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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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merie kaufen.« Jeannot lachte verschmitzt. »So ein Bein mit Gelenk und allem ist Gott sei Dank ziemlich teuer. Präzisionsarbeit. Das ist gut.«

»War schon jemand von der Versicherung da?« »Nein. Für das Bein und die Abfindung noch nicht.

Nur für die Operation und die Klinik. Müssen wir einen Rechtsanwalt nehmen? Was glauben Sie? Es war rotes Licht! Ganz bestimmt! Die Polizei …«

Die Schwester kam mit dem Abendessen. Sie stellte es auf den Tisch neben Jeannot. Der Junge sagte nichts, bis sie fort war. »Es gibt hier viel zu essen«, sagte er dann. »So gut habe ich es nie gehabt. Ich kann es nicht allein aufessen. Meine Mutter kommt immer und ißt den Rest. Es ist genug für uns beide. Sie spart so. Das Zimmer hier kostet ohnedies sehr viel.«

»Das bezahlt die Versicherung. Es ist ganz gleich, wo du liegst.«

Ein Schimmer huschte über das graue Gesicht des Jungen. »Ich habe mit Doktor Veber gesprochen. Er gibt mir zehn Prozent. Die Rechnung für das, was es kostet, schickt er an die Versicherung. Die bezahlt es; aber er gibt mir zehn Prozent in bar zurück.«

»Du bist tüchtig, Jeannot.«

»Man muß tüchtig sein, wenn man arm ist!« »Das stimmt. Hast du Schmerzen?«

»Im Fuß, den ich nicht mehr habe.« »Das sind die Nerven, die noch da sind.«

»Ich weiß. Komisch, trotzdem. Daß man Schmerzen hat in etwas, das nicht mehr da ist. Vielleicht ist die Seele von meinem Fuß noch da.« Jeannot grinste.Er hatte einen Witz gemacht.Dann deckte er die oberen Schüsseln seines Abendessens ab. »Suppe, Huhn, Gemüse, Pudding. Das ist was für meine Mutter. Sie ißt gern Huhn. Haben wir nicht oft gehabt zu Hause.« Er legte sich behaglich zurück. »Manchmal wache ich nachts auf und denke, wir müßten hier alles selbst bezahlen. Wie man nachts so denkt, im ersten Augenblick. Dann erinnere ich mich, daß ich hier liege wie ein Sohn von feinen Leuten, und habe ein Recht, alles zu verlangen, und kann Schwestern klingeln, und sie müssen kommen, und andere Leute müssen das alles bezahlen. Großartig, was?«

»Ja«, sagte Ravic. »Großartig.«

Er saß im Untersuchungszimmer der »Osiris«. »Ist noch jemand da?« fragte er.

»Ja«, sagte Leonie. »Yvonne. Sie ist die letzte.« »Schick sie herein. Du bist gesund, Leonie.«

Yvonne war fünfundzwanzig Jahre alt, fleischig, blond, mit einer breiten Nase und den kurzen, dicken Händen und Füßen vieler Huren. Sie schaukelte selbstzufrieden herein und hob den seidenen Fetzen, den sie trug, hoch.

»Dorthin«, sagte Ravic.

»Geht es nicht so?« fragte Yvonne.

»Warum?«

Statt zu antworten, drehte sie sich schweigend um und zeigte ihren kräftigen Hintern. Er war blau von Striemen. Sie mußte eine furchtbare Tracht Prügel von jemand bekommen haben.

»Ich ho e, der Kunde hat dich gut dafür bezahlt«, sagte Ravic. »So was ist kein Spaß.«

Yvonne schüttelte den Kopf. »Keinen Centime, Doktor. Es war kein Kunde.«

»Dann hat es dir also Spaß gemacht. Ich wußte nicht, daß du das gern hast.«

Yvonne schüttelte wieder den Kopf, ein zufriedenes, mysteriöses Lächeln auf dem Gesicht. Ravic sah, daß ihr die Situation gefiel. Sie fühlte sich wichtig. »Ich bin keine Masochistin«, sagte sie. Sie war stolz, das Wort zu kennen.

»Was war es denn? Krach?«

Yvonne wartete eine Sekunde. »Liebe«, sagte sie dann und dehnte wohlig die Schultern.

»Eifersucht?«

»Ja.« Yvonne strahlte. »Tut es sehr weh?«

»So was tut nicht weh.« Sie legte sich vorsichtig hin. »Wissen Sie,Doktor,daß Madame Rolande mich erst nicht arbeiten lassen wollte? Nur eine Stunde, habe ich gesagt; probieren Sie es nur eine Stunde! Sie werden sehen! Und jetzt habe ich viel mehr Erfolg mit dem blauen Hintern als je früher.«

»Warum?«

»Ich weiß nicht. Es gibt Kerle, die verrückt danach sind. Es regt sie auf.Ich habe in den letzten Tagen zweihundertfünfzig Frank mehr gemacht.Wie lange wird das noch zu sehen sein?«

»Mindestens zwei bis drei Wochen.«

Yvonne schnalzte mit der Zunge. »Wenn das so weitergeht, kann ich mir davon einen Pelzmantel kaufen. Fuchs

– tadellos geblendete Katzenfelle.«

»Wenn es nicht reicht, kann dein Freund dir ja leicht nachhelfen mit einer neuen Tracht Prügel.«

»Das macht er nicht«, sagte Yvonne lebhaft. »So ist er nicht. Kein berechnendes Aas, wissen Sie! Er macht das nur aus Leidenschaft.Wenn es über ihn kommt.Ich könnte ihn auf den Knien bitten, er täte es sonst nicht.«

»Charakter.« Ravic blickte auf. »Du bist gesund, Yvonne.«

Sie erhob sich. »Dann kann ja die Arbeit losgehen. Unten wartet schon ein Alter auf mich. Einer mit einem grauen Spitzbart.Ich habe ihm die Striemen gezeigt.Er ist wild danach.Hat zu Hause nichts zu sagen.Träumt davon, daß er seine Alte verhauen möchte, glaube ich.« Sie brach in ein glockenklares Gelächter aus. »Doktor, die Welt ist komisch, wie?« Sie schaukelte selbstzufrieden hinaus.

Ravic wusch sich. Dann stellte er die Sachen, die er gebraucht hatte,beiseite und trat ans Fenster.Die Dämmerung hing silbergrau über den Häusern.Die kahlen Bäume

gri en wie schwarze Hände von Toten durch den Asphalt. In verschütteten Schützengraben hätte man manchmal solche Hände gesehen. Er ö nete das Fenster und sah hinaus. Die Stunde der Unrealität, schwebend zwischen Tag und Nacht.Die Stunde der Liebe in den kleinen Hotels

– für Leute, die verheiratet waren und abends würdig der Familie präsidierten.Die Stunde,in der die Italienerinnen der Lombardischen Tiefebene schon begannen, felicissima notte zu sagen. Die Stunde der Verzweiflung und die Stunde der Träume.

Er schloß das Fenster. Das Zimmer schien plötzlich viel dunkler geworden zu sein. Schatten waren hereingeflogen und hockten in den Winkeln, voll von lautlosem Geschwätz.Die Kognakflasche,die Rolande gebracht hatte, leuchtete wie ein polierter Topasquarz auf dem Tisch. Ravic stand einen Augenblick – dann ging er hinunter.

Der Musikapparat spielte, und der große Raum war bereits hell erleuchtet. Die Mädchen saßen in ihren rosa Seidenhemden in zwei Reihen auf den gepolsterten Pu s. Alle hatten die Brüste frei.Die Kunden wollten sehen,was sie kauften. Ein halbes Dutzend war schon da. Meistens Kleinbürger mittleren Alters. Es waren die vorsichtigen Fachleute, die wußten, wann die Untersuchung war, und sie kamen um diese Zeit, um absolut keinen Tripper zu riskieren. Yvonne war mit ihrem Alten. Er saß an einem Tisch,mit einem Dubonnet vor sich.Sie stand neben ihm, einen Fuß auf einem Stuhl, und trank Champagner. Sie

bekam zehn Prozent von der Flasche. Der Mann mußte sehr verrückt sein,daß er das spendierte.Es war eine Sache für Ausländer. Yvonne war sich dessen bewußt. Sie hatte eine Haltung wie ein leutseliger Zirkusdompteur.

»Fertig, Ravic?« fragte Rolande, die an der Tür stand. »Ja. Alles in Ordnung.«

»Willst du etwas trinken?«

»Nein, Rolande. Ich muß zum Hotel. Habe bis jetzt gearbeitet. Ein heißes Bad und frische Wäsche – das ist alles, was ich jetzt brauche.«

Er ging an der Garderobe neben der Bar vorüber hinaus. Der Abend stand mit violetten Augen vor der Tür.Einsam und eilig summte ein Flugzeug über den blauen Himmel. EinVogel zwitscherte schwarz und klein auf dem obersten Ast eines der kahlen Bäume.

Eine Frau mit Krebs, der in ihr fraß wie ein augenloses, graues Tier; ein Krüppel, der seine Rente ausrechnete

– eine Hure mit einem goldbringenden Hintern – die erste Drossel im Geäst –; das glitt und glitt, und jetzt ging er, unbewegt von dem allem,langsam durch die Dämmerung, die nach warmem Bett roch, zu einer Frau.

»Willst du noch einen Calvados?« Joan nickte. »Ja, gib mir noch etwas.«

Ravic winkte dem Mâitre d’Hôtel. »Gibt es noch einen älteren Calvados als diesen?«

»Ist dieser nicht gut?«

»Doch. Aber vielleicht haben Sie noch einen anderen im Keller.«

»Ich will sehen.«

Der Kellner ging zur Kasse, an der die Wirtin mit ihrer Katze schlief.Von dort verschwand er hinter einer Tür mit einer Milchglasscheibe, hinter der der Patron mit seinen Rechnungen hauste. Nach einer Weile kam er mit wichtiger, gesammelter Miene zurück und ging, ohne zu Ravic hinüberzusehen, die Treppe zum Keller hinunter.

»Es scheint zu klappen.«

Der Kellner kam mit einer Flasche zurück, die er wie ein Wickelkind in den Armen hielt. Es war eine schmutzige Flasche; nicht eine der malerisch verkrusteten für Touristen, sondern einfach eine sehr schmutzige Flasche, die viele Jahre im Keller gelegen hatte. Er ö nete sie vorsichtig, beroch den Korken und holte dann zwei große Gläser.

»Mein Herr«, sagte er zu Ravic und schenkte ein paar Tropfen ein.

Ravic nahm das Glas und atmete den Duft ein. Dann trank er, lehnte sich zurück und nickte. Der Kellner nickte feierlich zurück und füllte dann die beiden Gläser zu einem Drittel.

»Versuch das einmal«, sagte Ravic zu Joan.

Sie nahm einen Schluck und setzte das Glas nieder. Der Kellner beobachtete sie. Sie sah Ravic erstaunt an. »So etwas habe ich noch nie gehabt«, sagte sie und nahm

einen zweiten Schluck. »Man trinkt es nicht, man atmet es nur einfach ein.«

»Das ist es, meine Dame«, erklärte der Kellner befriedigt. »Sie haben es erfaßt.«

»Ravic«, sagte Joan. »Du tust hier etwas Gefährliches. Nach diesem Calvados will ich nie mehr einen andern trinken.«

»O doch, du wirst auch noch einen andern trinken.« »Aber ich werde immer von diesem träumen.«

»Gut. Du wirst dadurch ein Romantiker. Ein CalvadosRomantiker.«

»Der andere wird mir dann aber nicht mehr schmekken.«

»Im Gegenteil, er wird dir sogar noch besser schmekken, als er in Wirklichkeit ist. Es wird ein Calvados mit Sehnsucht nach einem andern Calvados sein. Das macht ihn dann bereits weniger alltäglich.«

Joan lachte. »Das ist doch Unsinn. Du weißt das auch.«

»Natürlich ist es Unsinn. Aber wir leben von Unsinn. Nicht vom magern Brot der Tatsachen. Wo bliebe die Liebe sonst?«

»Was hat das mit Liebe zu tun?«

»Eine Menge.Es sorgt für das Fortbestehen.Wir würden sonst nur einmal lieben und alles später ablehnen.So aber wird das bißchen Sehnsucht nach dem, den man verläßt oder der einen verläßt, schon zur Glorie um den Schädel

dessen, der nachher kommt. Daß man aber vorher etwas verloren hat, gibt dem Neuen bereits eine gewisse romantische Verklärung. Eine alte, fromme Gaukelei.«

Joan blickte ihn an. »Ich finde es scheußlich, wenn du so redest.«

»Ich auch.«

»Du solltest das nicht tun. Nicht einmal im Scherz. Es macht ein Wunder zu einem Trick.« Ravic antwortete nicht.

»Und es klingt, als wärest du schon müde und dächtest darüber nach, mich zu verlassen.«

Ravic sah sie mit einer fernen Zärtlichkeit an.»Darüber brauchst du nie nachzudenken, Joan. Wenn es einmal soweit ist, wirst du mich verlassen. Nicht ich dich. Das ist sicher.«

Sie setzte ihr Glas hart nieder. »Was ist das für ein Unsinn! Ich werde dich nie verlassen. Wohin willst du mich da wieder hineinreden?«

Die Augen, dachte Ravic. Als gingen Blitze dahinter nieder. Sanfte, rötliche Blitze von einem Gewirr von Kerzen. »Joan«, sagte er. »Ich will dich in nichts hineinreden. Aber ich will dir einmal die Geschichte von der Welle und dem Felsen erzählen.

Es ist eine alte Geschichte. Älter als wir. Hör zu. Es war einmal eine Welle, die liebte den Felsen irgendwo im Meer, sagen wir in der Bucht von Capri. Sie umschäumte und umbrauste ihn, sie küßte ihn Tag und Nacht, sie

umschlang ihn mit ihren weißen Armen. Sie seufzte und weinte und flehte ihn an, zu ihr zu kommen, sie liebte ihn und umschwärmte ihn und unterspülte ihn dabei langsam, und eines Tages gab er nach und war ganz unterspült und sank in ihre Arme.«

Er nahm einen Schluck Calvados. »Und?« fragte Joan. »Und plötzlich war er kein Felsen mehr zum Umspielen, zum Umlieben und zum Umtrauern. Er war nur noch ein Steinbrocken auf dem Meeresgrund,untergegangen in ihr. Die Welle fühlte sich enttäuscht und betrogen und suchte

sich dann einen neuen Felsen.«

»Und?« Joan sah ihn mißtrauisch an. »Was heißt das schon? Er hätte eben ein Felsen bleiben sollen.«

»Das sagen die Wellen immer.Aber alles Bewegliche ist stärker als alles Starre. Wasser ist stärker als Felsen.«

Sie machte eine ungeduldige Bewegung. »Was hat das alles mit uns zu tun? Das ist doch nur eine Geschichte, die nichts bedeutet. Oder du machst dich wieder einmal lustig über mich. Wenn es einmal dazu kommt, wirst du mich verlassen, das ist alles, was ich bestimmt weiß.«

»Das«, sagte Ravic lachend, »wird die letzte Feststellung sein, wenn du gehst. Du wirst mir erklären, ich habe dich verlassen. Und du wirst Gründe dafür haben – und es glauben –, und du wirst recht haben vor dem ältesten Gerichtshof der Welt: Natur.«

Er winkte dem Kellner. »Können wir diese Flasche Calvados kaufen?«

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