

So ohne weiteres läßt sich das freilich nicht sagen. – Freilich läßt sich das nicht so ohne weiteres sagen. – Sagen läßt sich das freilich nicht so ohne weiteres. – Freilich, sagen läßt sich das nicht so ohne weiteres. – Freilich, so ohne weiteres läßt sich das nicht sagen. – So ohne weiteres freilich läßt sich das nicht sagen.

Klarer ist die Reihenfolge der Objekte geregelt: Das Dativobjekt erscheint vor dem Akkusativobjekt, eine genannte Person vor einer Sache, doch sind auch hier Umstellungen möglich:

Er gab dem Freunde das Buch. – Er gab das Buch dem Freunde. –

Er sah den Freund auf der Straße.

Umstellungen ergeben sich beim Ersatz der Objekte durch Personalpronomen: Er gab ihm das Buch. – Er gab es ihm.

Satzklammer und Ausklammerung

Wir haben bisher eine wichtige Eigenart der Wortstellung im Deutschen un­erwähnt gelassen, die Umklammerung. Man versteht darunter die Ein­rahmung bestimmter Satzteile durch die Elemente eines Satzgliedes oder ei­ner satzgliedähnlichen Form, z.B. die Einbettung von attributiven Zusätzen zwischen den Artikeln und dem dazugehörigen Substantiv oder von Objek­ten und adverbialen Angaben zwischen finitem und infinitem Verbteil analy­tisch gebildeter Verben.

Wir wenden uns hier besonders der wichtigeren verbalen Satzklammer zu; auf die substantivische Klammerform kommen wir an anderer Stelle zu­rück (vgl. S. 121f.). Die verbale Satzklammer, die sich im Laufe mehrerer Jahrhunderte als Strukturform des deutschen Satzes herausgebildet und eine fast gesetzmäßige Gel­tung erlangt hat, kann auf verschiedene Weise realisiert werden. Die häufigste Form ist die Klammerbildung (der »Aussagerahmen«40) mit Hilfe von finiter und infiniter Verbform bei zusammengesetzten Verbformen, wie sie für das Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I und Futur II und die entsprechenden Passivformen (einschließlich Zustandspassiv) üblich sind.

Wir haben seinen Stern im Morgenland gesehen. (Matth. 2,2)

Er hatte die Angelegenheit im Laufe des Tages völlig vergessen.

Du wirst, wenn du diesen Fluß überschreitest, ein großes Reich zerstören.

Er wird während dieser Ereignisse dort gewesen sein.

Er ist ohne Grund von anderen Kindern auf der Srtaße verprügelt worden.

Alle Türen waren in dieser Morgenstunde weit geöffnet.

Auch Entscheidungsfragen können auf diese Weise gebildet werden:

Hat er die Angelegenheit völlig vergessen?

Rückt der satzschließende Verbteil bei besonderer Hervorhebung (expressiver Wortstellung) in die Ausdrucksstelle des Satzes (Satzanfang), so folgt ihm das finite Verb. Eine Klammerbildung ist so nicht möglich:

Zerstören wirst da ein großes Reich, wenn du diesen Fluß überschreitest.

Recht beliebt ist auch die Klammerbildung mit Hilfe von Modalverben und abhängigen Infinitiven sowie anderen Infinitivergänzungen:

Bei einer Afrikareise muß man sich an die Bedingungen des Klimas und an die Sitten des Landes gewöhnen. – Der Lärm des Rummelplatzes war besonders am Abend noch mehrere Straßen weit zu hören.

Eine weitere Form der Satzklamrner entsteht durch die Trennung von finitem Verbteil und Verbzusatz bei trennbaren Verben:

Er las die ganze Geschichte an einem Abend vor.

Klammerbildungen sind auch mit Hilfe von regelmäßigen Kombinationen von Substantiven mit bestimmten Verben möglich:

Der Zug setzte sich nach einem Geschnaufe und Getute langsam in Bewegung.

Man kann sogar die fakultativen Verbindungen einzelner Verben mit bestimmten adverbialen Angaben (z.B. Das Kind lief während der Pause vom Schulhof auf die Slraße) in gewissem Sinne als Klammerbildungen auffassen. Auch sonst neigt der deutsche Satzbau, indem er das Sinnwort ans Satzende rückt, zu ähnlichen Klammerbildungen (z.B. zwischen Nebensatzeinleitung und satzschließendem Verb, zwischen adverbialen Angaben und zugehörigem Verb, Sätzen mit Artergänzung):

Wenn er das nicht sofort an seinen Freund weitergibt, dann ...

Die Sterne leuchteten in dieser Nacht im Westen besonders hell.

Die Burg war an klaren Tagen bis hin zur Stadt sichtbar.

Wir haben zur Verdeutlichung verhältnismäßig kurze verbale Klammern gewählt. Das Gesetz der Klammerbildung gilt aber ebenso für längere Sätze. Begrenzungen sind auch hier nur von der Überschaubarkeit, Verständlichkeit und Angemessenheit her geboten, die Entscheidung darüber ist wiederum – wie so oft – in das Stilempfinden des Sprechers bzw. Autors gelegt.

Die Neigung mancher Autoren oder Redner, die Satzklammer reichlich zu füllen und erst spät zu schließen (die in Schrifttexten noch eher akzeptiert werden kann als in Reden, Vorträgen, Gesprächen), erschwert selbst den Kennern des Deutschen das Verstehen. Das spöttische Attendez le verbe! (»Warten Sie auf das Verb!«) als Antwort auf Fragen nach dem Sinn mancher deutscher Reden ist daher zugleich eine Satire auf lange Klammersätze.41 Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain, dessen Aufsatz über die deutsche Sprache42 manche kritischen Beobachtungen enthält, sucht die Unangemessenheit der Klammerbildungen an folgendem (satirisch übertreibenden) Beispiel einer Satzrahmenbildung aufzuzeigen:

Er reiste, als die Koffer fertig waren und nachdem er die Mutter und Schwester geküßt und nochmals sein angebetetes, einfach in weißen Musselin gekleidetes, mit einer frischen Rose in den sanften Wellen ihres reichen braunen Haares geschmücktes Gretchen, das mit bebenden Gliedern die Treppe herabgeschwankt war, um noch einmal sein armes gequältes Haupt an die Brust desjenigen zu legen, den es mehr liebte als das Leben selber, ans Herz gedrückt hatte, ab.

Twain kommentiert dazu: »Man denkt dabei unwillkürlich an jene Zahnärzte, die, nachdem sie den Zahn mit der Zange gefaßt und einen dadurch in den höchsten Grad atemloser Spannung versetzt haben, sich hinstellen und einem in aller Behaglichkeit eine langweilige Geschichte vorkauen, ehe sie den gefürchteten Ruck tun. In der Lileratur und beim Zahnausziehen sind Einschaltungen gleich übel angebracht.«43

Twains Kommentar (oder seine Übersetzung) beweist, daß die Feststellung seines Schlußsatzes nicht uneingeschränkt gilt, sonst dürften auch keine nachträglichen Zusätze (hier: die, nachdem ... vorkauen) erlaubt sein. Das Satzbeispiel, das er anführt, zeigt allerdings, wie eine Satzklammer nicht gebildet werden sollte. Hier sind mehrere Handlungsfolgen ineinander verschränkt worden, die mit den gleichen Worten angemessen in zwei getrennten Satzgefügen und einem einfachen Satz zu sagen wären, sofern man nicht auf die unglückliche Verquickung von Handlungsschilderung und sentimentaler Beschreibung der Geliebten verzichten will.

Twains Beispiel, das 67 Wörter zwischen die Verbform »reiste« und den Verbzusatz »ab« spannt, zeigt zugleich, daß zwischen dem finiten Verb (Ausgangspol) und dem Satzschluß (Zielpol) keine zu große Klarnmerfüllung stehen darf und daß der Zielpol nicht zu schwach und unscheinbar, sondern quantitativ und qualitativ gewichtig genug sein sollte, um ein Achtergewicht zur vorangehenden Satzgliedhäufung zu bilden. Wesentlich ausgeglichener wirkte ein solcher Satz, wenn es hieße:

Er reiste, nachdem er sich von Mutter, Schwester und Braut zärtlich verabschiedet hatte, endlich nach Wien ab.

Noch besser klänge allerdings in solchen Fällen die Voranstellung des temporalen Nebensatzes (nachdem... hatte, reiste ... ab).

Bei derartigen Klammerbildungen ist ferner darauf zu achten, daß die Vorstellungserwartung durch den Ausgangspol und die Folgewörter auch unmißverständ1ich auf den Zielpol hingeleitet wird (also nicht: Dann platzte die Frau, die lange geschwiegen hatte, eidlich mit ihrer Nachricht heraus, sondern allenfalls: Nachdem sie lange geschwiegen hatte, platzte die Frau endlich mit ihrer Nachricht heraus).

Wir könnten die Satzklammer nicht zu den Stilmitteln rechnen, wenn sie die einzige Ausdrucksform der postverbalen Satzgestaltung wäre. Neben manchen lexikalischen Mitteln, einer Klammerstellung zu entgehen (Wahl nicht trennbarer Verben, synthetisch gebüdeter Tempora u.dgl.), verfügt die deutsche Sprache über obligatorische wie fakultative Möglichkeiten der Ausklammerung von Satz-gliedern aus dem verbalen Satzrahmen des Hauptsatzes wie auch des Nebensatzes.

Solche Ausklammerungen sind vor allem im mündlichen Sprachgebrauch lebendig und wirken von hier aus immer mehr auf die Schriftsprache ein.44 Der Spannungsbogen zwischen Ausgangspol und Zielpol wird dabei verkürzt, selten ganz beseitigt.

Als allgemeiner Grundsatz der Ausklammerung gilt: »Wenn ein Satzglied stark aufgeschwellt ist, dann vermag die verbale Klammer die Last nicht mehr zu tragen. Der Verbzusatz würde in einem solchen Falle bei der Einklammerung nach-klappen.»45 Eine Ausklammerung erscheint daher bei größeren Satzerweiterungen und bei Gliedsätzen (besonders Relativsätzen) und satzwertigen Infinitiven sinnvoll.

Allerdings dürfen dabei keine Mißverständnisse auftreten. Also nicht: Er trug die Bedenken mit großer Entschiedenheit vor, die ihn zu der Ablehnung veranlaßt hatten, sondern: Er trug die Bedenken, die ihn zur Ablehnung des Antrags veranlaßt hatten, mit großer Entschiedenheit vor (besser: sehr entschieden oder: mit großer Entschiedenheit trug er die Bedenken vor, die ihn...).

Ausklammerungen einzelner Satzglieder erfolgen – nach Auffassung P. Grebes in der Duden-Grammatik (21966, S. 637) »immer aus stilistischen Gründen. Sprecher oder Schreiber können dabei die Absicht haben, ein unwichtiges Satzglied nachzutragen, wodurch oft der verbale Inhalt besonders hervorgehoben wird, oder aber einem Satzglied durch das Satzglied besonderes Gewicht zu verleihen«. Durch die Ausklammerung gewinnt ein Satz zudem an Übersichtlichkeit, oft auch an rhythmischem Wohlklang.46

Häufig – und wohl nicht immer stilistisch bedingt – sind Ausklammerungen bei Vergleichen:

Manchmal ... kommt er mir vor wie der liebe Gott. (M. Frisch, »Stiller«)

Auch präpositionale Angaben werden gern ausgeklammert. Sofern dabei Verbform und Präposition zusammengehören und die präpositionale Angabe die einzige Verbergänzung bleibt, entfällt oft die Klammerform:

Er dachte zurück an die Kriegszeit (seltener: an die Kriegszeit zurück).

Er mußte zurückdenken an die Kriegszeit (neben: Er mußte an ... zurückdenken).

Die Ausklammerung bestimmter Satzteile ist mitunter ein charakteristisches Stilmittel des Personalstils, das manche Autoren nur selten, andere häufiger verwenden:

Er ist nicht zu sprechen vor Glück. (M. Frisch, »Stiller«)

Er blies die Backen auf vor Zorn. (K. Edschmid, »Der tödliche Mai«)

Die Ausklammerung tritt erst in der neueren Zeit häufiger als Stilmittel der modernen sprachbewußten Dichtung auf. So ist sie neben anderen Sonderformen der Wortstellung (Hauptsatzstruktur von Nebensätzen, expressive Umstellungen, verfremdende Adverbstellungcn u.ä.) häufig bei Uwe Johnson zu finden:47

Sie stiegen aus und kamen vorbei an einem schon halb abgesperrten Platz ... Er war erst vor wenigen Stunden zurückgekommen mit dem Rennen durch die Länder und nicht an seinem Ende (»Das dritte Buch über Achim«)

Auch andere Gegenwartsautoren nutzen dieses Stilmittel zur textlichen Verfremdung oder zur Annäherung an die Volkssprache:

Die Verbindung mit der Zentrale sollte herstellen und halten ein regelmäßiger Wagenpendel. (J. Becker, »Im Bienenbezirk und Ameisen«)

Da rief der Mann mit einer leisen harten Stimme, die schwankte vor mordlüsterner Erregung. (G. Wohmann, »Muränenfang«)

Nachtrag und Spreizstellung

Älter als die Ausklammerung postverbaler Teile ist der Nachtrag bestimmter Satzglieder, meist von Adverbien oder adverbialen Bestimmungen. Durch diese ungewohnte Wortstellung, die an die mittelhochdeutsche Möglichkeit der Fernstellung des Adjektivs erinnert, vielleicht aber auch auf französischen Einfluß zurückzuführen ist48, wird eine Hervorhebung der nachgesetzten wie der zuerst genannten Aussagen erreicht. In der Lyrik dürften oft auch rhythmisch-metrische Gründe für derlei Abweichungen von der normalen Wortbestimmung bestimmend sein:

Meine Töchter sollen dich warten schön. (Goethe, »Erlkönig«)

Ich seh dein Angesicht erglühn im Rosenscheine noch. (Lenau, »Ghasel«)

Von diesem Augenblick an hatte sich das Glück von dem Chevalier abgewendet ganz und gar. (E. T. A. Hoffmann, »Spielerglück«)

Verwandt mit diesen Nachstellungen einzelner Wörter oder Satzglieder ist die von W. Schneider49 (nach L. Spitzer) sogenannte Spreizstellung, in der zusammengehörige Satzglieder in ungewöhnlicher Weise durch andere Satzglieder getrennt werden. Auch durch diese, der mittelhochdeutschen Fernstellung ähnelnde Wortstellungsform wird die Ausdrucksweise verfremdet und in ihrem Eindruckswert erhöht. Das abgetrennte Glied wird so stärker bewußt gemacht. Die Spreizstellung ist deshalb besonders in der Lyrik, seltener in preziöser Prosa beliebt. Es sind dabei verschiedene Kombinationen möglich, von denen hier nur wenige angeführt sein sollen:

Substantiv und nachgestelltes Beiwort:

Wenn die Seele dir auch über die eigene Zeit sich, die sehnende, schwingt. (Hölderlin, »An die Deutschen«)

Substantiv und attributiver Genitiv:

Aber als nun die Wut nachließ des fressenden Feuers (Goethe, »Achilleis«) Substantiv und präpositionale Ergänzung:

Ihr fester Glaube war es an die ewige Fortdauer ihrer Roma. (Fichte, »Reden an die deutsche Nation«)

Zusammengehörige Substantive:

Mit gelben Birnen hänget

und voll mit wilden Rosen

das Land in den See ...

(Hölderlin, »Hälfte des Lebens«)

Die Freiheit reizte mich und das Vermögen (Schiller, »Wallensteins Tod«)

Auch Autoren der Gegenwart greifen gelegentlich zu diesen Stilmitteln:

Die Toten werden gezählt und die Überlebenden. (H. Piontek, »Vor Augen«)

Wenn die Zähne zugeweht sind und der Holzstapel, wirst du... (W. H. Fritz, »An diesem Tag«)

Die Stellung der Attribute des Substantivs

Ein weiterer Bereich der stilistisch nutzbaren Wortstellungsvariation eröffnet sich bei den adiektivischen und substantivischen (genitivischen) Attributen des Substantivs. Auch hier hat sich gegenüber dem mittelalterlichen Sprachgebrauch ein Umschichtungsprozeß vollzogen, der schließlich dazu führte, daß heute adjektivische Attribute vor dem Substantiv stehen, während sie im Mittelhochdeutschen vor und nach dem Substantiv stehen konnten, und daß Genitivattribute zum Substantiv heute in der Regel nach dem Bezugswort erscheinen, wogegen sie früher ihm vorangestellt wurden.

Die beider Stellungswandel sind jedoch nicht so konsequent durchgeführt worden, daß es keinerlei ältere Formen der Wortstellung mehr gäbe.

Nachgestellte Adjektivattribute finden sich heute noch im mündlichen Gebrauch oberdeutscher Mundarten, so bei Schimpfwörtern, z.B. bair. Geh zum Deifi, Saulud'r dreckats! (Th. Mann, »Buddenbrooks«), teilweise mit nachgestelltem Artikel, gleichsam in appositioneller Verwendung: Der Kerl, der verrückte!

Der volkssprachigen Verwendung entsprechend, stehen solche Formen auch im Volkslied und seinen Nachahmungen, von denen Goethes »Heideröslein« die bekannteste sein dürfte. Wie irn Mittelhochdeutschen sind auch hier die nachgestellten Adjektive endungslos, wogegen vorangestellte Adjektivattribute fast stets Deklinationsmorpheme aufweisen:

Der Tannhäuser war ein Ritter gut ...

(»Des Knaben Wunderhorn: Der Tannhäuser«)

Die Tulipanen gelb und weiß. (ebd., »Erntelied«)

Goethe hat sogar beide Stellungs- und Flexionstypen in einem Gedicht vereint:

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