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Zum Seminaren 2, 3. Глушак.doc
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Neologismen

Die eigentlichen im Gesellschaftsleben entstandenen Neuwörter finden meistenfalls ihren ersten Gebrauch in ver­schiedenen Arten der Sachprosa: in Wissenschaft, Technik, Verwaltung, Presse usw. Das steht mit der Tatsache im Zusammenhang, daß die Zunahme des Wortbestandes vor allem durch die rasche wissenschaftlich-technische Entwick­lung bedingt ist, worüber besonders die Presse auf allen Stufen dieser Entwicklung informiert. Im Stil der schönen Literatur kann die Wirklichkeit nicht so unmittelbar widergespiegelt werden wie im Pressestil. Die Neuwörter gelangen in die literarischen Texte erst später, wenn sie schon mehr oder weniger verbreitet sind. Ihre Funktion besteht darin, die Gegenwart oder besser gesagt die Zeit zu betonen. Über diese Funktion schreiben W. Fleischer und G. Michel: als Bezeichnungen für neue Begriffe und Erscheinungen können die Neuwörter in einem Text vorkommen, ohne bewußt als stilistische Neologismen verwen­det zu sein. Sie schaffen ein bestimmtes zeitliches Kolorit [W. Fleischer, G. Michel, S. 101].

Neben echten Neuwörtern existieren in der Sprache Neologismen bestimmter Zeitabschnitte. Solche Wörter sind nur eine bestimmte Zeit im Gebrauch als Widerspiegelung entsprechender politischer, sozialer oder kultureller Umstände. Nachdem diese Umstände aber vorbei sind, verschwinden auch die Wörter aus dem ständi­gen Gebrauch, sie bleiben nur im passiven Bestandteil des Wortschatzes aufbewahrt. Ein sehr anschauliches Beispiel solcher Art ist die sogenannte „Naziterminologie" — Wörter, Wendungen und Ausdrücke aus dem Lexikon der deutschen Faschisten. Die Naziterminologie existierte im Gebrauch solange, wie die Faschisten in Deutschland an der Macht waren. Man verwendet in bezug auf solche Wörter die Bezeichnungen ,,vorübergehende Neologismen" oder „kurzlebige Neuwörter".

Im allgemeinen werden die vorübergehenden Neologismen mit bestimmter Absicht verwendet, nämlich wenn die Charakteristik entsprechender Zeitperioden ge­geben wird oder wenn eine solche Zeitperiode der Gegen­wart gegenübergestellt werden soll. Aber konkretere sti­listische Funktionen vorübergehender Neologismen sind: 1) die Schaffung des Zeitkolorits einer bestimmten Epoche (oder Zeitperiode); 2) die Darstellung eines Sprach­porträts; 3) das Auftreten im Dienst von Satire, Entlarvung usw. In allen Fällen können selbstverständlich noch ver­schiedenartige zusätzliche Schattierungen entstehen. So dominiert in den Werken der deutschen Literatur, wenn es sich um die Schilderung der Nazizeit handelt, nur die gro­be Stilfärbung in ihrer mannigfaltigsten Abstufung (zum Zweck der Entlarvung).

Zur Gruppe Neologismen gehören auch Modewörter. Sie charakterisieren ebenfalls bestimmte Zeitperioden und hauptsächlich die Sprache der jungen Generationen. So lesen wir bei D. Faulseit und G. Kühn: „Besonders empfänglich für Modewörter ist die junge Generation... Dabei ist die Vorliebe für wertende Modewörter bei der Jugend auffällig. So war vorübergehend einmal alles ,knorke', ‘klasse', ‘pyramidal, ‘schau’ ..." [D. Faulseit, G. Kühn, S. 67] E. Riesel nennt als Beispiele dafür fabelhaft, phantastisch, kolossal, prima, toll u.a.

Den Modewörtern kommen folgende stilistische Funktionen zu: 1) sie dienen zur zeitlichen Kolorierung; 2) hauptsächlich aber erscheinen sie im Sprachporträt; 3) oft stehen sie im Dienst einer Kontrastwirkung (alte Generation — junge Generation) u.a. Als Beispiel kann im letzten Fall noch einmal die Stelle aus W. Bredels Roman „Die Väter" angeführt werden — das Gespräch zwischen Frau Hardekopf und ihrem Sohn Fritz. Der jüngste Vertreter der Familie gebraucht stets ein Modewort, das bei ihm alles bedeutet, und seine Mutter ist einfach unfähig, diesem unbekannten Gebrauch des Wortes zu folgen. Der Verfasser schildert die Szene so:

„Ja, Frau Hardekopf war sehr unwissend. Es gab klare Sachen; wenn beispielsweise das Erdbeben von Messina ‚pyramidal’ war, verstand sie das schon. Auch der neue Ozeandampfer ,Auguste Victoria war pyramidal. Geheimnisvoller wurde es schon, wenn ihr Fritz ausrief: „Die Kinder des Kapitän Grant sind pyramidal!" Oder wenn „ein Goal von Adje" pyramidal war."

Die so gut eingesetzte sprachliche Besonderheit — das Modewort pyramidal — betont den Kontrast zwischen zwei Generationen; zugleich bedeutet es den Unterschied in der Stellung und Haltung zu den Dingen und Ereignissen der Welt. Die ganze Textstelle ist so gestaltet, daß die Ein­stellung des Autors selbst, seine leichte Ironie für den Leser spürbar bleibt.

Ein spezielles Mittel der Stilistik bilden Neuwörter, die als Einmalbildungen vorkommen: sie stellen einmalige individuelle Bildungen des Autors dar, sind an einen bestimmten Text gebunden und brauchen nicht in den Wortschatz der Sprache einzugehen. Sie wirken infolge ihres einmaligen Erscheinens expressiv [37, S. 102]. Ihre stilistische Hauptfunktion ist Bewirkung der höchsten Anschaulichkeit, ihre Verwendungsbereiche sind schöne Literatur, Presse und Publizistik. In den politischen Arti­keln und publizistischen Schriften verhelfen sie oft zu einer satirischen Entlarvung, stehen im Dienst der ideolo­gischen Polemik. Die deutschen Stilforscher erwähnen in diesem Zusammenhang die Werke von K. Marx und F. Engels: sie liefern zahlreiche Beispiele stark gefärbter polemischer Einmalbildungen, mit denen die Klassiker des Marxismus ihre politischen und ideologischen Gegner geißelten: „Prinzipspekulanten", „Systemfabrikanten", „Weißbierbürger" usw. [35, S. 65].

Auch in literarischen Texten erscheinen die Einmalbildun­gen als Mittel im Dienst von Humor und Satire: die Kriegs- und die ersten Nachkriegsjahre in Deutschland bezeichnet H. Marchwitza z.B. als „Angstjahrzehnt" (es wird betont, daß die Menschen eine bestimmte Zeit in Angst leben mußten, das waren ihre schicksalsschweren Jahre). H. Heine kritisiert in seiner „Harzreise" die geistige Starre der alten deutschen Professoren und bezeichnet sie durch die Einmalbildung „Universitätspyramiden":

„...nur die alten Professoren bleiben stehen in dieser allgemeinen Bewegung, unerschütterlich fest, gleich den Pyramiden Ägyptens — nur daß in diesen Universitätspyramiden keine Weisheit verborgen ist." [35]

In der Poesie können die Einmalbildungen etwas Gehobenes, Gewähltes in sich tragen, mit einem hohen Grad der emotionalen Expressivität, z.B. die Lenzluft, war so jung und morgenschön, wellenatmend ihr Gesicht u.a. [35, S. 63–64]; „Das allerletzte Märzlicht zog sich langsam in den Wald zurück" [D. Faulseit, S. 21–22] u.a. An der Verwendung der Einmalbildungen in literarischen Werken und politisch-publizistischen Schriften, an der Art ihrer Expressivität kann man immer die persönliche Einstellung des Autors erkennen, sonst würden sie nicht „Einmalbildungen" heißen.