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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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Und das andere? Was hatte das mit ihr zu tun? Was hatte es sogar mit ihm selbst noch zu tun? War er nicht ein Narr, daß er einer Täuschung nachjagte, dem Reflex einer verknäuelten, schwarzen Erinnerung, einer finsteren Reaktion – daß er wieder zu wühlen begann in den Schlacken toter Jahre, aufgerührt durch einen Zufall, eine verfluchte Ähnlichkeit – daß er ein Stück verfaulter Vergangenheit, eine Schwäche kaum verheilter Neurose wieder aufbrechen ließ und alles dadurch in Gefahr brachte, was er in sich aufgebaut hatte, und den einzigen Menschen, in all dem Gleiten, der ihm verbunden war? Was hatte das eine mit dem andern zu tun? Hatte er sich das nicht selbst immer wieder gelehrt? Wie wäre er sonst entkommen? Und wo wäre er sonst geblieben?

Er spürte, wie das Blei in seinen Gliedern schmolz. Er atmete tief.DerWind kam mit raschen Stößen die Straßen entlang. Er blickte wieder auf das erleuchtete Fenster. Da war jemand, dem er etwas bedeutete, jemand, für den er wichtig war,jemand,dessen Gesicht sich veränderte,wenn es ihn sah – und er hatte es einer verzerrten Illusion, dem ungeduldig abweisenden Hochmut einer blassen Racheho nung opfern wollen …

Was wollte er denn? Wozu wehrte er sich? Wozu hob er sich auf? Das Leben hielt sich ihm hin, und er machte Einwendungen. Nicht, weil es zuwenig – weil es zuviel war. Mußte erst das blutige Gewitter der Vergangenheit über ihn hinweggehen, damit er das erkennen konnte? Er

bewegte die Schultern. Herz, dachte er. Herz! Wie es sich ö nete! Wie es sich bewegte! Fenster, dachte er, einsames, leuchtendes Fenster in der Nacht, Widerschein eines anderen Lebens, das sich ungestüm ihm entgegengeworfen hatte, o en, bereit, bis auch er sich ö nete. Die Flamme der Lust, das Elmsfeuer der Zärtlichkeit, das helle, rasche Wetterleuchten des Blutes – man kannte das, man kannte alles, man kannte so viel, daß man glaubte, nie wieder würde die weiche, goldene Verwirrung das Gehirn überschwemmen können –, und dann stand man plötzlich in einer Nacht vor einem drittklassigen Hotel, und es stieg wie Rauch aus dem Asphalt, und man spürte es, als käme von der andern Seite der Erde, von blauen Kokosinseln, die Wärme eines tropischen Frühlings, filtere sich durch Ozeane,Korallengründe,Lava und Dunkelheit und stiege jäh auf in Paris, in der schäbigen Rue de Poncelet, mit dem Duft von Hibiskus und Mimosen, in einer Nacht voll Rache und Vergangenheit,unwiderstehlich,unwidersprechlich, rätselhafte Erlösung des Gefühls …

Die Scheherazade war voller Menschen. Joan saß an einem Tisch mit einigen Leuten. Sie sah Ravic sofort. Er blieb an der Tür stehen. Das Lokal schwamm in Rauch und Musik. Sie sagte etwas zu den Leuten am Tisch und kam rasch auf ihn zu. »Ravic …«

»Hast du hier noch zu tun?« »Warum?«

»Ich will dich mitnehmen.«

»Aber du sagtest doch …«

»Das ist vorbei. Hast du hier noch etwas zu tun?« »Nein. Ich muß nur denen drüben sagen, daß ich

gehe.«

»Tu es schnell – ich warte draußen im Taxi auf dich.« »Ja.« Sie blieb stehen. »Ravic …«

Er sah sie an.»Bist du meinetwegen zurückgekommen?« fragte sie.

Er zögerte eine Sekunde. »Ja«, sagte er dann leise in das atmende Gesicht hinein, das sich ihm hinhielt. »Ja. Joan. Deinetwegen. Nur deinetwegen!«

Sie machte eine rasche Bewegung. »Komm«, sagte sie dann. »Laß uns gehen! Was kümmern uns diese Leute hier noch.«

Das Taxi fuhr die Rue de Liège entlang. »Was war, Ravic?«

»Nichts.«

»Ich hatte Angst.« »Vergiß es. Es war nichts.«

Joan sah ihn an. »Ich dachte, du kämest nie wieder.« Er beugte sich über sie.Er fühlte,wie sie zitterte.»Joan«, sagte er. »Denk an nichts und frage nichts. Siehst du die Laternenlichter und die tausend bunten Schilder da draußen? Wir leben in einer sterbenden Zeit, und diese Stadt bebt von Leben.Wir sind losgerissen von allem und haben nur noch unsere Herzen. Ich war auf einer Mondlandschaft, und ich bin wiedergekommen, und du bist da und

bist das Leben. Frage nichts mehr. Es gibt mehr Geheimnisse in deinem Haar als in tausend Fragen. Da, vor uns ist die Nacht, ein paar Stunden und eine Ewigkeit, bis der Morgen an das Fenster dröhnt.Daß Menschen sich lieben, ist alles; ein Wunder und das Selbstverständlichste, was es gibt, das habe ich heute gefühlt, als die Nacht in einen Blütenbusch zerschmolz und der Wind nach Erdbeeren roch, und ohne Liebe ist man nur ein Toter auf Urlaub, nichts als ein paar Daten und ein zufälliger Name, und man kann ebensogut sterben …«

Das Licht der Laterne flog durch das Fenster des Taxis wie die kreisenden Scheinwerfer eines Leuchtturms durch die Dunkelheit einer Schi skabine. Joans Augen waren abwechselnd sehr durchsichtig und sehr schwarz in dem bleichen Gesicht. »Wir sterben nicht«, flüsterte sie in Ravics Armen.

»Nein. Nicht wir. Nur die Zeit. Die verdammte Zeit. Sie stirbt immer. Wir leben. Wir leben immer. Wenn du erwachst, ist es Frühling, und wenn du einschläfst, ist es Herbst, und tausendmal dazwischen ist es Winter und Sommer, und wenn wir uns genug lieben, sind wir ewig und unzerstörbar wie der Herzschlag und der Regen und der Wind, und das ist viel. Wir siegen in Tagen, Geliebte, und wir verlieren in Jahren, aber wer will es wissen, und wen kümmert es? Die Stunde ist das Leben. Der Augenblick am nächsten der Ewigkeit, deine Augen schimmern, der Sternstaub tropft durch die Unendlichkeit, Götter

vergreisen, aber dein Mund ist jung, das Rätsel zittert zwischen uns, das Du und Ich, Ruf und Antwort, aus den Abenden,aus den Dämmerungen,aus den Entzückungen aller Liebenden,gekeltert aus fernsten Brunstschreien zum goldenen Sturm, den unendlichen Weg von der Amöbe zu Ruth und Esther und Helena und Aspasia, zu blauen Madonnen in Kapellen am Wege, von Kriechen und Tier zu dir und mir …«

Sie lag in seinem Arm, regungslos, mit blassem Gesicht und so hingegeben, daß sie fast abweisend erschien

– und er beugte sich über sie und sprach und sprach –, und es war ihm im Anfang, als sähe ihm jemand über die Schultern, ein Schatten, und spräche lautlos, mit einem undeutlichen Lächeln, mit, und er beugte sich tiefer und fühlte, wie sie ihm entgegenkam, und noch war es da, und dann nicht mehr.

13 »Ein Skandal«, sagte die Frau mit den Smaragden, die Kate Hegström gegenübersaß.»Ein herrlicher Skandal! Ganz Paris lacht darüber. Hast du je gewußt, daß Louis homosexuell ist? Sicher nicht. Wir alle haben das nicht gewußt; er hat das sehr gut kaschiert. Lina de Newbourg galt als seine o zielle Mätresse – und nun stell dir vor:Vor einerWoche kommt er aus Rom zurück,drei Tage früher,als er gesagt hat, und geht abends zu dem Appartement dieses Nickys, will ihn überraschen, und wen findet er da?«

»Seine Frau«, sagte Ravic.

Die Frau mit den Smaragden blickte auf. Sie sah plötzlich aus, als hätte sie gerade gehört, ihr Mann sei bankrott. »Sie kennen die Geschichte schon?« fragte sie.

»Nein. Aber es muß so sein.«

»Das verstehe ich nicht.« Sie starrte Ravic irritiert an. »Es war doch äußerst unwahrscheinlich.«

Kate Hegström lächelte.»Doktor Ravic hat eine Theorie, Daisy. Er nennt sie Systematik des Zufalls. Danach ist das Unwahrscheinliche immer nahezu das Logischste.«

»Interessant.« Daisy lächelte höflich und gänzlich uninteressiert. »Es wäre nichts herausgekommen«, fuhr sie fort, »wenn Louis nicht eine fürchterliche Szene gemacht hätte. Er war völlig außer sich. Jetzt wohnt er im Crillon. Will sich scheiden lassen.Jeder wartet auf die Gründe. Sie lehnte sich voll Erwartung in ihren Sessel zurück. »Was sagst du dazu?«

Kate Hegström sah rasch zu Ravic hinüber. Er betrachtete einen Zweig Orchideen, der zwischen Hutschachteln und einem Obstkorb mit Trauben und Pfirsichen auf dem Tisch stand – schmetterlinghafte, weiße Blüten mit lasziven, rotgesprenkelten Herzen.

»Unwahrscheinlich, Daisy«, sagte sie. »Wirklich unwahrscheinlich!«

Daisy genoß ihren Triumph.»Das hätten Sie doch wohl nicht vorher gewußt, wie?« fragte sie Ravic.

Er steckte behutsam den Zweig in die schmale Kristallvase zurück.

»Nein, das allerdings nicht.«

Daisy nickte befriedigt und sammelte ihre Handtasche, ihre Puderdose und ihre Handschuhe ein. »Ich muß davon. Louise hat um fünf eine Cocktailparty. Ihr Minister kommt. Man munkelt da so allerlei.« Sie stand auf. »Übrigens, Fery und Marthe sind wieder auseinander. Sie hat ihm ihren Schmuck zurückgeschickt. Nunmehr zum drittenmal. Es beeindruckt ihn immer noch. Das gute Schaf. Glaubt, um seiner selbst willen geliebt zu werden. Er wird ihr alles zurückgeben und zur Belohnung noch ein Stück dazu.Wie immer. Er weiß es nicht – aber sie hat sich bei Ostertag schon ausgesucht, was sie haben will. Er kauft da immer. Eine Rubinbrosche; viereckige, große Steine, bestes Taubenblut. Sie ist gescheit.«

Sie küßte Kate Hegström.»Adieu,mein Lamm.Jetzt bist du wenigstens etwas auf dem laufenden über das, was in

derWelt passiert.Kannst du noch nicht bald hier heraus?« Sie sah Ravic an.

Er fing einen Blick Kate Hegströms auf.»Vorläufig noch nicht«, sagte er. »Leider.«

Er half Daisy in ihren Mantel. Es war ein dunkler Nerz ohne Kragen. Ein Mantel für Joan, dachte er. »Kommen Sie doch einmal mit Kate zum Tee«, sagte Daisy. »Mittwochs sind immer nur ein paar Leute da; wir können dann ungestört plaudern. Ich interessiere mich sehr für Operationen.«

»Gern.«

Ravic schloß die Tür hinter ihr und kam zurück.»Schöne Smaragden«, sagte er.

Kate Hegström lachte.»Das war nun früher mein Leben, Ravic. Können Sie das verstehen?«

»Ja.Warum nicht? Herrlich,wenn man es kann.Schützt einen vor vielem.«

»Ich kann es nicht mehr verstehen.« Sie stand auf und ging vorsichtig zu ihrem Bett.

Ravic sah ihr nach. »Es ist ziemlich belanglos, wo man lebt, Kate. Es kann bequemer sein, aber es ist nie wichtig. Wichtig ist nur, was man daraus macht. Und das auch nicht immer.«

Sie zog die langen, schönen Beine aufs Bett. »Alles ist belanglos«,sagte sie,»wenn man ein paar Wochen im Bett gelegen hat und wieder gehen kann.«

»Sie brauchen nicht mehr hierzubleiben,wenn Sie nicht

wollen. Sie können im ›Lancaster‹ wohnen, wenn Sie eine Schwester mitnehmen.«

Kate Hegström schüttelte den Kopf. »Ich bleibe hier, bis ich reisen kann. Hier bin ich vor allzu vielen Daisys geschützt.«

»Werfen Sie sie ’raus, wenn sie kommen. Nichts ist anstrengender als Geschwätz.«

Sie streckte sich vorsichtig im Bett aus. »Können Sie sich denken, daß diese Daisy trotz ihrer Klatschereien eine großartige Mutter ist? Sie erzieht ihre beiden Kinder ausgezeichnet.«

»Das kommt vor«, erklärte Ravic ungerührt.

Sie zog die Decke über sich. »Eine Klinik ist wie ein Konvent«, sagte sie. »Man lernt die einfachsten Sachen wieder schätzen. Gehen, Atmen, Sehen.«

»Ja. Das Glück liegt nur um uns herum. Wir brauchen es bloß aufzuheben.«

Sie sah ihn an.

»Ich meine das wirklich, Ravic.«

»Ich auch, Kate. Nur einfache Dinge enttäuschen nie. Und mit Glück kann man gar nicht weit genug unten anfangen.«

Jeannot lag im Bett, einen Haufen Broschüren über die Decke verstreut.

»Warum machst du kein Licht?« fragte Ravic.

»Ich kann noch genug sehen. Ich habe gute Augen.«

Die Broschüren waren Beschreibungen künstlicher Beine. Jeannot hatte sie sich auf alle mögliche Weise besorgt. Seine Mutter hatte ihm die letzten gebracht.Er zeigte Ravic einen besonders farbigen Prospekt.Ravic drehte das Licht an. »Dieses ist das teuerste«, sagte Jeannot.

»Es ist nicht das beste«, erwiderte Ravic.

»Aber es ist das teuerste. Ich werde der Versicherung erklären,daß ich es haben muß.Ich will es natürlich überhaupt nicht haben. Die Versicherung soll es nur bezahlen. Ich will einen Holzstumpf haben und das Geld.«

»Die Versicherung hat Vertrauensärzte, die alles kontrollieren, Jeannot.«

Der Junge richtete sich auf. »Meinen Sie, daß sie mir kein Bein bewilligen werden?«

»Doch.Vielleicht nicht das teuerste.Aber sie werden dir nicht das Geld geben; sie werden dafür sorgen, daß du es wirklich bekommst.«

»Dann muß ich es nehmen und sofort zurückverkaufen. Dabei verliere ich natürlich. Glauben Sie, daß zwanzig Prozent Verlust genug sind? Ich werde es zuerst mit zehn anbieten. Vielleicht kann man mit dem Händler vorher reden. Was geht es die Versicherung an, ob ich das Bein nehme? Bezahlen muß sie es; alles andere kann ihr doch egal sein – oder nicht?«

»Natürlich. Du kannst es ja einmal versuchen.«

»Es würde etwas ausmachen.Wir könnten für das Geld schon die Theke und eine Ausstattung für eine kleine Cre-

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