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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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»Natürlich.«

Fernand wartete eine Weile. »Schön«, sagte er dann. »Werden wir mal anfragen.«

Er stand auf und ging in einen Nebenraum. Der andere Beamte war sehr verlegen.»Entschuldigen Sie,mein Herr«, sagte er zu Ravic. »Es ist natürlich gar nicht nötig. Wird sofort aufgeklärt sein! Wir sind Ihnen sehr dankbar für Ihre Hilfe.«

Aufgeklärt,dachte Ravic.Er sah sich ruhig um,während er eine Zigarette hervorholte. Der Gendarm stand neben der Tür. Das war zufällig.

Niemand verdächtigte ihn bis jetzt ernstlich.

Er konnte ihn beiseite stoßen – aber da waren noch der Mann von der Baufirma und zwei Arbeiter. Er gab es auf. Es war zu schwierig, durchzukommen; draußen vor der Tür standen auch gewöhnlich immer noch ein paar Polizisten herum.

Fernand kam zurück. »Auf dem Konsulat ist kein Paß mit Ihrem Namen.«

»Möglich«, sagte Ravic. »Wieso möglich?«

»Ein einzelner Beamter weiß doch nicht gleich alles am Telefon. Da sind ein halbes Dutzend Leute mit diesen Dingen beschäftigt.«

»Dieser wußte Bescheid.«

Ravic erwiderte nichts. »Sie sind kein Tscheche«, sagte Fernand.

»Hör mal, Fernand«, begann der zweite Beamte.

»Sie haben keinen tschechischen Akzent«, sagte Fernand. – »Meinetwegen nicht.«

»Sie sind ein Deutscher«, erklärte Fernand triumphierend. »Und Sie haben keinen Paß.«

»Nein«, erwiderte Ravic. »Ich bin ein Marokkaner, und ich habe jeden französischen Paß der Welt.«

»Mein Herr!« brüllte Fernand. »Was erlauben Sie sich? Sie beleidigen das französische Kolonialreich.«

»Merde!« sagte einer der Arbeiter. Der Vertreter der Baufirma machte ein Gesicht, als wollte er salutieren!

»Fernand, nun laß doch …«

»Sie lügen! Sie sind kein Tscheche! Haben Sie einen Paß oder nicht? Antworten Sie!«

Die Ratte im Menschen, dachte Ravic. Die Ratte im Menschen, die man nie ersäufen kann.Was geht es diesen Idioten an, ob ich einen Paß habe? Aber die Ratte riecht etwas, und schon kriecht sie aus dem Loch.

»Antworten Sie!« schnauzte Fernand.

Ein Stück Papier! Ob man es besaß oder nicht. Diese Kreatur würde sich entschuldigen und verbeugen, wenn man diesen Fetzen Papier hätte.Es würde gleichgültig sein, ob man eine Familie ermordet oder eine Bank beraubt hätte – der Mann würde salutieren. Aber selbst Christus ohne Paß – heute würde er im Gefängnis verkommen. Er würde ohnehin lange vor seinem dreiunddreißigsten Jahre erschlagen worden sein.

»Sie bleiben hier,bis sich das geklärt hat«,sagte Fernand. »Ich werde dafür sorgen.«

»Schön«, sagte Ravic.

Fernand stampfte hinaus. Der zweite Beamte kramte in seinen Papieren. »Mein Herr«, sagte er dann, »es tut mir leid. Er ist verrückt mit diesen Sachen.«

»Macht nichts.«

»Sind wir fertig?« fragte einer der Arbeiter. »Ja.«

»Gut.« Er wandte sich an Ravic. »Wenn die Weltrevolution kommt, brauchen Sie keinen Paß mehr.«

»Sie müssen verstehen, mein Herr«, sagte der Beamte. »Fernands Vater ist im Weltkrieg gefallen. Daher haßt er die Deutschen und macht solche Sachen.« Er sah Ravic einen Augenblick verlegen an. Er ahnte scheinbar, was los war. »Tut mir furchtbar leid, mein Herr. Wenn ich allein wäre …«

»Macht nichts.« Ravic sah sich um. »Kann ich einmal telefonieren, bevor dieser Fernand zurückkommt?«

»Natürlich. Drüben am Tisch. Tun Sie es rasch.« Ravic telefonierte mit Morosow. Er erklärte ihm auf

deutsch, was geschehen war. Er möchte Veber Bescheid sagen.

»Joan auch?« fragte Morosow.

Ravic zögerte. »Nein. Noch nicht. Sag ihr, ich sei zurückgehalten worden, aber in zwei, drei Tagen sei alles in Ordnung. Kümmere dich um sie.«

»Schön«,erwiderte Morosow nicht allzu enthusiastisch. »Schön, Wozzek.«

Ravic legte das Telefon nieder, als Fernand hereinkam. »Was sprachen Sie da gerade?« fragte er grinsend.»Tschechisch?«

»Esperanto«, erwiderte Ravic.

Veber kam am nächsten Vormittag. »Eine verdammte Bude«, sagte er und sah sich um.

»Französische Gefängnisse sind noch richtige Gefängnisse«,erwiderte Ravic.»Nicht angefault von Humanitätsduselei. Gutes, stinkendes, achtzehntes Jahrhundert.«

»Zum Kotzen«, sagte Veber. »Zum Kotzen, daß Sie da ’reingeraten sind.«

»Man soll keine guten Taten ausüben.Rächt sich sofort. Ich hätte die Frau verbluten lassen sollen. Wir leben in einem eisernen Zeitalter, Veber.«

»In einem gußeisernen.Haben die Brüder’rausgekriegt, daß Sie illegal hier sind?« »Natürlich.«

»Die Adresse auch?«

»Natürlich nicht.Ich werde das alte ›International‹ doch nicht bloßstellen.DieWirtin würde eine Strafe bekommen, weil sie unangemeldete Gäste hat. Und eine Razzia würde erfolgen, bei der man ein Dutzend Refugiés schnappen würde. Als Adresse habe ich diesmal das Hotel Lancaster angegeben. Teures, feines, kleines Hotel. Habe da in meinem früheren Leben mal gewohnt.«

»Und Ihr neuer Name ist Wozzek?«

»Wladimir Wozzek.« Ravic grinste. »Mein vierter.« »Scheiße«, sagte Veber. »Was können wir tun, Ravic?« »Nicht viel. Die Hauptsache ist, daß die Brüder nicht

’rauskriegen, daß ich schon ein paarmal hier war. Das gibt sonst sechs Monate Gefängnis.«

»Verdammt.«

»Ja,dieWelt wird täglich humaner.Lebe gefährlich,sagte Nietzsche. Die Emigranten tun es – wider Willen.«

»Und wenn man es nicht herausfindet?«

»Vierzehn Tage, denke ich. Und die bekannte Ausweisung.«

»Und dann?«

»Dann komme ich wieder.«

»Bis Sie wieder geschnappt werden.«

»Genauso. Diesmal hat es lange gedauert. Zwei Jahre. Ein Menschenleben.«

»Wir müssen da etwas machen. Das geht nicht mehr so weiter.«

»Doch, es geht. Was wollen Sie schon machen?« Veber dachte nach. »Durant«, sagte er dann plötzlich.

»Natürlich! Durant kennt einen Haufen Leute und hat Einfluß …« Er unterbrach sich. »Mein Gott, Sie haben ja einen der Oberbonzen selbst operiert! Den mit der Gallenblase!«

»Ich nicht. Durant…«

Veber lachte. »Ich kann es dem Alten natürlich nicht

sagen. Aber er kann irgendwas tun. Ich werde ihm auf der Seele knien.«

»Sie werden wenig erreichen. Ich habe Durant vor einiger Zeit um zweitausend Frank gebracht. Das vergißt der Typ nicht leicht.«

»Er wird«, sagte Veber ziemlich vergnügt, »er wird nämlich Angst haben, daß Sie etwas über schwarze Operationen erzählen.Sie haben ja Dutzende für ihn gemacht. Außerdem braucht er Sie!«

»Er kann leicht jemand anders finden.Binot oder einen Refugiéchirurgen. Es gibt genug.«

Veber strich sich seinen Schnurrbart. »Nicht mit Ihrer Hand.Wir werden das auf jeden Fall versuchen.Ich werde es noch heute machen. Kann ich hier was für Sie tun? Wie ist das Essen?«

»Schauderhaft.Aber ich kann mir was besorgen lassen.« »Zigaretten?«

»Genug. Was ich brauche, können Sie mir nicht besorgen: ein Bad.«

Ravic lebte zwei Wochen mit einem jüdischen Installateur, einem halbjüdischen Schriftsteller und einem Polen zusammen. Der Installateur hatte Heimweh nach Berlin; der Schriftsteller haßte es; dem Polen war alles egal. Ravic sorgte für Zigaretten. Der Schriftsteller erzählte jüdische Witze. Der Installateur war unersetzlich als Fachmann gegen den Gestank.

Nach zwei Wochen wurde Ravic abgeholt. Man brachte ihn zunächst zu einem Inspektor, der ihn fragte, ob er Geld hätte.

»Ja.«

»Gut. Dann können Sie ein Taxi nehmen.«

Ein Beamter ging mit ihm. Die Straße war hell genug und sonnig. Es war gut, einmal wieder draußen zu sein. Ein alter Mann am Eingang verkaufte Luftballons. Ravic konnte sich nicht denken, weshalb er das gerade vor dem Gefängnis tat.Der Beamte winkte ein Taxi heran.»Wohin fahren wir?« fragte Ravic.

»Zum Chef.«

Ravic wußte nicht, was für ein Chef das war. Es war ihm auch ziemlich gleich, solange es nicht der Chef eines deutschen Konzentrationslagers war. Es gab nur einen wirklichen Schrecken in der Welt: völlig hilflos brutalem Terror ausgeliefert zu sein. Dies hier war harmlos.

Das Taxi hatte ein Radio. Ravic stellte es an. Er bekam die Nachrichten über den Gemüsemarkt; dann politische Neuigkeiten. Der Beamte gähnte. Ravic drehte weiter. Musik. Ein Schlager. Der Beamte hellte sich auf. »Charles Trenet«, sagte er. »Menilmontant. Klasse.«

Das Taxi hielt. Ravic zahlte. Man brachte ihn in einen Warteraum, der, wie alle Warteräume der Welt, nach Erwartung, Schweiß und Staub roch.

Er saß eine halbe Stunde und las eine alte Nummer von »La Vie Parisienne«,die ein Besucher liegengelassen hatte.

Sie war wie klassische Literatur nach zwei Wochen ohne Bücher. Dann wurde er zum Chef geführt.

Es dauerte eine Weile, ehe er den kleinen fetten Mann erkannte.Er kümmerte sich gewöhnlich nicht um Gesichter, wenn er operierte. Sie waren ihm so gleichgültig wie Nummern. Ihn interessierte nur die kranke Stelle. Aber dieses Gesicht hatte er sich mit Neugier angesehen.Da saß er,gesund,den Spitzbauch schon wieder angefressen,ohne Gallenblase, Leval. Ravic hatte schon vergessen gehabt, daß Veber Durant mobilisieren wollte, und er hatte nicht erwartet, zu Leval selbst geführt zu werden.

Leval sah ihn von oben bis unten an. Er ließ sich dabei Zeit. »Sie heißen natürlich nicht Wozzek«, knurrte er dann.

»Nein.«

»Wie heißen Sie?«

»Neumann.« Ravic hatte das mit Veber arrangiert. Der hatte es Durant erklärt. Wozzek war zu exzentrisch.

»Sind Deutscher, was?« »Ja.« – Refugié?«

»Ja.«

»Weiß man nie. Sehen nicht so aus.«

»Nicht alle Refugiés sind Juden«, erklärte Ravic. »Weshalb haben Sie gelogen? Mit Ihrem Namen?« Ravic zuckte die Achseln. »Was soll man machen? Wir

lügen, so wenig wir können. Wir müssen – aber wir tun es nicht aus Spaß.«

Leval schwoll auf.»Glauben Sie,es macht uns Spaß,daß wir uns mit Ihnen abgeben müssen?«

Grau, dachte Ravic. Der Kopf war weiß-grau, die Tränensäcke schmutzigblau, der Mund halb o en. Damals redete er nicht; damals war er ein Haufen quabbeliges Fleisch mit einer faulenden Gallenblase darin.

»Wo wohnen Sie? Die Adresse war auch falsch.« »Ich habe irgendwo gewohnt. Einmal hier, einmal da.« »Wie lange?«

»Drei Wochen. Ich bin vor drei Wochen aus der Schweiz gekommen. Wurde dort über die Grenze geschoben. Sie wissen ja,daß wir illegal,ohne Papiere,nirgendwo das Recht haben zu leben – und daß die meisten von uns sich noch nicht entschließen können,Selbstmord zu begehen.Das ist der Grund, weshalb wir Ihnen Scherereien machen.«

»Sollten in Deutschland geblieben sein«, knurrte Leval. »Es ist alles gar nicht so schlimm da. Wird viel übertrieben.«

Eine Spur anders geschnitten,dachte Ravic,und du wärest nicht hier, um diesen Unsinn zu reden. Die Würmer hätten ohne Papiere deine Grenzen überschritten – oder du wärest eine Handvoll Staub in einer geschmacklosen Urne.

»Wo haben Sie hier gewohnt?« fragte Leval.

Das möchtest du gern wissen, dachte Ravic, um andere da zu fangen. »In guten Hotels«, sagte er. »Unter verschiedenen Namen. Immer für ein paar Tage.

»Das ist nicht wahr.«

»Weshalb fragen Sie mich, wenn Sie es besser wissen«, sagte Ravic, der langsam genug hatte.

Leval schlug mit der flachen Hand ärgerlich auf den Tisch.»Seien Sie nicht unverschämt!« Er besah sich gleich darauf seine Hand genau.

»Sie haben auf die Schere geschlagen«, sagte Ravic. Leval steckte die Hand in die Tasche. »Finden Sie nicht,

daß Sie ziemlich frech sind?« fragte er plötzlich mit der Ruhe eines Mannes, der es sich leisten kann, sich zu beherrschen, weil der andere völlig auf ihn angewiesen ist.

»Frech?« Ravic blickte ihn erstaunt an. »Frech nennen Sie das? Wir sind hier doch weder in der Schule noch im Stift für reuige Verbrecher! Ich handle in Notwehr – und Sie möchten, daß ich mich wie ein Gauner fühle, der um ein mildes Urteil bittet? Nur, weil ich kein Nazi bin und deshalb keine Papiere habe? Daß wir uns noch immer nicht für Verbrecher halten, obschon wir Gefängnisse, Polizei, Demütigungen jeder Art kennen, nur weil wir am Leben bleiben wollen – das ist das einzige, was uns noch aufrechterhält, verstehen Sie das nicht? Das ist weiß Gott etwas anderes als Frechheit.«

Leval antwortete nicht darauf. »Haben Sie hier praktiziert?« fragte er.

»Nein.«

Die Narbe muß jetzt kleiner sein, dachte Ravic. Ich habe damals gut genäht. Es war eine mächtige Arbeit mit

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