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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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jemand im Schnee gepißt,dachte Ravic.Immerhin,zahlen wird er. Veber wird mir das Geld daraufhin geben. Ich werde diesem alten Bock den Gefallen nicht tun, ihn jetzt noch darum zu bitten.

»Schön«,sagte er.»Wenn es so schwierig für Sie ist,dann schicken Sie es mir später.«

»Es ist nicht schwierig für mich. Obschon Ihre Forderung plötzlich und überraschend war. Es ist der Ordnung halber.«

»Gut, dann machen wir es der Ordnung halber; es ist dasselbe.«

»Es ist absolut nicht dasselbe.«

»Der E ekt ist derselbe«, sagte Ravic. »Und nun entschuldigen Sie mich. Ich möchte einen Schnaps trinken, Adieu.«

»Adieu«, sagte Durant überrascht.

Kate Hegström lächelte. »Warum kommen Sie nicht mit, Ravic?«

Sie stand vor ihm, schlank, sicher, auf hohen Beinen, die Hände in den Taschen ihres Mantels. »Die Forsythien müssen jetzt schon blühen in Fiesole. Gelbes Feuer die Gartenmauer entlang. Ein Kamin, Bücher, Frieden.«

Ein Lastwagen donnerte draußen über das Pflaster. Die Glasrahmen der Bilder in dem kleinen Empfangsraum der Klinik klirrten. Es waren Fotografien der Kathedrale von Chartres.

»Die Stille nachts. Weit weg von allem«, sagte Kate Hegström. »Würden Sie das nicht lieben?«

»Ja. Aber ich würde es vielleicht nicht aushalten.« »Warum nicht?«

»Stille ist nur gut, wenn man selbst still ist.« »Ich bin nicht still.«

»Sie wissen, was Sie wollen. Das ist fast dasselbe.« »Wissen Sie das nicht?«

»Ich will nichts.«

Kate Hegström knöpfte ihren Mantel langsam zu.»Was ist das nun, Ravic? Glück oder Verzweiflung?«

Er lächelte ungeduldig- »Beides,wahrscheinlich.Beides, wie fast immer. Man soll nicht zuviel darüber nachdenken.«

»Was soll man denn?« »Sich freuen.«

Sie sah ihn an. »Dazu braucht man niemand anders«, sagte sie.

»Dazu braucht man immer jemand anders.«

Er schwieg.Was rede ich da, dachte er. Reisegerede.Abschiedsverlegenheit,sanftes Pastorengeschwätz.»Nicht für die kleinen Glücke,von denen Sie einmal sprachen«,sagte er. »Die blühen überall, wie Veilchen um ein niedergebranntes Haus.Wer nichts erwartet,wird nicht enttäuscht

– das ist eine gute Basis.Alles, was dann kommt, ist schon ein bißchen dazu.«

»Es ist gar nichts«,erwiderte Kate Hegström.»Es ist nur

so, wenn man im Bett liegt und vorsichtig denkt. Nicht mehr, wenn man herumgehen kann. Man verliert es dann wieder. Man will mehr.«

Ein schräger Strahl Licht vom Fenster fiel quer über ihr Gesicht. Es ließ ihre Augen im Schatten; nur ihr Mund blühte einsam darin auf.

»Haben Sie einen Arzt in Florenz?« fragte Ravic. »Nein. Brauche ich einen?«

»Es kann immer noch eine Kleinigkeit vorkommen. Irgend etwas.Es ist beruhigender für mich,wenn ich weiß, daß Sie einen Arzt drüben haben.«

»Ich fühle mich sehr wohl. Und wenn etwas passieren sollte, kann ich ja zurückkommen.«

»Natürlich. Es ist auch nur eine Vorsicht. Es gibt in Florenz einen guten Arzt: Professor Fiola. Wollen Sie das behalten? Fiola.«

»Ich werde es vergessen. Es ist doch nicht wichtig, Ravic.«

»Ich werde ihm schreiben. Er wird sich um Sie kümmern.«

»Aber warum? Mir fehlt ja nichts.«

»Professionelle Vorsicht, Kate.Weiter nichts. Ich werde ihm schreiben, er möchte Sie anrufen.«

»Meinetwegen.« Sie nahm ihre Handtasche. »Adieu, Ravic. Ich gehe. Vielleicht fahre ich von Florenz gleich nach Cannes und von da mit der ›Conte di Savoya‹ nach New York. Sollten Sie einmal in Amerika sein, dann wer-

den Sie eine Frau in einem Landhaus mit einem Mann und Kindern und Pferden und Hunden finden. Die Kate Hegström,die Sie kannten,lasse ich hier.Sie hat ein kleines Grab in der Scheherazade. Trinken Sie ab und zu hinüber, wenn Sie hingehen.«

»Gut. Mit Wodka.«

»Ja. Mit Wodka.« Sie stand unschlüssig in der Dämmerung des Zimmers. Der Streifen Licht fiel jetzt hinter sie auf eine der Fotografien von Chartres.Den Hochaltar mit dem Kreuz. »Sonderbar«, sagte sie. »Ich sollte froh sein. Ich bin es nicht …«

»Das ist so mit jedem Abschied, Kate. Sogar mit dem von der Verzweiflung.«

Sie stand vor ihm, zaudernd, voll sanften Lebens, entschlossen und etwas traurig. »Das einfachste bei einem Abschied ist immer, zu gehen«, sagte Ravic. »Kommen Sie, ich bringe Sie hinaus.«

»Ja.«

Die Luft war milde und feucht. Wie angeglühtes Eisen hing der Himmel tief zwischen den Dächern. »Ich werde Ihnen ein Taxi holen, Kate.«

»Nein. Ich will bis zur Ecke gehen. Ich finde da eines. Es ist fast das erstemal, daß ich wieder draußen bin.«

»Wie ist es?« »Wie Wein.«

»Soll ich Ihnen nicht doch ein Taxi holen?« »Nein. Ich will gehen.«

Sie blickte die nasse Straße entlang.Dann lachte sie. »In irgendeinem Winkel ist immer noch ein bißchen Angst. Gehört das auch dazu?«

»Ja. Das gehört dazu.« »Adieu, Ravic.« »Adieu, Kate.«

Sie stand noch eine Sekunde, als wollte sie etwas sagen. Dann ging sie die Stufen hinab, mit vorsichtigen Schritten, schmal, noch geschmeidig, die Straße entlang, in den veilchenfarbenen Abend und ihren Untergang. Sie sah sich nicht mehr um.

Ravic ging zurück. Als er an dem Zimmer vorbeikam, in dem Kate Hegström gelegen hatte, hörte er Musik. Erstaunt blieb er stehen. Er wußte, daß noch kein neuer Patient da war.

Vorsichtig ö nete er die Tür und sah die Schwester, die vor einem Grammophon kniete. Sie fuhr zusammen, als sie Ravic hörte, und sprang auf.Das Grammophon spielte eine alte Platte: »Le dernier valse«.

Das Mädchen strich sich das Kleid glatt. »Miß Hegström hat mir das Grammophon geschenkt«, sagte sie. »Es ist ein amerikanischer Apparat. Man kann ihn hier nicht kaufen. Nirgendwo in Paris. Es ist der einzige hier. Ich habe ihn rasch einmal probiert. Er spielt fünf Platten automatisch.«

Sie glühte vor Stolz. »Er ist mindestens dreitausend Frank wert. Und all die Platten dazu. Es sind sechsund-

fünfzig. Außerdem ist noch ein Radio drin. Das nennt man Glück.«

Glück, dachte Ravic. Schon wieder. Hier war es ein Grammophon. Er blieb stehen und hörte zu. Die Geige flog wie eine Taube über dem Orchester auf, klagend und sentimental.Es war einer der Schmachtfetzen,die manchmal mehr ans Herz gri en als alle Nokturnen von Chopin. Ravic sah sich um. Das Bett abgedeckt und die Matratze hochgestellt. Die Wäsche lag in einem Haufen neben der Tür.Die Fenster standen o en.Der Abend starrte ironisch herein. Ein verwehter Geruch von Parfüm und die ausklingenden Akkorde eines Salonwalzers waren das, was von Kate Hegström zurückgeblieben war.

»Ich kann nicht alles auf einmal mitnehmen«, sagte die Schwester. »Es ist zu schwer. Ich werde erst den Apparat mitnehmen und dann noch zweimal gehen und die Platten holen.Vielleicht auch dreimal. Es ist wunderbar. Man könnte ein Café damit aufmachen.«

»Gute Idee«, sagte Ravic. »Seien Sie vorsichtig, damit Sie nichts zerbrechen.«

15 Ravic erwachte sehr langsam.Er lag noch eine Zeitlang in dem sonderbaren Zwielicht von Traum und Wirklichkeit – der Traum war noch da,blasser und fetzenhafter –, und gleichzeitig wußte er schon, daß er träumte. Er war im Schwarzwald, in der Nähe der deutschen Grenze, auf einer kleinen Bahnstation. Ein Wasserfall lärmte in der Nähe. Der Geruch der Tannen kam von den Bergen. Es war Sommer, und das Tal war voll vom Geruch von Harz und Wiesen. Die Schienen der Bahn blinkten rot in der Abendsonne – als wäre ein Zug,aus dem Blut tropfte,über sie gefahren.Was mache ich hier? dachte Ravic.Was mache ich hier in Deutschland? Ich bin doch in Frankreich. Ich bin doch in Paris. Er glitt über eine weiche, schillernde Woge, die ihn mehr mit Schlaf überschüttete. Paris … da zerfloß es schon, war nur noch im Nebel, versank. Er war nicht in Paris. Er war in Deutschland.Weshalb war er nur noch einmal hierhergekommen?

Er ging über den kleinen Bahnhof. Der Scha ner stand neben dem Zeitungsstand. Er las den »Völkischen Beobachter« und war ein Mann mittleren Alters mit einem dicken Gesicht und sehr blonden Augenbrauen. »Wann geht der nächste Zug?« fragte Ravic.

Der Scha ner sah ihn träge an. »Wohin wollen Sie denn?«

Ravic spürte plötzlich eineWelle heißen Schreckens.Wo war er? Wie hieß der Ort? Wie hieß die Station? Sollte er

Freiburg sagen? Verflucht, weshalb wußte er nicht, wo er war? Er blickte den Bahnsteig entlang. Kein Ortsschild. Nirgendwo ein Name. Er lächelte. »Ich bin auf Urlaub«, sagte er.

»Wohin wollen Sie denn?« fragte der Scha ner.

»Ich fahre so umher. Ich bin hier aufs Geratewohl ausgestiegen. Es gefiel mir vom Fenster her. Jetzt gefällt es mir nicht mehr. Ich kann keine Wasserfälle leiden. Jetzt will ich weiter.«

»Wohin wollen Sie denn? Sie müssen doch wissen, wohin Sie wollen?«

»Ich muß übermorgen in Freiburg sein. Bis dahin habe ich Zeit. Es macht mir Spaß, so herumzufahren, ohne Ziel.«

»Diese Linie führt nicht nach Freiburg«, sagte der Scha ner und sah ihn an.

Was mache ich da für Unsinn? dachte Ravic. Weshalb frage ich überhaupt? Weshalb warte ich nicht einfach? Wie komme ich hierher? »Ich weiß«, sagte er. »Ich habe ja noch Zeit genug. Gibt es hier irgendwo einen Kirsch? Echten Schwarzwälder Kirsch?«

»Drüben in der Stationswirtschaft«,sagte der Scha ner und sah ihn immer noch an.

Ravic ging langsam über den Perron.Seine Schritte hallten auf dem Zement unter dem o enen Dach der Station. Im Warteraum erster und zweiter Klasse sah er zwei Männer sitzen.Er fühlte ihre Blicke in seinem Rücken.Ein paar

Schwalben flogen unter dem Bahnhofsdach entlang.Er tat, als ob er sie beobachtete, und sah aus den Augenwinkeln nach dem Scha ner. Der faltete die Zeitung zusammen. Dann folgte er Ravic. Ravic ging in die Wirtschaft. Der Raum roch nach Bier. Niemand war da. Er verließ die Kneipe wieder.Der Scha ner stand draußen.Er sah Ravic herauskommen und ging in den Warteraum. Ravic ging rascher. Er hatte sich verdächtig gemacht, das wußte er plötzlich. An der Ecke des Gebäudes sah er sich um. Niemand war auf dem Bahnsteig. Eilig ging er zwischen der Gepäckabfertigung und dem leeren Gepäckschalter durch. Er duckte sich unter der Gepäckrampe vorbei, auf der ein paar Milchkannen standen, und kroch unter dem Fenster entlang, hinter dem ein Telegraf tickte, bis er die andere Seite des Gebäudes erreichte. Vorsichtig sah er sich um. Dann überschritt er schnell die Schienen und lief über eine blühende Wiese dem Tannenwald zu. Die staubigen Kronen des Löwenzahns flogen auf, während er durch die Wiese lief. Als er bei den Tannen anlangte, sah er den Scha ner und die beiden Männer auf dem Perron stehen. Der Scha ner deutete auf ihn, und die beiden Männer fingen an zu laufen. Er sprang zurück und drückte sich durch die Tannen. Die nadligen Zweige schlugen ihm ins Gesicht. Er machte einen großen Bogen und stand still, um nicht zu verraten, wo er war. Er hörte die Männer durch die Tannen brechen und lief weiter.Alle Augenblikke lauschte er. Manchmal hörte er nichts; dann war alles

nur Warten. Dann wieder knackte es, und er kroch auch weiter,auf der Erde jetzt,um weniger Lärm zu machen.Er ballte die Fäuste und hielt den Atem an, wenn er lauschte. Er spürte wie einen Krampf den Wunsch, aufzuspringen und davonzustürmen – aber damit hätte er verraten, wo er war. Er konnte sich nur bewegen, wenn die andern es auch taten. Er lag in einem Dickicht zwischen blauen Leberblümchen. Hepatica tribola, dachte er. Hepatica tribola, das Leberblümchen. Der Wald schien ohne Ende zu sein. Es knackte jetzt überall. Er spürte, wie ihm der Schweiß aus allen Poren brach,als regne sein Körper.Und plötzlich gaben seine Beine in den Knien nach, als wären die Gelenke weich geworden. Er versuchte aufzustehen, aber er sank ein. Der Boden war wie Morast. Er blickte unter sich. Der Boden war hart. Es waren die Beine. Sie waren aus Gummi. Jetzt hörte er die Verfolger dichter. Sie kamen direkt auf ihn zu. Er riß sich hoch, aber er sank wieder in den Gummiknien ein. Er zerrte an den Beinen, er watete weiter,mühselig,und hörte näher und näher das Knacken hinter sich, dann schien der Himmel auf einmal blau durch das Geäst, eine Lichtung tat sich auf, er wußte, er war verloren, wenn er nicht schnell hinüberlaufen konnte, er zerrte und zerrte und drehte sich um und sah hinter sich ein Gesicht,hämisch lächelnd,Haakes Gesicht, er sank und sank,wehrlos,hilflos,er erstickte,er riß an der einsinkenden Brust mit den Händen, er stöhnte …

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