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Zwillinge.doc
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In neunundzwanzig Minuten kommt Mutti! — In achtund­zwanzig und einer halben Minute! — In achtundzwanzig! Luise steht entschlossen auf und geht wieder zum Herd.

Doch das Kochen ist eben schwierig. Entschlossenheit genьgt vielleicht, um von einem hohen Turm zu springen. Aber um Nudeln mit Rindfleisch zu kochen, braucht man Kochkenntnisse.

Als Frau Kцrner mьde von der Arbeit nach Haus kommt, findet sie kein lдchelndes Gesichtchen vor. Ihre kleine Tochter ist vцllig erschцpft und unglьcklich. Fast weinend sagt sie: „Schimpf nicht, Mutti! Ich glaube, ich kann nicht mehr ko­chen!"

„Aber Lottchen, Kochen verlernt man doch nicht!" ruft die Mutter verwundert. Aber sie hat Zeit, sich zu wundern. Sie muЯ Kindertrдnen trocknen, die Suppe abschmecken, Teller und Bestecke aus dem Schrank holen und vieles mehr.

Als sie endlich im Wohnzimmer unter der Lampe sitzen und die Nudelsuppe essen, trцstet die Mutter das kleine Mдd­chen und sagt: „Es schmeckt doch eigentlich sehr gut, nicht wahr?"

„Ja?" Ein schьchternes Lдcheln erscheint auf dem Kin­dergesicht. „Wirklich?"

Die Mutter nickt und lдchelt still zurьck. Luise atmet auf, und nun schmeckt ihr die Nudelsuppe so gut wie noch nie im Leben! Trotz Hotel Imperial und Eierkuchen.

„In den nдchsten Tagen werde ich kochen", sagt die Mut­ter. „Du wirst dabei genau zusehen. Dann kannst du bald wieder kochen wie vor den Ferien."

Die Kleine nickt eifrig. „Vielleicht sogar noch besser!" sagt sie.

Nach dem Essen waschen sie gemeinsam das Geschirr ab. Und Luise erzдhlt, wie schцn es im Ferienheim war. (Aller­dings erzдhlt sie nichts von dem Mдdchen, das genauso aus­sieht wie sie.)

..Zur gleichen Zeit sitzt Lottchen in Luises schцnstem Kleid in einer Loge der Wiener Staatsoper. Sie blickt mit groЯen Augen zum Orchester hinunter, wo Kapellmeister Palfy die Ouvertьre von „Hдnsel und Gretel" dirigiert. Sie denkt: ,Wie wundervoll Vati im Frack aussieht! Und wie die Musiker ihm gehorchen, auch die ganz alten Herren. Wenn er ihnen mit dem Stock droht, spielen sie, so laut sie kцnnen. Und wenn er will, spielen sie auch ganz leise. Sicherlich haben sie vor ihm Angst! Aber mir hat er vorhin vergnьgt zuge­winkt.*

Die Tьr geht auf, und eine elegante junge Dame kommt in die Loge. Sie setzt sich neben das Kind und lдchelt ihm zu.

Lotte wendet sich schьchtern ab und sieht wieder zu, wie Vati dirigiert.

Die junge Dame holt ein Opernglas hervor. Und eine Kon­fektschachtel. Und ein Programm. Und eine Puderdose. Bald sieht die Brьstung der Loge wie ein Schaufenster aus.

Als die Ouvertьre zu Ende ist, applaudiert das Publikum begeistert. Der Herr Kapellmeister Palfy verbeugt sich einige Male. Als er wieder den Dirigentenstab hebt, sieht er zur Loge empor.

Lotte winkt schьchtern mit der Hand. Vati lдchelt noch zдrtlicher als vorhin.

Da merkt Lotte, daЯ nicht nur sie mit der Hand winkt, sondern auch die Dame neben ihr!

Die Dame winkt Vati zu? Hat Vati vielleicht ihretwegen so zдrtlich gelдchelt? Und gar nicht wegen seiner Tochter? Ja, und wieso hat Luise nichts von der fremden Frau erzдhlt? Kennt Vati sie noch nicht lange? Warum darf sie ihm so ver­traulich zuwinken? Lotte wird heute noch an Luise schreiben und anfragen, ob sie etwas ьber die fremde Frau weiЯ. Mor­gen wird sie noch vor Schulbeginn zum Postamt gehen und den Brief nach Mьnchen aufgeben.

Auf der Bьhne beginnt das Spiel von Hдnsel und Gretel, das Lottchen immer stдrker berьhrt. Sie vergleicht das Schicksal von Hдnsel und Gretel mit ihrem eigenen Schicksal und dem der Schwester.70 Im Mдrchen wie im Leben lieben die Eltern ihre Kinder. Warum aber trennen sie sich dann von ihnen? Die Eltern von Hдnsel und Gretel hatten kein Geld, um Brot fьr ihre Kinder zu kaufen. Warum aber haben ihre Eltern sich und die Kinder getrennt? Im Mдrchen wie im Leben sind die Eltern nicht bцse, aber was sie tun, ist bцse!

Lottchen ist sehr aufgeregt und in ihre Gedanken ver­tieft. Deshalb erschrickt sie, als sich Frдulein Irene Gerlach (so heiЯt die elegante Dame) ihr zuwendet und ihr Konfekt anbietet. Sie blickt auf und sieht das Frauengesicht vor sich. Dabei stцЯt sie unbeabsichtigt an die Konfektschachtel, und unten im Parkett regnet es plцtzlich Pralinen.71 Kцpfe wen­

den sich nach oben. Leises Lachen mischt sich in die Musik. Frдulein Gerlach lдchelt verlegen und дrgerlich.

Das Kind erschrickt bis ins Herz72!

„Entschuldigen Sie vielmals", flьstert Lottchen. Die Dame lдchelt verzeihend. „O, das macht nichts73, Luise."

* * *

Luise liegt zum ersten Mal in Mьnchen im Bett. Die Mut­ter sitzt bei ihr und sagt: „So, mein Lottchen, nun schlaf und trдume gut!"

„Gehst du auch bald zu Bett, Mutti?" fragt das Kind.

An der Wand gegenьber steht ein grцЯeres Bett. Auf der Decke liegt Muttis Nachthemd.

„Gleich", sagt die Mutter, „aber erst, wenn du schlдfst."

Das Kind umarmt sie und gibt ihr einen KuЯ. Dann noch einen. Und einen dritten. „Gute Nacht!"

Die junge Frau drьckt das kleine Mдdchen an sich. „Ich bin so froh, daЯ du wieder zu Hause bist", flьstert sie. „Ich habe ja niemanden auЯer dir!"

Der Kopf des Kindes sinkt ermьdet auf das Kissen.

Luiselotte Palfy, geborene Kцrner, horcht noch eine Weile auf die Atemzьge ihrer Tochter. Dann steht sie vorsichtig auf und geht leise ins Wohnzimmer zurьck.

Unter der Stehlampe liegt die Aktentasche. Frau Kцrner muЯ noch viel arbeiten.

Auch Lotte ist schlafengegangen. Resi hat sie ins Bett gebracht.

Dann ist aber Lotte heimlich wieder aufgestanden und hat den Brief geschrieben, den sie morgen frьh zum Postamt bringen will. Dann hat sie sich wieder leise in Luises Bett gelegt. Bevor sie das Licht ausschaltete, hat sie das Kinder­zimmer noch einmal in Ruhe betrachtet.

Es ist ein groЯer, hьbscher Raum mit Mдrchenbildern an den Wдnden, mit einem Spielzeugschrank, mit einem Bьcher­regal, mit einem Schreibtisch fьr die Schularbeiten, mit einem groЯen Kaufmannsladen, einem Puppenwagen, einem Pup­penbett — nichts fehlt in diesem Zimmer — auЯer der Haupt­sache!

Hat sie sich nicht manchmal — ganz heimlich, damit Mutti nichts merkt — so ein schцnes Zimmer gewьnscht? Jetzt hat sie so ein Zimmer. Und doch fьhlt sie sich nicht glьcklich. Sie denkt an ihr kleines, einfaches Schlafzimmer, wo jetzt die Schwester liegt, an Muttis GutenachtkuЯ, an den Lichtschein aus dem Wohnzimmer, wo Mutti noch ar­beitet. Sie erinnert sich, daЯ leise die Tьr aufgeht, daЯ sie hцrt, wie Mutti an ihrem Bett stehen bleibt, dann zum eige­nen Bett hinьbergeht, das Nachthemd anzieht und sich schla­fen legt.

Warum steht nicht hier Vatis Bett im Nebenzimmer? Vielleicht wьrde er schnarchen, aber er wдre in der Nдhe.74 Aber er schlдft nicht nebenan, sondern in einem andern Haus. Vielleicht schlдft er ьberhaupt noch nicht, sondern sitzt mit dem eleganten Frдulein in einem groЯen, hellen Saal. Vielleicht trinken sie Wein, lachen und tanzen. Viel­leicht nickt er ihr zдrtlich zu, wie heute abend in der Oper, ihr, und nicht dem kleinen Mдdchen.

Lotte schlдft ein. Und im Traum verbindet sich das Mдr­chen von Hдnsel und Gretel mit den aufregenden Erlebnissen der Zwillinge in Mьnchen und Wien.

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