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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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»Anders. Nachts bist du überraschend. Du kommst immer irgendwo her, von wo man nichts weiß.«

»Tagsüber nicht?«

»Nicht immer. Manchmal.«

»Schönes Bekenntnis«, sagte Ravic. »Vor ein paar Wochen hättest du mir das nicht gesagt.«

»Nein. Damals kannte ich dich auch noch weniger.« Er blickte auf. Es war nicht der Schatten von Doppeldeutigkeit in ihrem Gesicht. Sie meinte es einfach so und fand es ganz natürlich. Sie wollte ihn weder verletzen noch etwas Besonderes sagen. »Das kann gut werden«,

sagte er. »Warum?«

»In ein paar weiterenWochen wirst du mich noch besser kennen, und ich werde noch weniger überraschend sein.«

»Genau wie ich«, sagte Joan und lachte. »Du nicht.« – »Warum nicht?«

»Das hat seinen Grund in fünfzigtausend Jahren Biologie. Die Liebe macht die Frau scharfsinnig und den Mann konfus.«

»Liebst du mich?« »Ja.«

»Du sagst das viel zuwenig.« Sie dehnte sich. Wie eine satte Katze, dachte Ravic. Wie eine satte Katze, die ihres Opfers sicher ist.

»Manchmal könnte ich dich aus dem Fenster werfen«, sagte er.

»Warum tust du es nicht?« Er sah sie an.

»Könntest du es?« fragte sie.

Er antwortete nicht. Sie legte sich in die Kissen zurück. »Jemand zerstören, weil man ihn liebt? Ihn töten, weil man ihn zu sehr liebt?«

Ravic gri nach der Flasche. »Mein Gott«, sagte er. »Womit habe ich das verdient? Nachts aufzuwachen, um so was anhören zu müssen?«

»Ist es nicht wahr?«

»Ja.Für drittklassige Poeten und Frauen,denen es nicht passiert.«

»Für die, die es tun, auch.« »Meinetwegen.« »Könntest du es?«

»Joan«, sagte Ravic. »Laß dieses Geschwätz. Ich tauge nicht für solche Spekulationen. Ich habe schon zu viele Menschen getötet.Als Amateur und als Professionalist.Als Soldat und alsArzt.Das gibt einemVerachtung,Gleichgültigkeit und Respekt für das Leben. Mit Töten löscht man nicht viel aus. Wer oft getötet hat, tötet nicht mehr aus Liebe. Man macht den Tod dadurch lächerlich und klein. Und der Tod ist nie klein und lächerlich. Er geht Frauen auch nichts an; er ist eine Sache unter Männern.«

Er schwieg eine Zeitlang.

»Was reden wir da?« sagte er dann und beugte sich über sie.»Bist du nicht mein Glück ohneWurzel? MeinWolken-

und Scheinwerferglück? Komm, laß dich küssen! Nie war das Leben so kostbar wie heute – wo es so wenig gilt.«

16 Das Licht. Es war immer wieder das Licht. Es kam wie ein weißer Schaum vom Horizont hereingeflogen, zwischen dem tiefen Blau des Meeres und dem helleren des Himmels; es kam herangeflogen, atemlos und tiefster Atem zugleich, Leuchten und Reflex in einem, einfaches uraltes Glück, so hell zu sein, so zu schimmern, so ohne alle Substanz zu schweben …

Wie es hinter ihrem Kopf steht, dachte Ravic.Wie eine Glorie ohne Farbe! Weite ohne Perspektive. Wie es über die Schultern fließt! Milch aus Kanaan,Seide aus Strahlen gesponnen! Niemand ist nackt in diesem Licht. Die Haut fängt es, strahlt es zurück, wie die Felsen das Meer draußen, Lichtschaum, durchsichtige Verwirrung, dünnstes Kleid aus hellstem Nebel …

»Wie lange sind wir jetzt hier?« fragte Joan. »Acht Tage.«

»Es ist wie acht Jahre, findest du nicht?«

»Nein«,sagte Ravic.»Es ist wie acht Stunden.Acht Stunden und dreitausend Jahre. Da, wo du jetzt stehst, stand genauso, vor dreitausend Jahren, eine junge Etruskerin

– und der Wind kam ebenso von Afrika herüber und jagte das Licht vor sich her über das Meer.«

Joan hockte sich neben ihn auf den Felsen. »Wann müssen wir wieder zurück nach Paris?«

»Das wird sich heute abend im Kasino zeigen.« »Haben wir gewonnen?«

»Nicht genug.«

»Du spielst, als ob du immer gespielt hättest. Vielleicht hast du. Ich weiß ja nichts von dir. Wie kam es, daß der Croupier dich begrüßte wie einen reichen Munitionsfabrikanten?«

»Er verwechselte mich mit einem Munitionsfabrikanten.«

»Das ist nicht wahr. Du kanntest ihn doch auch wieder.«

»Es war höflicher, so zu tun.« »Wann warst du das letztemal hier?«

»Ich weiß es nicht. Irgendwann vor vielen Jahren. Wie braun du schon bist! Du solltest immer braun sein.«

»Dann müßte ich immer hier leben.« »Möchtest du das?«

»Nicht immer. Aber ich möchte immer so leben, wie ich hier lebe.«

Sie warf ihr Haar zurück über die Schultern.»Du findest das sicher sehr oberflächlich – wie?«

»Nein«, sagte Ravic.

Sie lächelte und drehte sich zu ihm herum. »Ich weiß, daß es oberflächlich ist, Liebster, aber, mein Gott, wir haben viel zuwenig Oberflächlichkeit in unserem verdammten Leben gehabt! Krieg, Hunger und Umsturz haben wir genug gehabt, und Revolutionen und Inflationen – aber nie ein bißchen Sicherheit und Leichtigkeit und Ruhe und Zeit. Und nun sagst du noch, daß wieder ein Krieg kom-

men wird. Unsere Eltern haben es wahrhaftig einfacher gehabt als wir, Ravic.«

»Ja.«

»Man hat nur das eine, kurze Leben, und es geht dahin …« Sie legte die Hände auf den warmen Felsen. »Ich bin nicht viel wert,Ravic.Ich mache mir nichts daraus,in einer historischen Zeit zu leben.Ich will glücklich sein,und es soll nicht alles so schwer und schwierig sein.Weiter nichts.«

»Wer möchte das nicht, Joan?« »Du auch?«

»Natürlich.«

Dieses Blau, dachte Ravic. Dieses fast farblose Blau am Horizont,wo der Himmel in die See taucht,und dann dieser Sturm,tiefer und tiefer das Meer und den Zenit hinauf, bis in diese Augen, die hier blauer sind als je in Paris.

»Ich wollte, wir könnten es«, sagte Joan. »Wir tun es ja – im Augenblick.«

»Ja, im Augenblick; für ein paar Tage; aber dann gehen wir wieder nach Paris zurück; in diesen Nachtklub,in dem sich nichts ändert; in dieses Leben in diesem schmutzigen Hotel …«

»Du übertreibst.Dein Hotel ist nicht schmutzig.Meines ist ziemlich schmutzig, bis auf mein Zimmer.«

Sie stützte die Arme auf. Der Wind flog durch ihr Haar. »Morosow sagt, du wärest ein wunderbarer Arzt. Schade, daß das mit dir so ist. Du könntest sonst viel Geld verdienen. Gerade als Chirurg. Professor Durant …«

»Wie kommst du denn zu dem?«

»Er kommt manchmal in die Scheherazade. Rene, der Oberkellner, sagt, unter zehntausend Frank rührt er keinen Finger.«

»René ist gut informiert.«

»Und er macht manchmal zwei,drei Operationen an einem Tag. Er hat ein herrliches Haus, einen Packard …« Sonderbar, dachte Ravic. Das Gesicht verändert sich nicht. Es ist eher noch hinreißender als vorher, während sie diesen jahrtausendealten Weiberunsinn daherredet. Sie sieht aus wie eine seeäugige Amazone, während sie mit dem Brutinstinkt Bankiersideale predigt. Aber hat sie nicht recht? Hat so viel Schönheit nicht immer recht?

Und alle Entschuldigungen der Welt?

Er sah das Motorboot in einer Welle Gischt herankommen; er rührte sich nicht; er wußte, weshalb es kam. »Da kommen deine Freunde«, sagte er.

»Wozu?« Joan hatte das Boot längst gesehen. – »Wieso meine Freunde?« fragte sie. »Es sind doch viel eher deine Freunde. Sie haben dich früher gekannt als mich.«

»Zehn Minuten früher.« »Jedenfalls früher.« Ravic lachte. »Gut, Joan.«

»Ich brauche nicht zu gehen. Das ist ganz einfach. Ich werde nicht gehen.«

»Natürlich nicht.«

Ravic streckte sich auf dem Felsen aus und schloß die

Augen. Die Sonne wurde sofort eine warme, goldene Decke. Er wußte, was kommen würde.

»Wir sind nicht besonders höflich«, sagte Joan nach einer Weile. – »Das sind Verliebte nie.«

»Die beiden sind unseretwegen gekommen. Sie wollen uns abholen. Wenn wir nicht fahren wollen, könntest du wenigstens hinuntergehen und es ihnen sagen.«

»Gut.« Ravic ö nete halb die Augen. »Machen wir es kürzer. Geh du hinunter und sage, ich muß arbeiten, und fahre mit. Genau wie gestern.«

»Arbeiten – das klingt doch merkwürdig. Wer arbeitet hier? Warum fährst du nicht einfach mit? Die beiden mögen dich sehr gern. Sie waren gestern schon enttäuscht, daß du nicht kamst.«

»O Gott.« Ravic ö nete die Augen ganz. »Wozu lieben alle Frauen diese idiotischen Konversationen? Du möchtest fahren,ich habe kein Boot,das Leben ist kurz,wir sind nur ein paar Tage hier, wozu soll ich mit dir Generosität spielen und dich zwingen zu tun, was du ohnehin tun wirst, nur damit du dich besser fühlst?«

»Du brauchst mich nicht zu zwingen.Ich kann es selbst tun.«

Sie sah ihn an. Ihre Augen waren von derselben strahlenden Intensität; nur ihr Mund war eine Sekunde verzogen – es war ein Ausdruck, der so rasch das Gesicht überflog, daß Ravic glauben konnte, sich geirrt zu haben. Aber er wußte, er hatte sich nicht geirrt.

Das Meer schlug klatschend gegen die Felsen am Landungssteg. Es spritzte hoch, und der Wind trug einen Schwall glitzernden Wassers herüber.Ravic spürte ihn auf der Haut wie ein kurzes Frösteln. »Das war deine Welle«, sagte Joan. »Wie in der Geschichte, die du mir in Paris erzählt hast.« »Hast du dir das gemerkt?«

»Ja. Aber du bist kein Felsen. Du bist ein Betonblock.« Sie ging zum Bootshafen hinunter, und auf ihren schönen Schultern lag der ganze Himmel. Es schien, als trüge sie ihn. Sie hatte ihre Entschuldigung. Sie würde in dem weißen Boot sitzen, ihr Haar würde in dem Wind fliegen, und ich bin ein Idiot, daß ich nicht mitfahre, dachte Ravic. Aber ich tauge noch nicht für diese Rolle. Auch das ein törichter Hochmut aus vergessenen Zeiten, eine Don Quichotterie; doch was bleibt uns, als das? Blühende Feigenbäume in den Mondnächten,die Philosophie Senecas’ und Sokrates’, ein Violinkonzert Schumanns und das

frühere Wissen als andere um den Verlust.

Er hörte die Stimme Joans von unten. Dann hörte er das dumpfe Donnern des Motors. Er richtete sich auf. Sie würde im Heck sitzen.Irgendwo draußen im Meer lag eine Insel mit einem Kloster. Manchmal krähten Hähne von dort herüber. – Wie rot die Sonne durch die Augenlider schien! Die sanften Wiesen der Kindheit, rot von den Blumen erwartungsvollen Blutes.Das alte Wiegenlied des Meeres. Die Glocken von Vineta. Das zauberhafte Glück des Nichtdenkens.

Er schlief rasch ein.

Nachmittags holte er den Wagen aus der Garage.Es war ein Talbot, den Morosow in Paris für ihn gemietet hatte. Er war mit Joan darin gekommen.

Ravic fuhr die Küste entlang. Der Tag war sehr klar und fast überhell. Er fuhr die mittlere Corniche nach Nizza und Monte Carlo und dann nach Ville-Franche. Er liebte den alten, kleinen Hafen und saß eine Zeitlang vor einem der Bistros am Kai. Er schlenderte durch die Anlagen vor dem Casino in Monte Carlo und über den Selbstmörderfriedhof hoch über dem Meer; er suchte ein Grab und stand lange davor und lächelte. Er fuhr durch die engen Straßen des alten Nizza und über die Plätze mit den Monumenten in der neuen Stadt; dann fuhr er zurück nach Cannes und über Cannes hinaus bis dahin, wo die Felsen rot wurden und die Fischerdörfer biblische Namen bekamen.

Er vergaß Joan. Er vergaß sich selbst. Er ö nete sich einfach dem klaren Tag, diesem Dreiklang aus Sonne, Meer und Land, der eine Küste blühen machte, während die Bergwege darüber noch voll Schnee lagen. Über Frankreich hing der Regen,über Europa brauste der Sturm

– aber diese schmale Küste schien von all dem nichts zu wissen.Sie schien vergessen zu sein; das Leben hatte noch einen anderen Puls hier; und während das Land hinter ihr schon grau vom Nebel der Not, der Vorahnung und der Gefahr, schien hier die Sonne, und sie war heiter, und in

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