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Der_Campus

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Tü ren ein Billardzimmer und eine Bibliothek sehen konnte. Dann stiegen sie eine kleine hö lzerne Wendeltreppe empor und befanden sich plö tzlich auf einer Galerie, von der aus Hanno auf den gefliesten Steinfuûboden der groûen Eingangshalle hinuntersah. Auf der rechten Seite ö ffnete sich ein gewaltiger Kamin, und unter einem Wald von Geweihen stand vor der linken Wand ein veritabler ausgestopfter Bä r, wä hrend gegenü ber, zu beiden Seiten des Eingangs, das Licht durch die Fenster der Fassaden flutete. Direkt unter den Fenstern waren Seitenborde aufgebaut worden, auf denen Kompanien von Sektglä sern blitzten und Schwadrone von Platten mit Hä ppchen in allen kulinarischen Farben spielten. Nachdem sie die Galerie ü berquert hatten, ö ffnete seine Begleiterin plö tzlich eine Tü r und ging ihm voran in ein Bad mit marmorgekachelter Wanne und Dusche.

»Am besten ziehen Sie Ihre Jacke aus«, sagte sie ohne Umstä nde und nahm sie ihm ab. »Die muû erst austrocknen, dann bü rsten wir sie sauber.« Plö tzlich setzte sie sich auf einen frottierten Hokker, schü ttelte ihren blonden Pferdeschwanz und brach in lautes Geläc hter aus, wobei sie auûergewö hnlich breite Zä hne entblöû te. »Nehmen Sie es mir nicht ü bel, aber so wie Sie da in das Grab geflutscht sind, da konnte niemand ernst bleiben. Machen Sie sich nichts draus! Sie haben die ganze Beerdigung gerettet.« Dann stand Sie auf und streckte ihm die Hand hin. »Ich bin eine Groûnichte, Felicitas Bü tow, aber alle nennen mich Felix.«

»Ich mö chte mich bei Ihnen bedanken, Felix, Sie haben mich vom Tode errettet. Ich heiûe Hanno Hackmann.«

»Ich weiû, ich hab Sie neulich im Fernsehen gesehen. Sie sind Soziologe, nicht? Jetzt mü ssen wir aber Ihre Hose etwas in Ordnung bringen. Wollen Sie sie ausziehen?«

»Also, ich glaube, das ist nicht nö tig.« Hanno dachte an Norbert den Penner. Er konnte nicht schon wieder in einer fremden Hose auftauchen. »Ich glaub, sie ist noch tragbar fü r einen Sargträ ger.«

»Na gut, versuchen wir es so.« Felix nahm eine Bü rste, hockte sich vor ihn hin und griff entschlossen den Hosenstoff im Zen-

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trum, zog ihn zu sich hin und bü rstete wild auf ihn los. »Geht ganz gut ab«, funkte sie zu ihm nach oben, wä hrend er auf ihren straffen Scheitel und den hü pfenden Pferdeschwanz blickte. Dann erhob sie sich wieder und schaute sich die Jacke an.

»Oje, die kö nnen Sie aber so nicht anziehen. Die ist ja noch ganz verschmiert. Warten Sie, ich hole Ihnen eine neue.«

Als sie verschwunden war, ö ffnete Hanno das Fenster, um nachzuschauen, ob die Trauergemeinde noch auf dem Friedhof war. Aber von hier aus konnte er nur die hinteren Teile der Parkanlage sehen. Der Rasen zeigte noch die regelmä ûigen Zebrastreifen frischer Mahd. Wie bei einem Wappen bildeten die Wege auf ihm ein regelmä ûiges Kreuz. Aber an der Stelle, wo sie sich hä tten kreuzen sollen, blinkte ein ovaler Teich, den die Wege wie die Einfassung eines Medaillons umgaben. Direkt vor seinem Fenster stolzierte ein Pfau und schleppte ruckweise das Gewicht seines hypertrophierten Federschwanzes auf eine graubraune Henne zu. Plö tzlich reckte er sich zu einem lauten, katzenarrigen Schrei, der in seinem eigenen Echo erstarb. Dann machte er kleine kreisende Trippelschritte und formte unvermittelt den Federschwanz zu einem zitternden Rad, das er raschelnd gegen die Henne drehte. Staunend betrachtete Hanno die tausend blauen Augen, die ihn vom Amphitheater des Pfauenschwanzes anblickten, als Felix mit einer schwarzen Jacke erschien.

»Hier, probieren Sie die an«, sagte sie. Sie war etwas eng, aber wenn er einen Knopf aufmachte, ging es.

»Wessen Garderobe trage ich denn da zu Markte Ð nur fü r den Fall, daû der Besitzer sich Sorgen macht?« fragte Hanno.

»Die gehö rt Groûvater.«

»Sie meinen den Verstorbenen?«

Sie nickte. Das traf ihn unvorbereitet. Ganz unvermittelt wurde ihm schwindlig, er muûte sich auf den Hocker setzen. Ob jetzt erst die Reaktion auf seinen Grabsturz eintrat?

»Sie meinen, das macht Ihnen was aus, die Jacke eines Verstorbenen zu tragen?« Felix schien ehrlich erstaunt.

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»Nein, nein Ð ich denke nur, vielleicht findet Ihre Familie das pietä tlos?«

Sie lachte. »Da kennen Sie meine Familie schlecht. Auûerdem«, füg te sie hinzu, »jemand, der bereit ist, sich in Groûvaters Grab zu stü rzen, gehö rt schon fast selbst zur Familie. Wuûten Sie, daû Groûvater schon mal zum Tode verurteilt war?«

Hanno wuûte, daû der Volksgerichtshof ihn nach der Hinrichtung von Canaris ebenfalls verurteilt hatte und daû die sowjetischen Truppen ihn aus Plö tzensee befreit hatten.

»Ich kenne die Biographie Ihres Groûvaters. Er war ein Held.« Hanno hatte sich gefangen und stand wieder auf.

»Und Sie tragen jetzt seine Jacke«, sagte sie lachend. »Und nun mü ssen Sie mit hinunterkommen und uns helfen, das Fell zu versaufen.«

Hanno stutzte bei diesem Ausdruck.

»Nun gucken Sie nicht so schockiert, so nennt man bei uns die Leichenfeier. Da wird heftig gebechert, damit der Verstorbene eine gute Ü berfahrt hat.«

»Ü berfahrt, das klingt ja ziemlich heidnisch.« Hanno blickte zur Kontrolle noch einmal in den Spiegel. Da sah er, daû auf der

linken oberen Jackentasche ein

kleines Familienwappen

aufge-

nä ht war.

 

 

»Ü berfahrt ü ber die Strö me

von Alkohol.« Sie ging

voran.

»Und die Strö me von Reden.«

 

 

Die Trauergemeinde hatte die Kondolenzkur hinter sich gebracht und war lä ngst in der groûen Halle zum Sektempfang versammelt. Die Glä ser waren schon zum zweiten Mal gefü llt worden, und der Strom der Reden hatte begonnen. Als sie auf die Galerie traten, blieb Hanno stehen. Er hatte die Stimme des alten Weizmann erkannt.

»... in Zeiten, als alle Maûstä be verlorenzugehen schienen, hat er Kurs gehalten. Er war ein furchtloser Mann. Sein Mut hat uns alle aufgerichtet, wenn die Krä nkungen viele von uns Schwäc heren mutlos machten. Er hatte den klaren Blick dessen, der weiû,

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was richtig ist. Massen beeindruckten ihn nicht. Im Gegenteil, ihre Blindheit und Ungehemmtheit machten ihn miûtrauisch. Er hatte ihre Wirkung im Nationalsozialismus kennengelernt und diese Lehre niemals vergessen.« Weizmann machte eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Ich will nicht noch einmal seine Rolle im Widerstand wü rdigen, das hat unser lieber Universitä tsprä sident schon getan. Aber lassen Sie mich Ihnen etwas ganz Persö nliches sagen, liebe gnä dige Frau«, er sprach jetzt offenbar die Witwe an. »Nichts hat mich fü r Ihren Mann so eingenommen wie die Groûzüg igkeit, mit der er den jungen Leuten den infamen Vorwurf verziehen hatte, er sei ein Faschist. Er verfüg te ü ber eine groûe Gelassenheit, die sich bei ihm aus zwei Quellen speiste: aus dem Rü ckblick auf eine lange Familientradition des Dienstes am Gemeinwohl und aus der Einsicht in das wahre Wesen der Politik. Obwohl er selbst in entscheidender Stunde mit seinem eigenen Leben fü r sein Gewissen einstand, ist er nie mü de geworden, gegenü ber den Studenten und in der Ö ffentlichkeit auf den notwendigen Unterschied zwischen Politik und Moral hinzuweisen. Und in seinem groûen Buch ü ber Hobbes hat er uns alle gelehrt, daû man den politischen Gegner kriminalisiert, wenn man Politik und Moral verwechselt. Ja, daû man die Spannung zwischen den beiden Polen nicht auflö sen darf, sondern aushaken muû. Fü r diese Fä higkeit zur Balance gab er selbst das beste Beispiel: Sie hatte bei ihm die Form der Noblesse. Liebe gnä dige Frau, als Kollege, nein als Freund, der ihren Mann auf seinem Berufsweg lange Jahre begleitet hat, lassen Sie mich sagen: Diese Noblesse hat seine Wirkung auf die junge Generation nie verfehlt. Sie empfand unbewuût die Resonanz auf eine Welt, zu der sie den Kontakt verloren zu haben schien. Ihr Mann, Ihr Vater und Groûvater Ð unser aller Freund Albrecht von Zitkau ist tot. Aber fü r ihn gilt Goethes Wort,

-Es wird die Spur von seinen Erdentagen nicht in Aeonen untergehn.¬

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Ich mö chte Sie alle bitten, mit mir das Glas zu heben auf das Andenken an Albrecht von Zitkau.«

Hanno und seine Begleiterin nutzten die Pause, um in die Halle hinunterzusteigen. Am Fuûe der Treppe traf er direkt auf Weiz-

mann, der offenbar ein paar

Stufen erhö ht gestanden hatte und

ihn angeregt begrü ûte. »Sie

waren groûartig, lieber Hackmann,

wie der Totengrä ber im Hamlet. Haben Sie schon der Witwe kondoliert?« Und er drehte ihn sacht zur Seite. Hanno faûte eine flekkige Hand und murmelte etwas von tiefem Mitgefüh l durch einen Schleier, da bemerkte er, daû der Mund unter dem Schleier lä - chelte und ihm zuflü sterte: »Beinah hä tten wir auch Sie zu beklagen gehabt, junger Mann. Aber es ist besser so, wie es ist.« Sie wurden von einem grä ûlichen Kräc hzen auf der Treppe unterbrochen. Hanno drehte sich um und sah ein altes Mä nnchen die Stufen hinaufrudern. Es war vö llig gebeugt, so daû der Oberkö rper mit seinen Beinen einen rechten Winkel formte. Es versetzte ihm einen Schock, als er Professor Straûberger erkannte, seinen Doktorvater aus Freiburg. Auf der Mitte der Treppe schwenkte Straûberger seinen Oberkö rper wie den Arm eines Baukrans und wedelt mit der Hand. Das Rauschen des Geredes in der Halle verstummte allmä hlich.

»Ich muû etwas hö her hinauf«, kräc hzte er, »weil ich Sie sonst gar nicht sehen kann.« Leichtes Gekicher wehte durch die Halle. »Ich studiere nur noch die Erde, um mich mit ihr bekannt zu machen. Ich will nä mlich wissen, ob es lohnt, meinem Freund Albrecht dahin zu folgen.« Das Gekicher ging etwas zurü ck. »Ich kann keine lange Rede mehr halten Ð und das Wichtigste ist ja auch gesagt worden. Aber bevor ich hier von der Treppe falle, muû ich meinen Freund Weizmann in einem Punkt ergä nzen.« Er

packte jetzt das Gelä nder

der Treppe. »Er hat zwei Kraftquellen

von Albrecht erwä hnt:

Tradition und Politikverstä ndnis. Ich

schulde es ihm, daû ich die dritte erwä hne, weil ich sie oft habe flieûen sehen: Ich meine seinen Humor. Ihm hä tte dieses Begrä b- nis heute gefallen. Wissen Sie, er hat mir mal unter Lachträ nen aus

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diesem Roman von Mark Twain vorgelesen, wie Tom Sawyer sein eigenes Begrä bnis miterlebt. Ich muûte daran denken, als ich sah, wie unser guter Hackmann Ð wo ist er denn? Ð ihm heute ins Grab folgen wollte.« Das Geläc hter schwoll jetzt merklich an. »Genau so hä tte Albrecht sich sein Begrä bnis gewün scht. Ich kann mir gut vorstellen, was er gesagt hä tte: -Siehst du¬, hä tte er gesagt, -wie sehr unsere Schü ler auch gegen uns rebellieren, am Ende folgen sie uns doch.¬ « Jetzt erscholl lautes Geläc hter. Die Umstehenden lä - chelten Hanno direkt an. Er stellte erfreut fest, daû das Lachen wohlwollend war. Er hatte ihnen mit seinem Sturz den Tod erträ g- lich gemacht, und sie waren ihm dankbar. »Aber dazu«, schloû der alte Straûberger, »dazu mü ssen wir ihnen vorangehen. Und das ist auch gut so, erst kommen die Alten an die Reihe und dann die Jungen. Albrecht von Zitkau hat immer gesagt, wenn die Alten vor den Jungen sterben, ist das ein Zeichen, daû die Zeiten in Ordnung sind. Trinken wir darauf, daû es so bleibt. Ehren wir den Toten, indem wir auf das Leben trinken!« Als er geendet hatte, stü rzte ein junger Mann die Treppe hinauf und drü ckte dem alten Straûberger ein Sektglas in die Hand, die ganze Versammlung hob jubelnd das Glas, froh, auf den Worten des Alten dem Tode davongeritten zu sein, und viele prosteten Hanno zu, weil er es ihnen mö glich gemacht hatte.

Zwei Stunden spä ter saû Hanno im Salon auf Wulfsfeld und lö f- felte Rote Grü tze zum Nachtisch. Die alte Frau von Zitkau hatte ihn und Gabrielle gebeten, doch nach dem Empfang noch zum Essen im engeren Kreise zu bleiben. Schlieûlich mü sse ja seine Jacke noch trocknen. Gabrielle hatte ihm alle vergangenen Sün den verziehen, denn sie spü rte, daû allein Hannos Sturz das strahlende

Ziel der Freundschaft mit

den Zitkaus in so greifbare Nä he ge-

rü ckt hatte. Sie saû weiter

links, fü r ihn unsichtbar, aber er hö rte,

wie sie ihre Kenntnis seiner jungenhaften Tolpatschigkeit in Form

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lustiger Geschichten vermarktete. Fragmente der Komöd ie mit der Katze drangen an sein Ohr, seine Neigung, ü ber Hundeleinen zu stolpern, und seine generelle Fallsucht wurden von ihr in kleiner Mün ze an die Zuhö rer verteilt. Links neben ihm saû seine Samariterin und unterhielt sich mit einem Vetter. Hanno selbst saû an der Ecke der Tafel und hatte keine Tischdame. Statt dessen saû ü bers Eck am Kopfende des Tisches der Chefredakteur Hirschberg von der Abendpost, den er anlä ûlich einer Artikelserie ü ber Formen der Massenkultur kennengelernt hatte.

Hanno schwamm auf einer Wolke der Unwirklichkeit. Das Ge-

füh l,

daû

sein

Leben vielleicht vor dem Zusammenbruch

stand,

war

durch

eine

weitere Geschmacksvariante der Irrealitä t

berei-

chert worden. Diese Leute mochten ihn offenbar. Er war bis jetzt, zu Gabrielles Ä rger, gegenü ber den richtig konservativen Milieus auf Distanz geblieben. Die meisten Soziologen waren sowieso links, und da galt der Kontakt zu feinen Leuten als unfein. Die funktionalen Herrschaftseliten Ð ja, die muûte ein Soziologe kennen dü rfen, wenn er die moderne Gesellschaft verstehen wollte. Aber die waren ja auch selten fein. Dazu gehö rten Gewerkschafter, Parteibonzen, Geldleute und Industrielle. Aber mit Landedelleuten zu verkehren war einfach unmö glich. Dadurch verriet man

einen

läc herlichen Hang

zu veralteten

Distinktionsmerkmalen,

eine

Art

soziologische

Zurü ckgebliebenheit,

als

hä tte man eine

Neigung

zum Kitsch.

Genausogut

hä tte

er

fü r

Heimatfilme

schwä rmen kö nnen. Aber

vielleicht

lagen

hier noch

eingemottete

Reserven an sozialen Tugenden, auf die eine Gesellschaft nicht verzichten konnte. Die groûzüg ige Nonchalance, mit der diese Leute seinem Sturz jeden Beigeschmack des Peinlichen genommen hatten, kontrastierte deutlich mit der kleinbü rgerlichen Neigung linker Universitä tsmilieus, aus jedem Miûgeschick eines anderen fü r sich selbst Vorteile zu schlagen. Es war diese niedrige Gesinnung, diese hyä nenhafte Angewohnheit, die Hanno in letzter Zeit immer stä rker angeekelt hatte. Ob er Gabrielle Unrecht getan

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hatte, wenn er ihrer Sehnsucht nach den besseren Kreisen soviel Widerstand entgegengesetzt hatte, zumindestens passiven Widerstand? Gegenü ber dem juste milieu akademischer Normalvertreter war diese Mischung aus Gutsherrlichkeit und alter Ordinari enwelt jedenfalls eine Wohltat. Zugleich konnte Hanno seine eingefleischte linksliberale Distanz zu diesem Milieu nicht auf Anhieb ablegen. Und so füh lte er sich wie eine Fliege, die plö tzlich in eine wohlschmeckende Suppe gefallen ist und betä ubt in der delikaten Flut herumpaddelt.

»Wie man hö rt, gibt es in Ihrem Institut Turbulenzen?« Die Bemerkung riû Hanno aus seinen Betrachtungen. Der grauschopfige Hirschberg hatte seine Rote Grü tze zu Ende gelö ffelt und tastete seine Jackentaschen nach einer Zigarre ab. Sein Bulldoggengesicht vibrierte dabei. Fleischige Taschen hingen in schweren Wü lsten von seinen Wangen herab. An seiner Nasenwurzel behinderten sich mehrere Falten und stauten sich mit den buschigen Augenbrauen zu einer wulstigen Landschaft auf, in der die kleinen Augen fast begraben wurden. Nur der groûe Mund behauptete in die-

sem Gebirge aus Wü lsten

sein eigenes Recht auf

Expressivitä t.

Wä hrend Hirschberg mit

seinem Zigarrenschneider

umstä ndlich

das Ende der Zigarre einkerbte, die er in seiner Innentasche gefunden hatte, ü berlegte Hanno, wieviel er wohl wuûte; Wieder muûte er den Impuls bremsen, sich plö tzlich jemandem anzuvertrauen.

»Sie haben davon gelesen? Was ist dieses JOURNAL eigentich fü r ein Blatt?«

»Gehö rt zur Jahn-Gruppe.« Hirschberg riû ein Streichholz an und blickte dann zu Hanno hinü ber. »Stö rt Sie meine Qualmerei vielleicht?« Hanno winkte, daû er weitermachen solle, und mit zuckender Flamme zün dete Hirschberg seine Zigarre an. »Ehrgeiziger Chefredakteur. Will daraus eine windschnittige City-Zei- tung fü r junge Karrieristen machen. Aber dazu muû er den reaktionä ren Stallgeruch von Jahn loswerden.«

Hanno war verblü fft. Da sprach der Chefredakteur einer reaktionä ren Zeitung ü ber reaktionä re Positionen, als ob er damit

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nichts zu tun hä tte, und hü llte sich in Zigarrenrauch. »Ist denn etwas dran an dieser Geschichte?« klang es aus den Qualmwolken zu Hanno herü ber.

Ach, das war noch so eine Hyä ne, der wollte etwas wissen. »Wollen Sie auch auf der Welle der Sensationsenthü llungen rei-

ten?«

»Im Gegenteil, wir mö chten diesen Bü lhoff als Aasgeier entlar-

ven. Das ist der Chefredakteur des JOURNAL«,

füg te

er erklä -

rend hinzu. »Aber dann wä re es schö n, wenn er

einem

Gerü cht

aufgesessen wä re.«

 

 

Hanno ü berlegte. War hier ein mö glicher Verbün deter? Konnte er es sich leisten, sich von der Abendpost helfen zu lassen? Selbst wenn das gelingen sollte, wä re er als Reaktionä r abgestempelt. Andererseits Ð hatte er jetzt noch die Wahl? Konnte er es sich leisten, sich nicht von der Abendpost helfen zu lassen? Aber welche Positionen muûte er dann einnehmen? Sollte er alles abstreiten und das Duell der Glaubwü rdigkeiten kä mpfen? Oder sollte er diesem Hirschberg vielleicht die Wahrheit erzä hlen? Bevor er antworten konnte, nahm Hirschberg wieder das Wort. »So eine aufwendig gefüh rte Kampagne, die sich am Ende als Flop erweist, das kann einem Chefredakteur in der Anfangsphase durchaus das Genick brechen.«

Er sagte das, als ob er an die vergangenen Schlachten seiner Jugend dachte.

»Und was wä re Ihr Interesse daran? Ein Konkurrent weniger?« fragte Hanno.

Hirschberg zog an seiner Zigarre. »Das auch. Aber auch Ð ein Aasgeier weniger. Sie sind Soziologe. Haben Sie sich mal mit der Entwicklung der Presse befaût?«

Hanno schü ttelte den Kopf. »Nicht grün dlich.«

»Nun, es gab immer schon die Sensationspresse mit Sex und Crime. Sie ist so alt wie die Zellulose und die Massendemokratie. Aber der Typ JOURNAL ist eine neue Mutation. Diese Spezies bricht in die Domä ne der seriö sen Politik ein. Das Ergebnis kö n-

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nen Sie jetzt schon in Amerika sehen. Politiker werden nicht mehr

anhand ihrer Programme kritisiert, sondern durch

Enthü llungen

von Bettgeschichten abgeschossen. Wenn das hier

auch anfä ngt,

dann gnade uns Gott. Dann wird jeder Wahlkampf in einen Sprüh regen aufgewirbelter Jauche eingehü llt sein, von den Kommentaren seriö ser Journalisten begleitet, die niemand mehr zur Kenntnis nimmt. Dann landen wir alle im Dreck. Dann wird uns niemand mehr hö ren, wenn wir nicht auch mit Dreck schmeiûen. Und nicht im Dreck zu landen, das ist mein Interesse, um auf Ihre Frage zurü ckzukommen.«

Das klang gut. Hannos Zuversicht stieg. Er muûte dem Hirschberg weiter auf den Zahn füh len, bevor er ihm mehr erzä hlte.

»Und Sie haben das Gefüh l, daû Sie selbst sauber bleiben konnten?«

Das Bulldoggengesicht verzog sich bis zur Unkenntlichkeit. Hanno wuûte zunäc hst nicht, was vorging, bis er bemerkte, daû Hirschberg läc helte.

»Nein, Professor Hackmann, sauber bleiben kann man in unserem Metier so wenig wie in der Politik.« Er schü ttelte sich. »Aber bisher gab es einen stillschweigenden Comment, der auch beachtet wurde. Jeder Topjournalist kennt doch die Geliebte des Ersten Bü rgermeisters und den Geliebten des Oppositionsfüh rers.«

Auf der anderen Seite des Tisches riû sich eine silberhaarige Dame von ihrem Konversationspartner los und warf ihren Oberkö rper in Richtung Hirschberg.

»Nein Ð sagen Sie Ð, der Erste Bü rgermeister hat eine Geliebte? Das glaube ich nicht. Der wirkt doch so vornehm. Und seine Frau ist eine so damenhafte Erscheinung!«

»Ich glaube es auch nicht«, beschied Hirschberg die Silberhaarige, und sie wandte sich mit routiniertem Läc heln enttä uscht von der unergiebigen Fundstelle ab, um anderswo nach Informationsnuggets zu graben. »Aber jeder, der das ausschlachten wü rde«, fuhr Hirschberg fort, »wü rde sofort von seinen Informationsquellen abgeschnitten. Da funktionierte der Konsens noch.«

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