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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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»Ja«, erwiderte sie ohne Überzeugung.

Ravic legte die Decke über den schmalen Körper. Als er aufblickte, sah er, daß sie weinte. »Geht es nicht doch früher?« sagte sie. »Ich kann ja sitzen, wenn ich arbeite. Ich muß …«

»Vielleicht. Wir werden sehen. Es hängt davon ab, wie Sie sich verhalten.Sie sollten mir sagen,wie die Hebamme hieß, die den Eingri gemacht hat, Lucienne.«

Er sah die Abwehr in ihren Augen. »Ich gehe nicht zur Polizei«,sagte er.»Bestimmt nicht.Ich will nur versuchen, das Geld herauszubekommen, das Sie ihr bezahlt haben, Sie können dann ruhiger sein. Wieviel war es?«

»Dreihundert Frank. Sie werden es nie von ihr kriegen.«

»Man kann es versuchen.Wie heißt sie, und wo wohnt sie? Sie werden sie nie mehr brauchen, Lucienne. Sie können keine Kinder mehr bekommen. Und sie kann nichts gegen Sie tun.«

Das Mädchen zögerte. »In der Schublade dort«, sagte sie dann. »Rechts in der Schublade.«

»Dieser Zettel hier?« – »Ja.«

»Gut.Ich werde in den nächsten Tagen hingehen.Haben Sie keine Angst.« Ravic zog seinen Mantel an. »Was ist denn?« fragte er. »Weshalb wollen Sie aufstehen?«

»Bobo. Sie kennen ihn nicht.«

Er lächelte. »Ich glaube, ich kenne schlimmere. Bleiben Sie nur liegen. Nach dem, was ich gesehen habe, brauchen

wir keine Sorge zu haben.Auf Wiedersehen,Lucienne.Ich komme bald wieder.«

Ravic drehte den Schlüssel und die Klinke zur selben Zeit und ö nete rasch die Tür. Niemand stand auf dem Flur. Er hatte es auch nicht erwartet; er kannte Bobos Typ.

In der Schlächterei unten stand jetzt der Geselle, ein gelbgesichtiger Mensch ohne die Passion der Wirtin. Er hackte lustlos herum.Seit dem Trauerfall war er bedeutend müder geworden.

Seine Chance,die Meisterin zu heiraten,war gering.Ein Bürstenbinder gegenüber im Bistro erklärte das laut und auch, daß sie ihn vorher ebenfalls zum Friedhof bringen würde.Der Geselle habe bereits stark verloren.Die Witwe aber sei mächtig aufgeblüht.Ravic trank einen Cassis und zahlte. Er hatte geglaubt, Bobo in dem Bistro zu tre en; aber Bobo war nicht da.

Joan Madou kam aus der Tür der Scheherazade.Sie ö nete die Tür des Taxis, in dem Ravic wartete. »Komm«, sagte sie. »Laß uns weg von hier. Wir wollen zu dir.«

»Ist etwas passiert?«

»Nein. Nichts. Ich habe nur genug vom Nachtklubleben.«

»Einen Augenblick.« Ravic winkte die Blumenverkäuferin, die vor dem Eingang stand, heran. »Muttchen«, sagte er. »Gib mir alle deine Rosen. Was kosten sie? Aber sei nicht wahnsinnig.«

»Sechzig Frank.Für Sie.Weil Sie mir das Rezept für den Rheumatismus gegeben haben.«

»Hat es genützt?«

»Nein. Kann es auch nicht, solange ich die Nacht im Nassen stehe.«

»Sie sind der vernünftigste Patient, den ich im Leben getro en habe.«

Er nahm die Rosen. »Hier ist eine Entschuldigung, weil du heute morgen allein aufwachen mußtest und kein Frühstück bekommen hast«, sagte er zu Joan und packte die Blumen auf den Boden des Taxis.

»Willst du noch etwas trinken?«

»Nein. Wir wollen zu dir. Leg die Blumen hierher auf den Sitz. Nicht auf den Boden.«

»Sie liegen da gut. Man soll Blumen lieben, aber nicht zu viele Umstände mit ihnen machen.«

Sie wendete rasch den Kopf.»Du meinst,was man liebt, soll man nicht verwöhnen?«

»Nein. Ich meine nur, daß man schöne Dinge nicht dramatisieren soll. Im Augenblick ist es außerdem besser, wenn keine Blumen zwischen uns liegen.«

Joan blickte ihn einen Moment zweifelnd an. Dann erhellte sich ihr Gesicht. »Weißt du, was ich heute getan habe? Ich habe gelebt. Wieder gelebt. Ich habe geatmet. Wieder geatmet. Ich war da.Wieder da. Zum ersten Male. Ich habe wieder Hände. Und Augen und einen Mund.«

Der Chau eur manövrierte das Taxi in der schmalen

Straße aus den anderen Wagen heraus. Dann fuhr er mit einem Ruck an.Der Stoß warf Joan gegen Ravic.Er hielt sie einen Augenblick in seinen Armen und fühlte sie. Es war wie ein warmer Wind, als wehte sie ihn an und schmelze die Krusten des Tages hinweg,die sonderbare,abwehrende Kühle in ihm, während sie dasaß und sprach, hingerissen von ihrem Gefühl und von sich selbst.

»Den ganzen Tag – es strömte, als wären überall Brunnen, es warf sich mir über den Nacken und gegen die Brust, als müßte ich grün werden und Blätter treiben und Blüten – es hielt mich und hielt mich und hielt mich und ließ mich nicht los – und da bin ich nun – und du …«

Ravic sah sie an. Sie saß vorgebeugt auf dem schmutzigen Ledersitz, und ihre Schultern leuchteten aus ihrem schwarzen Abendkleid. Sie war o en und unbedenklich und ohne Scham, sie sagte, was sie fühlte, und er kam sich ärmlich und trocken gegen sie vor.

Ich habe operiert, dachte er. Ich habe dich vergessen gehabt. Ich war bei Lucienne. Ich war irgendwo in der Vergangenheit. Ohne dich. Dann, als der Abend kam, kam langsam die Wärme. Ich war nicht bei dir. Ich habe an Kate Hegström gedacht.

»Joan«,sagte er und legte seine Hände über ihre Hände, die sie auf den Sitz gestützt hatte.»Wir können noch nicht gleich zu mir fahren.Ich muß noch einmal zur Klinik.Nur für einige Minuten.«

»Mußt du nach der Frau sehen, die du operiert hast?«

»Nicht nach der von heute morgen.Nach einer anderen. Willst du irgendwo auf mich warten?«

»Mußt du gleich hingehen?«

»Es ist besser. Ich will nicht, daß man mich später anruft.«

»Ich kann bei dir warten. Haben wir so viel Zeit, bei deinem Hotel vorbeizufahren?« »Ja.«

»Dann laß uns hinfahren. Du kommst dann später. Ich kann auf dich warten.«

»Gut.« Ravic sagte dem Chau eur die Adresse.Er lehnte sich zurück und fühlte die Kante des Sitzes an seinem Nacken. Seine Hände waren noch auf den Händen Joans. Er spürte, daß sie wartete, er solle etwas sagen. Etwas über ihn und sie.Aber er konnte es nicht. Sie hatte schon zuviel gesagt. Es war nicht so viel, dachte er.

Der Wagen hielt. »Fahr weiter«, sagte Joan. »Ich werde schon hier fertig. Ich habe keine Angst. Gib mir nur deinen Schlüssel.«

»Der Schlüssel ist im Hotel.«

»Ich werde ihn mir geben lassen. Ich muß das lernen.« Sie nahm die Blumen vom Boden. »Bei einem Mann, der mich verläßt, während ich schlafe, und wiederkommt, wenn ich es nicht erwarte – ich muß da wohl manches lernen. Laß mich gleich anfangen.«

»Ich werde mit dir hinaufgehen. Wir wollen nicht übertreiben. Schlimm genug, daß ich dich gleich wieder allein lasse.«

Sie lachte. Sie sah sehr jung aus. »Warten Sie bitte einen Moment«, sagte Ravic zu dem Chau eur.

Der Mann schloß langsam ein Auge. »Auch länger.« »Gib mir den Schlüssel«, sagte Joan, als sie die Treppe

hinaufgingen.

»Warum?« »Gib ihn mir.«

Sie schloß die Tür auf. Dann blieb sie stehen. »Schön«, sagte sie in das dunkle Zimmer hinein,in dem hinter dem Fenster ein kahler Mond durch die Wolken schien.

»Schön? Diese Bude?«

»Ja, schön! Alles ist schön.«

»Jetzt vielleicht noch. Jetzt ist es dunkel.Aber …« Ravic gri nach dem Lichtschalter.

»Laß. Ich mache das selbst. Und nun geh. Aber komm nicht erst morgen mittag wieder.«

Sie stand an der Türö nung im Dunkeln. Das silberne Licht vom Fenster war hinter ihren Schultern und ihrem Kopf. Sie war undeutlich und aufregend und geheimnisvoll. Ihr Mantel war hinuntergeglitten; er lag wie ein Haufen schwarzer Schaum zu ihren Füßen. Sie lehnte in der Türö nung, und nur einer ihrer Arme fing einen langen Streifen Licht vom Korridor her. »Geh und komm wieder«, sagte sie und schloß die Tür.

Das Fieber Kate Hegströms war heruntergegangen.»Ist sie aufgewacht?« fragte Ravic die verschlafene Schwester.

»Ja. Um elf. Sie hat nach Ihnen gefragt. Ich habe ihr gesagt, was Sie mir aufgetragen haben.«

»Hat sie etwas über die Verbände gesagt?«

»Ja. Ich habe ihr gesagt, Sie hätten schneiden müssen. Eine leichte Operation. Sie würden es ihr morgen erklären.«

»Das war alles?«

»Ja. Sie sagte, wenn Sie es für richtig gehalten hätten, wäre alles in Ordnung. Ich sollte Sie grüßen, wenn Sie noch einmal kämen, heute nacht, und Ihnen sagen, sie vertraue Ihnen.«

»So …«

Ravic stand eine Weile und sah auf das schwarze, gescheitelte Haar der Schwester hinab. »Wie alt sind Sie?« fragte er dann.

Sie hob verwundert den Kopf. »Dreiundzwanzig.« »Dreiundzwanzig. Und wie lange pflegen Sie schon?« »Seit zweieinhalb Jahren. Im Januar werden es zwei-

einhalb Jahre.«

»Lieben Sie Ihren Beruf?«

Die Schwester lächelte über ihr Apfelgesicht. »Ich habe ihn gern«, erklärte sie redselig. »Manche Kranke sind natürlich anstrengend, aber die meisten sind sehr nett. Madame Brissot hat mir gestern ein schönes, fast neues Seidenkleid geschenkt. Und die letzte Woche habe ich von Madame Lerner ein Paar Lackschuhe bekommen. Von der, die dann zu Hause gestorben ist.« Sie lächelte

wieder. »Ich brauche mir fast keine Garderobe zu kaufen. Ich bekomme fast immer irgend etwas.Wenn ich es nicht verwerten kann,tausche ich es um bei einer Freundin,die ein Geschäft hat. Mir geht es dadurch sehr gut. Madame Hegström ist auch immer sehr freigebig.Sie gibt Geld.Das letztemal waren es einhundert Frank. Für nur zwölf Tage. Wie lange wird sie diesmal liegen, Doktor?«

»Länger. Ein paar Wochen.«

Die Schwester sah glücklich aus. Sie rechnete hinter ihrer klaren, faltenlosen Stirn aus, wieviel ihr das einbringen würde. Ravic beugte sich noch einmal über Kate Hegström. Sie atmete ruhig. Der schwache Wundgeruch mischte sich mit dem herben Parfüm ihres Haares. Er konnte es plötzlich nicht ertragen. Sie hatte Vertrauen zu ihm. Vertrauen. Der schmale, zerschnittene Bauch, in dem das Tier fraß. Zugenäht, ohne etwas tun zu können. Vertrauen.

»Gute Nacht, Schwester«, sagte er. – »Gute Nacht, Doktor.« Die rundliche Schwester setzte sich in den Sessel in der Ecke des Zimmers. Sie schirmte das Licht gegen das Bett hin ab, wikkelte sich eine Decke um die Füße und gri nach einem Magazin. Es war eines der billigen Hefte mit Detektivgeschichten und Filmbildern. Sie rückte sich behaglich zurecht und begann zu lesen. Neben sich auf dem Tischchen hatte sie eine geö nete Tüte mit Schokoladenplätzchen liegen. Ravic sah noch, wie sie ohne aufzuschauen eines herausnahm.Manchmal begreift man

die einfachsten Dinge nicht, dachte er – daß in demselben Raum einer todkrank liegt, und den andern geht es überhaupt nichts an. Er schloß die Tür. Aber ist es nicht mit mir dasselbe? Gehe ich nicht aus diesem Zimmer in ein anderes, in dem …

Das Zimmer war dunkel. Die Tür zum Badezimmer war etwas geö net. Dahinter brannte Licht. Ravic zögerte. Er wußte nicht, ob Joan noch im Badezimmer war. Dann hörte er sie atmen. Er ging durch den Raum zum Bad. Er sagte nichts. Er wußte, sie war da, und sie schlief nicht, aber auch sie sagte nichts. Das Zimmer war plötzlich voll Schweigen und Warten und Spannung – wie ein Strudel, der lautlos rief –; ein unbekannter Abgrund, jenseits der Gedanken, aus dem der Schwindel und der Mohn einer roten Betäubung aufwölkte.

Er schloß die Badezimmertür. Im klaren Licht der weißen Birnen war alles wieder vertraut und bekannt. Er drehte die Hähne der Brause an.Es war die einzige Brause im Hotel. Ravic hatte sie selbst bezahlt und anbringen lassen.Er wußte,daß sie in seiner Abwesenheit als Sehenswürdigkeit noch immer den französischen Verwandten und Freunden der Hotelbesitzerin gezeigt wurde.

Das heiße Wasser strömte über seine Haut. Nebenan lag jetzt Joan Madou und wartete auf ihn. Ihre Haut war glatt, ihr Haar überstürzte wie eine heftige Welle das Kissen, und ihre Augen glänzten, sogar, wenn das Zimmer

fast dunkel war, als fingen sie selbst das spärliche Licht der Wintersterne vor dem Fenster und reflektierten es. Sie lag da, geschmeidig und veränderlich und aufregend, weil nichts übrigblieb von der Frau, die man noch eine Stunde vorher kannte, sie war alles, was es an Reiz und Lockung ohne Liebe geben konnte – und doch empfand er auf einmal etwas wie Abneigung gegen sie – eine sonderbare Abwehr, gemischt mit einer heftigen und plötzlichen Zuneigung. Er blickte sich unwillkürlich um – wenn das Badezimmer noch einen zweiten Ausgang gehabt hätte, hätte er es für möglich gehalten, daß er sich angezogen hätte und fortgegangen wäre, um zu trinken.

Er trocknete sich ab und zögerte noch eine Weile herum. Merkwürdig, was ihn da angeflogen war aus dem Nirgendwo. Ein Schatten, ein Nichts. Vielleicht war es gekommen, weil er bei Kate Hegström gewesen war. Oder durch das, was Joan vorher im Taxi gesagt hatte. Viel zu schnell und viel zu leicht. Oder einfach nur, weil jemand wartete – statt daß er wartete. Er verzog die Lippen und ö nete die Tür.

»Ravic«, sagte Joan aus dem Dunkel. »Der Calvados steht auf dem Tisch am Fenster.«

Er blieb stehen. Er merkte, daß er in einer Spannung gewesen war. Er hätte vieles nicht ertragen können, was sie gesagt hätte. Dieses war richtig. Die Spannung löste sich zu loser, leiser Sicherheit. »Hast du die Flasche gefunden?« fragte er.

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