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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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ihrem Leuchten sammelte sich der letzte Schaum einer sterbenden Welt.

Ein bißchen Mottenund Mückentanz um das letzte Licht – belanglos wie jeder Mückentanz; töricht wie die leichte Musik von den Cafés her – eine überflüssig gewordene Welt, wie Schmetterlinge im Oktober, den Frost schon in den kleinen Sommerherzen,so tanzte,schwätzte, flirtete, liebte, betrog und gaukelte das noch ein wenig, bevor die Sensen und die großen Winde kamen.

Ravic wendete den Wagen in St. Raphael. Der kleine, viereckige Hafen war voll von Segeln und Motorbooten. Die Cafés am Kai hatten bunte Sonnenschirme herausgestellt. Braungebrannte Frauen hockten an den Tischen. Wie man das wieder kannte, dachte Ravic. Das leichte zärtliche Bild des Lebens. Die heitere Versuchung, das Loslassen, das Spiel – wie man das wieder kannte, mochte es auch noch so lange her sein. Man hatte es auch einmal gelebt, das Falterdasein, und geglaubt, es sei genug. Der Wagen schoß aus der Kehre heraus über die Straße,in den glühenden Sonnenuntergang hinein.

Er kam zum Hotel und fand eine Nachricht von Joan. Sie hatte angerufen und hinterlassen, sie käme nicht zum Essen zurück. Er ging zum Eden Roc hinunter. Es waren wenige Leute zum Diner da. Die meisten waren in Juan les Pins und Cannes. Er setzte sich an die Brüstung der Terrasse,die wie ein Schi sdeck auf die Felsen gebaut war. Unten schäumte die Brandung.DieWogen kamen dunkel-

rot und grünblau aus dem Sonnenuntergang, wechselten zu hellerem Goldrot und Orange und nahmen dann die Dämmerung auf ihren schlanken Rücken und zerschellten sie zu farbigem Zwielichtschaum an den Felsen.

Ravic saß lange auf der Terrasse. Er fühlte sich kühl und tief allein. Er war klar und sah ohne jede Emotion, was kommen würde. Er wußte, daß er es noch für eine Weile verhindern konnte; es gab Tricks und Schachzüge. Er kannte sie, und er wußte, daß er sie nicht gebrauchen würde. Es war schon zu weit dafür. Tricks waren etwas für kleine A ären; hier gab es nur eines: es zu bestehen, es ehrlich zu bestehen, ohne sich zu belügen und ohne sich zu drücken.

Ravic schob das Glas mit dem klaren,leichten Wein der Provence gegen das Licht. Eine kühle Nacht, eine meerumrauschte Terrasse,der Himmel voll von dem Gelächter des Sonnenabschieds und den Glocken der fernen Sterne

– und kühl in mir ein Scheinwerfer, dachte er, der hineingreift in die stummen Monate der Zukunft und über sie gleitet und sie wieder im Dunkel läßt, und ich weiß es, schmerzlos noch, aber ich weiß auch, es wird nicht schmerzlos bleiben,und mein Leben ist wieder einmal wie ein Glas in meiner Hand, durchsichtig, voll vom fremden Wein, der nicht darin bleiben kann, weil er abgestanden werden würde, abgestandener Essig verdorbener Lust.

Es würde nicht bleiben. Es war viel zuviel Anfang in diesem anderen Leben, als daß es schon bleiben konnte.

Unschuldig und ohne Rücksicht, wie eine Pflanze zum Licht, wandte es sich der Versuchung und der bunten Vielfalt eines leichteren Daseins zu. Es wollte Zukunft

– und alles, was er ihm geben konnte, war etwas schäbige Gegenwart. Noch war nichts geschehen. Das war auch nicht nötig.Alles entschied sich immer lange vorher. Man wußte es nur nicht und hielt nur das spektakulöse Ende für die Entscheidung, die längst, Monate vorher, lautlos gefallen war.

Ravic trank sein Glas aus. Der leichte Wein schien ihm anders zu schmecken als vorher. Er füllte das Glas noch einmal und trank wieder.DerWein hatte wieder den alten, flockig hellen Geschmack.

Er stand auf und fuhr nach Cannes zum Casino.

Er spielte ruhig und mit kleinen Einsätzen. Er spürte immer noch die Kühle in sich und wußte, daß er gewinnen konnte, solange sie anhielt. Er spielte die letzten Zwölf, das Quadrat der Siebenundzwanzig und die Siebenundzwanzig. Nach einer Stunde hatte er dreitausend Frank gewonnen. Er verdoppelte die Einsätze auf das Quadrat und spielte die Vier dazu.

Er sah Joan, als sie hereinkam. Sie war umgezogen und mußte gleich, nachdem er das Hotel verlassen hatte, zurückgekommen sein. Sie war mit den beiden Männern, die sie im Motorboot abgeholt hatten. Er kannte sie als Le Clerq, einen Belgier, und Nugent, einen Amerikaner. Joan

sah sehr schön aus. Sie trug ein weißes Abendkleid mit großen grauen Blumen. Er hatte es für sie am Tage vor der Abreise gekauft. Sie hatte einen Schrei ausgestoßen und sich darauf gestürzt. »Woher weißt du so viel von Abendkleidern?« hatte sie gefragt. »Es ist viel besser als meines.« Und mit einem zweiten Blick: »Auch teurer.« Vogel, dachte er, noch auf meinen Ästen, aber die Flügel schon bereit zum Fliegen.

Der Croupier schob ihm eine Anzahl Chips zu. Das Quadrat hatte gewonnen.Er zog den Gewinn ein und ließ den Einsatz stehen. Joan ging zu den Bakkarat-Tischen. Er wußte nicht, ob sie ihn gesehen hatte. Einige Leute, die nicht spielten,sahen ihr nach.Sie ging immer,als ginge sie gegen einen leichten Wind und als wäre nichts da, wohin sie wollte. Sie wandte den Kopf und sagte etwas zu Nugent – und Ravic fühlte plötzlich in seinen Händen den Drang, die Chips wegzustoßen, sich selbst wegzustoßen von dem grünen Tisch, aufzustehen, Joan mitzunehmen, rasch durch die Leute,Türen,fort auf eine Insel,diese Insel am Horizont von Antibes vielleicht,fort von allem,um sie abzuschließen und zu behalten.

Er setzte neu. Die Sieben war herausgekommen. Inseln isolieren nicht. Und die Unruhe des Herzens war nicht zu begrenzen; man verlor am leichtesten, was man im Arme hielt – nie, was man verließ. Die Kugel rollte langsam. Die Zwölf.

Er setzte wieder.

Als er aufblickte, blickte er gerade in Joans Augen. Sie stand an der anderen Seite des Tisches und sah ihn an. Er nickte ihr zu und lächelte. Sie starrte ihn an. Er deutete auf das Roulette und zuckte die Achseln. Die Neunzehn kam heraus.

Er machte seine Einsätze und sah wieder auf. Joan war nicht mehr da. Er bezwang sich und blieb sitzen. Er nahm eine Zigarette aus dem Pack, das neben ihm lag. Einer der Diener gab ihm Feuer.Es war ein kahlköpfiger Mann mit einem Bauch, in Uniform. »Andere Zeiten heute«, sagte er.

»Ja«, sagte Ravic. Er kannte den Mann nicht. »War anders neunundzwanzig …«

»Ja …«

Ravic wußte nicht mehr, ob er 1929 in Cannes gewesen war oder ob der Mann nur so daherredete. Er sah, daß die Vier herausgekommen war; ohne daß er es gesehen hatte, und versuchte, sich mehr zu konzentrieren.Aber es erschien ihm plötzlich albern, daß er spielte mit ein paar Frank, um einige Tage länger bleiben zu können. Wozu das schon? Wozu war er überhaupt hierhergekommen? Es war eine verdammte Schwäche, weiter nichts. Das fraß langsam, lautlos sich ein, und man merkte es erst, wenn man sich anspannen wollte und zerbrach. Morosow hatte recht gehabt. Der beste Weg, eine Frau zu verlieren, war, ihr ein Leben zu zeigen, das man ihr nur ein paar Tage bieten konnte. Sie würde versuchen, es wiederzubekommen – aber mit jemand anderem, der dazu fähig war, es

ihr dauernd zu verscha en. Ich werde ihr sagen, daß es aufhören muß, dachte er. Ich werde mich in Paris von ihr trennen, bevor es zu spät ist.

Er überlegte, ob er an einem anderen Tisch weiterspielen sollte. Aber er hatte plötzlich keine Lust mehr. Man sollte nicht etwas im Kleinen tun, was man einmal im Großen getan hatte. Er sah sich um. Joan war nicht zu sehen. Er ging in die Bar und trank einen Kognak. Dann ging er zum Parkplatz, um den Wagen zu holen und eine Stunde herumzufahren.

Als er den Wagen anließ, sah er Joan kommen. Er stieg aus. Sie kam rasch heran. »Wolltest du ohne mich nach Hause fahren?« fragte sie.

»Ich wollte eine Stunde durch die Berge fahren und zurückkommen.«

»Du lügst! Du wolltest nicht wiederkommen! Du wolltest mich hierlassen mit diesen Idioten!«

»Joan«,sagte Ravic.»Du wirst gleich behaupten,daß ich schuld bin, daß du mit diesen Idioten zusammen bist.«

»Das bist du auch! Ich bin doch nur aus Ärger ins Boot gegangen. Weshalb warst du nicht im Hotel, als ich zurückkam?«

»Du warst doch mit deinen Idioten zum Essen verabredet.« Sie stutzte eine Sekunde. »Das habe ich nur getan, weil du nicht da warst, als ich zurückkam.«

»Gut, Joan«, sagte Ravic. »Wir wollen nicht weiter darüber reden. Hast du Spaß gehabt?«

»Nein.«

Sie stand vor ihm, atmend, erregt, heftig, im blauen Dunkel der weichen Nacht; der Mond war in ihrem Haar, und ihre Lippen waren so dunkelrot in dem bleichen, kühnen Gesicht,als wären sie fast schwarz.Es war Februar 1939, und in Paris würde das Unabwendbare beginnen, langsam, kriechend, mit all den kleinen Lügen und Demütigungen und Zwisten; er wollte sie verlassen, bevor es kam, und noch waren sie hier, und es waren nicht mehr viele Tage.

»Wo willst du hinfahren?« fragte sie. »Nirgendwohin. Nur so herum.« »Ich fahre mit dir.«

»Was werden deine Idioten denken?«

»Nichts. Ich habe mich schon verabschiedet. Habe gesagt, daß du auf mich wartest.«

»Nicht schlecht«, sagte Ravic. »Du bist ein Kind mit Überlegung.Warte, bis ich das Verdeck zugemacht habe.« »Laß es o en.Mein Mantel ist warm genug.Und laß uns langsam fahren. Vorbei an all den Cafés, in denen Leute sitzen, die nichts zu tun haben, als glücklich zu sein und

keine Argumente zu haben.«

Sie glitt in den Sitz neben ihn und küßte ihn. »Ich bin zum erstenmal an der Riviera, Ravic«, sagte sie. »Habe Erbarmen! Ich bin zum erstenmal mit dir wirklich zusammen, und die Nächte sind nicht mehr kalt, und ich bin glücklich.«

Er fuhr den Wagen aus dem dichten Verkehr heraus, am Carlton Hotel vorbei und in die Richtung nach Juan les Pins.»Zum ersten Male«,wiederholte sie.»Zum ersten Male, Ravic. Und ich weiß alles, was du antworten könntest,und es hat nichts damit zu tun.« Sie lehnte sich an ihn und legte den Kopf an seine Schulter. »Vergiß, was heute war! Denk nicht einmal mehr darüber nach! Du fährst wunderbar Auto, weißt du das? Was du da eben gemacht hast, war großartig. Die Idioten haben es auch gesagt. Sie haben gestern gesehen, was du mit dem Wagen anstellen kannst.Du bist unheimlich.Du hast keine Vergangenheit. Man weiß nichts von dir. Ich weiß schon hundertmal mehr aus dem Leben der Idioten als aus deinem. Glaubst du, daß ich irgendwo einen Calvados bekommen kann? Nach all den Aufregungen heute nacht brauche ich einen. Es ist schwer, mit dir zu leben.«

Der Wagen fuhr die Straße entlang wie ein niedrig fliegender Vogel. »Ist das zu schnell?« fragte Ravic.

»Nein. Fahr schneller. So, daß es durch und durch geht wie der Wind durch einen Baum. Wie die Nacht saust. Ich bin durchlöchert von Liebe. Ich kann durch mich hindurchsehen vor Liebe. Ich liebe dich so, daß mein Herz sich ausbreitet wie eine Frau in einem Kornfeld vor einem Mann, der sie ansieht. Mein Herz will sich auf die Erde legen. Auf eine Wiese. Es will liegen und fliegen. Es ist verrückt. Es liebt dich, wenn du Auto fährst. Laß uns nie zurückgehen nach Paris. Laß uns einen Juwelenko er

stehlen oder ein Bankdepot und diesen Wagen und nie wiederkommen.«

Ravic hielt vor einer kleinen Bar. Das Grollen des Motors schwieg, und weich und sehr weither kam plötzlich das tiefe Atemholen des Meeres. »Komm«, sagte er. »Hier gibt es deinen Calvados. Wieviel hast du schon gehabt?« »Zuviel.Deinetwegen.Außerdem konnte ich auf einmal

das Gerede der Idioten nicht mehr anhören.« »Warum bist du dann nicht zu mir gekommen?« »Ich bin zu dir gekommen.«

»Ja, als du dachtest, ich ginge fort. Hast du etwas zu essen gehabt?«

»Nicht viel. Ich bin hungrig. Hast du gewonnen?« »Ja.«

»Dann laß uns ins teuerste Restaurant fahren und Kaviar essen und Champagner trinken und so sein wie unsere Eltern vor all diesen Kriegen, sorglos und sentimental und ohneAngst,hemmungslos und voll schlechten Geschmacks, mit Tränen, Mond, Oleander, Geigen, Meer und Liebe! Ich will glauben,daß wir Kinder haben werden und einen Park und ein Haus und du einen Paß und eine Zukunft, und ich habe eine große Karriere deinetwegen aufgegeben,und wir lieben uns noch nach zwanzig Jahren und sind eifersüchtig, und du findest immer noch, daß ich schön bin, und ich kann nicht schlafen, wenn du eine Nacht nicht im Hause bist und …«

Er sah die Tränen über ihr Gesicht strömen.Sie lächelte.

»Das gehört alles dazu, Liebster – alles zu dem schlechten Geschmack.«

»Komm«, sagte er. »Wir fahren zum Château Madrid. Das liegt in den Bergen, und da sind russische Zigeuner, und du sollst alles haben, was du willst.«

Es war früher Morgen. Das Meer tief unten war grau und ohne Wellen. Der Himmel hatte keine Wolken und keine Farbe. Am Horizont hob sich ein schmaler Silberstreifen aus dem Wasser. Es war so still, daß sie sich atmen hörten. Sie waren die letzten Gäste gewesen. Die Zigeuner waren vor ihnen in einem alten Ford die Serpentinen hinuntergefahren. Die Kellner in Citroëns. Der Koch zum Einkaufen in einem sechssitzigen Delahaye aus dem Jahre 1929.

»Das ist schon der Tag«, sagte Ravic. »Irgendwo auf der anderen Seite ist es jetzt immer noch Nacht. Einmal wird es Flugzeuge geben,mit denen man sie einholen kann.Sie werden so schnell sein, wie die Erde sich dreht. Wenn du mich dann um vier Uhr nachts liebst, können wir es für immer vier Uhr sein lassen; wir fliegen einfach mit der Zeit um die Erde, und die Stunde steht still.«

Joan lehnte sich an ihn.»Ich kann mir nicht helfen.Es ist schön! Es ist hinreißend schön. Du kannst lachen …«

»Es ist schön, Joan.«

Sie sah ihn an. »Wo ist das Flugzeug, von dem du sprachst? Wir werden alt sein, Liebster, wenn es erfunden wird. Und ich will nicht alt werden. Du?«

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