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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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durch seinen Mantel. Es war ihre Wärme und die Wärme des Mantels, der ihm bekannter war, als manche Jahre seines Lebens, und es erschien ihm plötzlich, als gehörten beide schon lange zusammen und als wäre Joan von irgendwoher aus seinem Leben zurückgekehrt.

»Ravic, ich bin doch jeden Abend zu dir gekommen. Du mußtest doch wissen, daß ich gestern auch kommen würde. Bist du nicht fortgegangen, weil du mich nicht sehen wolltest?«

»Nein.«

»Du kannst es mir ruhig sagen, wenn du mich nicht sehen willst.«

»Ich würde es dir sagen.« »War es nicht das?«

»Nein, es war wirklich nicht das.« »Dann bin ich glücklich.«

Ravic sah sie an. »Was sagst du da?« »Ich bin glücklich«, wiederholte sie.

Er schwieg eine Weile. »Weißt du auch, was du sagst?« fragte er dann.

»Ja.«

Der matte Lichtschein von draußen spiegelte sich in ihren Augen. »Man soll so etwas nicht leichtfertig sagen, Joan.«

»Ich sage es auch nicht leichtfertig.«

»Glück«, sagte Ravic. »Wo fängt es an, und wo hört es auf?«

Sein Fuß stieß an die Chrysanthemen. Glück, dachte er. Die blauen Horizonte der Jugend. Die goldhelle Balance des Lebens, Glück! Mein Gott, wo war das geblieben?

»Es fängt mit dir an und hört mit dir auf«, sagte Joan. »Das ist doch ganz einfach.«

Ravic erwiderte nichts. Was redete sie da, dachte er. »Du wirst mir gleich noch sagen, daß du mich liebst«, sagte er dann.

»Ich liebe dich.«

Er machte eine Bewegung. »Du kennst mich doch kaum.«

»Was hat das damit zu tun?«

»Viel. Lieben – das ist jemand, mit dem man alt werden will.«

»Davon weiß ich nichts. Es ist jemand, ohne den man nicht leben kann. Das weiß ich.«

»Wo ist der Calvados?«

»Auf dem Tisch. Ich hole ihn dir. Bleib sitzen.«

Sie brachte die Flasche und ein Glas und stellte sie auf den Boden zwischen die Blumen. »Ich weiß, daß du mich nicht liebst«, sagte sie.

»Dann weißt du mehr als ich.«

Sie sah rasch auf. »Du wirst mich lieben.« »Gut. Darauf wollen wir trinken.«

»Warte.« Sie füllte das Glas und trank es aus. Dann goß sie es wieder voll und reichte es ihm. Er nahm es und hielt es einen Augenblick. Dies alles ist nicht wahr, dachte er.

Ein halber Traum in der verwelkenden Nacht. Worte, im Dunkeln gesprochen – wie können sie schon wahr sein? Wirkliche Worte brauchen viel Licht. »Woher weißt du das alles so genau?« fragte er.

»Weil ich dich liebe.«

Wie sie mit dem Wort umgeht, dachte Ravic. Ohne Bedenken, wie mit einer leeren Schüssel. Sie füllt sie mit irgend etwas und nennt es Liebe. Was hat man schon alles hineingefüllt! Angst vor dem Alleinsein, Aufregung an einem andern Ich, Steigerung des Selbstgefühls, schimmernde Spiegelung der Phantasie! Aber wer weiß es wirklich? Ist das, was ich gesagt habe vom Altwerden, nicht das Törichtste von allem? Hat sie nicht viel mehr recht mit ihrer Unbedenklichkeit? Und wozu sitze ich hier in einer Winternacht zwischen Krieg und Krieg wie ein Schulmeister und spalte Worte? Wozu wehre ich mich, anstatt mich ungläubig hineinzustürzen?

»Wozu wehrst du dich?« fragte Joan. »Was?«

»Wozu wehrst du dich?« wiederholte sie.

»Ich wehre mich nicht – wogegen sollte ich mich wehren?«

»Ich weiß es nicht. Irgend etwas in dir ist verschlossen, und du willst nichts und niemand hineinlassen.«

»Komm«, sagte Ravic. »Gib mir noch etwas zu trinken.«

»Ich bin glücklich, und ich möchte, daß du auch glück-

lich bist.Ich bin ganz glücklich.Ich wache auf mit dir,und ich gehe schlafen mit dir. Ich weiß nichts anderes. Mein Kopf ist aus Silber,wenn ich an uns denke,und manchmal wie eine Violine. Die Straßen sind voll von uns wie von Musik, und ab und zu reden Menschen hinein, und wie im Film gleiten Bilder vorbei, aber die Musik bleibt. Sie bleibt immer.«

Vor ein paarWochen noch warst du unglücklich,dachte Ravic, und kanntest mich nicht. Ein leichtes Glück! Er trank das Glas Calvados aus. »Warst du oft glücklich?« fragte er.

»Nicht oft.«

»Aber manchmal. Wann war dein Kopf das letztemal aus Silber?«

»Wozu fragst du das?«

»Um etwas zu fragen. Ohne Grund.«

»Ich habe es vergessen. Ich will es auch nicht mehr wissen. Es war anders.«

»Es ist immer anders.«

Sie lächelte ihm zu. Ihr Gesicht war hell und o en wie eine Blume mit wenigen Blütenblättern, die nichts versteckt. »Vor zwei Jahren«, sagte sie. »Es dauerte nicht lange. In Mailand.«

»Warst du damals allein?«

»Nein. Ich war schon mit jemand anderem. Er war sehr unglücklich und eifersüchtig und verstand es nicht.«

»Natürlich nicht.«

»Du würdest es verstehen. Er machte furchtbare Szenen.« Sie rückte sich zurecht,zog ein Kissen vom Sofa und schob es hinter den Rücken. Dann lehnte sie sich gegen das Sofa. »Er beschimpfte mich. Ich sei eine Hure und untreu und undankbar. Es war nicht wahr. Ich war ihm treu, solange ich ihn liebte. Er verstand nicht, daß ich ihn nicht mehr liebte.«

»Das versteht man nie.«

»Doch, du würdest es verstehen. Aber ich werde dich auch immer lieben. Du bist anders, und alles ist anders mit uns. Er wollte mich töten.« Sie lachte. »Immer wollen sie einen töten. Ein paar Monate später wollte mich der andere töten. Sie tun das nie. Du würdest mich nie töten wollen.«

»Höchstens mit Calvados«, sagte Ravic. »Gib mir die Flasche mal her. Die Unterhaltung wird gottlob menschlicher. Vor ein paar Minuten war ich ziemlich erschrokken.«

»Weil ich dich liebe?«

»Wir wollen nicht wieder davon anfangen. Das ist wie Spazierengehen in Reifrock und Perücke. Wir sind zusammen – für kurz oder lang, wer weiß das? Wir sind zusammen, das ist genug. Wozu brauchen wir dann ein Etikett?«

»Für kurz oder lang gefällt mir nicht. Aber das sind ja nur Worte. Du wirst mich nicht verlassen. Das sind auch nur Worte, und du weißt es.«

»Natürlich. Hat dich schon einmal jemand verlassen, den du liebtest?«

»Ja.« Sie sah ihn an.»Einer verläßt doch immer.Manchmal ist der andere schneller.«

»Und was hast du getan?«

»Alles!« Sie nahm das Glas aus seiner Hand und trank den Rest aus. »Alles! Aber es hat nichts genutzt. Ich war entsetzlich unglücklich.«

»Lange?« »Eine Woche.«

»Das ist nicht lange.«

»Es ist eine Ewigkeit,wenn man wirklich unglücklich ist. Ich war so, mit allem, was ich bin, unglücklich, daß nach einer Woche alles erschöpft war. Mein Haar war unglücklich,meine Haut,mein Bett,meine Kleider sogar.Ich war so voll Unglück, daß nichts sonst existierte. Und wenn nichts anderes existiert, fängt Unglück an, kein Unglück mehr zu sein – weil nichts mehr da ist, womit man es vergleichen kann.Dann ist es nur noch völlige Erschöpfung.Und dann ist es vorbei. Man fängt langsam wieder an zu leben.«

Sie küßte seine Hand.Er fühlte die weichen,behutsamen Lippen. »Was denkst du?« fragte sie.

»Nichts«, sagte er. »Nichts, als daß du von einer wilden Unschuld bist. Völlig korrupt und überhaupt nicht. Das Gefährlichste auf der Welt. Gib mir mal das Glas. Ich will auf meinem Freund Morosow, den Kenner des menschlichen Herzens, trinken.«

»Ich mag Morosow nicht. Können wir nicht auf etwas anderes trinken?«

»Natürlich magst du ihn nicht. Er hat gute Augen. Laß uns auf dich trinken.«

»Auf mich?« »Ja, auf dich.«

»Ich bin nicht gefährlich«,sagte Joan.»Ich bin gefährdet, aber nicht gefährlich.«

»Das gehört dazu,daß du das glaubst.Dir wird nie etwas passieren. Salute!«

»Salute. Aber du verstehst mich nicht.«

»Wer will schon verstehen? Daher kommen alle Mißverstandnisse der Welt. Gib mir die Flasche herüber.«

»Du trinkst soviel. Wozu willst du so viel trinken?« »Joan«, sagte Ravic. »Es wird der Tag kommen, da du

sagen wirst: zuviel! Du trinkst zuviel, wirst du sagen und glauben, daß du nur mein Bestes willst. In Wirklichkeit wirst du nur meine Ausflüge in eine Zone verhüten wollen, die du nicht kontrollieren kannst. Salute! Wir zelebrieren heute.Wir sind der Pathetik, die wie eine Wolke drohend vor dem Fenster stand, glorreich entkommen.Wir haben sie mit der Pathetik totgeschlagen. Salute!«

Er fühlte, wie sie zuckte. Sie richtete sich halb auf, stützte sich mit den Händen auf den Boden und sah ihn an. Ihre Augen waren weit geö net, der Bademantel war von der Schulter geglitten, das Haar war in den Nacken geworfen,und sie hatte im Dunkel etwas von einer hellen,

sehr jungen Löwin. »Ich weiß«, sagte sie ruhig. »Du lachst mich aus. Ich weiß es, und ich mache mir nichts daraus. Ich fühle, daß ich lebe; ich fühle es mit allem, was ich bin, mein Atem ist anders, und mein Schlaf ist nicht mehr tot, meine Gelenke haben wieder Sinn, und meine Hände sind nicht mehr leer, und es ist mir ganz gleich, was du darüber denkst und was du darüber sagst, ich lasse mich fliegen und lasse mich laufen, und ich werfe mich hin, ohne Gedanken, und ich bin glücklich und habe weder Vorsicht noch Angst, es zu sagen, auch wenn du lachst und mich verspottest…«

Ravic schwieg eine Weile. »Ich verspotte dich nicht«, sagte er dann. »Ich verspotte mich, Joan …«

Sie lehnte sich an ihn. »Warum? Da ist etwas hinter deiner Stirn, das nicht will. Warum?«

»Da ist nichts, was nicht will. Ich bin nur langsamer als du.«

Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nicht nur das. Es ist da etwas, das allein bleiben will. Ich fühle es. Es ist wie eine Barriere.«

»Da ist keine Barriere,da sind nur fünfzehn Jahre mehr Leben, als du hast. Nicht jedermanns Leben ist ein Haus, das ihm gehört und das er mit den Möbeln der Erinnerung immer reicher dekoriert. Mancher lebt in Hotels, in vielen Hotels.Die Jahre klappen hinter ihm zusammen wie Hoteltüren – und das einzige, was bleibt, ist ein bißchen Courage und kein Bedauern.«

Sie antwortete eine Zeitlang nicht. Er wußte nicht, ob sie ihm zugehört hatte.Er sah aus dem Fenster und spürte den tiefen Glanz des Calvados ruhig in seinen Adern. Das Klopfen der Pulse schwieg und wurde zu einer ausgebreiteten Stille, in der die Maschinengewehre der rastlos dahintickenden Zeit schwiegen. Der Mond hob sich verschwommen und rot über die Dächer,wie die Kuppel einer halb in dieWolken verschwundenen Moschee,die langsam aufstieg, während die Erde im Schneetreiben versank.

»Ich weiß«,sagte Joan,die Hände auf seinen Knien und ihr Kinn auf die Hände gestützt, »es ist töricht, wenn ich dir diese Dinge von mir von früher erzähle. Ich könnte schweigen oder könnte lügen,aber ich will es nicht.Warum soll ich dir nicht alles sagen, was in meinem Leben war, und warum soll ich mehr daraus machen? Ich will lieber weniger daraus machen, denn es ist nur noch lächerlich jetzt für mich,und ich verstehe es nicht mehr,und du sollst lachen darüber und meinetwegen auch über mich.«

Ravic sah sie an. Ihre Knie preßten die großen, weißen Blüten gegen die Zeitung,die er unter die Chrysanthemen geschoben hatte.Eine sonderbare Nacht,dachte er.Irgendwo wird jetzt geschossen, und Menschen werden gejagt und eingesperrt und gequält und gemordet,und ein Stück friedliche Welt wird zertreten, und man ist da und weiß es und ist hilflos, und in den hellen Bistros summt es von Leben, niemand kümmert sich, Menschen gehen ruhig schlafen, und ich sitze hier mit einer Frau zwischen blei-

chen Chrysanthemenblüten und einer Flasche Calvados, und der Schatten der Liebe steigt auf, schaudernd, fremd und traurig, einsam auch sie, vertrieben aus den sicheren Gärten der Vergangenheit, scheu und wild und rasch, als hätte sie kein Recht…

»Joan«, sagte er langsam und wollte etwas ganz anderes sagen. »Es ist schön, daß du da bist.«

Sie sah ihn an.

Er nahm ihre Hände. »Du verstehst, was das heißt? Mehr als tausend Worte …«

Sie nickte. Ihre Augen waren plötzlich voll Tränen. »Es heißt gar nichts«, sagte sie. »Ich weiß es.«

»Das ist nicht richtig«, erwiderte Ravic und wußte, daß es richtig war.

»Nein. Gar nichts. Du mußt mich lieben, Liebster, das ist alles.«

Er antwortete nicht.

»Du mußt mich lieben«, wiederholte sie. »Sonst bin ich verloren.«

Verloren …, dachte er. Wie schnell sie das sagt! Wer wirklich verloren ist, spricht nicht mehr.

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