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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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»Sie wollen Sie mitnehmen?« »Exakt.«

»Mein Herr, das ist gegen unsere Grundsätze. Wir verkaufen keine Flaschen.«

»Fragen Sie den Patron.«

Der Kellner kam mit einer Zeitung zurück. Es war der »Paris Soir«. »Der Wirt will eine Ausnahme machen«, erklärte er, drückte den Korken fest ein und wickelte die Flasche in den »Paris Soir«, nachdem er die Sportbeilage herausgenommen, zusammen-gefaltet und in die Tasche gesteckt hatte. »Hier, mein Herr.

Lagern Sie ihn dunkel und kühl. Er stammt vom Gut des Großvaters unseres Patrons.«

»Gut.« Ravic zahlte. Er nahm die Flasche und sah sie an.»Sonnenschein, auf Äpfeln einen heißen Sommer und einen blauen Herbst lang gelegen in einem windverwehten,alten Obstgarten der Normandie,komm mit uns.Wir brauchen dich. Es stürmt irgendwo im Universum.«

Sie traten auf die Straße.Es hatte angefangen zu regnen. Joan blieb stehen. »Ravic! Liebst du mich?«

»Ja, Joan. Mehr als du glaubst.«

Sie lehnte sich an ihn. »Es sieht manchmal nicht so aus.«

»Im Gegenteil. Ich würde dir sonst solche Dinge nie erzählen.«

»Du solltest mir lieber andere erzählen.«

Er sah in den Regen und lächelte. »Liebe ist kein Teich,

in dem man sich immer spiegeln kann, Joan. Sie hat Ebbe und Flut. Und Wracks und versunkene Städte und Oktopusse und Stürme und Goldkisten und Perlen. Aber die Perlen liegen tief.«

»Davon weiß ich nichts. Liebe ist Zusammengehören. Für immer.«

Für immer, dachte er. Das alte Kindermärchen.

Wenn man nicht einmal die Minute halten kann! Joan knöpfte ihren Mantel zu. »Ich wollte, es wäre

Sommer«, sagte sie. »Ich habe es noch nie so gewollt wie in diesem Jahr.«

Sie nahm ihr schwarzes Abendkleid aus dem Schrank und warf es auf das Bett.»Wie ich das manchmal hasse.Dieses ewige schwarze Kleid! Diese ewige Scheherazade! Immer dasselbe! Immer dasselbe!«

Ravic blickte auf. Er sagte nichts. »Verstehst du das nicht?« fragte sie. »O ja …«

»Warum nimmst du mich nicht da weg, Liebster?« »Wohin?«

»Irgendwohin! Irgendwohin!«

Ravic wickelte die Flasche Calvados aus und zog den Pfropfen heraus. Dann holte er ein Glas und goß es voll. »Komm«, sagte er. »Trink das.«

Sie schüttelte den Kopf. »Es nützt nichts. Manchmal

nützt es nicht, zu trinken. Manchmal nützt alles nicht. Ich will heute abend nicht dahin gehen, zu diesen Idioten.«

»Bleib hier.« »Und dann?«

»Telefoniere, du seist krank.«

»Dann muß ich morgen trotzdem hin,und das ist noch schlimmer.«

»Du kannst für ein paar Tage krank sein.«

»Das bleibt dasselbe.« Sie sah ihn an. »Was ist das nur? Was ist das nur mit mir, Liebster? Ist es der Regen? Ist es die nasse Dunkelheit? Manchmal ist es wie ein Sarg, in dem man liegt. Die grauen Nachmittage, in denen man ertrinkt. Ich hatte es vergessen vorhin, ich war glücklich mit dir in dem kleinen Restaurant – warum mußtest du über Verlassen und Verlassenwerden sprechen? Ich will nichts davon wissen und will nichts davon hören! Es macht mich traurig, es hält mir Bilder hin, die ich nicht sehen will, und es macht mich unruhig. Ich weiß, du meinst es nicht so, aber es trifft mich. Es trifft mich, und dann kommt der Regen und die Dunkelheit. Du kennst das nicht. Du bist stark.«

»Stark?« wiederholte Ravic. »Ja.«

»Woher weißt du das?« »Du hast keine Angst.«

»Ich habe schon keine Angst mehr. Das ist nicht dasselbe, Joan.«

Sie hörte nicht, was er sagte. Sie ging auf und ab mit ihren langen Schritten, für die der Raum zu klein war. Sie geht immer, als ginge sie gegen den Wind, dachte Ravic. »Ich möchte weg von dem allem«, sagte sie. »Weg von diesem Hotel, weg von diesem Nachtklub mit den klebrigen Blicken, weg!« Sie blieb stehen. »Ravic, müssen wir so leben, wie wir leben? Können wir nicht leben wie andere Menschen, die sich lieben? Beieinandersein und Dinge haben, die einem gehören, und Abende und Sicherheit, anstatt dieser Ko er und leeren Tage und dieser Hotelzimmer, in denen man fremd ist?«

Ravics Gesicht war undeutbar. Da kommt es, dachte er. Er hatte es irgendwann erwartet. »Siehst du das wirklich für uns, Joan?«

»Warum nicht? Andere haben es auch! Wärme,Zusammengehören, ein paar Zimmer, und wenn man die Tür zumacht, ist die Unruhe fort, und es kriecht nicht durch die Wände, wie hier.«

»Siehst du es wirklich?« wiederholte Ravic. »Ja.« »Eine hübsche, kleine Wohnung mit einer hübschen,

kleinen Bürgerlichkeit. Eine hübsche, kleine Sicherheit am Rande des Kraters. Siehst du das wirklich?«

»Man kann es auch anders nennen«, sagte sie traurig. »Nicht gerade so – verächtlich. Wenn man jemand liebt, hat man andere Namen dafür.«

»Es bleibt dasselbe,Joan.Siehst du es wirklich?Wir sind beide nicht dafür gescha en.«

Sie blieb stehen. »Ich schon.«

Ravic lächelte.Es war Zärtlichkeit,Ironie und ein Schatten von Traurigkeit darin.»Joan«,sagte er.»Du auch nicht. Du noch weniger als ich. Aber das ist nicht der einzige Grund. Da ist noch ein anderer.«

»Ja«, erwiderte sie bitter. »Das weiß ich.«

»Nein, Joan. Das weißt du nicht. Aber ich will es dir sagen. Es ist besser. Du sollst nicht denken, was du jetzt denkst.«

Sie stand immer noch vor ihm. »Wir wollen es rasch machen«, sagte er. »Und frag mich nicht viel nachher.«

Sie antwortete nicht. Ihr Gesicht war leer. Es war plötzlich wieder das Gesicht, das sie früher gehabt hatte. Er nahm ihre Hände. »Ich lebe illegal in Frankreich«, sagte er. »Ich habe keine Papiere. Das ist der wirkliche Grund. Deshalb kann ich nie eine Wohnung nehmen. Ich kann auch nie heiraten, wenn ich jemand liebe. Ich brauche Ausweise und Visa dazu.Die habe ich nicht.Ich darf nicht einmal arbeiten. Ich muß es schwarz tun. Ich kann nie anders leben als jetzt.«

Sie starrte ihn an. »Ist das wahr?«

Er zuckte die Achseln. »Es gibt ein paar tausend Menschen,die so ähnlich leben.Du weißt das doch sicher auch. Jeder weiß das ja heute. Ich bin einer davon.« Er lächelte und ließ ihre Hände los. »Ein Mensch ohne Zukunft, wie Morosow das nennt.«

»Ja… aber…«

»Ich habe es sogar noch sehr gut.Ich arbeite,ich lebe,ich habe dich – was sind da ein paar Unbequemlichkeiten?«

»Und die Polizei?«

»Die Polizei kümmert sich nicht allzuviel darum.Wenn sie mich zufällig erwischt, würde ich ausgewiesen, das ist alles. Aber das ist unwahrscheinlich. Und nun geh und telefoniere deinem Nachtklub,daß du heute nicht kommst. Wir wollen heute den Abend für uns haben. Den ganzen Abend. Sag, daß du krank seiest.Wenn sie ein Attest wollen, besorge ich dir eines von Veber.«

Sie ging nicht. »Ausgewiesen«, sagte sie, als begri e sie das nur langsam. »Ausgewiesen? Aus Frankreich? Und dann bist du fort?«

»Nur für eine kurze Zeit.«

Sie schien nicht zu hören. »Fort«, sagte sie. »Fort! Und was soll ich dann machen?«

Ravic lächelte ihr zu. »Ja«, sagte er. »Was sollst du dann machen?«

Sie saß da, die Hände aufgestützt, wie erstarrt. »Joan«, sagte Ravic.»Ich bin seit zwei Jahren hier,und es ist nichts passiert.«

Ihr Gesicht veränderte sich nicht. »Und wenn es trotzdem passiert?«

»Dann bin ich bald wieder zurück. In ein, zwei Wochen. Es ist wie eine Reise, weiter nichts. Und nun ruf die Scheherazade an.«

Sie erhob sich zögernd. »Was soll ich sagen?«

»Daß du Bronchitis hast. Sprich etwas heiser.«

Sie ging zum Telefon hinüber. Dann kam sie rasch zurück. »Ravic …«

Er machte sich vorsichtig los. »Komm«, sagte er. »Das ist vergessen. Es ist sogar ein Segen. Es behütet uns davor, Rentiers der Leidenschaft zu werden.Es hält uns die Liebe rein – sie bleibt eine Flamme – und wird kein Kochherd für den Familienkohl. Geh jetzt und telefoniere.«

Sie nahm den Hörer hoch. Er sah ihr zu, wie sie sprach. Im Anfang war sie nicht dabei; sie sah ihn immer noch an, als würde er gleich verhaftet. Aber dann begann sie allmählich ziemlich leicht und selbstverständlich zu lügen. Sie log sogar mehr hinzu, als notwendig war. Ihr Gesicht belebte sich und zeigte die Schmerzen in der Brust, die sie beschrieb. Ihre Stimme wurde müde und immer heiserer, und am Schluß begann sie zu husten. Sie sah Ravic nicht mehr an; sie blickte vor sich hin und war ganz hingegeben an ihre Rolle.Er beobachtete sie schweigend und trank dann einen großen Schluck Calvados.Keine Komplexe,dachte er. Ein Spiegel, der wunderbar spiegelt – aber nichts hält.

Joan legte das Telefon nieder und strich sich das Haar zurück. »Sie haben alles geglaubt.«

»Du warst erstklassig.«

»Sie sagten, ich solle zu Bett bleiben. Und wenn es morgen nicht vorbei sei, um Himmels willen auch.«

»Siehst du. Damit ist die Angelegenheit mit morgen auch schon erledigt.«

»Ja«, sagte sie eine Sekunde finster. »Wenn man es so nimmt.« Dann kam sie zu ihm herüber. »Du hast mich erschreckt, Ravic. Sag, daß es nicht wahr ist. Du sagst oft Dinge nur so dahin. Sag, daß es nicht wahr ist. Nicht so, wie du es gesagt hast.«

»Es ist nicht wahr.«

Sie legte den Kopf an seine Schulter. »Es kann nicht wahr sein. Ich will nicht wieder allein sein. Du mußt bei mir bleiben. Ich bin nichts, wenn ich allein bin. Ich bin nichts ohne dich, Ravic.«

Ravic sah auf sie herunter. »Joan«, sagte er. »Manchmal bist du die Tochter eines Portiers und manchmal Diana aus den Wäldern. Und manchmal beides.«

Sie rührte sich nicht an seiner Schulter. »Was bin ich jetzt?«

Er lächelte. »Diana mit dem silbernen Bogen. Unverwundbar und tödlich.«

»Du solltest mir das öfters sagen.«

Ravic schwieg. Sie hatte nicht verstanden, was er gemeint hatte. Es war auch nicht nötig. Sie nahm, was ihr paßte und wie es ihr paßte, und kümmerte sich um weiter nichts. Aber war es nicht das gerade, was ihn anzog? Wer wollte schon jemanden, der war wie man selbst? Und wer fragte nach Moral in der Liebe? Das war eine Erfindung der Schwachen. Und der Klagegesang der Opfer.

»Was denkst du?« fragte sie. »Nichts.«

»Nichts?«

»Doch«,sagte er.»Wir werden ein paar Tage wegfahren, Joan. Dahin, wo Sonne ist. Nach Cannes oder Antibes. Zum Teufel mit aller Vorsicht! Zum Teufel auch mit allen Träumen von Dreizimmerwohnungen und dem Geiergeschrei der Bürgerlichkeit! Das ist nichts für uns. Bist du nicht Budapest und der Geruch blühender Kastanienalleen, nachts, wenn die ganze Welt heiß und sommergierig mit dem Monde schläft? Du hast recht! Wir wollen heraus aus der Dunkelheit und der Kälte und dem Regen! Wenigstens für ein paar Tage.«

Sie hatte sich rasch aufgerichtet und sah ihn an.»Meinst du das wirklich?« »Ja.«

»Aber – die Polizei …«

»Zum Teufel mit der Polizei! Es ist drüben nicht gefährlicher als hier. Touristenplätze werden nicht scharf kontrolliert. Besonders nicht die guten Hotels. Warst du nie da?«

»Nein. Nie. Ich war nur in Italien und an der Adria. Wann fahren wir?«

»In zwei, drei Wochen. Das ist die beste Zeit.« »Haben wir denn Geld?«

»Wir haben etwas. In zwei Wochen werden wir genügend haben.«

»Wir können in einer kleinen Pension wohnen.« »Du gehörst in keine kleine Pension.Du gehörst in eine

Bude wie hier oder in ein erstklassiges Hotel.Wir werden

im Caphotel in Antibes wohnen. Solche Hotels sind völlig sicher,und niemand verlangt dort Papiere.Ich muß in der nächsten Zeit einem bedeutenden Tier, irgendeinem höheren Beamten, den Bauch aufschneiden; der wird dafür sorgen, daß wir den Rest des Geldes, das wir brauchen, dazubekommen.«

Joan stand rasch auf. Ihr Gesicht leuchtete. »Komm«, sagte sie. »Gib mir noch von dem Calvados. Er scheint wirklich ein Calvados der Träume zu sein.« Sie ging zum Bett hinüber und hob das Abendkleid hoch. »Mein Gott

und ich habe nur diese zwei alten, schwarzen Fetzen!« »Vielleicht können wir da auch noch etwas tun. In zwei

Wochen kann manches passieren. Ein Blinddarm in der besseren Gesellschaft oder ein komplizierter Bruch bei einem Millionär …«

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