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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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mann.Dieser Portier ist ein Zauberer.Ich werde die Sachen sogar anziehen.Man muß nicht nur den Mut,sondern auch die Unbefangenheit zur Lächerlichkeit haben.«

Er ordnete die Decken auf der Chaiselongue. Es war ihm gleichgültig, wo er schlief, in seinem Hotel oder hier. Er hatte auf dem Korridor ein erträgliches Badezimmer gefunden und von dem Portier eine neue Zahnbürste bekommen.Alles andere war ihm egal. Die Frau war irgend etwas wie ein Patient.

Er füllte ein Wasserglas mit Kognak und stellte es mit einem der kleinen Gläser, die der Portier gebracht hatte, neben das Bett. »Ich glaube, das ist genug für Sie«, sagte er dann.»Es ist einfacher so.Ich brauche dann nicht mehr aufzustehen und nachzufüllen.Die Flasche und das andere Glas nehme ich herüber zu mir.«

»Ich brauche das kleine Glas nicht. Ich kann aus dem anderen trinken.«

»Noch besser.« Ravic packte sich auf der Chaiselongue zurecht.Es gefiel ihm,daß die Frau sich nicht weiter darum kümmerte, ob er es bequem hatte. Sie hatte erreicht, was sie wollte – jetzt entwickelte sie gottlob keine überflüssigen Hausfraueneigenschaften.

Er goß ein Glas voll und stellte die Flasche auf den Boden. »Salute!«

»Salute! Und danke!«

»Das ist in Ordnung. Ich hatte ohnehin nicht viel Lust, durch den Regen zu gehen.«

»Regnet es noch?« »Ja.«

Das leise Klopfen kam von draußen durch die Stille, als wolle etwas hinein, grau, trostlos und ohne Form, etwas, das trauriger war als Traurigkeit – eine ferne, anonyme Erinnerung, eine endlose Welle, die heranwehte und zurückhaben und begraben wollte, was sie früher einmal herangebracht und auf einer Insel vergessen hatte – ein bißchen Mensch und Licht und Denken.

»Gute Nacht zum Trinken.«

»Ja – und eine schlechte, allein zu sein.«

Ravic schwieg eine Weile. »Daran haben wir uns alle gewöhnen müssen«, sagte er dann. »Das, was uns früher einmal zusammenhielt, ist heute zerstört. Wir sind heute auseinandergefallen wie eine Kette aus Glasperlen, deren Band zerrissen ist. Nichts ist mehr fest.« Er goß sein Glas aufs neue voll.»Als Junge habe ich einmal nachts auf einer Wiese geschlafen. Es war Sommer, und der Himmel war sehr klar.Bevor ich einschlief,sah ich den Orion über den Wäldern am Horizont stehen.Dann wachte ich auf,mitten in der Nacht – und der Orion stand auf einmal hoch über mir. Ich habe das nie vergessen. Ich hatte gelernt, daß die Erde ein Stern ist und sich dreht; aber ich hatte es gelernt, wie man vieles lernt, was in Büchern steht, und nie darüber nachgedacht. Jetzt zum erstenmal empfand ich, daß es wirklich so war. Ich fühlte, wie sie lautlos durch den ungeheuren Raum flog.

Ich fühlte es so stark, daß ich fast glaubte, mich festhalten zu müssen,um nicht heruntergeschleudert zu werden. Es kam wohl,weil ich,aufgewacht aus tiefem Schlaf,einen Augenblick verlassen von Gedächtnis und Gewohnheit, in den riesig verschobenen Himmel sah. Die Erde war plötzlich nicht mehr fest für mich – und sie ist es seitdem nie wieder ganz geworden.«

Er trank sein Glas aus. »Das macht manches schwerer und vieles leichter.« Er sah zu Joan Madou hinüber. »Ich weiß nicht, wie weit Sie sind«, sagte er. »Wenn Sie müde sind, antworten Sie einfach nicht mehr.‹.

»Noch nicht. Bald. Es ist noch eine Stelle, die wach ist. Wach und kalt.«

Ravic stellte die Flasche neben sich auf den Boden. Aus der Wärme des Zimmers sickerte langsam eine braune Müdigkeit in ihn hinüber. Die Schatten kamen. Das Wehen der Flügel. Ein fremdes Zimmer, Nacht, und draußen – wie ferne Trommeln – das monotone Klopfen des Regens – eine Hütte mit etwas Licht am Rande des Chaos, ein kleines Feuer in der Wildnis ohne Sinn – ein Gesicht, gegen das man sprach.

»Haben Sie das auch einmal gespürt?« fragte er.

Sie schwieg eine Weile. »Ja. Nicht so. Anders.Wenn ich tagelang mit niemandem gesprochen hatte und nachts umherging, und überall waren Menschen, die irgendwohin gehörten, die irgendwohin gingen, irgendwo zu Hause waren. Nur ich nicht. Dann wurde langsam alles

unwirklich, als wäre ich ertrunken und ginge durch eine fremde Stadt unter Wasser …«

Jemand kam draußen die Treppe hinauf. Ein Schlüssel klirrte, und eine Tür klappte. Gleich darauf rauschte die Wasserleitung. »Warum bleiben Sie in Paris, wenn Sie niemand hier kennen?« fragte Ravic. Er fühlte, daß er schläfrig wurde.

»Ich weiß nicht. Wohin soll ich sonst gehen?« »Haben Sie nichts, wohin Sie zurückgehen können?« »Nein. Man kann auch nirgendwohin zurückgehen.« Der Wind jagte einen Regenschauer über das Fenster.

»Weshalb sind Sie nach Paris gekommen?« fragte Ravic. Joan Madou antwortete nicht. Er glaubte schon, sie sei

eingeschlafen.»Raczinsky und ich kamen nach Paris,weil wir uns trennen wollten«, sagte sie dann.

Ravic hörte es, ohne überrascht zu sein. Es gab Stunden, wo einen nichts überraschte. Im Zimmer gegenüber begann der Mann, der kurz vorher gekommen war, zu kotzen. Man hörte sein Stöhnen gedämpft durch die Tür.

»Warum waren Sie dann so verzweifelt?« fragte Ravic. »Weil er tot war! Tot! Plötzlich nicht mehr da! Nie zurückzuholen! Tot! Nie mehr etwas zu machen! Verstehen Sie das nicht?« Joan Madou hatte sich im Bett halb aufgerichtet und starrte Ravic an. Weil er fortgegangen ist, bevor du es tun konntest. Weil er dich allein gelassen

hat, bevor du dafür bereit warst.

»Ich … ich hätte anders sein sollen zu ihm … ich war …«

»Vergessen Sie das.Reue ist das Nutzloseste in der Welt. Man kann nichts zurückholen. Man kann nichts gutmachen. Wir wären sonst alle Heilige. Das Leben hat nicht beabsichtigt, uns vollkommen zu machen. Wer vollkommen ist, gehört in ein Museum.«

Joan Madou antwortete nicht. Ravic sah, daß sie trank und sich wieder in die Kissen zurücklehnte. Da war noch etwas – aber er war zu müde, um noch darüber nachzudenken. Es war ihm auch gleichgültig. Er wollte schlafen. Morgen mußte er operieren. Dies alles ging ihn nichts mehr an. Er stellte das leere Glas auf den Boden neben die Flasche. Sonderbar, wo man manchmal so landet, dachte er.

6 Lucienne Martinet saß am Fenster,als Ravic hereinkam. »Wie ist das« fragte er, »so zum erstenmal aus dem Bett zu sein?«

Das Mädchen sah ihn an und dann hinaus in den grauen Nachmittag und wieder zurück zu ihm.»Kein gutesWetter heute«, sagte er.

»Doch«, erwiderte sie. »Für mich schon.« »Warum?«

»Weil ich nicht ’raus muß.«

Sie saß zusammengekauert in ihrem Sessel, einen billigen baumwollenen Kimono um die Schultern gezogen,ein schmales, unansehnliches Wesen mit schlechten Zähnen

– aber für Ravic war sie im Augenblick schöner als Trojas Helena.Sie war ein Stück Leben,das er mit seinen Händen gerettet hatte. Es war nichts, um besonders stolz zu sein; eine hatte er kurz vorher verloren. Die nächste verlor er vielleicht wieder; und am Ende verlor man sie alle und sich selbst auch. Aber diese hier war für den Augenblick gerettet.

»Hüte herumschleppen ist kein Spaß bei diesem Wetter«, sagte Lucienne.

»Haben Sie Hüte herumgeschleppt?«

»Ja. Für Madame Lanvert. Das Geschäft an der Avenue Matignon.Bis fünf Uhr mußten wir arbeiten.Dann mußte ich die Kartons zu den Kunden bringen. Jetzt ist es halb sechs. Jetzt wäre ich unterwegs.« Sie blickte durch das

Fenster. »Schade, daß es nicht mehr regnet. Gestern war es besser. Da regnete es in Strömen. Jetzt muß jemand anders da hindurch.«

Ravic setzte sich ihr gegenüber auf die Fensterbank. Merkwürdig, dachte er. Man erwartet immer, Menschen müßten hemmungslos glücklich sein, wenn sie dem Tode entronnen sind. Sie sind es fast nie. Diese hier ist es auch nicht. Ein kleines Wunder ist geschehen, und alles, was sie daran interessiert, ist, daß sie nicht durch den Regen gehen muß. »Wie sind Sie gerade hierher, in die Klinik, gekommen, Lucienne?« fragte er.

Sie sah ihn vorsichtig an. »Jemand hat es mir gesagt.« »Wer?«

»Eine Bekannte.«

»Was für eine Bekannte?«

Das Mädchen zögerte. »Eine Bekannte, die auch hier war. Ich habe sie hierhergebracht, bis vor die Tür. Daher wußte ich es.«

»Wann war das?«

»Eine Woche bevor ich kam.«

»War es die, die während der Operation gestorben ist?«

»Ja.«

»Und trotzdem sind Sie hierhergekommen?« »Ja«, sagte Lucienne gleichgültig. »Warum nicht?«

Ravic sagte nicht, was er sagen wollte. Er sah das kleine kalte Gesicht an, das einmal weich gewesen war und das

das Leben so rasch hart gemacht hatte. »Waren Sie vorher auch bei derselben Hebamme?« fragte er.

Lucienne antwortete nicht. »Oder bei demselben Arzt? Sie können es mir ruhig sagen. Ich weiß ja nicht, wer es ist.«

»Marie war zuerst da. Eine Woche früher. Zehn Tage früher.«

»Und Sie sind später hingegangen,trotzdem Sie wußten, was Marie passiert war?«

Lucienne hob die Schultern. »Was sollte ich machen? Ich mußte es riskieren. Ich wußte niemand anderes. Ein Kind … was sollte ich mit einem Kind?« Sie sah aus dem Fenster. Auf einem Baikon gegenüber stand ein Mann in Hosenträgern, der einen Schirm über sich hielt. »Wie lange muß ich noch hierbleiben, Doktor?«

»Ungefähr zwei Wochen.« »Zwei Wochen noch?«

»Das ist nicht lange. Warum?« »Es kostet und kostet…«

»Vielleicht können wir es ein paar Tage früher machen.«

»Glauben Sie, daß ich es abzahlen kann? Ich habe nicht genug Geld. Es ist teuer, jeden Tag dreißig Frank.«

»Wer hat Ihnen denn das gesagt?« »Die Schwester.«

»Welche?

Eugenie, natürlich …«

»Ja. Sie sagte, die Operation und die Verbände wären noch extra. Ist das sehr teuer?«

»Die Operation haben Sie schon bezahlt.«

»Die Schwester sagt, es wäre längst nicht genug gewesen.«

»Das weiß die Schwester nicht so genau, Lucienne. Da fragen Sie besser später Doktor Veber.«

»Ich möchte es gern bald wissen.« »Warum?«

»Ich kann es mir dann besser einteilen, wie lange ich dafür arbeiten muß.« Lucienne blickte auf ihre Hände. Die Finger waren dünn und zerstochen. »Ich muß auch noch einen Monat Zimmermiete zahlen«, sagte sie. »Als ich hierherkam, war es gerade der dreizehnte. Am fünfzehnten hätte ich kündigen müssen. Jetzt muß ich noch den Monat bezahlen. Für nichts.«

»Haben Sie nicht jemand, der Ihnen hilft?«

Lucienne blickte auf. Ihr Gesicht war plötzlich zehn Jahre älter. »Das wissen Sie doch selbst, Doktor! Der war nur ärgerlich. Er hätte nicht gewußt,daß ich so dumm sei. Sonst hätte er nie mit mir angefangen.«

Ravic nickte. So etwas war nichts Neues. »Lucienne«, sagte er, »wir können versuchen, von der Frau, die den Eingri gemacht hat,etwas zu bekommen.Sie war schuld. Sie müssen uns nur ihren Namen geben.«

Das Mädchen richtete sich rasch auf. Es war plötzlich nichts als Abwehr. »Polizei? Nein, da fliege ich selbst ’rein.«

»Ohne Polizei. Wir drohen nur.«

Sie lachte nur. »Von der kriegen Sie damit nichts. Die ist aus Eisen. Dreihundert Frank habe ich ihr bezahlen müssen. Und dafür …« Sie strich ihren Kimono glatt. »Manche Menschen haben eben gar kein Glück«, sagte sie ohne Resignation,als spräche sie von jemand anderem als sich selbst.

»Doch«, erwiderte Ravic. »Sie hatten eine Menge Glück.«

Er sah Eugenie im Operationssaal.Sie putzte Nickelsachen blank. Es war eine ihrer Liebhabereien. Sie war so versunken in ihre Arbeit, daß sie ihn nicht kommen hörte.

»Eugenie«, sagte er.

Sie fuhr herum. »Ach Sie! Müssen Sie einen dauernd erschrecken?«

»Ich glaube nicht, daß ich soviel Persönlichkeit habe. Aber Sie sollten die Patienten nicht erschrecken mit Ihren Geschichten über Honorare und Kosten.«

Eugenie richtete sich auf, die Putzlappen in der Hand. »Die Hure hat natürlich sofort geklatscht.«

»Eugenie«,sagte Ravic.»Es gibt mehr Huren unter Frauen, die nie mit einem Mann geschlafen haben, als unter denen, die einen schwierigen Broterwerb daraus machen. Ganz zu schweigen von den Verheirateten.Außerdem hat das Mädchen nicht geklatscht. Sie haben ihm nur den Tag verdorben, das ist alles.«

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